Die Zehn Gebote eines Predigers

Artikel von Sinclair B. Ferguson
18. September 2017

Es sind nun vierzig Jahre vergangen, seit ich meine erste Predigt im Kontext eines Sonntagsgottesdienstes gehalten habe. Vier Jahrzehnte sind eine lange Zeit, um Erfahrungen gesammelt zu haben, wie die, wenn man zur Kirche muss, selbst wenn Predigen das letzte ist, das man tun möchte – selbst wenn man die Gemeinde liebt (manchmal sogar genau, weil man die Gemeinde liebt und das Gefühl des Versagens daher noch größer ist!). Wie oft musste ich mir die Frage stellen: „Wie ist es möglich, das nun schon tausendmal gemacht zu haben und es immer noch nicht richtig zu können?“

Ja, ich weiß, wie ich mich von diesen Gedanken befreien kann! „Es geht um Treue, nicht um Fähigkeit.“ „Wie du dich fühlst, ist egal!“ „Denke daran, dass du nur Samen aussäst.“ „Es ist letztendlich der Herr, der das Wort zu den Herzen der Menschen predigt, nicht du.“ Alles wahr. Aber wir sind dennoch verantwortlich, uns als Prediger weiterzuentwickeln, sogar sichtbar für alle, oder zumindest hörbar (1Tim 4,13.15 sind lehrreiche und überführende Worte!).

All das führte mich eines Tages, während ich gerade auf Reisen war, dazu, über Folgendes nachzudenken: Welche Zehn Gebote, welche Regeln für das Predigerleben, wünschte ich mir, dass sie jemand für mich geschrieben hätte, um mir Wegweisung, Form und Grundregeln zu geben, die mir geholfen hätten, in die richtige Richtung zu gehen und Dynamik in meinem Dienst zu entfalten?

Wenn man einmal anfängt darüber nachzudenken, unabhängig davon, welche Zehn Gebote man findet, ist es doch klar, dass diese Frage unerschöpflich ist. Deshalb biete ich diese Zehn nicht als unfehlbar an, sondern als Frucht von ein paar Minuten Nachdenkens während einer Flugreise.

1. Lerne deine Bibel besser kennen

Oft am Ende eines Sonntags oder einer Konferenz muss ich denken: „Wenn du nur deine Bibel besser kennen würdest, wärst du eine viel größere Hilfe für die Leute.“ Ich lehre an einer Bibelschule, dessen Gründer sagte, dass sein Ziel sei „Experten der Bibel zu produzieren“. Leider wurde ich in einer Einrichtung ausgebildet, die nicht annähernd so ein Ziel hatte. Das Ergebnis? Mein Leben ist ein andauerndes „lehre dich selbst während du aufholst“. Eigentlich existieren Bibelschulen nicht, um fertige Interpretationen für die ganze Bibel zu liefern, sondern die Werkzeuge, damit die Absolventen sie selbst finden können. Deshalb ist es vielfach die Arbeit, die wir tun, die Unterhaltungen, die wir führen, die Gemeinden, die wir besuchen und die Predigten, unter denen wir sitzen, die unseren Dienst bestimmen. Das bedeutet nicht „mach alles selbst“, aber wir müssen uns selbst bemühen.

Als sowohl Beobachter und auch selbst Predigender bin ich besorgt und verwundert, wenn ich Männer mit wunderbaren Fähigkeiten höre, die, menschlich gesprochen (bezogen auf ihre Fähigkeit zu reden, ihre charismatische Persönlichkeit, usw.), nicht fähig zu sein scheinen, einfach die Schrift zu verkündigen. Irgendwie hat sie die Schrift noch nicht selbst eingenommen, so dass sie von ihr ergriffen sind.

Ich muss kein Analphabet sein. Aber ich muss ein homo unius libri – ein Mann eines Buches sein. Die Witwe eines engen Freundes sagte mir einmal, dass ihr Ehemann seine Bibel im letzten Jahr seines Lebens geradezu verschlang. „Er verschlang sie wie einen Roman“, sagte sie. Sei ein Bibelverschlinger!

