Wenn ein Pastor Suizid begeht
Wieder hat ein Pastor Selbstmord begangen. Doch dieses Mal war es mein enger Freund. So stelle ich mir andauernd die Frage: Wie sollte das Ganze Sinn ergeben?
Schließlich war dieser erfahrene Pastor kein Heuchler wie Saul (1Sam 31,4). Er war ein aufrichtiger Christ, dessen Leben viel Frucht brachte. Er war kein schuldbeladener Judas (Mt 27,5). Er liebte Jesus und hat das Sühneopfer Christi verstanden; seine Theologie war biblisch. Es sieht auch nicht danach aus, als sei er vor einem Skandal davongelaufen.
„Doch der schreckliche Tod Christi als Erfüllung der Schrift gibt mir einen guten Grund, selbst inmitten dieser schmerzhaften und verwirrenden Situation in seiner Souveränität zu ruhen.“
Wie kann ich also diese schockierende Tragödie verstehen? Im letzten Monat habe ich über den Suizid meines Freundes nachgedacht, indem ich mich an die folgenden Wahrheiten erinnert habe – sowohl die guten als auch die schlechten. Vielleicht sind sie hilfreich für dich, falls du dich jemals in einer ähnlichen Situation wiederfinden solltest.
Satan
Wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass unser Widersacher, der Teufel, umher geht „wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann“ (1Petr 5,8). Es gibt tatsächlich einen geistlichen Kampf. Listige, unsichtbare und böse Wesen attackieren uns ständig, reden uns Lügen ein und suchen nach Lücken in unserer Rüstung, damit sie Zweifel und Anklagen streuen können, die uns wegbringen sollen von unserem Herrn.
Pastoren sind dämonische Hauptziele. War Satan involviert in dieser zerstörenden Finsternis? Zweifellos. Doch an dieser Stelle stehen zu bleiben und zu sagen, dass der Teufel und der Teufel allein, meinen Freund dazu brachte, dies zu tun? Das wäre zu einfach gedacht.
Umstände
Wie du dir vorstellen kannst, spielten einige schwierige Umstände eine Rolle dabei, dass mein Pastorenfreund sich das Leben genommen hat.
In seinem Fall war es so, dass er über Jahre hinweg hart gearbeitet hat im Bereich von Evangelisation, Jüngerschaft, Predigen, Administration und Gastfreundschaft – doch seine kleine Gemeinde schrumpfte. Er musste andere Arbeitsstellen übernehmen, um seine Familie versorgen zu können. Beziehungskonflikte begannen sein Ältestenteam zu verschlingen. Schließlich ist die Gemeinde auf unter zehn Leute geschrumpft und er verließ sie – niedergeschlagen und entmutigt, mit dem Gefühl, ein schlecht behandelter Versager mittleren Alters zu sein.
Nach seinem Auszug war der Verkauf seines Hauses nur von Mühe gekennzeichnet. Sein Sohn brach sich den Arm und seine neue Rolle in einer neuen Stadt – als Hilfspastor unter jemandem, der jünger war als er selbst – fühlte sich so an, als ob jemand noch mehr Salz in die Wunde streute. Mit den Worten Davids stand ihm das Wasser bis zum Hals (Ps 69,1).
Doch viele Leute haben noch viel Schlimmeres erlebt und unterlagen nicht der Verzweiflung. So kann der Tod meines Freundes also nicht allein auf die traurigen Umstände zurückgeführt werden.
Krankheit
Wie man erwarten würde, hatte mein Freund eine Vorgeschichte mit Depression und war deshalb in ärztlicher Behandlung. Aus wissenschaftlicher Perspektive wissen wir noch sehr wenig über das Gehirn, doch theologisch haben wir schon immer gewusst, dass wir „fleischerne Seelen“ sind (1Mose 2,7). Gott hat uns mit Körpern geschaffen, er selbst nahm einen Körper an und er hat verheißen, dass er eines Tages unsere Körper auferwecken und sie verherrlichen wird. Mit anderen Worten, wer wir sind, ist eng verbunden mit physischen Dingen – Proteinen und Protonen.
Auf der Suche nach einem neuen Arzt begann mein Freund mit einer anderen Medikamentendosierung. Doch anstatt zu helfen, brachte dies seinen Verstand durcheinander. Er konnte nicht mehr klar denken. Irgendetwas lief verkehrt mit seiner Gehirnchemie. Wer schon einmal unter Schlafentzug oder Drogeneinfluss stand oder ernsthaft ungesund oder hormonell beeinträchtigt und nicht richtig bei Verstand war, kann das vielleicht etwas nachvollziehen. So fühlte sich mein Freund.
Diese Erklärung hilft uns, doch reicht sie nicht aus. Schließlich starb er nicht an Krebs oder irgendeinem anderen medizinischen Defizit. Er hat sich selbst dazu entschieden, sich das Leben zu nehmen.
