Jünger-Machen ist alltägliches Christsein

Artikel von Erik Raymond
17. Oktober 2018 — 5 Min Lesedauer

Was ist deine Aufgabe als Christ? Wenn Gott eine Stellenbeschreibung für das Leben als Christ hätte, was stünde darin? 

Die Kernaufgabe eines Christen ist die Aufgabe der Jüngerschaft. Wir lesen das sehr deutlich in den Worten Jesu vor seiner Himmelfahrt: 

Und Jesus trat zu ihnen und redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Nationen zu Jüngern, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe! Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters. (Mt 28,18–20)

Was bedeutet es, Jünger zu machen? Ein Jünger ist ein Schüler und ein Nachfolger Jesu. Wenn wir Jünger ausbilden ist unser Ziel, dass Menschen, die Jesus nicht nachfolgen, anfangen ihm nachzufolgen (Bekehrung) und sie zu lehren, Jesus in jedem Bereich ihres Lebens treu nachzufolgen (geistliche Reife). 

Viele Christen hören das und legen das in die Schublade des Idealismus ab. Natürlich würde ich gerne Menschen in Jüngerschaftsbeziehungen begleiten, doch ich kann das leider nicht. Sie haben den Eindruck, dass Jüngerschaft über ihrer Gehaltsstufe liegt. Stimmt das? Ist Jüngerschaft etwas, was nur Pastoren, Älteste und „reife Christen“ tun? Oder ist es etwas für jeden? 

Mein Hauptanliegen ist: Jünger-Machen ist alltägliches Christsein. Es ist grundlegend. Wie das Zählen lernen und das Aufsagen des Alphabets im alltäglichen Leben, gibt es kaum einen Bereich des Lebens als Christ, den Jünger-Machen nichts angeht. Genauso wie das Christentum ein Gemeinschaftsglauben ist, ist es ein Glauben des Jünger-Machens.

Es gibt ein Dutzend verschiedener Muster zur Jüngerschaft. Einige schlagen vor, ein Buch zu lesen, sich zum Kaffeetrinken, zum Essen oder zum Sport zu treffen, etc. All das mag hilfreich sein für die Jüngerschaft, doch sie sind weder Voraussetzungen noch der notwendige Inhalt. 

Jesus hat uns nie ein Programm vorgegeben, dem wir folgen sollten, doch er gab uns sein Vorbild und eine breite, weitreichende Anweisung, wie wir dies tun sollen. Als Ergebnis haben wir beides: große Freiheit und ein großes Anliegen für Jüngerschaft.

Wie sieht das aus? Wenn Jesus uns die Anweisung gibt Jünger zu machen, beabsichtigt er, dass wir ihm gegenüber im Gehorsam leben, in der Gegenwart von anderen Menschen (Christen und Nichtchristen). Diese bewusste Lebensgestaltung zeigt anderen den Wert und die Macht Christi. Kurz gesagt, lassen wir Menschen sehen, wie wir den christlichen Glauben ausleben.

Dazu will ich einige Beispiele geben: 

Jüngerschaft geschieht, wenn ein junger Mann heiraten will, aber keine Strategie dafür hat, wie er es angehen soll. Er fragt einen anderen Bruder um Rat und Hilfe. Dieser Bruder geht mit ihm Essen und spricht mit ihm über einige biblische und praktische Prinzipien. Er erklärt dann, für ihn zu beten, offen für Fragen zu sein und ab und zu für Gespräche über den Verlauf zur Verfügung zu stehen.

Jüngerschaft geschieht, wenn eine Mutter zweier Heranwachsender etwas bei einer Schwester aus der Gemeinde vorbeibringt, was sie geliehen hat. Während sie dort ist und sie ins Gespräch kommen, äußert die junge Mutter ihr Gefühl der Müdigkeit und des Versagens den empfundenen Maßstäben des Muttersein zu entsprechen. Die andere Dame hört ihr zu, erinnert sie an die Schrift, betet mit ihr und begleitet sie weiterhin mit Ermutigungen durch das Evangelium. 

Jüngerschaft geschieht, wenn ein Vater seinen Teenagersöhnen lehrt, dass Schönheit nicht in einer unangemessen gekleideten Dame liegt. Er erklärt ihnen, was wahre Schönheit bedeutet und bezieht sie auf Gottes Charakter und Willen. Er erklärt immer wieder und zeigt und betont die echte Schönheit, an der Gott sich freut (1Petr 3,3–4).

Jüngerschaft geschieht, wenn ein Bruder bemerkt, dass ein anderer Bruder zu viel in seine Karriere investiert, aber seine Familie und seinen Dienst vernachlässigt. Er kommt ihm zur Seite, um ihn an den wahren und bleibenden Wert zu erinnern und ihm die richtige Perspektive auf seine Arbeit zu geben.

Jüngerschaft geschieht, wenn eine Mutter mit ihren Kindern im Park ist. An einem Punkt sind die Kinder ungehorsam und sie weist die Kinder geduldig, gnädig und treu zurecht. Viele Augen um sie herum beobachten sie. Die christlichen und nichtchristlichen Frauen werden neugierig gemacht. Die Gespräche kommen ins Rollen und sehr bald deutet die Frucht des Geistes auf den einzigartigen Wert Christi hin. 

Jüngerschaft geschieht, wenn eine Mutter ihre freie Zeit opfert, um immer wieder in dasselbe Café zu gehen, um neue Freundschaften zu schließen und offene Türen zu finden, um das Evangelium weiterzugeben.

Jüngerschaft geschieht, wenn eine alleinstehende Frau die Unzufriedenheit einer anderen Frau über ihr Singlesein bemerkt. Sie macht es sich zur Aufgabe, sie mit der Herrlichkeit des Evangeliums zu ermutigen.  

Dies sind einfach alltägliche und gewöhnliche Situationen. Ich habe diese Situationen aus dem alltäglichen Leben von Leuten aus unserer Gemeinde ausgewählt. Der alltägliche Dienst bringt die Gemeinde immer mehr zu einem reifen Christsein, während er auch vor geistlichem Schiffbruch bewahrt.  

Ermuntert einander jeden Tag, solange es "heute" heißt, damit niemand von euch verhärtet werde durch Betrug der Sünde! Denn wir sind Teilhaber des Christus geworden, wenn wir die anfängliche Grundlage bis zum Ende standhaft festhalten. (Hebr 3,13–14)

Jüngerschaft sollte eine alltägliche Aufgabe von Christen sein. Man kann sagen, Christsein ist mehr als Jüngerschaft, aber nicht weniger. Wir sind unseres „Bruders Hüter“. Es ist Teil der Stellenbeschreibung. 

Erik Raymond ist leitender Pastor in der Redeemer Fellowship Church in Boston (USA). Er und seine Frau Christie haben sechs Kinder.