Die Reformatoren und der Islam

Artikel von Matthew Miller
24. Januar 2018 — 10 Min Lesedauer

Während der Reformation war das Vordringen der muslimischen Religion oft „in den Medien“. Das vorstoßende Osmanische Reich, welches seinen Höhepunkt im frühen bis Mitte des 16. Jahrhunderts erreichte, stellte eine nervenaufreibende politische und militärische Bedrohung für das europäische Christentum dar. Auch wenn die europäischen Armeen 1529 die Türken vor den Toren Wiens  zurückschlagen konnten, der Fakt, dass die Streitkräfte des Islams so weit gekommen waren, brachte das christliche Europa für Jahrzehnte „schwer aus der Fassung“.1 Deshalb widmeten die Reformatoren, obwohl sie hauptsächlich im Streit mit der katholischen Kirche lagen, gelegentlich ihre Aufmerksamkeit dem Islam. Neben dem, dass sie das Wesen des Islams erklärten, dachten die Reformatoren über die Lektionen nach, die Gott der Kirche durch den Vorstoß „der Türken“ (damals ein Synonym für „Muslime“) auf ein äußerlich christliches Volk erteilen wollte.

Während wir just den fünfhundertsten Jahrestag der Reformation gefeiert haben, stehen wir vor denselben Fragen. Es scheint die richtige Zeit zu sein, um zu fragen, wie die Reformatoren den Islam sahen.

Das Wesen des Islams

Die Reformatoren erachteten den Islam nicht als „eine der großen Weltreligionen“ oder „eine der drei abrahamitischen Glauben“. Stattdessen erachteten sie die Lehren Muhammads überwiegend als eine häretische Abweichung vom Christentum.

Das Wort Häresie kommt von der griechischen Bedeutung „wählen, auswählen“ und als solches übernimmt eine christliche Häresie den christlichen Glauben nicht als Ganzes, sondern wählt einzelne Elemente auf Kosten anderer aus. Was übrigbleibt ist etwas, das aus dem Christentum extrahiert wurde, aber nicht länger das Christentum ist. Zwei der bekanntesten Häresien der Kirchenschichte sind der Arianismus (eine Häresie, die die ewige Dreieinigkeit leugnet) und Pelagianismus (eine Häresie, die die Erbsünde leugnet und Errettung durch Werke lehrt). Der Kampf der Kirche gegen Häresie ist immerwährend.

Der Islam entstand in einer Region, die einst vom Christentum beeinflusst wurde, und behauptet, die ursprüngliche Offenbarung Gottes zu bewahren, die im Alten und Neuen Testament eingegeben wurde (wobei der Islam behauptet, dass die Bibel, die das Christentum besitzt, verfälscht worden wäre). Er bewahrt auch das Bekenntnis zum Monotheismus und einen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele. Er lehnt verschiedene wesentliche Elemente des Christentums ab, vornehmlich die Lehre der Dreieinigkeit und der Menschwerdung. Mit anderen Worten, er wählt sich unter den christlichen Glaubensartikeln die aus, die ihm gefallen, so wie es Häresien tun.

Deshalb stufte der große christliche Theologe Johannes von Damaskus, der in Syrien beheimatet war und weniger als ein Jahrhundert nach der Gründung des Islams lebte, den Islam es eine von vielen Häresien ein. In seinem Buch Über die Häresien widmete Johannes seine Aufmerksamkeit am ausgiebigsten dem Islam und schrieb von Muhammad, dass „dieser Mann, nachdem er zufällig auf das Alte und Neue Testament gestoßen war, und, wie es scheint, mit einem arianischen (häretischen) Mönch konferiert hatte, seine eigene Häresie ersann“. Johannes weist dann auf zahlreiche besorgniserregende Punkte hin, einschließlich a) dass die Offenbarung, die Muhammad vorgab zu empfangen, ohne Zeugen empfangen wurde; b) dass Muslime Männern erlauben, mehr als eine (bis zu vier) Frauen zu nehmen; und c) dass sie Männern erlauben, sich leicht von ihren Frauen scheiden zu lassen.

