Lehrer der Gnade
Das Leben und Werk von Augustinus
In der Kombination von Lehre und Frömmigkeit hat Augustinus (354–430) wenige in der Geschichte des Christentums, die ihm ebenbürtig sind. Seine Schriften berühren jedes Diskussionsgebiet der christlichen Philosophie, systematischen Theologie, Geschichtsphilosophie, Polemik, Rhetorik und Andacht. Obwohl manche seiner Ansichten Lehren wie das Fürbittengebet und Opfer für die Toten, das Fegefeuer und transformatorische Rechtfertigung unterstützten, werden die mächtigen Lehren des Augustinus über die Gnade sowie die Fleischwerdung Christi und sein Opfer genau und intensiv in den Bekenntnissen der reformierten Theologie entwickelt. Nach dem Fall Roms setzte ein tausendjähriges Projekt, die westliche Zivilisation auf christlichen statt auf heidnischen Vorstellungen neu aufzubauen, auf augustinischen Konzepten an. Die Reformation des 16. Jahrhunderts entdeckte neu und baute auf den vernachlässigten Elementen von Augustinus Lehre über Sünde und Errettung auf.
Augustinus wurde im Jahr 354 in Tagaste in der römischen Provinz Numidien in Nordafrika geboren. Spätere Reflektionen über Kindheit und den Sündenfall führten Augustinus dazu, anzumerken: „So ist nur die Schwäche der kindlichen Gliedmaßen unschuldig, nicht die Kindesseele“ (Bekenntnisse, 1.7. Im späteren Artikel werden die Bekenntnisse nur noch mit Buch und Kapitelnummer gekennzeichnet).
Sein Vater Patricius war ein Heide. Augustinus erinnert sich an ihn als einen ungehobelten, lüsternen und jähzornigen Mann, der seinem Ehebett untreu war. Er arbeitete hart, aber es war schwer für ihn als Afrikaner, im römischen Wirtschafts- und Politiksystem aufzusteigen. Augustinus empfand scheinbar wenig für ihn, obwohl sein Vater Opfer brachte, um ihm eine Bildung zu ermöglichen. Patricius starb, bevor Augustinus siebzehn Jahre alt war.
Sein Mutter Monika war eine eifrige Christin. Sie war Augustinus und seinem Wohl gegenüber außergewöhnlich anhänglich, und strebte nach der Erlösung ihres Sohnes mit unnachgiebiger Energie und andauerndem Gebet. Sie sprang buchstäblich vor Freude in die Luft, als sie von seiner Bekehrung hörte und seiner Unterordnung unter das rechtgläubige Christentum. Bald darauf, nachdem sie Gewissheit hatte, dass seine Gaben und Leidenschaft ungezügelt für die Herrlichkeit Gottes brannten, wusste sie, dass sie nicht länger leben würde. Sie starb im 56. Lebensjahr, als Augustinus 33 war.
Beide Elternteile legten nach Augustinus Meinung übermäßigen Wert auf den Erfolg seiner Studien. Sein Vater hatte keine geistliche Motivation, sondern nur eine eitle Ambition für das Fortkommen seines Sohnes. Seine Mutter glaubte, dass sein Studium seine Bekehrung nicht verhindern, sondern sogar helfen würde. Sie hatte Recht.
Nach grundlegenden Studien in Tagaste studierte er von 365–369 klassische Literatur in Madaura. Es begann eine lebenslange Liebe für Sprache, die nach einem angemessenen Ausdruck für die Wahrheit strebte. Seine frühen Studien zeigten, auf welch perverse Weise Männer so etwas großartiges und intrinsisch Gutes wie Sprache gebrauchen können. Worte und Eloquenz, die so notwendig für Überzeugung und Auslegung sind, wurden missbraucht, um Irrtum und Boshaftigkeit darzustellen und einzuimpfen. Später bemerkte Augustinus in seinen Bekenntnissen, mit welch großer Sorgfalt Menschen die Regeln von Buchstaben und Silben beachten, während sie die ewigen Regeln der Erlösung vernachlässigen.
