Warum arbeiten wir?

Artikel von Stephen Nichols
30. April 2021 — 6 Min Lesedauer

Wieso arbeiten wir eigentlich? Ich erhielt mal folgende schlechte Antwort: „Wir gehen zur Arbeit, damit wir unseren Kindern Schuhe kaufen können, sie die Schule besuchen können, eines Tages zur Arbeit gehen, wiederum ihren Kindern Schuhe kaufen können, usw.“. Mit anderen Worten: Unsere Arbeit ist sinnlos. Von diesem Blickwinkel betrachtet ist das ganze Leben sinnlos – es ist einfach nur ein endloser Kreislauf.

Man könnte andererseits argumentieren, dass wir durch unsere Arbeit christliche Werke und den Bau des Reiches Gottes unterstützen. Nun, ich habe nichts dagegen, dass christliche Werke finanziell unterstützt werden. Ich denke, dass unsere Pflicht, solche Werke zu unterstützen, sich biblisch gut begründen lässt. Aber ich glaube nicht, dass wir den Sinn von Arbeit damit wirklich erfassen.

Als Ebenbilder Gottes arbeiten

Warum arbeiten wir also? Eine erste Antwort finden wir in Psalm 104. Dieser Psalm denkt über die Schöpfung nach (und hat vielleicht auch die Sintflut in 1. Mose 6–8 etwas im Blick). Der Psalm beschreibt auf poetische Weise, wie Gott die Erde und alle ihre Bewohner erschafft und wie er seine Schöpfung auf wunderbare und persönliche Weise erhält (Ps 104,1–13).

In Vers 14 lesen wir, dass Gott sich sowohl um das Vieh als auch um die Menschen kümmert. Und wir lesen, dass Gott den Menschen ebenfalls eine Aufgabe gibt. Sie sollen die Pflanzen anbauen, die Gott wachsen lässt. Diese Aufgabe überträgt Gott denen, die in seinem Ebenbild geschaffen sind. Als Ebenbilder Gottes sollen wir über die Erde herrschen und sie uns untertan machen. Wir sollen diesen ersten, von Gott gegebenen Garten vergrößern. Der Psalm enthält hier eine Anwendung des Schöpfungsauftrags aus 1. Mose 1,26–28.

Davon spricht auch Psalm 104,21–23. So wie die Löwen nach Raub suchen – indem sie handeln, wozu sie geschaffen wurden – so geht auch der Mensch „hinaus an sein Tagewerk, an seine Arbeit bis zum Abend“ (V. 23). Es gibt hier eine Harmonie, die wir nicht übersehen sollten. Alle Geschöpfe Gottes, große und kleine, werden so dargestellt, dass sie in Übereinstimmung mit dem Zweck, zu dem sie von Beginn an geschaffen wurden – arbeiten. Löwen wurden dazu geschaffen, als Löwen zu „arbeiten“. Wir sind dazu geschaffen, als Ebenbilder Gottes zu arbeiten. Der Psalm geht dabei nicht nur nahtlos von Geschöpf zu Geschöpf über, sondern auch vom Geschöpf zu Gott, dem Schöpfer. Im nächsten Vers heißt es: „HERR, wie sind deine Werke so viele! Du hast sie alle in Weisheit gemacht, und die Erde ist erfüllt von deinem Besitz“ (v. 24).

„Arbeit ist niemals niedrig, belanglos, sinnlos oder absurd.“
 

Der Psalmist möchte, dass wir eine Verbindung zwischen unserer Arbeit und Themen von größerer Bedeutung ziehen. Wenn wir arbeiten, spiegeln wir das Werk Gottes, des Schöpfers, wider. Unsere Arbeit weist auf etwas Größeres hin. Sie weist auf den hin, in dessen Ebenbild wir geschaffen wurden. Unsere Arbeit ist ein Hinweis auf Gott, den Schöpfer. C.S. Lewis sagte einmal, dass er noch nie einen gewöhnlichen Menschen getroffen habe. Das gilt auch für unsere Arbeit: Wir verrichten niemals nur gewöhnliche Arbeit. Arbeit ist niemals niedrig, belanglos, sinnlos oder absurd. Wir müssen verstehen, dass Arbeit grundsätzlich sinnvoll ist und tiefe Bedeutung hat.

Über die Schöpfung von Menschen staunen

Aber es gibt hier noch mehr zu entdecken. In den Versen 25–26 lesen wir „Da ist das Meer, groß und ausgedehnt nach allen Seiten. Dort ist ein Gewimmel ohne Zahl: Tiere klein und groß. Da ziehen Schiffe einher, der Leviatan, den du gebildet hast, dass er darin spielt“ (ELB).

