Die Sackgasse der sexuellen Sünde

Artikel von Rosaria Butterfield
10. April 2017 — 10 Min Lesedauer

Nichtgläubige haben nicht damit zu kämpfen, dass sie sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen. Ich hatte jedenfalls nicht damit zu kämpfen. Meine Liebe zu Frauen kam ganz ohne Kampf auf.

Ich war nicht immer lesbisch gewesen, aber mit Ende zwanzig traf ich auf meine erste lesbische Liebhaberin. Es war um mich geschehen, und ich glaubte, mein wahres Ich gefunden zu haben. Sex mit Frauen war Teil meines Lebens und meiner Identität, doch es war nicht der einzige Teil – und nicht immer der wichtigste.

Ich zog Frauen einfach in jeder Hinsicht vor: Ihre Gesellschaft, Gespräche mit ihnen, Gemeinschaft mit ihnen und die Konturen ihrer/unserer Körper. Ich gab mich begeistert dem Nestbau, dem Einrichten eines Zuhauses und dem Aufbau einer lesbischen Gemeinschaft hin.

Als nichtgläubige Englisch-Professorin, als Fürsprecherin des Postmodernismus und des Poststrukturalismus sowie als Gegnerin aller totalisierenden „Meta-Erzählungen“ (wie des Christentums, hätte ich damals gesagt) fand ich in meinem Leben als Lesbe und in der Homo-Gemeinschaft, zu deren Aufbau ich beitrug, Frieden und Sinn.

Bekehrung und Verwirrung

Erst als ich meinen auferstandenen Herrn kennengelernt hatte, schämte ich mich überhaupt für meine Sünde, mein sexuelles Verlangen und meine sexuelle Vergangenheit.

Meine Bekehrung brachte einen Trümmerhaufen widersprüchlicher Gefühle mit sich, die von Freiheit bis Scham reichten. Meine Bekehrung verwirrte mich auch. Zwar war mir klar, dass Gott Sex außerhalb der biblischen Ehe verbot, doch war mir nicht klar, was ich mit der komplexen Matrix an Sehnsüchten und Anziehungen, Empfindungen und Selbstvorstellungen tun sollte, die mich innerlich aufwühlte und mich nach wie vor definierte.

Was ist mit sexuellen Übertretungen gemeint? Der Sex? Die Identität? Wie tief sollte die Buße gehen?

Begegnung mit John Owen

In diesen für mich neuen Kämpfen empfahl mir ein Freund, dass ich drei Bücher von John Owen, einem Theologen aus dem 17. Jahrhundert, lesen sollte (die jetzt unter dem Titel Overcoming Sin and Temptation zusammengefasst sind).

„Wie sollten wir über Sünde denken, die zu einem alltäglichen Teil unserer Identität geworden ist?“
 

Zunächst einmal war ich beleidigt, als ich merkte, dass John Owen das, was ich für meine Identität hielt, „innewohnende Sünde“ nannte. Doch ich las weiter. Owen lehrte mich, dass sich die Sünde im Leben eines Gläubigen auf drei Wegen manifestiert: Verzerrung durch die Ursünde, Ablenkung durch die reale, alltägliche Sünde und Entmutigung durch die tagtäglich innewohnende Sünde.

Mit der Zeit bot mir das Konzept der innewohnenden Sünde ein Fenster, durch das ich sehen konnte, wie Gott beabsichtigte, meine Scham durch Hoffnung zu ersetzen. Ja, John Owens Verständnis der innewohnenden Sünde schließt die Lücke in unserer derzeitigen kulturellen Verwirrung darüber, was sexuelle Sünde ist – und was man dagegen tun sollte.

Als Gläubige klagen wir mit dem Apostel Paulus: „Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das verübe ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt“ (Röm 7,19–20). Doch was sollten wir nach unserem Klagen tun? Wie sollten wir über Sünde denken, die zu einem alltäglichen Teil unserer Identität geworden ist?

Owen erklärt dies mit vier Antworten.

1. Die Sünde aushungern

Die innewohnende Sünde ist ein Parasit, der das frisst, was man tut. Gottes Wort ist Gift für die Sünde, wenn es von einem durch den Heiligen Geist erneuerten Herzen aufgenommen wird. Du hungerst die innewohnende Sünde aus, indem du sein Wort reichlich zu dir nimmst. Sünde kann nicht in seinem Wort bleiben. Fülle also dein Herz und deinen Verstand mit der Schrift.

