Prinzipien einer christlichen Weltsicht

Artikel von Gene Edward Veith
7. Januar 2025 — 10 Min Lesedauer

Die Art und Weise, wie wir denken und fühlen, unsere Grundannahmen, unsere Einstellungen, unser Bewusstsein und andere Aspekte unserer Weltsicht wurden beeinflusst durch unsere Kindheit, unsere Kultur und die Menschen um uns herum. Generationen vor uns wurden durch christliche Eltern, eine mehr oder weniger christliche Kultur und die Gemeinschaft in ihrer Gemeinde geprägt und entwickelten dadurch eine christliche Weltsicht. Heute ist das anders: Seit der christliche Einfluss auf die Kultur schwindet, können andere Einflüsse aus einer aggressiv säkularen Gesellschaft eine ganz andere Denkweise prägen. Christen müssen heute besonders darauf achten, dass sie gezielt eine Weltsicht pflegen, die mit ihrem Glauben übereinstimmt.

Eine christliche Denkweise beinhaltet eine Weltsicht, die von der Bibel bestimmt ist. Unsere Weltsicht können wir definieren als die zusammengefasste Interpretation und Erklärung der Realität. Die Weltsicht eines Menschen beinhaltet Glauben und Annahmen über das Universum und die Erfahrungen, die er in seinem Leben macht.

Abraham Kuyper, ein niederländischer Theologe des 19. Jahrhunderts, versuchte wie auch andere christliche Denker, Leitlinien für eine speziell biblische Weltsicht zu erarbeiten. David Naugle nahm in seinem Buch Worldview: The History of a Concept Bezug darauf und argumentierte, dass „die Vorstellung vom Christentum als Weltanschauung eine der bedeutendsten Entwicklungen in der jüngeren Geschichte der Kirche war“.

Wie finden wir zu einer christlichen Weltsicht?

Tatsächlich hatte die biblische Lehre über den Menschen, die Natur, die Moral, die Gesellschaft und den Sinn und Wert des Lebens – neben anderen wichtigen Themen – großen Einfluss auch auf die säkulare Gesellschaft. Das zu erkennen, kann Christen helfen, ihren Glauben in allen Dimensionen im Alltag zu leben.

Es ist außerdem hilfreich, wenn Christen die Weltanschauungen um sie herum durchblicken und die unbiblischen Anschauungen, die heute vorherrschen, kritisch betrachten. Francis Schaeffer hat zahlreichen Christen in der weiten evangelikalen Welt dabei geholfen. Er inspirierte viele christliche Autoren und Initiativen, die heute mit Internetplattformen, Radiosendern, Schulungen und Büchern jungen Christen helfen, ihre eigene und die sie umgebenden Weltanschauungen zu verstehen.

Der christliche Denker James W. Sire (1933–2018) überlegte sich die folgenden Fragen, die uns helfen sollen, die Unterschiede in den verschiedenen konkurrierenden Sichtweisen wahrzunehmen und zu verstehen.[1]

  1. Was ist für uns die vorherrschende Wirklichkeit – die wahre Wirklichkeit? (Ist es Gott und seine Wirklichkeit oder ausschließlich die rein materielle Welt?)

  2. Welcher Art ist die Realität, die wir außerhalb von uns wahrnehmen? (Ist sie Gottes Schöpfung oder nur ein Konstrukt unseres Geistes?)

  3. Was ist das Wesen des Menschen? (Ist er Geschöpf, das nach Gottes Bild erschaffen wurde, oder einfach ein höher entwickeltes Tier?)

  4. Was geschieht mit einer Person, wenn sie stirbt? (Gibt es ein ewiges Leben, eine Reinkarnation oder erwartet den Menschen die Auslöschung?)

  5. Wie können wir etwas wissen? (Gibt es göttliche Offenbarung? Ist die Vernunft die einzige Quelle des Wissens oder sind es unsere Wahrnehmungen und Gefühle?)

  6. Wie können wir wissen, was richtig oder falsch ist? (Kommt das Gute von einem gerechten Gott? Ist Richtig und Falsch nur eine kulturelle Idee oder liegt es in unserer jeweiligen persönlichen Entscheidung?)

  7. Welche Bedeutung hat die menschliche Geschichte? (Gibt es eine Heilsgeschichte mit Sündenfall, Erlösung und endlicher Erneuerung? Oder unterliegt alles einem evolutionären Prozess? Bestimmt der sinnlose Zufall die Geschichte?)

  8. Wie hängen die persönlichen Haltungen, die inneren Verpflichtungen und Werte mit der jeweiligen Weltsicht zusammen? (Welche Folgen hat deine Weltanschauung für die Art und Weise, wie du dein Leben führst?)

