Wie kannst du die Bibel besser verstehen?
Ich möchte lernen die Bibel immer besser zu verstehen! Was ist mit dir?
Uns werden sehr viele Methoden angeboten, die uns dabei helfen sollen, die Bibel besser zu verstehen. Und jede Methode, die ich kenne, hat einen gewissen Wert und kann tatsächlich sehr hilfreich sein. Trotzdem möchte ich eine weitere Methode hinzufügen, die mir im Bereich des Bibelstudiums bisher noch nicht begegnet ist. Sie basiert auf einer von Pädagogen entwickelten Arbeitsweise und wird in sechs Schritte gegliedert:
- Erinnern
- Verstehen
- Anwenden
- Analysieren
- Evaluieren
- Erschaffen
Vielleicht kennst du diese sechs Schritte unter dem Begriff „Bloomsche Taxonomie“, einem Lernmodell, das seit ca. 60 Jahren – mit einigen Optimierungen – in Schulen verwendet wird. Das Modell soll Lehrern dabei helfen, ihre Schüler Schritt für Schritt von der Unkenntnis zu einer immer größeren Auffassungsgabe zu führen.
Und genau das ist auch mein Ziel: Ich möchte diese sechs Stufen nutzen, um dir dabei zu helfen, die Bibel immer besser zu verstehen.
1. Erinnern
Das fundamentale Ziel des Bibelstudiums, auf dem alles andere aufbaut, ist das Erinnern. Sei nicht deprimiert, wenn dir nicht jeden Tag beim Bibellesen ein besonderer Geistesblitz kommt, den du auf Pinterest teilen könntest. Manchmal ist das Ziel des Bibellesens eben schon dann erreicht, wenn du dir den Zusammenhang einer Geschichte merken kannst, wie zum Beispiel die über Ahab, Isebel und Nabots Weinberg in 1. Könige 21. Und dann, am nächsten Tag, prägst du dir die wichtigsten Details über Elisa ein und darüber, wie er das prophetische Amt Elias übernommen hat – nachzulesen in 2. Könige 2.
Um dich an solche Begebenheiten besser erinnern zu können, solltest du eine Bibelübersetzung verwenden, die leicht zu verstehen ist. Sie sollte leicht lesbar, aber auch inhaltsvoll sein, um die Bedeutung der Ereignisse gut wiederzugeben.
Sich zu erinnern – also, sich etwas ins Bewusstsein zu rufen – ist etwas, das auch in Bezug aufs Geistliche großen Wert hat, und zugleich ist es auch eine moralische Notwendigkeit (vgl. dazu Offb 3,3).
2. Verstehen
Gehen wir über zum Verstehen. Ich möchte dich bitten, mit Papier und Stift – oder aber auf dem Handy – folgende Fragen zu notieren und sie zu beantworten:
- Wer? – Wer hat den Text geschrieben? Um wen geht es? Und an wen ist der Text gerichtet?
- Was? – Was für eine Literaturgattung liegt vor – Erzählung, Poesie, Prophetie, Brief? Was für einer Logik folgt der Autor (z. B. Paulus) in diesem Abschnitt?
- Wann? – Wann wurde der Text geschrieben? Wann haben die beschriebenen Ereignisse stattgefunden?
- Wo? – Wo wurde der Text geschrieben? Woher stammt der Autor?
- Warum? – Warum erwähnt der Autor die Geschichte genau an dieser Stelle? Warum geht der Geschichte das Ereignis voraus? Warum folgt auf diese Geschichte jenes Ereignis? Warum hat der Autor den Satz genau so formuliert und nicht anders?