2. Sei ein Mann des Gebets

Ich meine das in Bezug auf das Predigen – nicht nur im Sinne, dass ich beten sollte, bevor ich mit meiner Vorbereitung beginne, sondern im Sinne, dass meine Vorbereitung selbst eine Gemeinschaft mit Gott im Gebet in und durch sein Wort ist. Was meinten die Apostel, als sie sagten, dass sie beständig „im Gebet und im Dienst des Wortes“ bleiben wollten – und warum in dieser Reihenfolge?

Mein Gefühl ist, dass wir das in der Tradition unserer Lehrbücher für Pastoren überindividualisiert haben. Die Apostel (so kann man schließen) meinten eigentlich „wir“ – nicht „Ich, Petrus“ oder „Ich Johannes“, sondern „Wir, Petrus, Johannes, Jakobus, Thomas, Andreas … gemeinsam.“

Verstehe ich die Situation falsch, wenn ich vermute, dass Prediger ihr verzweifeltes Bedürfnis nach Gebet für das Predigen und ihre persönlichen Nöte verbergen? Denke mal im Gegensatz über die Bitten des Apostels Paulus um Gebet nach. Oder erinnere dich an Spurgeons bon mot, als er über das Geheimnis seines Dienstes gefragt wurde: „Meine Leute beten für mich.“

Wenn ich darüber nachdenke, muss ich mich an einen Moment erinnern, mitten in einer Predigt auf einer Pastorenkonferenz, als mir plötzlich der Gedanke kam: „Du machst gerade überhaupt keinen Sinn.“ Aber als sich meine Augen wieder auf die Männer vor mir richteten, schienen sie wie durstige Seelen, die kühles, erfrischendes Wasser tranken, und ihre Augen schienen alle auf den Wasserbringer gerichtet zu sein, den ich in der Hand hielt! Dann kam mir ein neuer Gedanke: „Ich erinnere mich jetzt, wie ich meine Gemeinde zu Hause gebeten habe, für diese Brüder und den Dienst des Wortes zu beten. Sie müssen gebetet haben.“

Weh mir, wenn ich das Bedürfnis nach Gebet nicht erkenne oder meine Gemeinde nicht dazu ermutige und lehre, seine Wichtigkeit zu sehen.

3. Verlier Christus nicht aus den Augen

Ich? Ja, ich. Das ist ein wichtiges Prinzip mit zu vielen Dimensionen, um sie hier voll zu entfalten. Eine muss genügen. Kenne und predige deshalb „Jesus Christus, und zwar als Gekreuzigten“ (1Kor 2,2). Dieser Text lässt sich viel leichter predigen als erste Predigt in einem Dienst statt als Letzte.

Was meine ich damit? Vielleicht kann der Punkt klarer, sogar provozierender, so erklärt werden: systematische Bibelauslegung starb nicht am Kreuz für uns; weder biblische Theologie, noch systematische Theologie oder Hermeneutik oder was immer sonst wir als wichtig erachten, die wir die Bibel auslegen. Ich habe all diese Schlagworte in einer Predigt gehört … ohne dass die Person des Herrn Jesus im Mittelpunkt stand.

Paradoxerweise garantiert selbst systematisches Predigen durch eines der Evangelien nicht, dass man im Wesentlichen über Christus als Gekreuzigten predigt. Zu oft benutzt eine Predigtreihe durch die Evangelien was ich neckisch den „Finde Waldo Ansatz“ nenne. Die zugrundliegende Frage der Predigt ist: „Wo kannst du dich in der Geschichte wiederfinden?“ (bist du Martha oder Maria, Jakobus und Johannes, Petrus, der dankbare Aussätzige…?). Die Frage „Wo, wer und was ist Jesus in dieser Geschichte?“ neigt dazu, an den Rand gedrängt zu werden.

Die Wahrheit ist, dass es viel leichter ist, über Maria, Martha, Jakobus, Johannes oder Petrus zu predigen als über Christus. Es ist sogar viel leichter über die Finsternis der Sünde und des menschlichen Herzens zu predigen als über Christus. Außerdem ächzen meine Bücherregale von Literatur über Maria, Martha … das gute Lebe, das Familienleben, das geisterfüllte Leben, das Leben als Eltern, das Leben mit einem gebrochenen Selbst … aber viele von uns haben nur ein paar Zentimeter im Bücherregal über die Person und das Werk von Christus selbst.