Ich tue das zum Beispiel, indem ich die Psalmen singe. Das Psalmensingen ist bei mir eine wirksame Art, mich Gott hinzugeben, da es mir hilft, meinen Willen mit Gottes Willen verschmelzen zu lassen und mir dabei sein Wort zu merken. Wir hungern unsere innewohnende Sünde aus, indem wir die Schrift umfassend lesen, in großen Stücken, ganze Bücher auf einmal. Das befähigt uns, Gottes Vorsehung in großen Zusammenhängen zu erkennen.

2. Die Sünde beim Namen nennen

Jetzt, wo die Sünde im Haus ist, kauf ihr nicht auch noch ein Halsband und eine Leine, und gebe ihr keinen süßen Namen. Lasse die Sünde nicht als harmloses (aber nicht stubenreines) Haustier durchgehen. Bekenne sie als schlimmes Vergehen und schmeiße sie raus! Auch wenn du sie liebst! Du darfst die Sünde nicht in dein Haus kommen lassen und sie so domestizieren.

„Gottes Wort ist Gift für die Sünde, wenn es von einem durch den Heiligen Geist erneuerten Herzen aufgenommen wird.“
 

Schließe keinen falschen Frieden. Erfinde keine Ausreden. Gehe nicht sentimental mit Sünde um. Spiele nicht das Opfer. Lebe nicht aus einer Gerechtigkeit der Verharmlosung. Wenn du das Tigerbaby ins Haus bringst und es Fluffy nennst, brauchst du dich nicht zu wundern, wenn du eines Tages aufwachst und Fluffy dich bei lebendigem Leib frisst. So funktioniert Sünde, und Fluffy weiß, was er zu tun hat. Manchmal lauert und gärt die Sünde jahrzehntelang und verführt den Sünder so, dass er meint, alles unter Kontrolle zu haben, bis sie sich auf einmal losreißt und sich auf alles stürzt, was du gebaut, geschätzt und geliebt hast.

Gehe weise mit deinen „Lieblingssünden“ um und streichel sie nicht. Und bedenke: Wenn du in Christus bist, ist die Sünde niemals deine Identität. In Christus bist du ein Sohn oder eine Tochter des Königs; du gehörst zu den „Royals“. Du kämpfst aber mit der Sünde, weil sie deine echte Identität verzerrt. Du definierst dich nicht über diese Sünden, die deinem Bewusstsein eigen sind und die täglich in deinem Leben gegenwärtig sind.

3. Innewohnende Sünde töten und somit auslöschen

Die Sünde ist nicht nur ein Feind, sagt Owen. Die Sünde steht in Feindschaft zu Gott. Eigentlich kann man sich mit Feinden versöhnen, aber es gibt keine Hoffnung auf Versöhnung für etwas, das in Feindschaft zu Gott steht. Alles, was in Feindschaft zu Gott steht, muss getötet werden. Unsere Kämpfe mit der Sünde bringen uns in engere Vereinigung mit Christus. Buße ist ein neuer Eingang in Gottes Gegenwart und Freude.

Ja, unsere Identität kommt daher, dass wir mit Christus gekreuzigt und auferstanden sind:

„Wir sind also mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod, damit, gleichwie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters aus den Toten auferweckt worden ist, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. Denn wenn wir mit ihm eins gemacht und ihm gleich geworden sind in einem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein; wir wissen ja dieses, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde außer Wirksamkeit gesetzt sei, sodass wir der Sünde nicht mehr dienen.“ (Röm 6,4–6)

Satan wird uns mit unserer innewohnenden Sünde erpressen, indem er erklärt, dass wir nicht in Christus sein können, während wir in unserem Herzen oder Körper auf diese oder jene Art und Weise sündigen. In jenen Momenten erinnern wir ihn daran, dass er nur mit einem recht hat: Unsere Sünde ist tatsächlich Sünde. Sie ist tatsächlich eine gegen Gott gerichtete Übertretung.

