Wie sollten wir die Reformation feiern?

Artikel von Tim Chester
11. Oktober 2017 — 6 Min Lesedauer

Zwei Johns, zwei Testamente, zwei Versionen des Heils.

Unser erster John ist John Marston. Er war Kaplan der Kantorei von St. Mary in der Pfarrgemeinde von Aldborough, in der Nähe meines Wohnorts in North Yorkshire, England. Im Jahr 1474 verfasste er ein Testament, in welchem er „seine Seele dem allmächtigen Gott, der heiligen Maria und allen Heiligen im Himmel“ anvertraute.

Unser zweiter John ist John Waddington, ein Beamter der in derselben Kirche anderthalb Jahrhunderte später begraben wurde. Im Jahr 1628 verfasste John Waddington ein Testament, in welchem er „seine Seele dem allmächtigen Gott, seinem Schöpfer, und Jesus Christus, seinem Erlöser, im Vertrauen auf ihn zur Errettung“ anvertraute.

John Marston starb vor der Reformation. Er war Kantoreipriester, der in einer der drei Kantoreikapellen der Kirche angestellt war, um immer wieder Messen für die Toten zu lesen. Die Hoffnung war, dass dies ihren Aufenthalt in den Qualen des Fegefeuers verkürzen würde. Er verbrachte sein Leben damit, Verdienste für andere anzuhäufen. Er starb, während er seine Seele Maria und den Heiligen anvertraute. Aus seiner Sicht wurde das Heil durch Observanz des Einzelnen, Dienste der Kirche und Fürbitten der Heiligen erlangt.

John Waddington starb nach der Reformation, während er seine Seele Christus anvertraute. Er starb „im Vertrauen auf ihn zur Errettung“.

Diese zwei Testamente erfassen knapp die Herrlichkeit der Reformation. Die Reformation, deren 500. Jahrestag wir dieses Jahr feiern, repräsentiert die Wiederentdeckung des biblischen Evangeliums. Es ist ein Evangelium, dass sich auf das vollendete Werk Christi konzentriert. Es ist deshalb ein Evangelium, das Gewissheit verleiht. Meine Hoffnung ruht nicht auf dem wackligen Fundament meiner Verdienste, sondern auf dem felsenfesten Grund der Gerechtigkeit Christi. Wir können dem Tod mit Sicherheit gegenübertreten, wie John Waddington, „im Vertrauen auf ihn zur Errettung“. Es ist ein Evangelium, das Christus groß und uns klein macht. Es ist ein Evangelium, das es wert ist, gefeiert zu werden. Erzähl die Geschichte. Feiere eine Party.

Aber lass mich zwei weitere Wege vorschlagen, wie wir die Reformation feiern sollten.

Unsere Hingabe an Gottes Wort erneuern

Der Reformation lag eine Wiederentdeckung der Bibel zugrunde und eine Hingabe an ihre Autorität. Martin Luther kam zu seinem Verständnis der Errettung durch Glauben allein in Christus allein durch sein Studium der Psalmen sowie des Römer- und Galaterbriefs. Zu Beginn ging er davon aus, dass die mittelalterliche, römisch-katholische Kirche seiner Botschaft zustimmen würde. Denn sie wurde doch deutlich durch das Wort Gottes gelehrt. Stattdessen bezog die Kirche Stellung gegen ihn und zwang ihn, sich zwischen der Autorität der Bibel und der Autorität der römisch-katholischen Kirche zu entscheiden. Er entschied sich für die Bibel. Die Schrift allein würde die ultimative Autorität für die Kirchen der Reformation sein.

Das bedeutete, dass die Reformation schon immer darauf angelegt war, ein fortlaufendes Projekt zu sein. Es ist eine Verpflichtung, die durch die lateinische Phrase semper reformanda ausgedrückt wird. Sie wird gewöhnlich mit „immer reformierend“ übersetzt, aber eine bessere Übersetzung wäre „immer reformiert werden“. Wir sind nicht diejenigen, die die Reformation vollbringen. Wir werden durch das Wort Gottes reformiert. Gottes Wort ist der Reformator der Kirche. Oder besser, es ist Christus, der seine Kirche durch sein Wort erneuert. Semper reformanda beschreibt nicht eine Bewegung in Richtung eines unbekannten Horizonts, sondern eine kontinuierliche Rückwärtsbewegung zum Wort Gottes.

Deshalb ist die Reformation kein Mandat für grenzenlose Innovation. Das ist, wie viele Liberale, sowohl theologische als auch politische, sie gerne sehen wollen. Für sie ist die Reformation ein Symbol individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Aber der wahre Geist der Reformation umfasst eine Verpflichtung, sich durch das Wort Gottes binden zu lassen.

