Blinder Passagier an Bord

Eschatologie im Säkularismus

Artikel von Gene Edward Veith
3. März 2021 — 5 Min Lesedauer

Die Bibel lehrt, dass das Universum einen Anfang hatte und ein Ende haben wird. Christen glauben das, auch wenn Kontroversen über Eschatologie (die Endzeit) seit langem in christlichen Kreisen ein Dauerbrenner sind. Doch auch säkulare Zeitgenossen haben ihre Eschatologien – woran sichtbar wird, wie tief die Bibel die westliche Zivilisation beeinflusst hat.

Die natürliche Sicht der Zeit ist zyklisch. Auch die Bibel erkennt – und ordnet – diesen zyklischen Aspekt der Zeit. Doch sie bestätigt nicht nur die Perspektive, dass Zeit wiederkehrende Zyklen umfassen kann, sondern sie lehrt zusätzlich, dass Zeit linear ist. Sie hat einen Anfang und ein Ende. Und nicht nur das, Zeit hat eine Richtung. Sie bewegt sich irgendwohin.

In der Antike gab es diesen Blick für die lineare Dimension der Zeit wohl nur bei den Hebräern. Selbst die Griechen mit all ihren kulturellen Errungenschaften verstanden die Zeit nur als zyklisch. Bei ihnen existierte kein Konzept einer Schöpfung aus dem Nichts, die auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet ist. Stattdessen gingen sie von einem Universum aus, das immer wieder entsteht und zerfällt und neu entsteht.

Paradiesische Vorstellungen

Der Säkularismus der westlichen Kultur, der mit der Aufklärung begann, suchte die christlichen Überzeugungen zu beseitigen. Doch ironischerweise übernahm das neue Denken die Überzeugung, dass Zeit etwas Lineares ist. Dies manifestierte sich in gott-losen Eschatologien, die ungewollt durch eine biblische Sicht der Zeit geformt wurden.

„Diese neuen Weltanschauungen lehnten zwar die Idee eines zukünftigen paradiesischen Reiches Gottes ab, aber sie ersetzten es durch ein zukünftiges paradiesisches Reich des Menschen.“
 

Diese neuen Weltanschauungen lehnten zwar die Idee eines zukünftigen paradiesischen Reiches Gottes ab, aber sie ersetzten es durch ein zukünftiges paradiesisches Reich des Menschen. Die Vergangenheit wurde als eine Zeit der Finsternis betrachtet, aber mit der modernen Welt bricht das Licht der Morgendämmerung an. In diesem Zeitalter des Fortschritts werden die Dinge kontinuierlich besser werden, bis wir schließlich ein utopisches Paradies errichten.

Doch das erreichen wir nicht ohne eine Trübsalszeit. In der Französischen Revolution erachtete man eine Phase der Schreckensherrschaft für notwendig, um die alte Ordnung zu zerstören, worauf dann für das Volk ein paradiesischer Zustand anbrechen würde. Nach dem Darwinismus, der den Fortschrittsmythos mit einer wissenschaftlichen Fassade versah, sind wir durch evolutionäre Vorgänge entstanden und werden uns weiterhin höher entwickeln – jedoch nicht ohne Kampf, durch den die Schwachen aussterben und nur die Stärksten überleben werden. Der Marxismus war geradezu dispensationalistisch und teilte die Geschichte in verschiedene sozio-ökonomische Epochen ein, die am Ende – nach einer blutigen Revolution – in ein „Arbeiterparadies“ münden werden.

Andere waren der Meinung, dass das irdische Paradies auf friedlichem Weg erreicht werden kann. Im 19. Jahrhundert entstand eine Bewegung, die man als Sozialdemokratie kennt und die seitdem in Europa und in jüngerer Zeit auch in den USA politisch sehr einflussreich war und ist. Nach dieser Idee soll dass Marx’sche „Arbeiterparadies“ innerhalb demokratischer Rahmenbedingungen durch Wahlurne und allmählichen sozialen Wandel verwirklicht werden.