Bin ich am absolut besten, wenn ich über ihn rede oder über uns?

4. Sei tief trinitarisch

Das sind wir doch bestimmt? Zumindest bei manchen unserer Gemeinden vergeht kein Sonntag, ohne dass die Gemeinde den einen Gott als Vater, Sohn und Heiligen Geist bekennt. Aber wie schon oft bemerkt, neigt das Christentum des Westens besonders zu entweder einem expliziten oder einem pragmatischen Unitarismus, sei es des Vaters (der Liberalismus), des Sohnes (der Evangelikalismus, vielleicht auch als Reaktion gegen den Liberalismus) oder des Geistes (die Pfingstbewegung mit ihrer Reaktion auf beide).

Das ist zweifellos eine Karikatur. Aber meine Sorge hier kommt von einem Gespür, dass bibeltreue Prediger (und auch andere) oft die Dreieinigkeit als sehr spekulative Lehre und deshalb von wenig praktischem Nutzen erachten. Denn, was kann man „tun“ als Resultat einer Predigt, die Gott als Dreieinigkeit betont? Naja, zumindest innerlich oder sogar äußerlich, in Anbetung darüber niederfallen, wie der Gott, dessen Wesen so unbeschreiblich und unbegreiflich für mein Gehirn ist, Gemeinschaft mit uns sucht!

Ich frage mich manchmal, ob ein Mangel hier dazu führt, dass Kirchen es manchmal wirklich glauben, wenn ihnen von „Kirchenanalysten“ gesagt wird, dass „die Anbetung bei ihnen gut läuft, aber die Kleingruppen noch ein bisschen Verbesserung brauchen“. Ist das nicht schon fast Gotteslästerung? (Es gibt sicherlich nur einen, der die Qualität unsere Anbetung bewerten kann. Dieser Ansatz verwechselt Ästhetik mit Bewunderung).

Das Johannesevangelium zeigt uns, dass eine der wichtigsten Anliegen auf dem Herzen des Herrn während seiner letzten Stunden mit seinen Jünger war, ihnen verstehen zu helfen, dass Gottes Wesen als Dreieinigkeit das Herz dessen ist, was das Evangelium sowohl möglich als auch real macht, und dass ihn auf diese Weise zu kennen das ganze Herzblut des Glaubenslebens ausmacht (siehe Johannes 13-17). Lies Paulus mit diesem Gedanken im Hintergrund und es wird offensichtlich, wie tief verwoben in seinem Evangelium sein Verständnis des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes ist.

Unsere Leute müssen wissen, dass durch den Geist ihre Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus ist. Würden sie das wissen durch meine Predigt?

5. Gebrauche deine Vorstellungskraft

Widerspricht das nicht den gerade genannten Anmerkungen, dass die Wahrheit der Dreieinigkeit nicht als spekulative Metaphysik gedacht werden sollte? Nein. Sondern es sagt einfach, was die Meister des Predigens in den vergangenen Jahrhunderten entweder ausdrücklich geschrieben oder, zumindest durch ihr Vorbild, nahegelegt haben. Jedes gute Predigen beinhaltet den Gebrauch der Vorstellungskraft. Kein großer Prediger ermangelte jemals Vorstellungskraft. Vielleicht könnten wir soweit gehen zu sagen, dass es eine Ermutigung ist, den Herrn unseren Gott mit all unserem … Verstand zu lieben … und unseren Nächsten wie uns selbst.

Die Schrift selbst legt nahe, dass es viele verschiedene Arten der Vorstellungskraft gibt – deshalb gibt es die unterschiedlichen Genres, durch die das Wort Gottes ausgedrückt ist (Poesie, historischer Bericht, Dialog, Monolog, Geschichte, Vision, usw.). Keine zwei biblischen Autoren haben die gleiche Vorstellungswelt. Es ist zum Beispiel zweifelhaft, ob Hesekiel das Buch der Sprüche geschrieben haben könnte!

