Jesus, der zweite Adam

Artikel von David Gibson
7. Februar 2018 — 9 Min Lesedauer

Die Botschaft der Errettung ist die Geschichte vom ersten und zweiten Adam. „Denn gleichwie durch den Ungehorsam des einen Menschen die Vielen zu Sündern gemacht worden sind, so werden auch durch den Gehorsam des Einen die Vielen zu Gerechten gemacht“ (Röm 5,19). Was der erste Adam kaputtmachte, hat der zweite Adam repariert. Aber wer ist der zweite Adam und was für eine Person muss er sein, um das zu vollbringen? Warum ist er – und nur er – fähig, auf diese Weise gehorsam zu sein?

Das Bekenntnis von Chalcedon (451) sagt, dass die Menschwerdung „für uns und für unser Heil“ geschah. Das Bekenntnis ist eine Erklärung tiefgehender Wahrheiten über die Person Christi, die von der Kirche angenommen wurden, und die das Fundament davon bilden, wie wir das Werk Christi verstehen. Wenn wir nicht verstehen, wer Jesus ist, werden wir nicht das Wunder erkennen, das er für uns getan hat.

Gehorsam in seinem menschlichen Leben

In Römer 5,19 zeigen die Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten zwischen Adam und Christus wichtige Aspekte der Person Christi auf. Lasst uns mit einer Ähnlichkeit beginnen, dann über eine Unähnlichkeit nachdenken, und schließlich zu einer weiteren Ähnlichkeit kommen.

Erstens, zur Ähnlichkeit: Es ist kein Zufall, dass Adam und Christus beide Menschen sind. Es ist notwendig, dass unser Retter ein Mensch ist, wahrhaft Mensch wie wir. Die Schrift sagt deutlich, dass Gott der einzige Retter ist, und doch, weil Menschen gesündigt haben, verlangt Gottes Gerechtigkeit, dass nur ein Mensch für Sünde bezahlen kann. In den Worten des Heidelberger Katechismus, „will Gott [aufgrund seiner Gerechtigkeit] an keinem anderen Geschöpf strafen, was der Mensch verschuldet hat“ (Frage 14). Das ist erstaunlich. Wenn Gott uns gerettet hätte, ohne ein menschliches Wesen zu bestrafen, hätte das moralische Gefüge des Universums zerstört werden können. Wir brauchen einen Retter, der Mensch ist. Das Bekenntnis macht deutlich, dass der ewige Sohn, „vor aller Zeit aus dem Vater gezeugt“, als er sich mit der menschlichen Natur im Bauch der Jungfrau verband, dieser Sohn – unser Herr Jesus Christus – „wirklich Gott und wirklich Mensch aus einer vernünftigen Seele und einem Körper … in jeder Hinsicht uns ähnlich“ war. Er war nicht ein göttliches Wesen, das als Mensch erschien. Jesus war nicht „Gott in menschlicher Haut“. Er war ein Mensch, auf jede Weise vollkommen Mensch.

Aber das Bekenntnis fügt auch einen wesentlichen Punkt hinzu: „in jeder Hinsicht uns ähnlich, ausgenommen der Sünde“. Wie es der Heidelberger Katechismus ausdrückt: „Darum verlangt Gottes Gerechtigkeit, dass ein Mensch für die Sünde bezahlt; wer aber selbst ein Sünder ist, kann nicht für andere bezahlen“ (Frage 16). Ein gefallenes menschliches Wesen zu sein heißt, „die Schuld noch täglich größer zu machen“ (Frage 13). Wir brauchen einen Retter, der uns ähnlich ist (menschlich), um für unsere Sünde bezahlen zu können, und wir brauchen einen Retter, der uns unähnlich ist (sündlos), damit diese Bezahlung Gott angenehm ist.