Für die Ewigkeit

Christen betrachten jedoch nicht nur den Lauf der Geschichte, sondern auch ihr eigenes Leben als linear, so dass das, was mit ihrer Bekehrung begann, nach dem Tod in ein ewiges Leben mündet. Auch hier ziehen einige Vertreter des Säkularismus nach, nur ohne Gott. Nietzsche glaubte an eine „ewige Wiederkunft“: Da die Zeit unendlich ist, wird jede zufällige Kombination – einschließlich derer, die seinen eigenen Geist und Körper ausmachte – wieder vorkommen. Also wird auch er irgendwann nach seinem Tod wieder existieren. (Mathematiker haben inzwischen nachgewiesen, dass das so nicht funktioniert.) Eine aktuellere Variante ist die der „Posthumanisten“, die damit rechnen, dass unser Körper schließlich überflüssig sein wird. Wir werden eines Tages in der Lage sein, unseren Geist ins Internet hochzuladen, wo wir alle eins sein werden und es keine Probleme mehr geben wird. (Ich hoffe, dass man einige Techniker zurücklassen wird, für den Fall, dass das System zusammenbricht.)

Die Materialisten des 19. Jahrhunderts schrieben dem Universum gottähnliche Eigenschaften zu, wie z.B. Ewigkeit. Aber die neuere Wissenschaft hat Indizien dafür gefunden, dass das Universum tatsächlich einen Anfang hat, der als „Urknall“ bezeichnet wird. Manche Theoretiker sind der Meinung, dass es einen Punkt geben wird, an dem die Schwerkraft die Ausdehnung des Universums umkehrt und es sich wieder zusammenziehen wird, bis es sich im „Big Crunch“ selbst verschluckt. Aber daraus würde dann ein gigantisches Schwarzes Loch entstehen, das als neuer Urknall explodieren wird, woraus ein funkelnagelneues Universum entstünde – und damit sind wir wieder bei einem zyklischen Verständnis der Zeit. Allerdings bleiben heute wohl die meisten Wissenschaftler bei einer linearen Zeit und der Ansicht, dass das Universum sich einfach immer weiter ausdehnen wird – wobei es ab einem bestimmten Punkt zu kalt sein wird, um irgendeine Form von Leben zu ermöglichen. Diese Endzeittheorie wird „Big Freeze“ genannt.

Glaubt man der Mehrheit der Kosmologen, dann wird das menschliche Leben jedoch schon lange vor dem Big Crunch oder dem Big Freeze von der Erde verschwunden sein. Denn zuerst wird sich die Sonne zu einem Roten Riesen ausdehnen, die Erde verbrennen und dann einfach verlöschen. Es wird kein menschliches Leben mehr geben. Es sei denn – wie manche meinen –, dass wir uns dann so weit entwickelt haben werden, dass wir die Erde verlassen und den Rest des Universums bevölkern können. Oder aber – um mit den Posthumanisten einen weiteren Schritt in den Bereich neuer Religiosität zu machen – wir entwickeln uns zu reinen Geisteswesen.

Ein Fixpunkt

Doch die Zeit dieser Welt hat nicht nur einen Anfang und ein Ende, sie hat auch eine Mitte: einen Wendepunkt, einen Höhepunkt. Das ist die Menschwerdung Gottes, der in seine Schöpfung und in die Zeit kommt – ein historischer Moment, in dem Christus stirbt, um Sühne für Sünde zu leisten, und wieder aufersteht.

Das spiegelt sich in einer Praxis wider, die im Westen begann, aber nun weltweit verwendet wird, nämlich die Jahre ab der Zeit zu zählen, als Christus auf der Erde lebte. Geschichte wird seitdem beschrieben als „v.Chr.“ (vor Christus) oder als „n.Chr.“ (nach Christus, veraltet auch „A.D.“: Anno Domini, im Jahr des Herrn). Der Säkularismus hat diese Bestimmungen zu „v.u.Z.“ und „n.u.Z.“ (vor/nach unserer Zeitrechnung) abzuändern versucht. Doch selbst das ändert nichts daran, dass Christus der Referenzpunkt bleibt. Die Vertreter des Säkularismus kommen nicht von der Bibel los, egal, wie sehr sie sich darum bemühen.