Was meinen wir mit „Vorstellungskraft“? Unsere Wörterbücher geben uns eine Kette von Definitionen. Ihnen allen gemein ist die Fähigkeit „außerhalb seiner selbst zu denken“, „fähig zu sein, die gleiche Sache auf eine andere Weise zu sehen oder sich vorzustellen.“ In manchen Definitionen sind die Fähigkeit, etwas zu ersinnen, Einfallsreichtum oder die kreative Kraft des Gehirns unter den nuancierten Bedeutungen des Worts.

Vorstellungskraft beim Predigen heißt, die Wahrheit gut genug zu verstehen, um sie in eine andere Sprache oder einen musikalischen Schlüssel zu übersetzen bzw. zu transponieren, um die gleiche Wahrheit auf eine Weise zu präsentieren, die anderen ermöglicht, sie zu sehen, ihre Bedeutung zu verstehen und ihre Kraft zu spüren – es auf eine Weise zu tun, die unter die Haut geht, Barrieren überwindet, die Gedanken, den Willen und die Gefühle fesselt, sodass die Hörer nicht nur das Wort verstehen, sondern auch seine Wahrheit und Kraft spüren.

Luther schaffte das durch die schier dramatische Eindringlichkeit seiner Rede. Whitefield schaffte das durch seinen Einsatz dramatischer Ausdrücke (er übertrieb in der Meinung mancher). Calvin – vielleicht überraschend – schaffte es genauso durch die außergewöhnliche, im Leben Genfs geerdete, Sprache, durch die er sich ausdrückte. Also sowohl eine überwältigende Persönlichkeit wie Luther, ein dramatischer Prediger mit den Gaben Whitefields, Geschichte zu erzählen und die Stimme einzusetzen (hat nicht David Garrick gesagt, dass er alles geben würde, um „Mesopotamien“ so sagen zu können, wie Whitefield es tat?) als auch ein tiefgelehrter, zurückhaltender Prediger schafften es, obzwar auf unterschiedliche Weisen. Sie sahen und hörten das Wort Gottes und strebten danach, dass es die Welt ihrer Hörer erreicht, sie bekehrt und auferbaut.

Was ist hier das Geheimnis? Es ist, sicherlich, zu lernen, das Wort sich selber zu predigen, aus seinem Kontext in deinen Kontext, und für die Wirklichkeiten unseres Lebens die Wahrheit konkret zu machen, die historisch in das Leben anderer Menschen kam. Deswegen sprachen die alten Meister von Predigten, die von ihren Lippen nur mit Macht ausgingen, wenn sie zuerst ihre Herzen mit Macht erreicht hatten.

All das führt uns vom fünften Gebot zurück zu unserem Startpunkt. Nur ein Eintauchen in die Schrift befähigt uns, so zu predigen. Darin liegt der Unterschied zwischen Predigen, das über die Bibel und ihre Botschaft handelt, und Predigen, das aus der Bibel direkt herauskommt mit einem Klang von „so spricht der Herr“ sowie mit Authentizität und Autorität.

Das ist sicherlich ein guter Ort, um die „erste Tafel“ dieser Gebote für Prediger zu beenden. Jetzt ist es an der Zeit, in die Schrift einzutauchen und bereit zu werden für die „zweite Tafel“.

6. Sprich viel über Sünde und Gnade

In seiner Auslegung zum Brief des Paulus an die Römer, benutzt Martin Luther einsichtig die Worte von Jeremias Berufung:

Dieser Brief will jede fleischliche Weisheit zerstören, auswurzeln und zunichtemachen…Alles in uns soll ausgewurzelt, niedergerissen, zerstört und niedergeworfen werden, d.h. alles was uns gefällt, weil es von uns kommt und in uns gefunden wird; aber alles, was außerhalb von uns und in Christus ist, soll aufgerichtet und verwurzelt werden.

Wenn das wahr ist in Bezug auf die „Predigt“ von Paulus im Römerbrief, dann sollte es auch auf unser Predigen zutreffen. Sünde und Gnade sollte unsere ganze Bibelauslegung durchziehen.

