Das Anliegen der Bibel für die Neubelebung von Gemeinden

Artikel von Bobby Jamieson
4. September 2017 — 10 Min Lesedauer

Große Teile der Vereinigten Staaten (und ein paar anderer Länder auf der Welt) sind mit evangelikalen Gemeinden buchstäblich zugemüllt.

Viele dieser Gemeinden sind wie Müll an einer Straßenecke – die Leute wechseln die Straßenseite, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Die Menschen, die ihnen angehören, bekennen sich zum Glauben an das Evangelium, und auch ihre uralten Glaubensbekenntnisse unterstreichen das. Und einige echte Christen gehören auch wirklich solchen Gemeinden an. Doch insgesamt verbreitet das Gemeindeleben alles andere als das Evangelium. Diese Gemeinden stoßen Giftabfälle aus, anstatt die reichhaltige Nahrung hervorzubringen, die die Menschen brauchen.

Manche Gemeinden, die sich in einem solchen Zustand befinden, sind vielleicht nicht mehr zu retten. Doch leider geben sich anscheinend viele Evangelikale damit zufrieden, solche Gemeinden zu ignorieren und einfach neue zu gründen.

Gemeindebau ist wichtig und strategisch wertvoll, und ich freue mich, dass immer mehr Leute diese Arbeit aufnehmen.

Doch wenn Sie einen mit Unkraut übersäten Garten sähen, würden Sie dann einfach paar schöne neue Lilien inmitten dieses Gartens pflanzen? Wenn Sie die Nachrichten im Fernsehen nicht hören könnten, weil das Radio zu laut ist, würden Sie dann einfach den Fernseher lauter stellen?

Ich behaupte, dass die Neubelebung von Gemeinden – neues Leben in sterbende Gemeinden zu bringen, indem man sich mit den Ursachen für den Niedergang auseinandersetzt und sich zum Ziel macht diese treu zu bauen – ein biblisches Anliegen ist. Das heißt, wenn wir sehen, dass diese Gemeinden Zeugen gegen Christus sind, dann sollten wir gemäß der Schrift ein Anliegen dafür haben, etwas dagegen zu unternehmen. Das Anliegen dieses Artikels ist, diese Behauptung zu belegen.

Die Neubelebung von Gemeinden: eine apostolische Priorität

Betrachten wir den 1. Korintherbrief. Paulus hatte die Gemeinde in Korinth um das Jahr 50 n. Chr. gegründet, und er schrieb diesen Brief nur ein paar Jahre später als Reaktion auf Berichte, die er über die Gemeinde gehört hatte, und auf Fragen, die ihm die Gemeinde gestellt hatte. Welche Themen veranlassten Paulus, diesen Brief zu schreiben? Es waren u.a. folgende:

  • Spaltungen und Splittergruppen: Manche sagten „Ich folge Paulus“, manche „Ich folge Apollos“ (1,10–17);
  • Toleranz gegenüber sexueller Unmoral (5,1–13);
  • Rechtsstreitigkeiten unter Gemeindegliedern (6,1–8);
  • Verwirrung in Bezug auf Ehe und Sexualität (7,1–40);
  • Uneinigkeit in der Gemeinde in Bezug auf die Grenzen der Freiheit eines Christen (8,1–13; 10,1–33);
  • Streitigkeiten in Anbetungsfragen (Kap. 11–14);
  • Falsche Lehren über die Auferstehung (Kap. 15).

Wenn man nun den Fokus ein wenig auf die heutige Zeit legt und die kulturellen Einzelheiten berücksichtigt, ist die Gemeinde in Korinth um das Jahr 55 n. Chr. das Urbild vieler evangelikalen Gemeinden von heute. Viele Gemeinden sind heute von einer ähnlich starken Mischung aus falscher Lehre, Unmoral, Spaltung, inneren Kämpfen und allen Arten von Weltlichkeit geplagt. Viele Gemeinden von heute brauchen radikale pastoralchirurgische Eingriffe, um ihr Leben zu retten und ihre Gesundheit wiederherzustellen.

Als Paulus also von den Problemen in Korinth höre, was tat er? Er sagte nicht: „Diese Leute sind hoffnungslos. Sie sind eine Mischung aus falschen Gläubigen und stolzen, sturen religiösen Menschen. Solche Leute will man sowieso nicht in seiner Gemeinde haben.“ Und er schickte dann auch nicht Timotheus nach Korinth, um dort eine neue Gemeinde zu bauen.

Er appellierte vielmehr ernstlich an sie. Er besuchte sie immer wieder. Er wies sie zurecht und belehrte sie und hatte Geduld mit ihnen. Kurzum: Er arbeitete daran, die Gemeinde Gottes in Korinth zu reformieren.