Offensichtlich zeugen das Meer und seine Tiere von der Größe, Majestät und Schönheit Gottes. Aber schau dir Vers 26 genauer an. Der Psalm zieht eine Parallele zwischen Schiffen und dem Leviathan. Die poetischen Bücher wie die Psalmen und Hiob, ab und zu auch die prophetischen Bücher, erwähnen dieses Wesen immer mal wieder. Es gibt zahlreiche Spekulationen darüber, welches Geschöpf sich dahinter verbirgt. Ein großer Wal? Ein Dinosaurier? Ein riesiger Tintenfisch? Sicher ist jedenfalls, dass der Leviathan uns den Atem raubt. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes furchteinflößend.

Wir dürfen aber nicht übersehen, dass der Leviathan es liebt, zu spielen. Jonathan Edwards schrieb einmal von den Baldachinspinnen, dass sie mit einem Lächeln im Gesicht fliegen würden. Daraus schloss Edwards, dass Gott sich „um das Vergnügen und die Erholung aller Arten von Geschöpfen sorgt, sogar der Insekten“. Ja, sogar um das Vergügen des Leviathans. Das riesige Tier „spielt“. Es gibt aber noch ein weiteres Geschöpf in Vers 26. Es ist menschengemacht: „Da ziehen Schiffe einher“. Warum ist das wichtig? Gottes Schöpfung und unsere Schöpfung werden hier direkt nebeneinander gestellt. Der Psalmist staunt über den Leviathan genauso wie über die Schiffe. Das können wir uns gut vorstellen. Vielleicht hast du selbst schon mal gesagt: „Sieh die Schiffe dort. Wahnsinn.“

Was braucht man zum Schiffsbau? Kenntnisse in Mathematik und Physik, fähige Konstrukteure, Erfahrung, Wissen, das man über Generationen angesammelt hat und einen Haufen Arbeit. Was braucht man, um ein Segelboot zu steuern? Navigationstechniken, Expertise, Muskeln, starke Rücken, starke Arme, Entschlossenheit und wieder Wissen, dass sich über Generationen entwickelt hat.

Unser Psalmist staunt, wenn er sieht, wie die Schiffe auf dem Meer segeln. Genauso staunt er, dass der Leviathan darin spielt. Beides ist in der Tat erstaunlich.

Das höchste Ziel unserer Arbeit

Der Rest des Psalms zeigt, dass es noch mehr gibt als natürliche oder menschengemachte Riesen, die die See überqueren oder darin spielen. Vers 27: „Sie alle (d.h. Gottes Geschöpfe) warten auf dich, dass du ihnen ihre Speise gibst zu seiner Zeit. … Wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt“. Wir sollen Vergnügung, Erfüllung und Sinn in unserer Arbeit finden. Wir sollen unsere gottgegebenen Gaben und Fähigkeiten anerkennen und an die Arbeit gehen. Und wir werden Zufriedenheit erlangen. Wein wird unser Herz erfreuen (Vers 15). Unser Werk wird uns erstaunen.

„Wenn wir arbeiten, bringen wir Gott Ehre. Wenn wir arbeiten, erfreut sich Gott an uns. Das ist die Antwort darauf, warum wir arbeiten.“
 

Das alles sind Ergebnisse unserer Arbeit. Aber nichts davon beschreibt das höchste Ziel oder das wichtigste Ergebnis. Das höchste Ziel unserer Arbeit wird in Vers 31 genannt: „Die Herrlichkeit des HERRN wird ewig währen; der HERR wird sich an seinen Werken freuen!“ Unsere Arbeit hat deshalb einen Sinn, weil sie auf den hinweist, in dessen Ebenbild wir geschaffen wurden. Wenn wir arbeiten, bringen wir Gott Ehre. Wenn wir arbeiten, erfreut sich Gott an uns. Das ist die Antwort darauf, warum wir arbeiten.

Noch ein letzter Gedanke: Hast du bemerkt, was in Psalm 104 nicht vorkommt? Es gibt überhaupt keinen Hinweis auf den Tempel, auf Tempelmusiker, Priester und all ihr Tun. Es gibt stattdessen Bezüge zur Landwirtschaft, zum Weinbau, zu körperlicher Arbeit und zum Schiffsbau. „Da ziehen Schiffe einher“. Gott sei die Ehre!