Wo war Gott?

Artikel von R.C. Sproul
14. März 2018 — 4 Min Lesedauer

Sobald es zu einer Katastrophe in unserer Welt kommt, kann man davon ausgehen, dass diese Frage aufkommt: „Wo war Gott?“ Die Menschheit scheint sich immer zu fragen, wieso ein guter Gott so etwas Schlimmes zulassen könne.

Die gleiche Frage wurde auch zu Zeiten Jesu gefragt und zwar im Lukasevangelium:

Es waren aber zur selben Zeit etliche eingetroffen, die ihm von den Galiläern berichteten, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder gewesen sind als alle anderen Galiläer, weil sie so etwas erlitten haben? Nein, sage ich euch; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen! Oder jene achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und sie erschlug, meint ihr, dass diese schuldiger gewesen sind als alle anderen Leute, die in Jerusalem wohnen? Nein, sage ich euch; sondern wenn ihr nicht Buße tut, so werdet ihr alle auch so umkommen! (Lk 13,1–5)

Einige Leute stellen Jesus eine Frage über eine gewisse Gräueltat, die Pontius Pilatus tat, der römische Gouverneur von Judäa. Es ging, so wie es scheint, um Menschen, die während des Gottesdienstes von Pilatus’ Soldaten massakriert wurden. Die Fragesteller kamen beunruhigt zu Jesus und stellten ihm die Frage, wieso Gott so etwas bei seinen Auserwählten zulässt.

Jesus beantwortete ihre Frage mit einer Gegenfrage: „Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder gewesen sind als alle anderen Galiläer, weil sie so etwas erlitten haben?“ Aus der Antwort können wir darauf schließen, welche Vorurteile die Fragesteller hatten, nämlich, alles Leid in der Welt hängt in Proportion mit unserer Sündhaftigkeit zusammen, eine Vorstellung die heute noch vertreten wird.

Natürlich kam Leid und Tod durch die Sünde in diese Welt. Somit waren die Fragesteller nicht ganz im Unrecht mit ihrer Annahme, böse Moral führe zu physischem Leid. Doch Jesus nahm diese Gelegenheit wahr, um sie daran zu erinnern, dass wir nicht zu der Ansicht springen können, alle Menschen leiden in Proportion zu ihrer Sündhaftigkeit.

Die Bibel ist hier sehr eindeutig. Uns wird gezeigt, wie boshafte Menschen manchmal gedeihen und rechtschaffene Menschen manchmal schlimme Dinge erleiden. Besonders im Buch Hiob wird das Verhältnis zwischen Leid und Sünde widerlegt, denn obwohl Hiob der aufrichtigste Mensch der Welt war, wurde er von unbeschreiblicher Qual heimgesucht und von seinen „Freunden“ in Frage gestellt, die behaupteten, Hiob müsse schlimm gesündigt haben.

Als Jesus somit seinen Jüngern diese Frage stellte: „Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder gewesen sind als alle anderen Galiläer, weil sie so etwas erlitten haben?“, war die Antwort offensichtlich. Nein, sie waren nicht sündhafter als die anderen. Jesus wollte die Vorstellung einer proportionalen Verbindung zwischen Sünde und Leid aus den Jüngern entfernen, damit sie nicht auf die Idee kämen, sie wären bessere Menschen, weil sie noch nichts erlitten und starben. Deshalb warnte er sie: „Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen!“

Um es noch unmissverständlicher klar zu machen, erwähnte Jesus noch eine ähnliche Begebenheit: „Oder jene achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und sie erschlug, meint ihr, dass diese schuldiger gewesen sind als alle anderen Leute, die in Jerusalem wohnen?“ Noch einmal ist die Antwort zweifelsohne Nein. Diese Opfer waren weder schlimmer noch besser als die anderen Juden. Somit warnte er sie noch einmal: „Wenn ihr nicht Buße tut, so werdet ihr alle auch so umkommen!“

Beide, die Menschen die vom Turm erschlagen wurden und die, die von den römischen Soldaten umgebracht wurden, sind aufrichtige Bürger gewesen. Doch in ihrer „vertikalen“ Beziehung, ihrer Beziehung zu Gott, war keiner unschuldig und das gleiche gilt auch für uns. Jesus sagte: „Anstatt zu fragen, wieso ein guter Gott so seine Katastrophe zulässt, solltest du dich fragen, wieso dein eigenes Blut nicht vergossen wurde.“ Jesus erinnerte seine Zuhörer an die Realität, dass es schlussendlich keine Person gibt, die unschuldig ist (außer Er). Demnach sollten wir uns nicht über die Gerechtigkeit Gottes wundern, sondern über die Gnade Gottes. Wir sollten uns fragen: „Wieso werden wir nicht täglich von Türmen erschlagen?“

Wenn uns jemals etwas Schmerzhaftes, Leidvolles oder Schwerwiegendes befällt, ist es nie ein Akt der Ungerechtigkeit von Gottes Seite, da Gott uns keinen Freifahrtschein von Tragödien schuldig ist. Er schuldet uns keinen Schutz vor einstürzenden Türmen. Wir schulden Gott etwas und können es nicht zurückzahlen. Unsere einzige Hoffnung, um nicht durch die Hände Gottes umzukommen, ist Buße.

Jesus war nicht unsensibel oder rau mit seinen Jüngern. Er hat sie nur etwas aufgerüttelt, um ihre falsche Denkweise loszuwerden. Es würde uns guttun, diesen Ruck mit Freuden anzunehmen, es hilft uns nämlich dabei, Dinge aus der Perspektive der Ewigkeit zu sehen. Wir werden erst dann in der Lage sein mit Katastrophen umzugehen, wenn wir verstehen, dass hinter ihnen der ewige Vorsatz Gottes steht und wenn wir begreifen, dass Gott uns vor der größten Katastrophe gerettet hat – dem Einsturz des Turmes seines letzten Gerichts.