Das ist der Punkt, wo die Unähnlichkeit zwischen dem Werk Adams und dem Werk Christi aus einem richtigen Verständnis der Person Christi fließt. Es ist in der modernen Theologie üblich, zu argumentieren, dass der Sohn Gottes, als er eine menschliche Natur aufnahm, eine gefallene menschliche Natur aufnahm. Die Aussage ist, dass, weil wir gefallene Naturen haben, Jesus nicht wirklich wie wir sein könne, wenn er nicht auch eine gefallene menschliche Natur hätte. Aber das zerstört die wunderbare Schönheit des Gehorsams Christi. Gefallenheit ist nicht wesentlich dafür, ein Mensch zu sein; wenn dem so wäre, wäre Adam nicht wirklich ein Mensch gewesen. Das Wort wurde Fleisch, um gewissermaßen wieder an den Anfang zurückzukehren; um als Mensch das zu tun, worin Adam versagte. Im Bauch seiner Mutter ist er sowohl vollkommen mit uns identifiziert – als wahrer Mensch – und von uns geschieden – indem er frei ist von aller Schuld Adams. Die Formulierung, dass der Heilige Geist im Wunder der Menschwerdung „über Maria kam“ (Lk 1,35), ist sowohl ein Hinweis auf eine neue Schöpfung als auch auf einen neuen Exodus. Am besten drückt man es so aus, dass Christus das Leben Adams erneut durchlebt, aber nicht vom Sündenfall, sondern von der Schöpfung an. Er ist der neue Adam und das neue Israel, der ihren Versuchungen gegenübersteht und ihre Kämpfe führt, nur, dass er an jedem Punkt triumphiert, wo sie versagten.

Schließlich gibt es noch eine weitere Ähnlichkeit zwischen Adam und Christus in Römer 5,19. Keiner von ihnen ist eine Privatperson. Sie handeln nicht für sich allein. Was jeder für sich tut, tut er auch für die, die zu ihm gehören. So wie der Ehemann als Haupt seiner Frau verantwortlich für ihr Wohl ist, so tragen Adam und Jesus als Häupter ihrer Familien die volle Verantwortung für sie. Die Handlungen des einen haben Auswirkungen auf alle, die zu ihm gehören, entweder im Ungehorsam oder in der Rechtschaffenheit. So wie Adam alle, die in ihm sind, zu Sündern machte, so macht Christus alle, die in ihm sind, gerecht. Wie schafft er das?

Gehorsam in seinem Sühnetod

Evangelikale reduzieren manchmal die Heilsbotschaft auf Christi Sühnetod, ohne zu erklären, wie oder warum er sühnt. Es ist nämlich so, dass der Gehorsam Christi das überspannende biblische Konzept ist, welches erklärt, wie Christus uns rettet.

Als der Autor des Hebräerbriefs das priesterliche Werk Christi diskutiert, macht er im Höhepunkt der Diskussion in Kapitel 10 – nachdem er uns gesagt hat, dass die Tieropfer des Alten Testaments die Anbeter nur an ihre Sünden erinnerten und keine Schuld wegnahmen – diesen überraschenden Punkt: Opfer und Gaben waren nicht das, was Gott eigentlich wollte. „Opfer und Gaben hast du nicht gewollt“ (Hebr 10,5; ein Zitat aus Ps 40,7). Das ist überraschend, weil ja das Opfersystem von Gott selbst eingesetzt wurde. Aber der nächste Vers erklärt, worum es in dieser Bibelstelle geht:

Opfer und Gaben hast du nicht gewollt; einen Leib aber hast du mir bereitet. An Brandopfern und Sündopfern hast du kein Wohlgefallen. Da sprach ich: Siehe, ich komme - in der Buchrolle steht von mir geschrieben -, um deinen Willen, o Gott, zu tun! (Hebr 10,5–7; Ps 40,7–9)

Gott möchte menschliche Wesen, die als seine Bundespartner seinen Willen tun. Freudige Hingabe, Liebe aus ganzem Herzen, demütige Unterordnung und eine freudige, innige Beziehung – das war es, wozu Adam eingeladen war, es Gott zu erwidern. Wonach Gott von allem Anfang an suchte, war unverdorbener Schalom, Ganzheit im Rahmen des Bundes, im Garten Eden und bis zu den Enden der Erde. Was sein Bundespartner stattdessen erwiderte, war Stolz, Zweifel, Unglauben und Rebellion – und alles war verloren. Das Opfersystem wurde eingesetzt, um das Problem des menschlichen Ungehorsams in Ordnung zu bringen, aber es konnte keinen menschlichen Gehorsam hervorbringen. Aber was war mit dem zweiten Adam? Wunderbar und nicht mit Worten zu beschreiben ist die Tatsache, dass Jesus, bevor er kam, um zu sterben, kam, um zu leben.