Sünde
Es ist wichtig, den Einfluss Satans, der Umstände und der Krankheit zu verstehen. Doch müssen wir auch verstehen, dass die schwerwiegende Entscheidung meines Freundes eine Sünde war, für die er selbst verantwortlich ist. Suizid ist Selbstmord; es ist ein Übertritt des sechsten Gebots. Es ist eine egoistische Tat, die viele Menschen verletzt hat.
Mein wertgeschätzter Pastorenbruder hinterließ eine Witwe mit einem gebrochenen Herzen und drei verunsicherte Kinder. Er ließ seine Gemeinde zurück. In dem letzten Momenten der wirbelnden Dunkelheit vertraute er Gott nicht und nahm die Dinge selbst in die Hand. Sein Glaube schwand und er gab sich der Bitterkeit und Hoffnungslosigkeit hin.
Suizid ist niemals eine entschuldbare oder richtige Lösung – ganz gleich wie groß die Versuchung, wie schlimm die Situation oder wie ernst der Zustand ist. Mein Freund hat nicht nur eine schlechte Entscheidung getroffen, sondern er hat sich auch schwer gegen Gott und andere versündigt.
Rettung
Bedeutet die Sünde des Suizids, dass dieser geliebte Pastor nicht gerettet ist? Nein. Sünde passt nicht zum neugeborenen Gläubigen. Und doch sind wir alle voll von Widersprüchen und Sünde (1Joh 2,1). Sogar große geistliche Leiter versagen kläglich und begehen schreckliche Dinge. Denk an König David, der Ehebruch und Mord begangen hat.
„Mit unserer Bekehrung wird Christi Werk unwiderruflich unser. Sein Tod bezahlt komplett für unsere vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden.“
Doch David kehrte um (Ps 51) – und mein Freund tat es sehr wahrscheinlich nicht. Wenn jemand Suizid begeht, bleibt selten genug Zeit dafür.
An dieser Stelle ist das protestantische Verständnis der Rechtfertigung durch Glauben allein so entscheidend. Wir sind durch unseren oft schwankenden Glauben untrennbar mit Christus durch Gnade verbunden – nicht durch unsere schwankenden Werke. Mit unserer Bekehrung wird Christi Werk unwiderruflich unser. Sein Tod bezahlt komplett für unsere vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden. Sein besonderes Leben von vollkommener Treue wird uns komplett angerechnet und kleidet uns. Mit anderen Worten: Für Christen ist Gottes endzeitliches Urteil bereits unwiderruflich gefällt und verkündet worden – GERECHT, sagt er, auch wenn wir Sünder bleiben, auch wenn wir nicht nach jeder einzelnen Sünde um Vergebung bitten.
Souveränität
Wenn jemand Suizid begeht, gibt es selten einen einzigen Grund dafür. Es ist häufig das Ergebnis von vielen komplexen Faktoren in einer gefallenen Welt. Aus biblischer und theologischer Sicht sollten uns die oben genannten Kategorien helfen, vereinfachte Antworten zu vermeiden, und uns gleichzeitig zu einem gewissen Verständnis verhelfen.
„Wir haben so viele unbeantwortete Fragen, weil wir nicht Gott sind.“
Und trotzdem ergibt es letzten Endes keinen Sinn. Warum kann ein bezwungener Feind wie Satan noch immer so einen verheerenden Schaden anrichten? Warum waren die Umstände im Leben und Dienst meines Freundes so schwierig, wenn Christus seine Gemeinde baut? Warum konnten die Ärzte seine Krankheit nicht behandeln? Warum hat Gott ihn nicht geheilt? Und wie konnte jemand, der ansonsten so überlegt und selbstlos gehandelt hat, so etwas Dummes und Sündhaftes tun?
Wir haben so viele unbeantwortete Fragen, weil wir nicht Gott sind und die geheimen Dinge gehören nur ihm (5Mose 29,29). Wir können seine unergründlichen Wege nicht vollkommen verstehen (Röm 11,33). Jeder einzelne unserer Tage – der letzte Tag mit eingeschlossen – wurde bereits in Gottes Buch geschrieben, bevor wir geboren wurden (Ps 139,16), was bedeutet, dass diese schreckliche Sache letztlich irgendwie in Übereinstimmung mit Gottes gutem Plan geschah.
Tief in mir ringe ich mit all dem. Ich verstehe so vieles nicht. Es ergibt überhaupt keinen Sinn für mich. Und so kann ich letztlich nur auf Gott vertrauen. Denn wenn er nicht alles gemäß seines geheimnisvollen und doch weisen und guten Plans lenkt, wäre die Welt absolut bedeutungs- und hoffnungslos. Doch der schreckliche Tod Christi als Erfüllung der Schrift (1Kor 15,3) – gefolgt von seiner siegreichen Auferstehung und seiner verheißenen Wiederkunft – gibt mir einen guten Grund, selbst inmitten dieser schmerzhaften und verwirrenden Situation in seiner Souveränität zu ruhen.