Im zwölften Jahrhundert widmete sich Peter der Ehrwürdige (Petrus Venerabilis, 1092–1156) dem Studium des Islams und seiner Quelltexte und gab sogar eine vollständige Übersetzung der Heiligen Schriften des Islam in eleganter lateinischer Sprache in Auftrag. Peter schrieb daraufhin über den Islam und bestand darauf, dass es eine christliche Häresie sei; eine, die so weit abgeschwiffen war, dass sie dem Heidentum nahe kam.2

Bei den Reformatoren im 16. Jahrhundert begegnen wir Heinrich Bullinger (1504–1575), Nachfolger von Huldrych Zwingli in Zürich, der den Islam ausführlicher studierte und beschrieb als jeder andere Reformator. Bullinger sah den Islam auch als eine Häresie an, die aus verschiedenen Häresien bestand – eine Leugnung der Dreieinigkeit, eine Leugnung des Sühnewerkes Christi als Mittler und eine Bekräftigung, dass Menschen durch Werke gerettet werden könnten, was er mit der Häresie des Pelagianismus verband.3 Bullinger verstand die Behauptung Muhammads, Gottes Prophet zu sein, als Erfüllung dessen, was Jesus in Johannes 5,43 lehrte: „Ich bin im Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer in seinem eigenen Namen kommt, den werdet ihr annehmen.“4

Und wie stand es mit unserem berühmten Ahnen Johannes Calvin? In seinen Kommentar über 2. Thessalonicher, den er im Jahr 1550 verfasste, bezieht sich Calvin kurz auf „die Türken“, als er 2. Thessalonicher 2,3 kommentiert. Er beschrieb den Islam als einen „Abfall“, der sich „weiter und weiter ausgebreitet hat“, und versteht Muhammads Wirken als „das Abwenden seiner Nachfolger, die Türken, von Christus“. Infolgedessen sagt Calvin, hat der Islam „in seiner Gewalttätigkeit etwa die Hälfte der Kirche mit sich gerissen“.5

Indem er diese Auswirkungen beschreibt, diagnostiziert Calvin auch die Wurzel des theologischen Irrtums des Islams. Als unermüdlicher Verfechter von sola scriptura verortet Calvin das Problem bei der falschen Lehre der Schrift unter den Muslimen. Denn obwohl sie äußerlich die Offenbarung anerkennen, die im Alten und Neuen Testament gegeben wurde, erkennen Muslime zusätzliche Offenbarungen an (genauso wie heutzutage die Mormonen), und halten sich dadurch nicht „fest versiegelt innerhalb der Grenzen der Heiligen Schrift“.6

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Reformatoren den Islam weitgehend als eine christliche Häresie betrachteten, die einige Elemente des Christentums herausgepickt und andere abgelehnt hat, und die danach Wurzeln schlug und sich in Gebieten ausbreitete, wo das wahre Christentum aufgrund eines maßgeblichen Verfalls in Glauben und Leben in den Hintergrund gedrängt wurde. Welche Lektionen zogen demzufolge die Reformatoren für die Kirche ihrer Zeit?

Lektionen für die Kirche

Bullinger merkte an, dass der Islam historisch gesehen in den Gebieten aufkam, wo das Christentum ernsthaft von den biblischen Normen abgefallen war. Daraus leitete Bullinger ab, dass der Islam eigentlich Gottes Gericht über das böse Leben ganzer Regionen des Christentums darstellt – genauso wie Gott, so Bullinger, fremde Völker gebrauchte (wie die Philister, Assyrer und Babylonier), um sein Volk im Alten Testament zu züchtigen, wenn es auf Abwegen war.7 Deshalb betete Bullinger dafür, dass das Vordringen des Islams der Kirche zwei notwendige Reaktionen aufzeigen würde: erstens, die Reaktion der Buße über ihre eigenen Sünden und ihr Versagen, und zweitens (und daran anschließend) die Reaktion der Mission unter den muslimischen Völkern.8

Auch Calvin sieht den Islam als eine Warnung für Christen überall: „Und lasst uns deshalb genau Acht geben, dass wir uns an die reine Religion halten“.9 Das fängt mit einer festen Hingabe an die Heilige Schrift an. In einer Predigt über Hiob erzählt Calvin: „Teuflischer Neugier reicht es nicht, einfach durch die Heilige Schrift gelehrt zu werden! Seht, worauf die Religion der Türken gegründet ist! Muhammad gab sich als derjenige aus, der die vollständige Offenbarung brachte – über und neben dem Evangelium“.10

Die Reformatoren verstanden das Vordringen des Islams in einst christliche Gebiete als Gottes Gericht über den verfallenen geistlichen Zustand von vormals christlichen Völkern. Dementsprechend riefen sie Christen dazu auf, Gottes Aufruf zur Buße zu hören, wann immer sie Nachricht über Bedrohungen und Erfolge des Islams hörten, und besonders Gottes Aufruf, an der Schrift und an der Schrift allein festzuhalten. Nur aus solcher Buße und Treue zur Schrift können die Kirchen Gottes Segen auf ihren Missionsbestrebungen unter den muslimischen Völkern erhoffen. Es ist schwer, die Parallelen mit der heutigen Zeit zu übersehen – fünfhundert Jahre später – während wir den Vorstoß des Islams beobachten, der genau im Westen Erfolg hat, wo die Überzeugungen der Reformation und die allgemeine christliche Tradition durch den säkularen Humanismus verfälscht oder um seinetwillen verworfen wurden.

