Erwarte kein spektakuläres christliches Leben

Artikel von Rusty McKie
26. November 2017 — 6 Min Lesedauer

Wie steht es um deine geistlichen Übungen?

Nimm dir einen Moment Zeit für die Antwort.

Bei den hunderten Malen, in denen ich diese Frage gestellt habe, bekomme ich in 99 Prozent der Fälle etwa die folgende Antwort: Ich sollte mehr tun.

Die Gründe sind unterschiedlich: Ich bin nicht diszipliniert genug. Ich weiß nicht wie. Ich habe nicht genug Zeit. Mir wird langweilig. Sie funktionieren nicht.

Wir scheinen zu denken, dass unsere Probleme mit den geistlichen Übungen etwas mit einem Mangel an Disziplin zu tun haben – und doch praktizieren wir jeden Tag geistliche Übungen. Selbst wenn du nur selten deine Bibel zur Hand nimmst, disziplinierst du dich doch ständig in gewissen Aktivitäten, von denen du dir versprichst, dass sie die Tür zu geistlicher Vitalität und Freude öffnen.

Sportergebnisse, Netflix, Ratgeber-Blogs, die Sucht nach sozialen Medien und hundert andere tägliche Gewohnheiten können zu Versuchen werden, das gute Leben zu finden, nach dem sich deine Seele sehnt.

Die Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen

Ich vermute, ein Grund, warum wir uns mit öffentlichen und privaten geistlichen Übungen rund um das Wort Gottes und das Gebet schwer tun, ist, dass wir von ihnen erwarten, dass sie außergewöhnlich sein sollten. Aber die Pflicht, die für Disziplin notwendig ist, scheint unserer Sehnsucht nach Vergnügen zu widersprechen, und die Gewöhnlichkeit der geistlichen Übungen scheint unserem Verlangen nach dem Außergewöhnlichen zu widersprechen. Vielleicht sind wir zu dem Schluss gekommen, dass unsere Beziehung mit Jesus immer tiefgehend und niemals durchschnittlich sein sollte.

„Die Gewöhnlichkeit der geistlichen Übungen scheint unserem Verlangen nach dem Außergewöhnlichen zu widersprechen.“
 

Meine Frau ist eine ausgezeichnete Köchin. Sie folgt Rezepten wie ein Freestyle-Rapper und zaubert fast immer leckere Gerichte. Aber manchmal misslingt ihr ein Essen. Was wäre, wenn ich sagen würde: „Weißt du, das war einfach nicht so gut, wie ich wollte. Ich glaube, ich werde einen Monat lang auf Essen verzichten.“

Wir wissen alle, dass diese Reaktion lächerlich wäre. Durchschnittliche Mahlzeiten halten uns nicht vom Essen ab. Durchschnittliche Mahlzeiten vergrößern unsere Wertschätzung für überdurchschnittliche Mahlzeiten.

Aber tun wir nicht das Gleiche mit geistlichen Übungen? Sie sind Festmahle, die der Herr für uns vorbereitet. Wir trinken Beziehung in einer Kleingruppe oder kauen auf der Heiligen Schrift, die wir lesen. Die Mahlzeit ist nicht weltbewegend, aber solide. Aber wir gehen weg und denken, dass es nicht spektakulär genug war, und entscheiden uns dann törichterweise, ganz auf das Essen zu verzichten.

Kein Wunder, dass so viele Christen geistlich ausgehungert sind. Wir weigern uns zu essen.

Die einfachen Mittel der Gnade

Die alttestamentliche Geschichte von Naeman (2Kön 5,1–14) verdeutlicht diesen Punkt gut. Als Heerführer der Armee des syrischen Königs war Naeman in einer hohen Stellung. Er war auch aussätzig.

Einer seiner hebräischen Sklaven prahlte mit den Heilungskräften des Propheten Elisa. Also machte Naeman die lange Reise zu Elisas Haus und stand draußen. Aber Elisa ging nicht hinaus, um ihn zu grüßen; er sandte einfach einen Knecht, um Naeman auszurichten, dass er sich sieben Mal im Jordan waschen solle.

