Ist es falsch, Glaubensansichten anderer ändern zu wollen?

Artikel von Rebecca McLaughlin
19. Oktober 2017 — 5 Min Lesedauer

Vor drei Jahren traf ich einen iranischen Wissenschaftler, der unglaublich intelligent war und eine beeindruckende Geschichte zu erzählen hatte: Er hatte Jesus durch die Enttäuschung über die islamische Revolution und über die Musik Johann Sebastian Bachs kennen gelernt.

Im Iran wurde mein Freund Zeuge der ganzen Kraft des religiösen Zwangs und hasste sie. Zum Teil ist er als Reaktion auf diesen Zwang zu einem neuen Glauben konvertiert. Er wusste, dass religiöser Zwang verkehrt ist, doch nun rang er als Christ mit dieser Frage: Ist es verkehrt, zu versuchen, jemanden davon zu überzeugen, seine Ansichten zu ändern?

Mein befreundeter Wissenschaftler ist Experte für Brustkrebsdiagnostik, also bat ich ihn, sich folgende Situation vorzustellen: Er sitzt einer Frau mittleren Alters aus einem niedrigen Bildungsniveau gegenüber. Sie glaubt, dass sie kein Brustkrebsrisiko hat und keine Mammographie braucht. Wie sollte er darauf reagieren?

Wir glauben an Religionsfreiheit. Wir glauben an kulturelle Vielfalt. Wir wissen, dass Überzeugungsarbeit zwingend oder manipulierend sein kann und dass religiöse Überzeugungen zutiefst persönlich sind. All diese Dinge machen uns ängstlich, wenn es darum geht, unsere Überzeugungen anderen mitzuteilen.

Während diese Angst uns vorsichtig machen sollte, gibt es mindestens sieben Gründe, warum der Versuch, die Meinung eines Freundes zu ändern, nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar ein wesentlicher Grundsatz des Zusammenlebens in einer pluralistischen Gesellschaft ist.

1. Freiheit

„Die Ansichten unserer Freunde infrage zu stellen zeigt, dass wir ihren Glauben ernst nehmen.“
 

Das Recht zu versuchen, andere zu überzeugen – ohne Zwang oder Manipulation – ist keine Verletzung der Religionsfreiheit, sondern ein Grundbaustein einer toleranten Gesellschaft (vgl. Elshtain). Wir können nicht die Religionsfreiheit verteidigen, ohne dabei die Freiheit von Gläubigen zu verteidigen, ihre Überzeugungen mit anderen teilen zu dürfen. Zu sagen, dass Christen zwar die Freiheit haben, ihre Religion auszuleben, aber nicht andere dazu einzuladen, ist als ob man Juden sage, sie haben die Freiheit ihre Religion auszuleben, aber dürften ihre Gebete nicht auf Hebräisch rezitieren. Das Recht von atheistischen Intellektuellen für ihren Atheismus zu argumentieren, ihn zu verteidigen, während sie Muslimen, Juden und Christen das Recht verwehren, ihren Theismus zu vertreten, ist gleichermaßen inkohärent.

2. Respekt

Andere als denkende Wesen zu respektieren, statt sie lediglich als Produkt ihres kulturellen Umfelds zu sehen, bedeutet anzuerkennen, dass sie sich aussuchen, was sie glauben. Menschen können ihre Meinung im Licht neuer Hinweise ändern. Die Ansichten unserer Freunde infrage zu stellen zeigt, dass wir ihren Glauben ernst nehmen. Wir bemerken die Unterschiede zwischen unseren Überzeugungen und respektieren sie genug, um zu glauben, dass sie gute Gründe für ihre Sichtweisen haben könnten. Wir dürfen sie überzeugen; sie dürfen uns überzeugen. Respekt fördert den Meinungsaustausch.