Den Islam heute beschreiben

Die Perspektive der Reformatoren blieb nicht auf sie beschränkt. Der katholische Gelehrte Hilaire Beloc, der im 20. Jahrhundert schrieb, betonte die gleiche grundsätzliche Haltung: „Der Mohammedanismus [Islam] war eine Häresie: Das ist der wesentliche Punkt, den es zu versehen gilt, bevor ich fortschreiten kann. Er fing als eine Häresie an, nicht als eine neue Religion. … Er war eine Verdrehung der christlichen Lehre. Seine Vitalität und sein Durchhaltevermögen gab ihm bald den Anschein einer neuen Religion, aber die Zeitgenossen seines Aufkommens sahen ihn für das, was er war – nicht eine Leugnung, sondern eine Adaption und Zweckentfremdung einer christlichen Sache“. Und der renommierte C.S. Lewis sprach in Gott auf der Anklagebank auf gleiche Weise prägnant über den Islam: „Der Islam ist nur die größte aller christlichen Häresien“.

In politischen Diskussionen heutzutage werden die Führungspersonen oft dazu aufgerufen „den Gegner zu identifizieren und beim Namen zu nennen“, was bedeutet, islamischen Terrorismus das zu nennen, was er ist. Aber als Christen müssen wir auch den Islam richtig identifizieren und benennen. Ihn „eine der großen monotheistischen Weltreligionen“ zu nennen, verbirgt die Tatsache, dass der Islam, genetisch gesprochen, sich das Vorrecht herausnahm, unter christlichen Glaubensartikeln zu wählen und herauszupicken, um seine eigenen Glaubensartikel zu begründen – genauso wie andere große Häresien, mit denen die Kirche im Laufe ihrer Geschichte gerungen hat.

Paulus ermahnte Timotheus, dass er „gewissen Leuten gebietet, keine fremden Lehren zu verbreiten. … Das Endziel des Gebotes aber ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben. Davon sind einige abgeirrt und haben sich unnützem Geschwätz zugewandt; sie wollen Lehrer des Gesetzes sein und verstehen doch nicht, was sie verkünden und als gewiss hinstellen“ (1Tim 1,3–7). Eine bessere Beschreibung von Muhammad lässt sich kaum finden.

Den Islam als eine Häresie zu identifizieren befähigt uns, ihn Punkt für Punkt dem Christentum gegenüberzustellen, die spezifischen Abweichungen des Islams herauszuarbeiten und unsere charakteristischen Lehren (die Dreieinigkeit, die Menschwerdung, die Genügsamkeit der Schrift, Errettung durch Gnade allein durch Glauben allein) mit neuer Hingabe zu beanspruchen.

Den Islam als eine Häresie zu identifizieren hilft uns auch, Zuversicht zu haben, dass die beste Verteidigung gegen den Islam die gleiche ist, wie gegen jede Häresie – nämlich unsere Hingabe an das unverstellte und unverfälschte Christentum, egal wie unpopulär es in unserer Zeit und in unserem Land sein mag. Denn genauso wie der Islam im siebten Jahrhundert in einem Gebiet des degenerierten Christentums aufkam, so breitet er sich heute in den Teilen der Welt aus, wo die Menschen sich von einem unverfälschten, umfassenden christlichen Glauben abgewendet haben.

In dieser Manier hat der früher arabische Moslem Iskandar Jadeed, der später ein christlicher Pastor wurde, einmal gesagt: „Wenn alle Christen wirklich Christen wären, gäbe es heute keinen Islam mehr“.

Oder, wie Calvin es vierhundert Jahre früher ausdrückte: „Lasst uns deshalb genau Acht geben, dass wir uns an die reine Religion halten“.

Fußnoten

1 Stuart Bonnington, „Calvin and Islam“, The Reformed Theological Review, Band 68, Ausgabe 2 (August 2009), S. 77.

2 Emidio Campi, „Early Reformed Attitudes towards Islam“, Theological Review 31 (2010), S. 134.

3 Ebd., S. 144.

4 Bullinger, Reply to Seven Charges (1574), Reply 34r-v, zitiert in W.P. Stephenes, Understanding Islam – in the light of Bullinger and Wesley, EQ 81.1 (2009), S. 24.

5 Calvin, Sermon on Deuteronomy, zitiert in Campi, S. 146.

6 Campi, Early Reformed Attitudes towards Islam, S. 146.

7 Ebd., S. 145.

8 Ebd.

9 Ebd., S. 146–47.

10 Ebd.