Warum man 1.–2. Könige unbedingt lesen sollte

Artikel von Gavin Ortlund
13. Oktober 2020 — 6 Min Lesedauer

Nichts verpassen

Oft vermeiden wir alttestamentliche Geschichtsbücher wie das der Könige (1–2Kön), denn sie können uns fremd und einschüchternd vorkommen. Es ist viel einfacher, praktische Anwendungen aus Philipper, Matthäus oder den Psalmen zu gewinnen. Viele der Geschichten aus diesen Büchern klingen befremdlich oder sogar verstörend.

Doch wir verpassen etwas, wenn wir uns nicht damit beschäftigen. Es handelt sich um ein theologisch wertvolles Buch, das einen einzigartigen Beitrag leistet für unser Verständnis von Sünde und Schwäche, Gottes Charakter und seiner Fürsorge, sowie dem Plan der Erlösung, der sich in der Weltgeschichte entfaltet.

Im Folgenden vier konkrete Möglichkeiten, wie die Könige-Bücher uns helfen können:

Sie helfen uns, die Bibel als Einheit zu verstehen

Viele wichtige biblische Themen, die sich von der Genesis hindurch bis zur Offenbarung entwickeln, sind mit den Erzählungen aus den Könige-Büchern verwoben.

Der Tempel. Ein Großteil des ersten Teils von 1. Könige beschäftigt sich mit dem Bau und der Weihung des Tempels. Salomos Widmungsgebet in 1. Könige 8 ist einer der Höhepunkte der Bibel und stellt den Tempel in den größeren Kontext; nämlich den des Exodus (Mose), der Monarchie (David) und Gottes Plan, die Nationen zu segnen (Abraham). Wenn wir uns tiefer mit den Könige-Büchern beschäftigen, bekommen wir ein besseres Verständnis für Gottes Wunsch, unter seinem Volk zu wohnen, was seit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Garten nicht mehr möglich war (Gen 2), und sich letzten Endes auf der neuen Erde erfüllen wird (Offb 21).

Gottes Wort. Die Geschichten von Elia und Elisa enthalten einige der dramatischsten Momente in der Bibel, wie zum Beispiel Elias Konfrontation mit den falschen Propheten von Baal in 1Kön 18. Mithilfe des Wirkens dieser und anderer Propheten heben 1.–2. Könige die Verbindlichkeit, die unausweichliche Natur von Gottes Wort, hervor. Unzählige Male werden Ereignisse von diesem Satz begleitet „denn es wurde so vom Herrn geführt, damit er sein Wort erfüllte“ (1Kön 12,15). Das Wort Gottes ist wahr und wirkungsvoll. Es hat die Welt bei der Schöpfung ins Leben gerufen (Heb 11,3); es wird die Nationen am Ende der Geschichte richten (Offb 19,15); und es spricht jetzt schon mit der gleichen Kraft durch Propheten und Prediger.

Das Land. Gottes Verheißung des Landes Kanaan an das Volk Israel, das im Abrahamitischen Bund versprochen und unter der Führung Josuas erreicht wurde, wird im babylonischen Exil am Ende von 2Kön vorläufig vereitelt. Die postexilische Literatur erzählt von der Rückkehr der Menschen in das Land und ihrer Erneuerung des Bundes mit dem Herrn, auch wenn ein gewisses Gefühl von Ernüchterung sie auf eine noch zu erwartende, größere Wiederherstellung vorbereitet.

Das Königreich. In 2. Samuel verspricht Gott David, dass einer seiner Nachkommen auf seinem Thron regieren, ein Haus für Gott erbauen und ein ewiges Königreich errichten würde. In den frühen Kapiteln von 1. Könige wird Salomos Thronbesteigung und der Bau des Tempels in Zusammenhang mit Gottes Treue zu diesen Verheißungen genannt, während der Leser des Buches erwartungsvoll auf einen größeren Davidischen König wartet, der im Gegensatz zu Salomo ein ewiges Königreich des Friedens und der Gerechtigkeit errichten wird.

