Den Staffelstab übergeben

Artikel von John MacArthur
14. November 2017 — 5 Min Lesedauer

Ich habe eine lebenswichtige geistliche Lektion gelernt, als ich am College bei einer Leichtathletikmeisterschaft teilnahm. Ich rannte einen 4x400 Meter Staffellauf. Als Baseballspieler, der ab und zu Leichtathletik trainierte, war ich nicht der schnellste Läufer in unserem Team. Also rannte ich die zweite Runde.

Unsere Strategie war einfach. Der erste Läufer, ein schneller Sprinter, würde so viel Vorsprung wie möglich gleich vom Start weg herauslaufen. Meine Aufgabe würde es sein, einfach die Runde zu schaffen, ohne den Staffelstab fallen zu lassen. Unser dritter Mann war stark und schnell und unser vierter Mann war pfeilschnell. Sie konnten alles wiedergutmachen, was ich vielleicht verlieren würde.

Einige renommierte Teams nahmen an der Meisterschaft teil und unser Team schaffte es ins Finale. Wir waren überzeugt, dass wir eine gute Chance hatten, zu gewinnen.

Unser erster Mann lief eine großartige Runde und gab den Staffelstab sauber weiter. Ich schaffte meine Runde und hielt knapp den ersten Platz. Der dritte Mann lief um die Kurve und die Hälfte des Weges auf der anderen Seite, hielt an, lief vom Feld und setzte sich ins Gras. Das Rennen ging weiter.

Wir dachten, dass er eine Oberschenkelverletzung oder sich den Knöchel verdreht hatte. Wir rannten über das Feld und erwarteten, dass er sich auf dem Gras krümmte und vor Schmerzen winselte. Das tat er aber nicht. Er saß passiv da. Wir fragten besorgt: „Was ist passiert? Bist du verletzt?“ Er sagte: „Nein, mir geht’s gut. Ich hatte nur keine Lust mehr, zu rennen.“

Ich gebe zu, dass meine Gedanken in diesem Moment fleischlich waren. Meine Teammitglieder und ich reagierten spontan voller Frust und sagten alle so ziemlich das gleiche: „Das kannst du nicht machen! Du bist hier nicht alleine! Begreifst du, welche Anstrengungen wir alle aufgebracht haben, um hierfür zu trainieren? Es wurde zu viel in dich investiert!“

Ich habe oft an diesen Moment in Bezug auf unsere Pflicht als Gläubige zurückgedacht. Wir sind aufgerufen, die Wahrheit, die uns von unseren Vorfahren im christlichen Glauben anvertraut wurde, zu nehmen und damit zu laufen – nicht ziellos (1Kor 9,26), sondern immer auf das Ziel zujagend (Phil 3,14) – damit wir den Glauben intakt und unverfälscht an die nächste Generation weitergeben können.

Der Apostel Paulus gab diesen Auftrag an Timotheus in seinem letzten Brief: „Und was du von mir gehört hast vor vielen Zeugen, das vertraue treuen Menschen an, die fähig sein werden, auch andere zu lehren“ (2Tim 2,2). Paul stand kurz vor dem Märtyrertod (Kap. 4,6) und war natürlich besorgt über die Frage, wer seine missionarische Arbeit fortsetzen und die Gemeinde nach seinem Tod weiterführen würde. Er umriss daher für Timotheus ein einfaches Muster der Nachfolge und Stabilität.

Das Gebot selbst blickt über Timotheus hinaus auf die jungen Männer, die er trainieren würde. Es zeigt eine permanente Strategie auf, um Generation für Generation Gemeindeleiter heranzuzüchten. Der Staffelstab, der von Paulus an Timotheus weitergegen wurde, würde schließlich an treue Männer weitergegeben werden, die ihn wiederum an eine vierte Generation weitergeben würden – und so weiter.

Obwohl es Paulus hier hauptsächlich um die Herausbildung von Leitern geht, hat das Prinzip, das er Timotheus mitgibt, eine klare Bedeutung für jeden Christen zu jeder Zeit. Wir sind alle Glieder einer lebendigen Kette. Jeder von uns wurde von jemandem gelehrt, der die Wahrheit von jemand anderem gelernt hatte. Wenn du die Kette zurückverfolgst, Glied für Glied, dann geht sie bis zu den ursprünglichen Aposteln zurück – und über sie hinaus bis auf Christus selbst.

Um treue Haushalter dessen zu sein, was wir empfangen haben, muss jeder von uns das an andere weitergeben, was uns gelehrt wurde. Mit anderen Worten, jeder Christ sollte ein Lehrer sein. Egal, wer du bist, du kannst jemanden finden, der weniger weiß als du und ihn lehren. Diese Verantwortung ist Bestandteil des großen Auftrags unseres Herrn: „Macht zu Jüngern“ (Mt 28,19).

Der Verfasser des Hebräerbriefs weist die Gläubigen zurecht, die in dieser Pflicht nachlässig waren: „Denn obgleich ihr der Zeit nach Lehrer sein solltet, habt ihr es wieder nötig, dass man euch lehrt, was die Anfangsgründe der Aussprüche Gottes sind“ (Hebr 5,12). Weil sie darin versagt hatten, Lehrer zu werden, mussten sie wieder von vorne anfangen mit lernen. Kein Wunder. Was du anderen beibringst, behältst du selber besser, und was du niemandem weitergibst, vergisst du schnell. Das weiterzugeben, was du gelernt hast, hilft nicht nur der Person, die Jüngerschaft erfährt; es stärkt auch den Lehrer.

Der Auftrag von Paulus an Timotheus hat einen klaren Fokus. Er sagt Timotheus nicht, dass er innovativ sein soll. Er ermutigt ihn nicht, seinen Stil dem Zeitgeist und der Mode der säkularen Kultur anzupassen. Er setzt keine Worte wie frisch, ursprünglich oder einfallsreich ein, der verbale Kleber, der so viele Gemeindewachstumsstrategien des 21. Jahrhunderts zusammenhält.

Vielmehr gibt Paulus Timotheus im Prinzip den entgegengesetzten Auftrag. Es ist eine klare, eng-definierte Anweisung. Timotheus soll das anvertraute Gut der Wahrheit, das er empfangen hat, bewahren (1Tim 6,20; 2Tim 1,14) und unmodifiziert und unverfälscht an die nächste Generation weitergeben. Ein effektiver Jüngermacher zu sein heißt nicht, schick oder kreativ zu sein. Es heißt, „den Glauben, der den Heiligen ein für allemal überliefert worden ist“ (Jud 3) treu zu bewahren und exakt an eine andere Generation weiterzugeben.

Es klingt paradox, aber jeder Christ hat eine persönliche Verantwortung, den Glauben zu bewahren und an andere weiterzugeben. Das obliegt jenen, die den Preis erlangen wollen (1Kor 9,24; 2Tim 4,7).

Jeder, der diese jahrhundertealte Kette durchbricht, ist wie ein Staffelläufer, der das Rennen vor dem Ende aufgibt. Und was bei diesem Rennen auf dem Spiel steht, ist unendlich wichtiger als jede irdische Trophäe. Nicht gut und ohne Ausdauer zu laufen wäre eine unentschuldbare Beleidigung unseres Herrn, eine Beleidigung derer, die uns gelehrt haben, eine Enttäuschung derer, die mit uns trainiert haben und eine schwere Sünde gegen die, denen wir den Staffelstab weitergeben müssen.