Das Buch von James Sire benutzt diese Fragen, um anhand der Philosophie, der Kunst, der Literatur und der Geschichte die Weltsicht des Theismus, des Deismus, des Naturalismus, des Marxismus, des Nihilismus, des Existenzialismus, des östlichen Monismus, der New Age Philosophie, des Postmodernismus und des Islams zu untersuchen.

Der Ansatz von Francis Schaeffers (1912–1984) Apologetik und Evangelisation war es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und ihnen diese und ähnliche Fragen zu stellen. Er wollte seinen Gesprächspartnern dann „das Dach abdecken“, indem er sie mit den Widersprüchen zwischen ihrer Lebensanschauung und Weltsicht und ihrem gelebten Leben konfrontierte. Z.B. fragte er: „Du denkst, dass das Leben keinen Sinn hat, wir einfach nur Tiere sind und dass es keine Grundlage dafür gibt, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden? Aber warum liebst du dann deine Kinder?“ Er verglich solche Widersprüche dann mit den Antworten einer christlichen Weltsicht, redete von den Folgen der Sünde und führte das Gespräch bis zur Verheißung des ewigen Lebens durch die Erlösung durch Christus.

Mir hat diese Art, über eine christliche Weltanschauung nachzudenken, sehr geholfen, durch das Grundstudium zu kommen, wo ich mit vielen nichtchristlichen Perspektiven und Meinungen konfrontiert war. Später fand ich dadurch eine klare Richtung für meine Arbeit als christlicher Lehrer. Diese Herangehensweise hilft in jedem Fall, eine christliche Weltsicht zu formen. Dabei sollten wir allerdings auf ein paar Warnungen hören:

1. Hüte dich vor dem Relativismus

Es war Immanuel Kant, der den Begriff „Weltanschauung“ prägte und damit die subjektive Sicht des Menschen auf die Welt und das Leben bezeichnete. Viele Philosophen folgten ihm und prägten damit den Postmodernismus und die heute vorherrschende Weltsicht der Spätmoderne. Kant war der Überzeugung, dass wir über die objektive Realität nichts sicher wissen können. Es ist vielmehr so, dass schon unsere vorgegebene Sicht unser Denken so führt, dass Wahrnehmungen geformt werden und wir uns die Wirklichkeit konstruieren. Das tut auch die Gesellschaft im Sinne der sozialen Konstruktion. So entsteht auch die uns prägende Weltanschauung.

Das kann nur zu einem Relativismus führen, der davon ausgeht, dass unterschiedliche Kulturen jeweils ihre eigene Weltsicht haben und dann auch ihre eigene „Wahrheit“. In der sogenannten „kritischen Theorie“ kam noch ein Machtfaktor dazu, weil die jeweilig vorherrschende Weltanschauung von denen konstruiert werde, die die Macht haben, und sie den Schwächeren aufzwingen. Die Befreiung soll darin liegen, dass jeder nun seine eigene Weltsicht konstruiert, ganz nach seinen Vorlieben, und sich damit seine eigene individuelle Wahrheit erschafft.

Unsere Überlegungen zu einer biblisch-christlichen Weltsicht werden unbequem, weil sie kaum zum Postmo­dernis­mus passen können – für mich wurde es das auch im Grundstudium. Der Unterschied ergibt sich daraus, dass das Christentum immer auf etwas bestanden hat, das der Relativismus völlig ablehnt: Die christliche Weltsicht ist wahr, während andere Weltanschauungen zwar wahre Elemente enthalten, aber im Ganzen falsch sind.

2. Eine christliche Weltsicht ist nicht das Gleiche wie Theologie oder rettender Glaube

Man kann Elemente einer biblischen Weltsicht ebenso im Judentum wie bei den Mormonen finden, genauso im Katholizismus oder bei christlicher Gesetzlichkeit, die alle das Evangelium ablehnen. Man findet viele Elemente bei Autoren der Vergangenheit, vor allem vor dem 18. Jahrhundert, und das selbst bei überzeugten Nichtchristen. Christen können hier Verbündete finden, auch wenn diese keine Brüder oder Schwestern durch den Glauben an Christus sind. Allerdings gibt es hingegebene Gläubige, denen eine konsistente biblische Weltsicht fehlt. Die kann man immer noch lernen, der Glaube an Christus bleibt aber vorrangig.

3. Philosophie ist nicht alles

Die Analyse der Weltanschauungen richtet den Blick besonders auf philosophische Ideen. Manchmal geht es dabei recht seltsam zu. James Sire beschäftigt sich z.B. sehr viel mit der sogenannten Epistemologie, der es darum geht, wie wir wissen können, was wir wissen können. Die Hauptfrage lautet: „Warum ist es überhaupt möglich, etwas zu wissen?“ Das hat seinen Wert, selbst wenn die meisten Christen erkennen müssen, dass sie nichts über Epistemologie wissen.