Sie lehren uns, wie Erweckung aussieht

Die Könige-Bücher vermitteln ein ganz anderes Gefühl als die Apostelgeschichte. In der Apostelgeschichte breitet sich Gottes Reich weiter aus. In 1.–2. Könige scheint es eher zu verkümmern. Aber genau aus diesem Grund können diese Bücher uns ein wertvolles Verständnis von Reformation und Erweckung unter dem Volk Gottes geben.

Wenn wir diese Passagen lesen, sehen wir, wie es aussieht, wenn Gott nach Jahrzehnten und sogar Jahrhunderten des Verfalls eine Wiedererweckung von wahrem Glauben bewirkt. Man denke vor allem an Joas Restaurierung des Tempels (2Kön 11,12) und Josias Reformen (2Kön 22,23). Kein Wunder, dass dieses Buch für die protestantisches Reformatoren besonders wertvoll war!

Sie zeigen uns, wie Gott in schwierigen Zeiten wirkt

Die Könige-Bücher erstrecken sich über die Zeit vom höchsten bis zum tiefsten Punkt Israels – von der Herrlichkeit Salomos bis hin zu brennenden Trümmern. Es gibt zwar einige Hoffnungsschimmer auf Weg, doch das Gesamtbild besteht aus Spaltung, Niedergang und einer unaufhörlichen Abwärtsspirale.

Es endet in völliger Verwüstung mit Nebukadnezars endgültiger Belagerung Jerusalems. Die Stadt wird zerstört, die Herrscher werden hingerichtet, die Menschen werden deportiert. Sogar der Tempel wird zerstört, und seine Schätze gestohlen. Das babylonische Exil gleicht einer Atombombe in der biblischen Handlung. Aus menschlicher Sicht scheint es, als wäre die Geschichte vorbei.

„1.–2. Könige zu lesen hilft uns dabei, in schmerzhaften und schwierigen Zeiten weiterzumachen. Inmitten der Frustration und Misserfolge des wirklichen Lebens ist Gott am Werk.“
 

Und doch war Gott mitten im Geschehen am Werk. Seine Absichten kann niemand durchkreuzen, und er nutzt sogar das Exil, um sein Volk zu richten und zu läutern, während die Geschichte weiter ihren Lauf nimmt. Die Könige-Bücher zu lesen hilft uns dabei, in schmerzhaften und schwierigen Zeiten weiterzumachen. Inmitten der Frustration und Misserfolge des wirklichen Lebens ist Gott am Werk. Chaos bedeutet nicht, dass er abwesend ist.

Sie erinnern uns daran, wie sehr wir Jesus brauchen

Der Titel von 1.–2. Könige ist gut gewählt. Als Aufzeichnung der monarchischen Nachfolge erzählen sie die Geschichte Israels (und Judas) durch die Augen ihrer Könige. Der wiederholte Einleitungssatz, der das Alter, die Regierungsdauer und den moralischen Zustand jedes einzelnen Königs beschreibt, bildet das Grundgerüst der Erzählung und betont immer wieder, wie der beschriebene König das Volk letzten Endes entweder zum Herrn oder zu Götzen führt.

Auf diese Weise verbindet das Buch der Könige das Schicksal des Volkes mit dem Schicksal des jeweiligen Königs. Gute Könige bringen dem Volk Segen, schlechte Könige bringen Gericht. Am Ende leidet die gesamte Nation an dem Mangel an gottesfürchtigen Herrschern. Die Geschichte endet jedoch mit einem Hoffnungsschimmer, da die Freilassung des judäischen Königs Jojachin aus dem Gefängnis (2Kön 25,27-30) klar macht, dass die davidische Dynastie nicht ganz ausgelöscht wurde.

Denken wir doch mal daran, wie sich die Dinge verändert haben! Gottes Volk versinkt nicht länger in einem unaufhörlichen Kreislauf von Untreue und Gericht. Jesus hat die Position der höchsten Autorität eingenommen. Der Geist wurde ausgegossen. Das Evangelium bahnt sich seinen Weg. Jesus regiert in Macht und Herrlichkeit und tritt für sein Volk ein. Und eines Tages, vielleicht schon sehr bald, wird er wiederkommen, um sein Werk zu vollenden.