Diese Fragen helfen dir dabei, die Absicht des Autors besser zu verstehen. Dieses Vorhaben kann sehr kompliziert sein, doch im Grunde ist es so einfach, dass sogar ein Zweijähriger es verstehen kann – und dafür zur Rechenschaft gezogen wird, wenn er es nicht tut (zumindest in unserem Zuhause). Was ich damit meine? Nun, wie viele Male haben deine Kinder – oder Kinder, die du kennst – so getan, als würden sie selbst die klarste Anweisung nicht verstehen, einfach, weil sie nicht bereit waren sie zu befolgen? Aber nicht nur Kinder, auch Erwachsene tun genau dasselbe. Zwischenmenschliche Kommunikation ist zwar nicht perfekt, aber wenn beide Seiten sich Mühe geben, ist sie für gewöhnlich erfolgreich.
Die menschliche Sprache zu interpretieren, ist etwas, das wir schon immer getan haben, solange wir uns erinnern können. Die speziellen „Regeln“ der Bibelauslegung sind im Allgemeinen nur eine Möglichkeit, zu beschreiben und zu benennen, was wir intuitiv tun.
„Biblischen Texte, die von Menschen aus Fleisch und Blut verfasst wurden, können auch von Menschen aus Fleisch und Blut verstanden werden.“
Das bedeutet zwar nicht, dass dich deine Intuition beim Lesen der Bibel immer zu dem richtigen Verständnis führen wird – denn Verständnis und Einsicht sind oftmals das Ergebnis harter Arbeit. Es bedeutet aber, dass die biblischen Texte, die von Menschen aus Fleisch und Blut verfasst wurden, auch von Menschen aus Fleisch und Blut verstanden werden können – also von Menschen, wie dir! Sei also ermutigt!
Die nötigen Werkzeuge, die du brauchst, um die Bibel zu verstehen, sind zuerst einmal Papier und Stift. Doch hinzu kommen noch weitere wichtige Dinge, wie Studienbibeln, Kommentare und andere Hilfsmittel, die in unserem digitalen Zeitalter sehr leicht zu bekommen sind.
3. Anwenden
Sobald du die Bibel auf das Leben anwendest, beginnt echte Erkenntnis. Nehmen wir zum Beispiel Psalm 44: Welche praktische Auswirkung wird das Einprägen und Verstehen dieses Psalms auf dein Leben haben? Wie werden die in diesem Psalm enthaltenen Wahrheiten dazu beitragen, dass du lernst, Gott und deinen Nächsten mehr zu lieben? Schließlich ist es die Absicht der biblischen Autoren (sowohl Gottes als auch der menschlichen Verfasser), dass ihre Worte dein Leben umgestalten. Deshalb wirst du die Aussagen einzelner Texte nie in ihrem größtmöglichen Ausmaß verstehen, solange du dir nicht diese Fragen stellst!
„Indem wir lernen, die Bibel auf unser Leben anzuwenden, vertieft sich auch unser geistliches Verständnis und es hilft uns dabei, uns an Gottes Wort zu erinnern.“
Nachdem du also angefangen hast, den Bibeltext auf dein Leben anzuwenden, solltest du dich fragen: Wie kann das, was ich gerade gelesen habe, der alleinerziehenden Mutter helfen, die in meiner Nachbarschaft wohnt? Wie kann es für den älteren Mann in meiner Gemeinde zum Segen werden, für den der Gottesdienstbesuch ganz offensichtlich eine körperliche Belastung ist? Wie sollen meine Kinder den Text auf sich anwenden?
Die Bibel auf uns selbst und auf das Leben derer anzuwenden, die wir lieben und um die wir uns sorgen, ist eine Weise, wie wir Gottes Absicht mit dem von ihm inspirierten Text erfüllen. Indem wir lernen, die Bibel auf unser Leben anzuwenden, vertieft sich auch unser geistliches Verständnis und es hilft uns dabei, uns an Gottes Wort zu erinnern.
Zwei unverzichtbare Werkzeuge auf diesem Weg sind das Gebet und die Seelsorge. Aber auch Predigten und Predigtbände können dabei eine große Hilfe sein. Gute Prediger können anderen dabei helfen, die Bibel auf ihr Leben anzuwenden.