Aber es gibt ein paar Gründe zur Vorsicht. Das Predigen über Sünde muss die Gegenwart von Sünde aufdecken und über das Wesen von Sünde aufklären sowie die Gefahr von Sünde betonen.

Das ist nicht das gleiche wie eine Gemeinde mit einer Strafrede zu verprügeln! Das benötigt wenig mehr als gereizte Gefühle. Ein echtes, letztendlich rettendes Aufdecken und Aufklären des menschlichen Herzens ist exegetisch und geistlich anspruchsvoller. Denn es geht hier um die fähige Arbeit eines Chirurgen – eine Wunde zu öffnen, die Ursache der Krankheit des Patienten aufzudecken und zerstörerisches Gewebe wegzuschneiden, damit der Patient am Ende geheilt und zum Leben erneuert wird.

Zweifellos brauchen die Leute Warnungen gegen das Böse in der heutigen Gesellschaft (Abtreibung, Glaubensabfall in der sichtbaren Kirche, usw.). Aber wir können keinen Dienst oder gesunde Christen auf eine Tirade gegen die Welt aufbauen. Nein, wir tun das, indem die Schrift die Sünde in unseren eigenen Herzen aufdeckt, unsere Selbsttäuschungen aufklärt und das Gift, das in unseren Herzen verbleibt, entwurzelt – um dann unseren Leuten zu helfen, „indem wir die Wahrheit offenbar machen“ (2Kor 4,2), das Gleiche zu tun.

Es gibt nur einen sicheren Weg dahin. Geistliche Operationen müssen im Kontext von Gottes Gnade in Jesus Christus vollzogen werden. Nur indem wir unsere Sünde erkennen, verstehen wir unser Bedürfnis nach Gnade und staunen über sie. Aber Sünde aufzudecken ist nicht das Gleiche, wie Gnade zu zeigen und anzuwenden. Wir müssen uns mit ihrer facettenreichen Kraft vertraut machen und sie verkünden und wissen, wie wir sie auf eine Vielzahl geistlicher Zustände anwenden können.

Um die Wahrheit zu sagen, es ist leichter, Sünde aufzudecken, als Gnade anzuwenden; denn wir sind leider vertrauter mit dem Ersteren als manchmal mit dem Letzteren. Darin liegt unsere Schwäche.

7. Gebrauche einen einfachen Stil

Das ist ein bekannter Ratschlag in der Geschichte des Predigens. Er wird besonders assoziiert mit dem Kontrast zwischen der literarischen Eloquenz der hochanglikanischen Predigttradition und dem neuen „einfachen Stil“ der Puritaner im 16. und 17. Jahrhundert. William Perkins verfasste mit Die Fähigkeit des prophetischen Redens das erste Lehrbuch in dieser Schule.

Aber das siebente Gebot besteht nicht darauf, dass wir per se alle wie die Puritaner predigen sollten. Wenn wir sie besser kennen lernen, merken wir sofort, dass sie nicht alle so predigten, als ob sie von William Perkins geklont wurden! Aber sie hatten eins gemeinsam: eine einfache Sprache, von der sie glaubten, dass Paulus sie empfohlen hatte, und die ein herausstechendes Kennzeichen jeglichen Predigens sein sollte (2Kor 6,7; vgl. 4,2).

Es gibt viele Wege auf denen dieses Prinzip zur Anwendung kommt. Mach nicht Eloquenz das Merkmal, für das du als Prediger am meisten bekannt bist; stell sicher, dass du selbst den Hauptpunkt der Bibelstelle verstehst, von der du predigst, und dass du ihn klar und mit Kraft ausdrückst. Wahre evangeliumsbasierte Eloquenz wird sich von selbst einstellen. Obwohl Charles Hodge Einwände hatte, war doch Archibald Alexander grundsätzlich im Recht, als er seine Studenten aufforderte, sich auf die Macht biblischer Ideen zu konzentrieren und dass sich die Worte, die in der Predigt zum Einsatz kamen, dann von selbst einstellen würden.