Wir müssen aber die Tatsache beachten, dass unser Denken und damit auch unsere Weltsicht nicht nur durch unseren Intellekt bestimmt wird. Es gehören dazu auch unsere Vorstellungen und Phantasien, unsere Erinnerungen, der Wille, die Sinne, die Gefühle, das Bewusstsein und weitere Kräfte. Einige Vorschläge zu einer christlichen Weltsicht beachten das auch angemessen. Aber ich will es noch einfacher darstellen.

Wie sieht eine christliche Weltsicht aus, die für jeden Christen Gültigkeit hat?

Ich nenne hier ein paar Prinzipien einer christlichen Weltsicht, die alle Christen, welchen kulturellen Hintergrund sie immer haben, teilen sollten. Es sind solche, die uns von den nichtchristlichen Anschauungen unserer Zeit trennen.

1. Gott existiert

Das gilt allerdings nicht für irgendeine Gottheit. Gott ist persönlich und nicht nur irgendeine Art von „Kraft“. Aber er ist auch nicht irgendeine Person. Er ist Liebe, und das bedeutet, dass er eine Einheit von Personen ist – Vater, Sohn und Heiliger Geist –, die einander lieben können. Dieser Gott ist transzendent. Aber er ist auch der, der Mensch geworden ist. Er hat zu uns gesprochen durch sein Wort, das in Jesus Christus Mensch wurde, und er spricht zu uns durch sein geschriebenes Wort in der Bibel. Das steht im Gegensatz zum Atheismus, aber auch zum Pantheismus und auch zum Islam.

2. Die Wirklichkeit existiert

Es gibt genauso eine materielle Wirklichkeit, wie es eine geistliche Wirklichkeit gibt. Beide hat Gott erschaffen. Das steht im Gegensatz z.B. zum Hinduismus, der lehrt, dass die Welt eine Illusion ist, aber auch zur Gnosis, die lehrt, dass alles Materielle böse ist und schließlich zum Postmodernismus, der lehrt, dass die Welt eine geistige Konstruktion darstellt.

3. Es gibt Richtig und Falsch

Ethische Werte sind überweltlich-transzendent und objektiv, denn sie haben ihr Fundament in der Gerechtigkeit Gottes. Das steht im Gegensatz zu allen Ansichten, die behaupten, dass Moral ganz subjektiv und relativ ist, nur eine soziale Konstruktion darstellt und eine Sache der persönlichen Wahl bleiben muss.

4. Menschen sind in sich widersprüchlich

Wir sind nach dem Bild Gottes erschaffen und haben deswegen eine unantastbare Würde und Wert. Wir sind zu großen Leistungen fähig. Aber wir sind zugleich tief gefallen und tiefgreifend sündig. Wir sind begrenzte Sterbliche und sollen doch ewiges Leben erhalten, ob das nun Verdammnis in der Trennung von Gott oder Herrlichkeit in Gemeinschaft mit Gott bedeutet. Das steht im Gegensatz zum Humanismus, dem Naturalismus, dem Darwinismus und dem Utopismus.

5. Jesus Christus allein rettet

Errettung von unseren Sünden ist Gottes Werk und sein Geschenk an uns. Jesus Christus, der wahre Gott und wahre Mensch, starb als Sühne für unsere Sünden. Er ist vom Tod auferstanden zu unserer Errettung. Das steht im Gegensatz zu jeder Art von Gerechtigkeit aus guten Taten und damit auch zu jeder anderen Religion.

6. Ich darf an Christus glauben

Christen setzen bewusst ihr Vertrauen auf Christus und machen sich für ihre Rettung abhängig vom Werk des Christus zu unserer Errettung, was im Gegensatz zu allen Weltanschauungen steht.

7. Ich bin berufen, zu lieben

Christen sind berufen, Gott und ihren Nächsten wie sich selbst zu lieben. Sie sollen sogar ihre Feinde lieben. Das tun sie praktisch in dem Leben, das sie in dieser Welt führen. Das steht im Gegensatz zu unserer natürlichen Neigung.

Eine solche Weltsicht wird den Christen immer tiefer in die Gemeinschaft der Gläubigen in der Gemeinde führen. Sie führt hin zur Heiligen Schrift, der Bibel, zum Gebet und zu einem geheiligten Leben. Sie wird sich als Bollwerk gegen die Lügen dieser Welt erweisen.


1 Vgl. James W. Sire, Habits of the Mind: Intellectual Life as a Christian Calling, Downers Grove, Illinois: Intervarsity Press, 2000.