Der neue Paulus

Rezension von Micha Heimsoth
16. Oktober 2017 — 3 Min Lesedauer

Der Autor ist Dozent für Apologetik und Neuere Theologiegeschichte am Martin Bucer Seminar. Er betreibt seit 2007 den in der deutschsprachigen reformierten Szene bekannten TheoBlog. Die vorgelegte „Handreichung“ ist eine kompakte Zusammenstellung von  Vorträgen, die Kubsch über die „Neue Paulusperspektive“ (NPP) gehalten hat.

Im ersten Teil geht der Verfasser auf die Vordenker und Vertreter der NPP ein, wobei er dem anglikanischen Neutestamentler Nicholas Thomas Wright besonders viel Aufmerksamkeit widmet. Wright ist auch unter vielen Evangelikalen sehr beliebt. Im zweiten Teil behandelt Kubsch die Anliegen der NPP. Der dritte Teil enthält sowohl Wertschätzung als auch Kritik. Die NPP wendet sich gegen die klassische  Sichtweise  über Paulus, die sie auch als „Alte Paulusperspektive“ (APP) bezeichnet.

Die APP besagt Folgendes: Paulus sah die Frage, „Wie kann ich persönlich angesichts meiner Sünden vor Gott bestehen, damit ich in den Himmel komme?“, als zentral an. Der Apostel legte besonderen Wert darauf, dass wir allein durch den Glauben an das Evangelium (ohne unsere Werke) vor Gott im Gericht freigesprochen werden, also forensisch (juristisch-objektiv) als gerecht erklärt werden. Damit stellt sich Paulus gegen die Werkgerechtigkeit der Juden, denen der Glaube allein nicht ausreichte.

Die NPP behauptet dagegen, dass Paulus über Jahrhunderte hinweg falsch verstanden worden sei. Augustinus und Luther hätten ihre persönlichen Fragen („Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“) fälschlicherweise in Paulus hineingelesen.

Die NPP bestreitet, dass dem Apostel Paulus die Frage überhaupt wichtig war, wie der Einzelne sein Heil erlangen könne. Außerdem sei das Judentum zur Zeit des Paulus gar nicht gesetzlich gewesen. Den Juden sei sehr wohl klar gewesen, dass das Heil durch Gottes Gnade erlangt werde. Die guten Werke hätten sie lediglich als notwendig angesehen, um im Bund zu bleiben, nicht um in ihn hineinzukommen.

Der Autor würdigt unter anderem, dass die NPP dazu anregen könne, die Bibel selbst, aber auch die APP intensiver zu studieren sowie Begriffe und Konzepte klarer zu definieren.

In seiner Kritik weist Kubsch zunächst darauf hin, dass weiterhin viele bedeutende Exegeten an der APP festhalten. Des Weiteren gelte der Vorwurf, dass sich die Reformatoren zu sehr von den Fragestellungen ihrer Zeit leiten ließen, auch umgekehrt in Richtung auf die NPP-Vertreter. Beispielsweise sehe Wright es als wichtig an, „Paulus mit den Kategorien des palästinensischen Judentums zu lesen“. Kubsch sieht das Sola-Scriptura-Prinzip gefährdet, wenn antike jüdische Quellen Deutungshoheit über die Bibel gewinnen. Die Sicht, dass es ein einheitliches Judentum gab, weist Kubsch als einseitig zurück: Friedrich Avemarie habe überzeugend aufgezeigt, dass sich in der frührabbinischen Literatur sowohl Werkgerechtigkeit als auch Bundesnomismus nachweisen lasse. Auch die These, dass es sich bei den „Werken des Gesetzes“ um bloße Grenzmarkierungen zwischen Juden und Heiden handele, kritisiert Kubsch: Es ist dann nicht erklärbar, warum Paulus in Galater 2,16 ausgerechnet auf Psalm 143,2 anspielt, wonach niemand vor Gott dem Herrn gerecht ist. Die Aussage, dass sowohl Juden als auch Heiden unabhängig von ihrem Tun nicht vor Gott bestehen könnten, passt viel besser zu diesem Psalmzitat. Dass Wright die „Gerechtigkeit Gottes“ als Bundestreue Gottes versteht, überzeugt Kubsch ebenfalls nicht. Er verweist auf andere Exegeten, die nach wie vor die Gerechterklärung Gottes als einen forensischen Akt vertreten. Nicht zuletzt kritisiert der Autor, dass Wrights Evangeliumsverständnis nur noch sehr am Rand etwas mit dem ewigen Heil zu tun hat.

Kurzum: Kubsch liefert eine vortreffliche, kompakte und sehr übersichtliche Darstellung der NPP. Seine Kritik an dieser theologischen Richtung ist durchdacht und differenziert.

Buch

Ron Kubsch, Der neue Paulus: Handreichung zur „Neuen Paulusperspektive“, Geistliche Studien in der Schriftenreihe TheoBlog, Band 2, 2017, 76 Seiten, 7,85 €.