Die „Meister“ eines klaren Stils können uns hier helfen. Paradoxerweise waren zwei von ihnen selbst Anglikaner. Der Ratschlag von C.S. Lewis bezüglich des Schreibens kann genauso auf das Predigen angewandt werden:

Benutze Sprache, die deutlich macht, was du wirklich meinst; ziehe einfache Worte, die direkt sind, langen Worten, die undeutlich sind, vor. Vermeide abstrakte Worte, wenn du konkrete benutzen kannst. Benutze keine Adjektive, um uns zu sagen, wie wir uns fühlen sollten – lass uns das selbst fühlen durch das, was du sagst! Benutze keine Worte, die zu groß für das Thema sind. Benutze nicht „unendlich“, wenn du „sehr“ meinst, denn sonst hast du kein Wort übrig, wenn du wirklich unendlich meinst!

Auf ähnliche Weise riet J.C. Ryle: „Habe ein klares Verständnis von dem, was du sagen willst. Benutze einfache Worte. Gebrauche eine einfache Satzstruktur. Predige, als ob du Asthma hättest! Sei direkt. Stell sicher, dass du das, worüber du redest, auch veranschaulichst.“

Natürlich gibt es Ausnahmen zu diesem Prinzip. Aber warum sollte ausgerechnet ich eine sein? Ein brillanter Chirurg kann eine Operation vielleicht mit schlechten Instrumenten ausführen; genauso auch der Heilige Geist. Aber weil wir beim Predigen die Krankenschwestern im OP-Saal sind, ist unsere hauptsächliche Verantwortung, saubere, scharfe, sterile Skalpelle zur Hand zu haben, die der Geist in seinem Werk zum Einsatz bringen kann.

8. Finde deine eigene Stimme

„Stimme“ wird hier im Sinne von persönlichem Stil verwendet – „erkenne dich selbst“, wenn man mal die Weisheit der Philosophen christianisieren kann.

Natürlich ist es auch wichtig, eine Stimme im buchstäblichen Sinn zu finden. Der gute Prediger, der seine Stimme schlecht einsetzt, ist wahrlich ein seltener Vogel. Auf jeden Fall sollte affektierte Sprache verbannt sein; wir sind auch keine Schauspieler, deren Stimmen ihrem Part im Schauspiel angepasst werden. Aber unser Geschaffensein im Bilde Gottes, als Geschöpfe, die sprechen – und Gottes Lob und sein Wort aussprechen – verlangt wirklich, dass wir alles tun, was in unserer Macht steht, mit den natürlichen Ressourcen, die der Herr uns gegeben hat, umzugehen.

Aber es ist die „Stimme“ im metaphorischen Sinn, um die es hier geht – unsere Herangehensweise an das Predigen, die es auf authentische Weise „unser“ Predigen macht und nicht eine sklavische Imitation einer anderen Person. Ja, wir können – müssen – von anderen lernen, im Positiven als auch im Negativen. Außerdem ist es immer wichtig, wenn andere predigen, mit offenen Ohren zuzuhören: ein Ohr für persönliche Erbauung durch den Dienst des Wortes, aber auch mit einem anderen Ohr, das Prinzipien herausfindet, warum dieses Predigen für andere Menschen hilfreich ist.

Wir sollten keine Klone werden. Manche Menschen wachsen nie als Prediger, weil der „Predigtanzug“, den sie sich geliehen haben, ihnen oder ihren Gaben nicht passt. Statt der herausragende Auslegungsprediger, heilsgeschichtliche, gottzentrierte oder sonst ein Prediger zu werden, können wir uns verbiegen und unsere eigene einzigartige Begabung gefährden, wenn wir den Ansatz, Stil oder die Persönlichkeit eines anderen als Form benutzen, in die wir uns hineinquetschen. Wir werden weniger als unser wahres Selbst in Christus. Die Vermählung von unserer Persönlichkeit mit dem Predigtstil eines anderen kann ein Rezept sein, um fade und langweilig zu sein. Es lohnt sich, die Zeit fortwährend zu investieren, um einzuschätzen, wer und was wir wirklich als Prediger sind in Bezug auf unsere Stärken und Schwächen.