4. Analysieren
Moment – analysieren? Warum sollte ausgerechnet das der nächste Schritt sein? Wie ist es möglich einen Text anzuwenden, bevor man ihn analysiert hat?
Sieh es mal so: Du konntest vermutlich bereits eine Million gesprochene Sätze und zehntausend geschriebene Sätze verstehen, bevor du Begriffe wie „Substantiv“, „Verb“ und „Präposition“ gelernt hast. Und falls du zufällig zu diesen coolen und glücklichen Kids gehörtest, die noch gelernt haben, mit Satzdiagrammen zu arbeiten, dann weißt du, dass selbst der einfachste Satz eine enorme Komplexität aufweist, sobald man anfängt, ihn auf einer Tafel aufzuzeichnen und die Satzteile mit Strichen zu verbinden. Dieses Erstellen eines Satzdiagramms ist nur eine von vielen Möglichkeiten, um Sätze und Aussagen zu analysieren. Denn jedes Mittel, das uns dabei hilft, einen Text anhand einiger Prinzipien in verschiedene Teile zu gliedern, gilt als Analyse.
Und ja, es ist harte Arbeit, aber es ist die Mühe wert. Einen Text zu analysieren, ist wie einen Lebensmitteleinkauf in der Küche zu verstauen. Man leert den Einkaufskorb, reiht die Lebensmittel nacheinander in die passenden Fächer der Küchenschränke – Obst hierhin, Gemüse dorthin, Getreide dahin, Fleisch hierhin, usw. Solange man noch den vollen Korb betrachtet, ist es ein ziemliches Durcheinander, doch sobald alles an Ort und Stelle verstaut ist, ist die „Analyse“ getan.
Ein Hilfsmittel zur Textanalyse, das ich empfehlen kann, ist das „Copy Bible Verses Tool“ der Logos Bible Software. Mit diesem Werkzeug können Bibeltexte ganz einfach – ohne Versangaben oder Abschnitteinteilung – in ein Textbearbeitungsprogramm eingefügt werden, und man kann beginnen die Abschnitte nach eigenem Ermessen einzuteilen. Das ist nichts anderes als sie zu analysieren – also in verschiedene Teile aufzugliedern.
5. Evaluieren
Der Vorgang des „Evaluierens“1 erscheint im ersten Moment unangebracht, wenn es um den Umgang mit der Heiligen Schrift geht. Denn man sollte nach dem Lesen von Gottes Wort niemals zu dem Schluss kommen, es vertrete nur eine Meinung von vielen. Schließlich bildet Gottes Wort, das uns in der Heiligen Schrift vorliegt, den absoluten Maßstab, an dem alles geprüft werden muss, was den Anspruch auf Wahrheit erhebt.
Allerdings existieren unterschiedliche Ansichten darüber, wie biblische Aussagen zu verstehen sind. Manche dieser Ansichten sind legitim, andere wiederum nicht. Diese unterschiedlichen Ansichten finden wir zum Beispiel in Kommentaren oder anderen Studienhilfen zur Bibel. Wir sind aufgefordert, diese Interpretationen zu untersuchen und zu bewerten.
Das Ziel dabei ist nicht, dass man einfach irgendeine Meinung übernimmt, sondern dass man sich mit den Meinungen begabter Experten auseinandersetzt – die sich selbst mit biblischen Texten beschäftigt und auseinandergesetzt haben – und abwägt, ob die eine oder die andere Sicht eher dem entspricht, was Gottes Wort an dieser speziellen Stelle zu sagen hat.
Die Hilfsmittel hierbei sind natürlich Bibelkommentare – aber auch dein eigenes Gehirn und dein kritisches Denken sind nötig, das vom Erinnern, Verstehen, Anwenden und Analysieren geschult wurde.