3. Ehrlichkeit

„Es ist intellektuell unehrlich und letztlich respektlos zu behaupten, alle Religionen seien gleichermaßen wahr.“
 

Wenn ich an den Hinduismus glaube, zweifle ich das Christentum an. Wenn ich an den Islam glaube, zweifle ich den Buddhismus an. Wir dürfen Überschneidungsflächen der unterschiedlichen Religionstradition erkennen und sie sogar würdigen, aber es ist intellektuell unehrlich und letztlich respektlos zu behaupten, alle Religionen seien gleichermaßen wahr. Tatsächlich ist religiöser Relativismus, der die Unterschiede zwischen Religionen glattbügelt und religiöse Wahrheit in den subjektiven Bereich verbannt, an sich schon ein exklusiver Wahrheitsanspruch. Wenn Relativismus wahr ist, dann sind das Christentum, der Islam, das Judentum und die meisten anderen Glaubenssysteme falsch.

4. Tiefgang

Wenn wir religiösen Überzeugungen den Zutritt zu echten und gründlichen Diskussionen verbieten, opfern wir Tiefgang in unseren Beziehungen. Natürlich können Überzeugungsversuche dazu führen, dass sich andere angegriffen fühlen. Doch das muss nicht der Fall sein. Die Person, die sich wirklich darum bemüht, seine Freunde zu überzeugen, muss zunächst auf eine ausführliche Darstellung ihrer Glaubensüberzeugungen hören und verstehen, warum sie die Welt aus dieser Perspektive sehen. Das ist ein intimer Moment, der die Art von persönlich fesselnder und intellektuell anregender Gespräche entzündet, nach der wir uns alle sehnen.

5. Wachstum

Oft wird gesagt, dass du etwas nicht völlig verstanden hast, bis du es jemand anderem erklären kannst. Wir werden unsere eigenen Glaubensüberzeugungen nicht wirklich verstehen – und werden ganz sicher nicht unsere blinden Flecken und Widersprüche bemerken –, wenn wir unseren Glauben für uns selbst behalten. Insbesondere in Universitäten, in denen Studierende sich durch einen Markt von Ideen schlagen müssen, ist es dem persönlichen und intellektuellen Wachstum entgegengesetzt, religiöse Glaubensüberzeugungen in Diskussionen zu verbieten. Wir sollten alle dafür offen sein, unsere Überzeugungen im Licht von neuen Informationen zu korrigieren.

6. Vielfalt

Wir tendieren dazu, anzunehmen, dass die religiöse Einheit die kulturelle Vielfalt begrenzt, doch diese Sicht ist weit entfernt von der Realität der globalen Kirche. Das Christentum ist von seiner Gründung an multikulturell gewesen. Jesus sprengte alle religiösen, rassischen und kulturellen Grenzen und die frühe Kirche drängte Juden, sich mit Heiden zu vermischen, Barbaren mit Skythen, Bürger mit Sklaven. Einer der ersten, die sich zum Christentum bekehrten, war ein hochgebildeter Afrikaner (Apg 8,26–40).

„Überzeugungsarbeit, der ein Zuhören vorausgeht – mit Respekt und ohne Zwang – ist ein tiefes und risikoreiches Opfer der Liebe.“
 

Heutzutage leben die meisten Christen der Welt in Asien, Afrika und Südamerika, während einige der ältesten christlichen Gemeinschaften im Iran und Irak ausgelöscht werden. In den USA ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass sich ein schwarzer Amerikaner als Christ bezeichnet, als ein Weißer. Evangelisation im Namen der Vielfalt zu verbieten, stärkt rassische und kulturelle Minderheiten nicht, sondern bringt sie zum Schweigen.

7. Liebe

Mein iranischer Freund war sehr klar: Er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um die Frau zu einer Mammographie zu überreden. Sie ist brustkrebsgefährdet, und es wäre ein Versagen der Liebe seinerseits, sie in ihrem Irrglauben zu lassen.

Die größten Glaubenssysteme dieser Welt haben unterschiedliche Wahrheitsansprüche. Die Konsequenzen sind real. Wenn wir unsere Freunde lieben, werden wir uns darum bemühen, sie zu überzeugen. Natürlich gibt es Leute, die in einer sehr aggressiven Weise vorgehen, sodass die andere Person sich wie ein Feind und nicht wie ein Freund fühlt. Doch Überzeugungsarbeit, der ein Zuhören vorausgeht – mit Respekt und ohne Zwang – ist ein tiefes und risikoreiches Opfer der Liebe.