9. Lerne Veränderung zu erklären

Es gibt einen kurzen (zweiseitigen) aber äußert wichtigen Teil für Prediger im Westminster Directory for the Public Worship of God. Dort schrieben die gottesfürchtigen Männer: „Indem er zu den Pflichten aufruft … sollte der Prediger auch die Mittel aufzeigen, die dabei helfen, sie auszuführen.“ In zeitgenössischer Sprache heißt das, dass unser Predigen die „Wie?“ Frage beantworten sollte. Das benötigt vielleicht weitere Erklärung.

Viele von uns sind müde von den vielen „praktischen“ Predigten der heutigen Zeit. Sie sind oft wenig besser als Psychologie (die ihren Platz hat) mit ein bisschen christlichem Anstrich; es sind hauptsächlich Imperative ohne Indikative, und am Ende sind sie selbst- und erfolgsorientiert statt sünden- und gnadenorientiert. Aber es gibt eine reformierte, und was wichtiger ist, biblische Betonung auf Lehre, die aufzeigt, wie man von den alten Wegen zu dem neuen Weg übergeht, von Sündenmustern zu Mustern der Heiligkeit. Es reicht nicht, die Notwendigkeit oder selbst die Möglichkeit davon zu betonen. Wir müssen den Menschen beibringen, wie das geschieht.

Vor Jahren nahm ich meinen Sohn mit, damit er Training von einem alten Freund von mir bekommt, der ein angesehener Trainer in seinem Gebiet ist. Mein Sohn steckte auf einem Spielniveau beim Golf fest. Ich wusste, dass ich ihm dabei nicht helfen konnte. Aber mein Freund konnte, im Rahmen einer einzigen Trainingseinheit, den Abschlag meines Sohnes sichtbar und hörbar (ein perfekt abgeschlagener Ball hat einen besonderen Klang – wie ein Homerun beim Baseball) verbessern.

Das ist es, wozu wir auch berufen sind, wenn wir die Schrift auslegen – nicht nur „das hier ist falsch … das hier ist richtig“, sondern durch unser Predigen den Übergang zu befähigen und zu bewirken.

Aber wie? Obwohl wir sehr gern den Pragmatismus des Evangelikalismus kritisieren, tut sich reformiertes Predigen auf diesem Gebiet schwer. Viele sind besser mit Lehre als mit Auslegung, und oft besser mit aufrüttelnden Predigten als mit geistlich Erbauenden. Wir müssen lernen, die Schrift auf eine Weise auszulegen, dass die Auslegung selbst die Hörer befähigt, von den alten Mustern eines Lebens in Adam zu den neuen Mustern eines Lebens in Christus überzugehen.

Wie können wir das schaffen? Zunächst indem, wenn wir die Schrift so auslegen, wir klarmachen, dass die Indikative der Gnade die Imperative des Glaubens und des Gehorsam begründen und auch bewirken. Das muss auf eine Weise geschehen, dass wir zeigen, dass der Text selbst aufzeigt, wie Veränderung geschieht und wie die Macht der Wahrheit selbst heiligt (siehe Joh 17,17).

Das bedingt gewöhnlich, dass wir mehr Zeit mit dem Text verbringen, und den Text eindringlicher, als wir es manchmal tun, befragen: „Zeig mir, wie deine Indikative deine Imperative bewirken.“ Solch ein Studium zeitigt oft dieses überraschende (?) Ergebnis: tiefgehendes Studium der Schrift bedeutet, dass wir nicht zu christlichen Büchern oder Fachzeitschriften über Seelsorge Zuflucht nehmen müssen, um herauszufinden, wie das Evangelium unser Leben verändert. Nein, wie haben gelernt, dass die Schrift selbst uns lehrt, die „Was?“-Fragen und auch die „Wie?“-Fragen zu beantworten.

Kennen wir – und wieviel weniger unsere Gemeinde – das „wie“? Haben wir ihnen gesagt, was sie tun sollen, aber sie ihren eigenen Mitteln überlassen, statt sie in unserer Predigt vorzuführen?