Naeman fühlte sich beleidigt, wurde wütend und antwortete:

„Siehe, ich dachte, er wird sicher zu mir herauskommen und hinzutreten und den Namen des HERRN, seines Gottes, anrufen und mit seiner Hand über die Stelle fahren und so den Aussätzigen befreien! Sind nicht die Flüsse Abana und Parpar in Damaskus besser als alle Wasser in Israel? Kann ich mich nicht darin waschen und rein werden? Und er wandte sich ab und ging zornig davon.“ (2Kön 5,11–12)

Naemans Wut hatte zwei Gründe. Erstens erwartete er eine außergewöhnliche Begegnung. Zweitens schaute er herab auf die einfache Handlung des Waschens im Fluss.

Wir können wie Naeman sein, wenn es um geistliche Übungen geht, nicht wahr? Wir denken, wir wären etwas Besonderes, obwohl wir Aussätzige in Not sind. Wir erwarten, dass Jesus sich auftaucht, mit der Hand winkt und etwas Außergewöhnliches tut. Wir wollen Heilung, aber zu unseren eigenen Bedingungen.

Aber Jesus sagt, dass er uns heilen wird, wenn wir nur zu ihm kommen (Mt 11,28–30). Er sagt, dass wir uns im Fluss der heiligenden Gnade waschen sollen. Gleichwie Naeman neigen wir dazu, auf die Mittel der Gnade als zu gewöhnlich herabzuschauen – zumindest kann ich so denken, wenn ich nicht vorsichtig bin.

Die Geschichte von Naeman ging gut aus – er legte seinen Stolz ab, legte Glauben an und wusch sich sieben Mal im Jordan. Und diese gewöhnliche Handlung führte zu einer außergewöhnlichen Heilung.

Tägliches Brot

Das Bibellesen, das Gebet für die Welt, das Teilen des Glaubens und die Vorrangstellung der Ortsgemeinde scheinen gewöhnlich zu sein, aber vielleicht ist genau das der Punkt. Diese geistlichen Aktivitäten erinnern uns daran, dass wir täglich Brot von Jesus brauchen und dass es Glauben braucht, um immer wieder zur Quelle der Gnade zurückzukehren.

Sind wir nicht durch den Glauben dazu aufgerufen, das christliche Leben zu führen?

„Ich bin mit Christus gekreuzigt; und nun lebe ich, aber nicht mehr ich selbst, sondern Christus lebt in mir. Was ich aber jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“ (Gal 2,20)

„Es sind die Jahrzehnte des Gehorsams in gewöhnlichen geistlichen Übungen, die uns zu dem außergewöhnlichen Leben führen, das Jesus uns verheißen hat.“
 

Wenn du also das nächste Mal versucht bist, gelangweilt zu sein von den Menschen in der Gemeinde oder von deiner Bibellese, frage dich: Was ist, wenn sich dies aus einem bestimmten Grund banal anfühlt? Zeigt es, wie schnell ich mich nach billigem Nervenkitzel sehne, statt nach dem Liebhaber meiner Seele? Löse ich mich von der besten Nachricht der Welt? Glaube ich, dass sie in mir Vertrauen auf Gott und sein Wort schafft? Glaube ich, dass sie einen Garten Eden in der Wildnis meines Herzens kultiviert (Jes 55,10–13)?

Es sind nicht die gelegentlichen, atemberaubenden Momente einer besonderen Verbindung zu Jesus, die zu nachhaltiger Freude im Glauben führen – obwohl wir Gott für sie dankbar sein sollten. Es sind die Jahrzehnte des Gehorsams in gewöhnlichen geistlichen Übungen, die uns zu dem außergewöhnlichen Leben führen, das Jesus uns verheißen hat (Joh 10,10; 15,11).

Wirst du ihm genug vertrauen, um deine Übungen an ihm auszurichten? Wirst du vertrauen, dass gewöhnliche, beständige Zeit mit ihm das Beste für deine Seele ist?