Leidenschaftsloser Lobpreis

Artikel von Albert Mohler
20. Februar 2018 — 4 Min Lesedauer

Evangelikale Christen haben sich in den letzten Jahren besonders dem Thema Anbetung gewidmet, wodurch eine Renaissance von Überlegungen und Gesprächen aufkam, was Anbetung wirklich ist und wie sie geschehen sollte. Auch wenn dieses erneuerte Interesse leider zu dem geführt hat, was manche die „Lobpreiskriege“ in Gemeinden genannt haben, scheint es doch so, dass das, was A.W. Tozer einst das „vermisste Juwel“ der evangelikalen Anbetung nannte, zurückgewonnen wird.

Trotzdem ist so, dass, während die meisten Evangelikalen schnell zustimmen würden, dass Anbetung im Zentrum des Lebens einer Gemeinde steht, es doch keinen Konsens gäbe über die unvermeidliche Frage: Was ist wesentlich für christliche Anbetung? Geschichtlich gesehen haben die liturgischeren Kirchen dafür plädiert, dass die Sakramente den Kern der christlichen Anbetung bilden. Diese Kirchen argumentieren, dass das Abendmahl und die Taufe das Evangelium am kraftvollsten darstellen. Unter den Evangelikalen sehen manche Evangelisation als das Herz der Anbetung an und planen deshalb jede Facette des Gottesdienstes – Lieder, Gebete, die Predigt – mit einer evangelistischen Einladung im Sinn.

Obwohl die meisten Evangelikalen die Predigt des Wortes als notwendigen oder gewöhnlichen Teil der Anbetung erachten, ist das vorherrschende Modell der Anbetung in den evangelikalen Gemeinden zunehmend bestimmt von Musik, in Verbindung mit Neuerungen wie Sketche oder Videopräsentationen. Wenn die Predigt des Wortes in den Hintergrund tritt, dann nehmen eine Vielzahl unterhaltsamer Neuerungen ihren Platz ein.

Traditionelle Normen für die Anbetung werden nun der Sorge um Relevanz und Kreativität untergeordnet. Eine mediengetriebene Kultur von Bildern hat die wortzentrierte Kultur abgelöst, aus der die Kirchen der Reformationen entstanden sind. In gewisser Hinsicht ist die bildgetriebene Kultur des modernen Evangelikalismus ein Sich-zu-eigen-machen von genau den Praktiken, die von den Reformatoren in ihrem Streben nach echter biblischer Anbetung abgelehnt wurden.

Musik füllt größtenteils den Raum evangelikaler Anbetung, und viel von dieser Musik kommt in Form von zeitgenössischen Liedern, die herzlich wenig theologischen Inhalt haben. Neben der Popularität dieser Lieder als Musikform scheinen viele evangelikale Gemeinden sehr darauf bedacht zu sein, Musikpräsentationen in Studioqualität zu replizieren.

In puncto Musikstil zeichnen sich traditionellere Kirchen durch einen großen Chor aus – oft mit Orchestern – und sie singen vielleicht sogar die bewährten Lieder des Glaubens. Professionelle Mitarbeiter und eine Armee von Freiwilligen verbringen die meiste Zeit der Woche mit Proben und Übungsstunden.

Das geht nicht spurlos an der Gemeinde vorüber. Manche Christen shoppen nach Gemeinden, die einen Anbetungsstil und –erfahrung anbieten, die ihren Erwartungen entspricht. Die, die nicht damit zufrieden sind, was sie bei einer Gemeinde vorfinden, können sich schnell einer anderen anschließen, manchmal begründet durch die Sprache des Selbstausdrucks, um zu erklären, dass die neue Gemeinde „unseren Bedürfnissen entspricht“ oder „uns erlaubt, anzubeten“.

Eine Sorge um biblische Anbetung war im Herzen der Reformation. Aber selbst Martin Luther, der Choräle schrieb und von Predigern verlangte, dass sie im Singen ausgebildet werden, würde diese moderne Beschäftigung mit Musik weder als legitim noch für gesund erachten. Warum? Weil die Reformatoren überzeugt waren, dass der Kern wahrer biblischer Anbetung das Predigen des Wortes Gottes ist.

Gott sei Dank, dass in der christlichen Anbetung Evangelisation stattfindet. Indem sie mit einer Evangelisationspräsentation konfrontiert werden und der Predigt des Wortes, werden Sünder im Glauben zu Christus gezogen und die Errettung allen angeboten. Genauso werden Abendmahl und Taufe als Anordnungen des Herrn geehrt und beide haben in wahrer Anbetung ihren Platz. Aber Musik ist für den Akt christlicher Anbetung nicht zentral, und auch nicht Evangelisation oder sogar die Sakramente. Das Herz christlicher Anbetung ist das authentische Predigen des Wortes Gottes.

Auslegendes Predigen ist für die biblische Mission authentischer Anbetung, die Gott gefällt, zentral, nichtreduzierbar und unverhandelbar.

Die Zentralität der Predigt ist das Thema beider Testamente der Schrift. In Nehemia 8 verlangt das Volk von Esra, dem Schriftgelehrten, das Buch des Gesetzes vor die Versammlung zu bringen. Interessanterweise erklärt der Text, dass Esra und seine Helfer „aus dem Buch des Gesetzes Gottes deutlich vorlasen und den Sinn erklärten, so dass man das Gelesene verstand“ (Neh 8,8). Dieser bemerkenswerte Text zeigt auf, worum es beim auslegenden Predigen geht. Nachdem der Text vorgelesen wurde, wurde er den Zuhörern sorgfältig erklärt. Esra hat kein Event oder Spektakel veranstaltet – er hat einfach und sorgfältig das Wort Gottes verkündigt.

Dieser Text ist ein ernüchterndes Urteil über einen Großteil des zeitgenössischen Christentums. Laut dieser Bibelstelle entsprang in den Herzen des Volkes ein Verlangen nach biblischer Predigt. Sie versammelten sich und bestellten einen Prediger ein. Das spiegelt den starken Hunger und Durst nach dem Wort Gottes wider. Wo ist dieses Verlangen bei den Evangelikalen von heute sichtbar?

In zu vielen Gemeinden ist die Bibel nahezu stumm. Das öffentliche Vorlesen der Schrift ist aus vielen Gottesdiensten verschwunden und die Predigt auf die Seite geschoben bzw. auf eine kurze Andacht vor oder nach der Musik reduziert worden. Viele Prediger akzeptieren das als notwendiges Zugeständnis an das Zeitalter der Unterhaltung. Manche hoffen, eine kurz Botschaft der Ermutigung oder Ermahnung vor dem Ende des Gottesdienstes unterbringen zu können.

Die Leidenschaftslosigkeit der evangelikalen Anbetung – trotz all der Musik und Energie – kann direkt auf die Abwesenheit echter Auslegungspredigten zurückgeführt werden. Solche Predigten würden die Gemeinde mit nichts Geringerem als dem lebendigen und wirksamen Wort Gottes konfrontieren. Diese Konfrontation würde die Gemeinde formen, indem der Heilig Geist das Wort gebraucht, um Augen zu öffnen und menschliche Herzen zu erreichen.