„Sünde in Ruhe zu lassen, heißt, Sünde wachsen zu lassen.“
 

Doch Satan liegt in der wichtigsten Sache komplett falsch. In der Buße stehen wir im auferstandenen Christus. Und für die Sünde, die wir begangen haben (und noch begehen werden) reicht seine Gerechtigkeit aus. Aber wir müssen kämpfen. Sünde in Ruhe zu lassen, sagt Owen, heißt, Sünde wachsen zu lassen: „Sie nicht zu besiegen heißt, von ihr besiegt zu werden.“

4. Kultiviere täglich dein neues Leben in Christus

Gott lässt uns nicht allein, um den Kampf in Scham und Isolation zu führen. Vielmehr wird die Seele jedes Gläubigen durch die Kraft des Heiligen Geistes „belebt“. Belebung ergänzt die Abtötung und befähigt uns so, das ganze Panorama der Heiligung zu sehen, zu der zwei Aspekte gehören:

  1. Erlösung von dem Wunsch nach jenen Lieblingssünden – Erlösung, die man erfährt, wenn die Gnade des Gehorchenwollens und -könnens uns die „austreibende Kraft einer neuen Liebe“ gibt (um Thomas Chalmers zu zitieren).
  2. Demut angesichts der Tatsache, dass wir täglich Gottes anhaltenden Fluss der Gnade aus dem Himmel brauchen und dass das Verstecken unserer Sünden – egal wie sehr die Sünde versucht, uns zu täuschen – nicht die Antwort ist. Ja, der Wunsch danach, in uns selbst stark genug zu sein, sodass wir unabhängig von Gott leben können, ist die erste Sünde, die Essenz der Sünde, und die Mutter aller Sünden.

Owens Lückenschließer ist nur für Gläubige gedacht. Er schreibt: „Wenn ein Mensch nicht wiedergeboren, wenn er nicht gläubig ist, sind alle Versuche, die er im Abtöten [der Sünde] unternimmt … sinnlos. Vergeblich wird er viele Heilmittel anwenden, [aber] er wird nicht geheilt werden.“

Was sollte ein Ungläubiger also tun? Gott um den Heiligen Geist anflehen, damit dieser ihm ein neues Herz gibt und seine Seele bekehrt: „Abtötung [der Sünde] ist nicht das vordringliche Geschäft nicht wiedergeborener Menschen. Gott beruft sie noch nicht dazu; bei ihnen geht es vordringlich um die Bekehrung – die Bekehrung der ganzen Seele – nicht um die Tötung dieser oder jener bestimmten Fleischeslust.“

Zur Freude befreit

In den Werken von John Owen wurde mir gezeigt, wie und warum die Versprechen sexueller Erfüllung zu meinen eigenen Bedingungen die Antithese zu dem waren, was ich einmal fest geglaubt hatte. Anstelle von Freiheit war meine sexuelle Sünde Versklavung. Dieser Puritaner aus dem 17. Jahrhundert offenbarte mir, dass meine lesbischen Sehnsüchte und Empfindungen Sackgassen waren, die die Freude erstickten.

„Das Evangelium kam mit Gnade, forderte aber unversöhnlichen Krieg.“
 

Heute stehe ich in einer langen Reihe gottesfürchtiger Frauen – in der Reihe von Maria Magdalena. Das Evangelium kam mit Gnade, forderte aber unversöhnlichen Krieg. Irgendwo auf diesem blutigen Schlachtfeld gab mir Gott eine seltsame Sehnsucht danach, eine gottesfürchtige Frau zu werden, die von Gott eingehüllt und von seinem Wort und Willen umschlossen ist. Diese Sehnsucht mündete in eine andere: So Gott will, eine gottesfürchtige Frau eines gottesfürchtigen Ehemannes zu werden.

Und da bemerkte ich es.

Die Vereinigung mit dem auferstandenen Christus bedeutete, dass alles andere ans Kreuz genagelt war. Ich konnte mein altes Leben nicht zurückbekommen, auch wenn ich es wollte. Zunächst war das erschreckend, doch als ich tief in den Abgrund meines Schreckens hineinschaute, fand ich Frieden.

Mit dem Frieden stellte ich fest, dass einem das Evangelium immer voraus ist. Das Zuhause liegt vor uns. Heute bin ich allein durch die erstaunliche Gnade Gottes ein erwählter Teil der Familie Gottes, in der Gott die Kleinigkeiten meines Alltags nicht egal sind – die Mathestunden und der verschüttete Kaffee –, ganz zu schweigen natürlich von den Menschen – den lebendigen Bildern seiner kostbaren Gnade –, dem Mann, der mich Geliebte nennt, und den Kindern, die mich Mutter nennen.