Klar gibt es Diskontinuitäten zwischen Paulus‘ Situation und unserer. Beispielsweise war diese Gemeinde zu jener Zeit die einzige Gemeinde in Korinth. Doch trotzdem: Anstatt die Gemeinde in Korinth sich selbst zu überlassen, sodass sie in ihren Sünden verweste, arbeitete Paulus hart daran, sie zu reparieren und wiederherzustellen. So müssen auch zahllose evangelikale Gemeinden heute repariert und wiederhergestellt werden.

Und das widerspricht nicht Paulus‘ allgemeinen Prioritäten als Apostel. Im Gegensatz zu manchen heutigen Missionaren hat Paulus nicht einfach versucht, so viele Gemeindegründungen in möglichst kurzer Zeit anzustoßen. Vielmehr tat Paulus nach seiner ersten Missionsreise Folgendes: „Nach etlichen Tagen aber sprach Paulus zu Barnabas: Lass uns wieder umkehren und in all den Städten, in denen wir das Wort des Herrn verkündigt haben, nach unseren Brüdern sehen, wie es um sie steht“ (Apg 15,36). „Und er durchzog Syrien und Kilikien und stärkte die Gemeinden“ (Apg 15,41).

Paulus lag die Gesundheit der von ihm gegründeten Gemeinden so am Herzen, dass er zurück in eine Region ging, in der er schon gewirkt hatte, um die Gemeinden zu stärken, obwohl weite Teile des Mittelmeerraums noch nicht evangelisiert waren, was er persönlich aber noch ändern wollte (Röm 15,20). Ich würde behaupten: Wenn wir in Paulus‘ Fußstapfen treten wollen, wozu uns die Schrift auch auffordert (1Kor 4,17; 11,1; Phil 3,17), dann sollten wir ein Anliegen für die anhaltende Gesundheit und Stärke von Versammlungen haben, die sich „christlich“ nennen und sich nach eigenen Angaben nach dem Evangelium richten.

Gemeinden sind nicht kompostierbar. Und wenn sie anfangen zu verfallen, können sie jahre-, jahrzehnte- oder gar jahrhundertelang so sehr stinken, dass sie den Wohlgeruch Christi verdecken. Wenn eine Gemeinde gespalten ist, verkündet sie, dass Christus gespalten ist (1Kor 1,13). Wenn eine Gemeinde Unmoral toleriert, sagt sie der Welt, dass Christus nicht heilig ist – und dass Unzüchtige und Götzendiener und Trunkenbolde und Lästerer das Reich Gottes sehr wohl erben werden (siehe 1Kor 6,9–11).

Also sollten auch wir, wie Paulus, ein Anliegen dafür haben, Gemeinden, die sich in verschiedenen Krankheitsstadien befinden, wiederherzustellen, neu zu beleben und zu reformieren. Und wir haben, vor allem in Amerika, an solchen Gemeinden wahrlich keinen Mangel.

Jesus, der Gemeindereformator

In den Sendschreiben an die sieben Gemeinden in Offenbarung 2 und 3 arbeitet Jesus selber daran, diese Ortsgemeinden zu reformieren. Er spricht zu diesen Gemeinden, um das Kaputtgegangene zu richten, das Kranke zu heilen, das Falsche zurechtzuweisen und dem Sterbenden neues Leben zu geben.

Hier einige Beispiele: Jesus weist die Epheser zurecht, die die gesunde Lehre, aber zu wenig Liebe, haben (Off 2,2–7). Er lobt die Gemeinde in Pergamon dafür, dass sie an seinem Namen festhalten, doch weist er sie zurecht, weil sie einer falschen Lehre Raum gegeben haben, und er ruft sie zur Buße (Off 2,13–17). In der Gemeinde in Thyatira waren manche, die eine falsche Lehre verfochten, und Jesus verheißt ihnen Gericht (Off 2,20–23), doch den Rest der Gemeinde lobt er und ermutigt sie, auszuharren (Off 2,19; 24–28). Und zur Gemeinde in Sardes sagt Jesus:

„Du hast den Namen, dass du lebst, und du bist doch tot. Werde wach und stärke das Übrige, das im Begriff steht, zu sterben; denn ich habe deine Werke nicht vollendet erfunden vor Gott. So denke nun daran, wie du empfangen und gehört hast … Doch du hast einige wenige Namen auch in Sardes, die ihre Kleider nicht befleckt haben; und sie werden mit mir wandeln in weißen Kleidern, denn sie sind es wert. (Off 3,1b–4)

Wenn Sie einen einzelnen Vers als Belegtext für die Neubelebung von Gemeinden brauchen, dann ist das Offenbarung 3,2: „Stärke das Übrige, das im Begriff steht, zu sterben.“

Es stimmt, dass dieser Vers an diese Gemeinde selbst gerichtet ist, doch sollten nicht Schwestergemeinden und angehende Pastoren das Mitleid Christi mit Gemeinden nachahmen, wie das für Sardes? Sollte nicht auch uns eine ähnliche Sorge um die wenigen treuen Menschen in solchen Gemeinden umtreiben, die wegen solcher falschen Lehrer leiden?