6. Erschaffen
Auch beim Bereich des „Erschaffens“ wird es herausfordernd. Denn schließlich geht es nicht darum, eine neue Bibel zu erschaffen, sondern darum, deine Bibel zu verstehen. Worum geht es also, wenn wir hier von „Erschaffen“ im Hinblick auf das Studieren von Texten – wie z. B. Bibeltexten – sprechen? Nun, mit „Erschaffen“ ist gemeint, dass man biblische Lektionen und biblische Botschaften an andere weitergeben kann – sei es in der Sonntagsschule oder in anderen geistlichen Aufgaben, in denen Gott dich begabt und in die er dich berufen hat.
„Immer dann, wenn du anderen dabei hilfst, die Bibel besser zu verstehen, zeigst du damit, dass du selbst dabei bist, sie besser zu verstehen.“
Du „erschaffst“ zum Beispiel etwas, wenn du deine Begabung dazu gebrauchst, für eine Gemeindefeier einen theologisch tiefgründigen und biblisch fundierten Liedtext über deinen Lieblingspsalm zu dichten. Oder wenn du eine Andacht schreibst oder einen Blogeintrag zu einem wichtigen biblischen Thema verfasst. Oder aber, wenn du jemandem eine Antwort auf die Frage gibst, welche deine größte Hoffnung ist.
Immer dann, wenn du anderen dabei hilfst, die Bibel besser zu verstehen, zeigst du damit, dass du selbst dabei bist, sie besser zu verstehen. Wenn dich dein persönliches Bibelstudium zu einer tieferen geistlichen Erkenntnis führt, die wiederum bewirkt, dass du andere zu tieferer Erkenntnis führen willst – sei es als Redner auf einer großen Konferenz oder „nur“ als Vater im Leben deiner eigenen Kinder – dann darfst du wissen, dass du etwas gelernt hast.
Doch all das hängt davon ab, wie du die Mittel gebrauchst, die dir fürs Bibelstudium zur Verfügung stehen: dein Verstand, deine Erfahrung, regelmäßige Übung, deine Persönlichkeit und deine Begabungen. Die Bibel kennen zu lernen ist, wie einen Menschen kennen zu lernen. Denn die Bibel ist der direkte Kontakt zu dem lebendigen dreieinigen Gott. Wenn wir einen Menschen „kennen“, dann bedeutet das nicht nur, dass wir uns an seine Worte erinnern, sie verstehen, sie anwenden, sie analysieren oder erschaffen; es bedeutet vor allem, dass wir in einer Beziehung zu diesem Menschen stehen. Die Bibel zu kennen ist absolut wertvoll, denn durch sie lernen wir das herrlichste aller Wesen kennen – die Quelle und das Ziel aller Erkenntnis, aller Güte und aller Schönheit.
Fazit
Der vollständige Name der hier erwähnten Lernmethode lautet „Bloomsche Taxonomie der Lernziele im kognitiven Lernbereich“. Bloom hat diese Lernmethode nicht der Bibel entnommen und sie ist auch keineswegs unfehlbar. Dennoch halte ich sie (auch viele andere Lehrer) für ein sehr hilfreiches Mittel zum Studieren und Unterrichten.
Allerdings ist sie nicht die einzige hilfreiche Lernmethode – denn schließlich dürfen wir nicht nur auf den kognitiven Bereich beschränkt werden. Aus biblischer Sicht sind wir nämlich auch gefühlsbetont – wir tun das, was wir lieben! Aber dazu ein anderes Mal mehr.
Wie schon gesagt, ist die Bloomsche Methode nicht die einzige hilfreiche Methode, um die Bibel zu interpretieren. Eine der besten Methoden lautet „Untersuchen, Interpretieren, Anwenden“ – auch bekannt als „Induktives Bibelstudium“. Die Biblelsoftware Logos, für die ich arbeite, bietet übrigens einen kostenlosen zehntägigen Kurs zu dieser Lernmethode an. Außerdem gibt es unzählige andere Hilfsmittel: Methoden, Bücher, Software. Du musst nur zugreifen und loslegen!
1 „Evaluieren“ bedeutet, eine Sache, oder in diesem Fall einen Text, sach- und fachgerecht zu beurteilen.