Wir wissen aus dem Buch Levitikus, dass die Opferriten Dankopfer und Schuldopfer umfassten. Dankopfer beziehen sich auf die Art von Leben, die Gott schon immer für die Menschheit bezweckte, wo sie in seiner Gegenwart leben, und das war es, was Adam im Garten leisten sollte; Schuldopfer wurden nur nach dem Sündenfall notwendig und beziehen sich auf die Art von Leben, die wir jetzt erfahren. Im zweiten Adam sehen wir die Erfüllung beider Opfertypen. Während seines ganzen Lebens gab sich Christus dem Vater als Lobpreisopfer dar – „Ich komme, um deinen Willen zu tun“ – und in seinem Tod brachte er sich selbst als Sühneopfer für Sünde dar. Das Leben, das Jesus lebte, war die Vorbereitung für den Tod, den er starb, weil sein Gehorsam in seiner Kreuzigung den Höhepunkt fand (Phil 2,8).

Hier wirft eine herrliche Wahrheit über die Person Christi – „wahrer Gott und wahrer Mensch“ Licht auf die wunderbare Wahrheit, dass er uns vom ewigen Verderben rettet. Philipper 2,5–11 macht deutlich, dass die gehorsame Selbsthingabe von Jesus nicht nur das Opfer eines menschlichen Wesens ist. Der, der starb, bleibt „in seinem Wesen Gott“. Der Heidelberger Katechismus sagt, „kein Geschöpf kann die Last des ewigen Zornes Gottes gegen die Sünde tragen und andere davon erlösen“ (Frage 14). Sünde gegen einen unendlichen Gott verlangt eine unendliche Bezahlung, aber endliche menschliche Wesen können Gott diese nicht außerhalb einer ewigen Hölle leisten. Und selbst in einer Hölle von ewiger Dauer können endliche Sünder niemals den Punkt erreichen, wo ihre Bezahlung vollständig ist, weil das endliche niemals einen unendlichen Preis bezahlen kann.“ Wir brauchen einen Retter, der mehr ist als ein Mensch. Christi Tod, weil er der Gott-Mensch ist, hat unendlichen Wert und stellt vollständig die gerechten Ansprüche eines unendlich heiligen Gottes zufrieden. Wir können sehen, wie eng diese Lehren miteinander verbunden sind. Zuzulassen, dass die Hölle keine ewige Bestrafung sei, wäre zuzulassen, dass Jesus nicht göttlich hätte sein müssen in seiner Selbstopferung am Kreuz.

Theologen reden von der Darbringung des Lebens Christi als seinen aktiven Gehorsam und die Darbringung seines Todes als seinen passiven Gehorsam, und beide sind notwendig, um uns zu retten. In seinem Tod gab sich Christus selbst hin und empfing die gerechte Strafe für Sünde (passiv), während er ein angenehmes Opfer war, weil er ohne Schuld und ein vollständig gehorsamer Mensch war (aktiv), und daher würdig, den Platz von schuldbeladenen, vollkommen ungehorsamen Sündern einzunehmen. Johannes Calvin sagte, dass „von der Zeit an, als er Knechtsgestalt annahm, Christus begann, den Preis unserer Befreiung zu bezahlen, um uns zu erlösen“. Beachte, wie Calvins Worte hier das Glaubensbekenntnis vorwegnehmen. Der göttliche Sohn verband eine menschliche Natur mit sich, und er tat das für uns und für unsere Errettung. Er kam, um gehorsam zu leben und zu sterben. Sein Gehorsam macht nicht nur Vergebung möglich, sondern Gerechtigkeit verfügbar. Weil er unser stellvertretendes Haupt ist, gehört Christi Gehorsam uns.