Jesus reformierte und revitalisierte Gemeinden – sieben an der Zahl allein in diesen zwei Kapiteln. Und das sollten wir auch.

Gottes Volk trägt Gottes Namen

Einen weiteren Grund, den uns die Schrift dafür nennt, Gemeinden zu reformieren und revitalisieren, ist, dass Gottes Volk Gottes Namen trägt. Christen werden in den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes hineingetauft (Mt 28,19). Christen sind der Endzeittempel, die Verkörperung des Ortes, wo Gott seinen Namen wohnen ließ (1Kön 8,17.19). Die Gemeinde ist das Volk, das mit Gottes Namen gerufen wird, die er für seine Herrlichkeit geschaffen hat, die er gebildet und gemacht hat (Jes 43,7).

Außerdem wacht Gott eifersüchtig über die Herrlichkeit seines Namens (Jes 48,9–11) – und das sollten auch wir tun.

Doch wie ich schon gesagt habe: Wenn Gemeinden in Sünde und Spaltung und Nominalismus verkümmern, wird Gottes Name zu einem Schimpfwort. Solche Gemeinden verleumden den Namen Gottes, anstatt ihn zu schmücken und zu verherrlichen.

Eine zerfallende, von Sünde durchsetzte Gemeinde ist wie ein Leuchtturm mit kaputtem Licht – und kaputtem Spiegel. Anstatt das Licht von Gottes Herrlichkeit kilometerweit auszustrahlen, um Sünder in den sicheren Hafen der Barmherzigkeit Gottes zu führen, lässt eine solche Gemeinde die Nacht genauso dunkel, wie sie vorher war – oder noch dunkler. Sie ist wie eine Radiosendestation, die gekapert wurde: Unabhängig davon, was sie zu glauben behauptet, sendet so eine Gemeinde Lügen über Gott und nicht die Wahrheit.

Ein Anliegen für den Namen Gottes, den er für sein Volk hat – und für ihre Zusammenkünfte im Besonderen (Mt 18,20) –, sollte uns dazu bringen, Gemeinden zu reformieren und neu zu beleben. Wie Mark Dever schon so oft gesagt hat, ist die Neubelebung von Gemeinden eine Arbeit im Reich Gottes, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Man reißt ein schlechtes Zeugnis nieder und richtet ein gutes an seiner Stelle auf.

Und jetzt?

Wenn diese biblische Argumentation stichhaltig ist, was sollen wir dann tun? Ich würde ganz einfach sagen, dass die Neubelebung von Gemeinden eine der großen Optionen sein sollte, wenn wir darüber nachdenken, wie wir das Evangelium verbreiten und das Reich Gottes bezeugen können. Die Neubelebung von Gemeinden sollte etwas sein, worüber unsere Gemeinden nachdenken und wofür sie Strategien entwerfen und beten sollten. Gemeinden, die das Evangelium verbreiten und fördern wollen, sollten wie Jesus und Paulus darum besorgt sein, das Zeugnis untergehender Gemeinden zu stärken und wiederherzustellen.

Denken Sie einmal darüber nach, was Ihre Gemeinde tun kann, um andere Ortsgemeinden zu unterstützen, die vielleicht unterzugehen drohen. Lernen Sie sie kennen. Finden Sie heraus, was sie brauchen. Bauen Sie Beziehungen zu Ihnen auf. Seien Sie offen dafür, ihnen auf jede mögliche Weise zu helfen, auch indem Sie, wenn sich die Gelegenheit ergibt, ihnen einen Pastor und Leute schicken, die bei der Reformationsarbeit mithelfen.

Wenn Sie Gemeinde bauen wollen, ziehen Sie auch die Neubelebung einer bestehenden Gemeinde als zusätzliche Option zum Bau einer neuen in Betracht. Wenn Sie eine Gemeinde neubeleben, können Sie Gott ehren und seinem Volk dienen, nicht nur indem sie eine neue Gemeinde aufbauen (worauf Gemeindereformation meistens hinausläuft), sondern auch indem sie den Müll beseitigen, den ihre Geschwister in der Stadt hinterlassen haben. Es wird Sie überraschen, wie sehr Ihr Stadtteil eine geistlich erneuerte Gemeinde schätzen wird – als würden Sie den Stadtteil physisch in Ordnung bringen. Und wer weiß, wie viele Gemeinden aus Ihrer erneuerten Versammlung heraus gebaut oder neubelebt werden!

Die Neubelebung von Gemeinden sollte unser Anliegen sein, weil es Gottes Anliegen ist – wie man an den persönlichen Diensten des erhöhten Herrn Jesus Christus und des Apostels Paulus erkennen kann. Gottes Volk trägt Gottes Namen. Daher sollten wir auch danach streben, das Übriggebliebene zu stärken, das im Begriff ist, zu sterben.

Bobby Jamieson ist stellvertretender Pastor der Capitol Hill Baptist Church in Washington, DC.