Mit der Hilfe eines wohlhabenden Gönners namens Romanianus ging Augustinus 370 für ein fortgeschrittenes Studium der Rhetorik nach Karthago. Hier begann er eine wilde Ehe mit einer Frau, die für 13 Jahre andauerte. Ein Kind namens Adeodatus („von Gott gegeben“) entsprang dieser Verbindung. Als er über die Begierde nachdachte, die ihn zu dieser Verbindung antrieb, erinnerte sich Augustinus: „Böse Dünste entstiegen dem Schlamme meiner Fleischeslust und dem Sprudel meiner Jugend und umwölkten und umnachteten mein Herz, dass es nicht mehr scheiden konnte die heitere Klarheit der Liebe von dem Düster der Sinnenlust“ (2.2).
Für neun Jahre suchte er die Wahrheit in der Sekte des Manichäismus, fasziniert von ihrem Materialismus und Dualismus. Sie beantworteten das Problem des Bösen, indem sie Gedanken von Christus, Buddha und Zarathustra (einem persischen Weisen) kombinierten. Augustinus begrüßte, was als ein hochentwickelter und wissenschaftlicher Ansatz für die Existenz des Bösen erschien, während er vordergründig die Ausbildung seiner Kindheit über die Lehre Christi bezüglich des Reiches Gottes befürwortete. Irgendwann entdeckte er, dass sein verführerisches synkretistisches System nichts gemein hat mit seiner persönlichen Suche nach Einheit zwischen Wort und Substanz. Stattdessen waren die Manichäer „Menschen voll wahnsinniger Überhebung, voll Fleischeslust und Geschwätzigkeit“. Ihre Rede fing Seelen wie „Vogelleim, bereitet aus einer Mischung toter Buchstaben deines Namens und des Herrn Jesu Christi und unseres Trösters, des Heiligen Geistes. Diese Namen wichen nicht von ihren Lippen; aber es war nur leerer Schall und Wortgeklingel“ (3.6).
Seine Reflektionen über den manichäischen Dualismus führten zu einem seiner tiefgehendsten theologischen Punkte in Bezug auf das Böse. In seinen Selbstgesprächen, die er kurz nach seiner Bekehrung verfasste, redete er Gott als jemanden an, der „den wenigen, die Zuflucht nehmen zu dem, was wahrhaftig ist, zeigt, dass das Böse nichts ist.“ Weil Gott alles geschaffen hat, hat das Böse keine unabhängige Existenz von den guten Dingen. Das Böse ist ein Mangel an Gutem. Wenn alles Gute weg ist, existiert nichts. Das Böse ist nur eine Abwesenheit des Guten. Es ist keine unabhängige Substanz, die eindringt und verunreinigt, sondern sie muss von Gottes Gutem leihen und seine Herrlichkeit schmälern. Die Substanzen, in denen das Böse wohnt, sind selbst gut. Das Böse wird nicht durch das Auslöschen einer gegenteiligen Natur entfernt, wie es sich die Manichäer vorstellten, sondern durch die Reinigung des Dings selbst, welches auf diese Weise verdorben war. Wahrheit und Irrtum wohnen nach Augustinus in der gleichen Spannung, denn nichts ist falsch außer durch eine Imitation des Richtigen.
Nachdem er seine Studien abgeschlossen hatte, lehrte er Rhetorik in Karthago. Er empfand die pädagogische Atmosphäre als unausstehlich. Eine Gruppe von Studenten, die als „Aufrührer“ bekannt waren, störten jegliche Ordnung, führten sich wie Verrückte auf und begangen ungeheuerliche und dumme Handlungen. Hätten sie nicht unter dem Schutz des „Brauchs“ gestanden, wären sie vom Gesetz bestraft worden.
Um dieser zerstörerischen Atmosphäre zu entkommen, ging er 383 nach Rom. Innerhalb dieses Jahres erfuhr er von einer Lehrstelle für Rhetorik in Mailand. Die Konditionen waren attraktiv; er bewarb sich und ging im Jahr 384 dort hin. Hier begegnete er Ambrosius, dem großen Prediger der Kirche in Mailand. Er empfand die Rhetorik des Ambrosius als nicht so brillant wie die des manichäischen Meisters Faustus, aber er erfuhr bald, dass die wahre Kraft seiner Rede in der Korrespondenz seiner Sprache mit der wahren und substantiellen Wirklichkeit bestand. Er wurde davon überzeugt, dass sich das Christentum gegenüber den Manichäern verteidigen ließ und schrieb sich erneut als Katechumene in der Kirche ein. Durch den Neoplatonismus wurde sein Sinn weiter vom Dualismus der Manichäer gereinigt, nachdem er für kurze Zeit mit dem Skeptizismus geflirtet hatte. Sein neues Studium der Schrift füllte die Leerstellen seiner intellektuellen Entwicklung aus. Die christliche Lehre von der Schöpfung ex nihilo, Vorsehung und Erlösung durch den dreieinigen Gott befriedigten mehr als ausgiebig die Sehnsucht seines Verstandes und Herzens.