Aber die Reformation ist auch kein Mandat für Selbstzufriedenheit. Ja, die Reformatoren sahen die Bibel als Prüfstein für rechte Lehre an. Aber sie erachteten sie für noch weit mehr. Sie ist ein lebensspendendes Wort. Und so sollten wir die Reformation feiern – indem wir uns zu permanenter Erneuerung durch das lebensspendende Wort Gottes verpflichten.

Unsere Hingabe an Gottes Volk erneuern

Keiner der frühen Reformatoren wollte ursprünglich die römisch-katholische Kirche verlassen, geschweige denn eine neue Kirche gründen. Sie hatten von Augustinus gelernt, dass Schisma eine schreckliche Sünde ist. Aber dennoch verabschiedeten sie sich von der römisch-katholischen Kirche.

Das Problem mit der römisch-katholischen Kirche war nicht nur, dass sie nicht das Evangelium predigte, sondern dass sie sich ihm auch widersetzte. Indem sie das tat, erwies sich die römisch-katholische Kirche als die nicht wahre Kirche. Die Kennzeichen der Kirche sind, so die Reformatoren, das Wort vom Evangelium und die Sakramente des Evangeliums (einschließlich der Zucht des Evangeliums). Das bedeutete, dass die Reformatoren nicht wirklich mit der Kirche brachen, da die römisch-katholische Kirche nicht länger als eine wahre Kirche erachtet werden konnte. Stattdessen „re-formierten“ die Reformatoren die Kirche um das Evangelium herum. Die Reformatoren blieben der Kirche und ihrer Einheit leidenschaftlich verpflichtet. Johannes Calvin schrieb: „Wer also Gott zum Vater hat, der muss auch die Kirche zur Mutter haben“ (Institutio 4.1.1).

Viel zu oft haben ihre Nachfolger diese Leidenschaft nicht geteilt. Das Recht, die Schrift selbst zu interpretieren, wurde missbraucht, um Trennung und Spaltung zu rechtfertigen. Ein großartiger Weg, die Reformation zu feiern, wäre, wenn die Erben der Reformation die Leidenschaft der Reformation für die Einheit des Leibes Christi wiederentdeckten.

Die Reformatoren wandten sich den zwei Kennzeichen der Kirche zu – Wort und Sakrament – um einen Weg zu schaffen, die wahre Kirche zu erkennen. Calvin sagte: „Überall, wo wir wahrnehmen, dass Gottes Wort lauter gepredigt und gehört wird und die Sakramente nach der Einsetzung Christi verwaltet werden, lässt sich auf keinerlei Weise daran zweifeln, dass wir eine Kirche Gottes vor uns haben“ (Institutio 4.1.9). Aber diese Kennzeichen helfen auch zu erklären, warum die Reformatoren nur zögerlich mit der sichtbaren römisch-katholischen Kirche brachen. Die Reformatoren brachen nur mit der römisch-katholischen Kirche, als unzweifelhaft klar wurde, dass die römisch-katholische Kirche nicht am wahren Evangelium und der rechten Verwaltung der Sakramente interessiert war.

Damit wir die Einheit der Kirche nicht als eine unbedeutende Sache abtun, lasst uns mit Calvin schließen, wie er Donnerschläge herabruft:

Denn der Herr misst der Gemeinschaft seiner Kirche solchen Wert bei, dass er jeden für einen Überläufer und Verräter der Religion hält, der sich von irgendeiner christlichen Gemeinschaft, sofern sie nur den wahren Dienst am Wort und an den Sakramenten hochhält, halsstarrig entfremdet hat. Die Autorität seiner Kirche legt er uns dermaßen ans Herz, dass er seine eigene Autorität für verkleinert erachtet, wenn jene verletzt wird … Absonderung von der Kirche stellt die Verleugnung Gottes und Christi dar. Umso mehr müssen wir uns vor solch frevelhafter Scheidung hüten; denn, wenn wir, soviel an uns ist, den Untergang der Wahrheit Gottes herbeizuführen trachten, dann sind wir wert, dass er die ganze Wucht seines Zorns als Wetterstrahl auf uns niederfahren lässt, um uns zu zerschmettern. Auch lässt sich keine grausigere Übeltat erdenken, als wenn einer in frevlerischer Treulosigkeit den Ehebund verletzt, den der eingeborene Sohn Gottes sich herbeigelassen hat, mit uns zu schließen! (Institutio 4.1.10)