Vor einigen Jahren, am Ende einer Konferenz, bat mich ein Prediger, den ich noch aus seiner Zeit als Student kannte: „Können sie diese eine Sache für mich tun? Können sie mir die Schritte aufzeigen, die nötig sind, um zu erlernen, Sünde abzutöten?“

Ich war berührt – dass er dieses persönliche aber auch pastorale Thema mit mir besprach, aber noch mehr, weil er annahm, dass ich ihm helfen konnte. (Wie oft geht es uns so, dass wir selber kämpfen und Fragen gestellt bekommen, für die wir auch die Antwort brauchen!) Er verstarb wenig später und ich erachte seine Frage als sein Vermächtnis an mich, wodurch ich wieder und wieder zurückgeführt werde auf das, was John „Rabbi“ Duncan vom New College über die Predigten von Jonathan Edwards sagte: „Seine Lehre war ganz Anwendung, und seine Anwendung war ganz Lehre.“

Der Dienst, der das veranschaulicht und der versteht, was dazu nötig ist, damit Predigen den Hörern hilft, von den alten in den neuen Weg überzugehen, wird, was Thomas Boston einmal über seinen eigenen Dienst sagte, „eine gewisse Tinktur“ haben, welche die Leute erkennen, selbst wenn sie nicht ausdrücken oder erklären können, warum es so anders und hilfreich ist.

10. Liebe deine Leute

John Newton schrieb, dass seine Gemeinde fast alles von ihm aufnehmen würde, auch wenn es schmerzlich wäre, weil sie wussten: „Ich meine es gut mit ihnen.“

Das ist ein Lackmustest für unseren Dienst. Das heißt, meine Predigtvorbereitung ist ein heiligerer Dienst als nur, meine Liebe zum Studium zu befriedigen; es heißt, dass mein Predigen davon gekennzeichnet ist, was zwar schwer zu definieren, aber von den Hörern wahrgenommen wird, dass es dieses apostolische Prinzip widerspiegelt:

Denn wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Christus Jesus, dass er der Herr ist, uns selbst aber als eure Knechte um Jesu willen. (2Kor 4,5)

Und wir sehnten uns so sehr nach euch, dass wir willig waren, euch nicht nur das Evangelium Gottes mitzuteilen, sondern auch unser Leben, weil ihr uns lieb geworden seid. (1Thess 2,8)

In Jesus Christus, dem einzig wahren Prediger der Gemeinde, sind Botschaft und Botschafter eins. Er ist der Prediger und auch die Botschaft. Das gilt nicht für uns. Aber, in Einheit mit Christus (und wir predigen „in Christus“ und leben und sterben „in Christus“), geschieht eine Verschmelzung auf niedrigerer Ebene: die Wahrheit der Botschaft wird übermittelt durch den Prediger, dessen Geist durch die Gnade Gottes in der Botschaft geformt wird. Wie könnte es anders sein, wenn durch die Predigt „Gott selbst durch uns ermahnt“ (2Kor 5,20)? „Das Leben eines Predigers“, schrieb Thomas Brooks „sollte ein Kommentar zu seiner Lehre sein; seine Praxis sollte seinen Predigten entsprechen. Himmlische Lehren sollten immer mit einem himmlischen Leben ausgeschmückt sein.“

Schluss

„Die Zehn Gebote eines Predigers“ können hilfreich sein, aber letztendlich werden wir nicht durch die Gebote des Gesetzes auferbaut, sondern durch die Gnade Gottes im Evangelium. Es gilt für unser Predigen, was für unser Leben gilt: was dem Gesetz unmöglich ist – weil es durch das Fleisch kraftlos ist – das tut Gott durch Christus, um seine Gebote in uns durch den Geist zu erfüllen. Möge es bei uns so sein! Dann können wir wirklich singen:

Glücklich, wenn bis zum letzten Atemzug
ich nur spreche seinen Nam‘,
und allen verkündige und rufe im Tod,
„Seht nur, seht das Lamm!“


Dieser Artikel von Sinclair Ferguson erschien zuerst bei The Gospel Coalition. Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.