Er wusste nun, dass der Mensch, im Bilde Gottes geschaffen, keinen Ruhepunkt für seine Seele finden konnte, als in Lob, Liebe und Erkenntnis Gottes. Gott allein ist derjenige, der „geliebt wird, wissentlich oder unwissentlich, von allem, das fähig ist zu lieben.“ Er entdeckte, dass Gott „schafft, dass [wir] mit Freuden [ihn] preisen, denn zu [s]einem Eigentum erschuf [er] uns, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in [ihm]“ (1.1).
Im Alter von 31 Jahren bekehrte er sich, nachdem er Römer 13,13–14 las. Er hörte, wie Kinder in einem Garten riefen: „Nimm und lies.“ Als er eine Bibel aufnahm, die in der Nähe lag, fielen seine Augen auf die Worte des Textes, wodurch der Zyklus von Unzufriedenheit, Überführung und Suche zu einem Ende kam, der ihn für mehr als 15 Jahre gequält hatte. Er wurde von Ambrosius am 25. April 387 getauft.
Augustinus wollte in der Abgeschiedenheit leben, nichts besitzen, nachdem er sein früheres Streben nach Vergnügen, Schönheit und Ehre zurückgelassen hatte, um sich der Kontemplation Gottes durch die Schrift hinzugeben. Er vermied es gezielt, als Bischof für irgendeine Kirche in Frage zu kommen. Er ging 391 nach Hippo, um dort ein Kloster zu gründen, weil die Stadt schon einen Bischof namens Valerius hatte. Valerius ordinierte Augustinus jedoch als Priester und schließlich im Jahr 395 als Bischof.
Er verbrachte den Rest seines Lebens damit, den Menschen seines Kirchenspiels als Pastor zu dienen und der ganzen christlichen Welt als profunder Lehrer christlicher Wahrheit und reiner Anbetung. Seine Bekenntnisse, eine geistliche Autobiografie, begründeten die theologische Agenda, der er seine massiven Fähigkeiten philosophischer und theologischer Reflektion widmete. Seine Ansichten über Christus, die Dreieinigkeit, menschliche Sünde, das Wesen des Bösen, das freie Handeln und zugleich die angeborene Verdorbenheit des gefallenen Willens, die Kraft und Notwendigkeit göttlicher Gnade, das Wesen der Sakramente und die Richtung der menschlichen Geschichte unter der göttlichen Vorsehung in einer gefallenen Welt – all diese Themen haben ihren Ausgangspunkt in den Bekenntnissen.
Seine Aussage: „Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst“ (10.29) erzürnte Pelagius. Augustinus` resultierende lebenslange Verteidigung der Notwendigkeit der Gnade führte zu manchen seiner profundesten und kontroversesten theologischen Positionen. Dieser Aspekt von Augustinus` Denken inspirierte das vorbildliche Leben und die kraftvolle Theologie in Anselm, Luther, Calvin, Jonathan Edwards und vielen anderen. Er artikulierte seine Ansichten über die Person Christi so deutlich und verständlich, dass er die Formel der rechtgläubigen christologischen Ansichten von Chalcedon vorwegnahm. Seine beachtenswerte Theodizee, die im Gottesstatt entfaltet ist, revolutionierte nicht nur die westliche Sicht auf die Geschichte, sondern erschuf auch eine Dynamik für die Diskussion der Beziehung zwischen Kirche und Staat, die immer noch Frucht trägt und Kontroversen anregt. Während seiner Verteidigung der Verfolgung der Donatisten viel böse Frucht trug, haben seine gewaltigen Ansichten über die Einheit der Kirche den vielen evangelikalen Bemühungen Substanz verliehen, die verschiedene Formen der Einheit durch lehrmäßige Diskussion und Bekräftigung zu erzielen suchen.
Der Mönch Gottschalk erklärte vor 1200 Jahren, was heute immer noch wahr ist: Augustinus ist, nach den Aposteln, der Lehrer der gesamten Kirche.