Die verdrängende Kraft einer neuen Zuneigung

Was wir von Thomas Chalmers über den Kampf gegen Sünde lernen können

Artikel von Kai Soltau
19. August 2020 — 5 Min Lesedauer

„Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist“, heißt es in 1. Johannes 2,15. Wir Christen sind uns dieser Aufforderung des Apostels bewusst – mehr als uns lieb ist. Aber wie geht das? Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass es uns gar nicht so leicht fällt, die „Welt“ und „was in der Welt ist“, nicht zu lieben.

„Unsere Liebe zur Welt ist dann gefährlich, wenn wir die Dinge dieser Welt unter dem Ausschluss Gottes lieben.“
 

Mit „Welt“ (gr. kosmos) bezieht Johannes sich nicht (unbedingt) auf die sichtbare Schöpfung – die materielle und fassbare Welt. Johannes geht es hier nicht darum, dass wir gutes Essen, schöne Sonnenuntergänge oder hinreißende Musik nicht „lieben“ und genießen dürfen. Die Welt, die wir nicht lieben sollen, ist vielmehr die Gott gegenüber aktiv feindlich eingestellte und von Gott entfremdete Welt. Unsere Liebe zur Welt ist dann gefährlich, wenn wir die Dinge dieser Welt unter dem Ausschluss Gottes lieben. Ich „liebe die Welt“ zum Beispiel dann, wenn das gute Essen, der schöne Sonnenuntergang und die hinreißende Musik (und vieles mehr) zu dem wird, was mich erfüllt und womit ich mich selbst definiere und profiliere, ohne dabei Gott die Ehre zu geben.

Vor über 200 Jahren hielt der Theologe und Philosoph Thomas Chalmers (1780–1847) eine Predigt mit dem Titel „The Expulsive Power of a New Affection“ (dt. „Die verdrängende Kraft einer neuen Zuneigung“). In dieser Predigt stellt Chalmers sich genau die oben erwähnte Frage: „Wie kann die menschliche Seele von der Liebe für die Welt – dem Drang danach, sein Glück, Zufriedenheit, Wert, Bedeutung und Erfüllung unter Ausschluss Gottes zu finden – befreit werden?“ Er sagt (The Expulsive Power of a New Affection, S. 1.):

„Es gibt zwei Möglichkeiten, wie ein praktischer Moralist versuchen kann, die Liebe für die Welt aus dem menschlichen Herzen zu entfernen – entweder durch eine Demonstration der Eitelkeit der Welt, so dass das Herz ganz einfach dazu bewegt wird, seine Aufmerksamkeit einem Objekt zu entziehen, das seiner [Liebe] nicht [länger] würdig ist; oder indem es sich einem anderen Objekt, z.B. Gott, als etwas, was mehr seine Anhänglichkeit verdient, zuwendet, damit das Herz dazu bewegt wird, nicht einer alten Zuneigung abzusagen, die durch nichts ersetzt wird, sondern eine alte Zuneigung gegen eine neue auszutauschen.“

Chalmers behauptet ganz richtig, dass – aufgrund der Veranlagung unseres Herzens – die erste Methode uns niemals von der Liebe der Welt befreien wird. Wir können uns noch so viel vor Augen führen, dass die Liebe zur Welt uns letztendlich leer zurücklässt, oder – wie Johannes weiter erklärt – in das ewige Strafgericht Gottes führt (1Joh 2,17), aber Warnungen und „Demonstrationen der Eitelkeit“ werden uns niemals von der Liebe zur Welt befreien.

Das lässt sich sehr schön anhand einem mit Luft gefüllten Glasgefäß veranschaulichen. Wenn ein Glasgefäß vor mir auf dem Tisch steht, wird es naturgemäß mit Luft gefüllt sein. Aber wie kann ich diese Luft aus dem Gefäß entfernen? Ich könnte versuchen, die Luft raus zu saugen, um so ein Vakuum in dem Glasgefäß herzustellen. Aber wir wissen, dass ein Vakuum von Natur aus nicht so leicht entsteht. Denn aufgrund der Atmosphäre wird die Luft genauso schnell wieder in das Glas reinströmen, wie ich sie absaugen kann (natürlich gäbe es auch andere Mittel, um ein Vakuum zu schaffen).

Dieser „Widerstand“ beim Entstehen eines Vakuums veranschaulicht die Veranlagung unserer menschlichen Herzen. Genauso schnell wie ich die „Luft der Liebe zur Welt“ durch Warnungen vor den Konsequenzen der Liebe zur Welt oder durch das Aufdecken der Vergänglichkeit der Welt aus meinem Herzen versuche „raus zu saugen“, genauso schnell wird das Herz wiederum von anderen (Vor)-lieben für die Welt aufgefüllt. Genauso wie ein normales Glasgefäß kein Vakuum zulässt, lässt auch mein Herz kein „Liebes-Vakuum“ zu. So ist mein Herz (d.h. sind meine Zuneigungen) von Natur aus veranlagt.

Aber wie kann dann die Luft aus dem Glasgefäß entfernt werden? Ganz einfach: durch Verdrängung. Wenn ich das Glas mit Wasser fülle, wird dadurch die Luft verdrängt. Die Luft wird diesmal nicht zurück ins Glas gesaugt werden. Genau darauf will Chalmers mit seiner zweiten, oben schon erwähnten, Möglichkeit hinaus. Die Liebe zur Welt kann durch Verdrängung überwunden werden. Durch „die verdrängende Kraft einer neuen Zuneigung“ – wie auch schon der Titel seiner Predigt andeutet.

Und so beschreibt Chalmers nach den einleitenden Worten und seiner oben zitierten These im Rest seiner Predigt, wie allein die Liebe zur, Freude an und Begeisterung für Gott die Liebe, Freude und Begeisterung zur sündigen Welt ersetzen und verdrängen kann. Verdrängung ist der einzige Weg, um die Liebe zur Welt zu überwinden! Chalmers erklärt (S. 10):

„Wir kennen keinen anderen Weg, um unsere Herzen von der Liebe für die Welt frei zu halten, als die Liebe Gottes in unseren Herzen zu (er)halten.“

„Der beste Weg, die Welt zu überwinden, sind nicht Moral oder Selbstdisziplin. Christen überwinden die Welt, indem sie die Schönheit und Exzellenz Christi erkennen.“
 

Das kann man so zusammenfassen: Der beste Weg, die Welt zu überwinden, sind nicht Moral oder Selbstdisziplin. Christen überwinden die Welt, indem sie die Schönheit und Exzellenz Christi erkennen. Sie überwinden die Welt, indem sie etwas sehen, das attraktiver ist als die Welt: nämlich den Herrn Jesus Christus.

Das Gleichnis von dem Schatz, der im Feld verborgen liegt, bestätigt genau das. In Matthäus 13,44 heißt es:

„Wiederum gleicht das Reich der Himmel einem verborgenen Schatz im Acker, den ein Mensch fand und verbarg. Und vor Freude darüber geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft jenen Acker.“