Ein außergewöhnliches Geschenk

… und Demut als Schlüssel zu anhaltender Freude

Artikel von Jonathan de Oliveira
24. Dezember 2025 — 9 Min Lesedauer

In dieser Jahreszeit erinnern wir uns daran, dass der Retter der Menschen kam. Wir besinnen uns auf die wundersame, geheimnisvolle und mutmachende Wahrheit, dass der erhabene Sohn Gottes sich entäußerte und als einfacher Mensch auf dieser Erde lebte. Wir bedenken, dass er, der König, nicht in einem Palast, sondern in einem Stall zur Welt gebracht wurde. Es tröstet uns, dass er in die Familie bescheidener Menschen – eines Zimmermanns und einer unbedeutenden Magd – hineingeboren wurde. Mit Freude heben wir hervor, dass die Ankündigung seiner Geburt durch die Engelschöre nicht an die adlige, die politische oder die priesterliche Gesellschaftsschicht ausging, sondern an unscheinbare Hirten. All diese Tatsachen sind wunderschön und ermutigend. Sie trösten uns, weil wir darin erkennen, dass der himmlische Vater ein Gott der Kleinen und Unbedeutenden ist und dass Jesus für die Armen und die Elenden kam.

Die unbequeme Wahrheit hinter den Engelschören

Das ist eine Botschaft, die wir gern hören und weitergeben, denn wir empfinden sie als positiv und aufmunternd. Doch ist das wirklich alles? Gibt es nur Zuspruch in dieser Geschichte, oder fehlt hier etwas? Wurdest du durch die Advents- und Weihnachtsgeschichte schon mal herausgefordert? Wenn uns diese Fragen komisch vorkommen, ist es möglich, dass wir die latente Ermahnung dieser Botschaft übersehen haben. Betrachten wir sie von einer anderen Seite: Die Mehrheit der Menschen in der damaligen Zeit bekam von der Geburt des Messias nichts mit. Am Anfang des Lukasevangeliums sehen wir, wie alles auf geheimnisvolle Weise geschieht, denn Zacharias und Maria werden im Privaten eingeweiht. Das Volk dagegen wird nicht einbezogen. Ihnen gegenüber bleibt alles stumm, teilweise buchstäblich! Gott hat sich ganz genau ausgesucht, an wen die Botschaft über die Geburt des Messias überbracht werden soll.

Erlaube mir also, dich provokant zu fragen: Gehst du eventuell irrtümlich davon aus, dass du zu der Kategorie von Menschen gehörst, denen Gott die gute Nachricht über die Geburt seines Sohnes angekündigt hätte? Diese Frage steht am Anfang des Lukasevangeliums unterschwellig im Raum. Nichts an den Ankündigungen rund um Jesu Geburt war gewöhnlich oder selbstverständlich. Die Nachricht richtete sich nicht einfach an alle Menschen. Und sie war nicht für jeden automatisch eine gute Nachricht.

Schauen wir uns das Ganze noch einmal näher an. Nach der Verkündigung des Engels Gabriel an Zacharias (vgl. Lk 1,5–25) und Maria (vgl. Lk 1,26–38) bekommen wir im Lobgesang Marias (vgl. Lk 1,46–55) die erste Analyse über die angekündigten Geschehnisse. Sie gibt uns die erste Schlussfolgerung über die Bedeutung des Kommens des Messias, die im Lukasevangelium zu finden ist. Es ist ein Rückschluss, der nachhallt und den wir für den weiteren Verlauf des Lukasevangeliums im Kopf behalten müssen. Er liefert uns eine bestimmte Perspektive und ein Schema, in dessen Licht alles Weitere gelesen und betrachtet werden soll. Und was ist diese erste große Erkenntnis?

Marias revolutionäres Lied

Lasst uns einen kurzen Blick auf Marias Lobgesang werfen und dabei insbesondere auf alles achten, was mit menschlicher Größe und Macht oder mit deren Gegensätzen zu tun hat:

„Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich über Gott, meinen Retter, dass er angesehen hat die Niedrigkeit seiner Magd; denn siehe, von nun an werden mich glückselig preisen alle Geschlechter! Denn große Dinge hat der Mächtige an mir getan, und heilig ist sein Name; und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht über die, welche ihn fürchten. Er tut Mächtiges mit seinem Arm; er zerstreut, die hochmütig sind in der Gesinnung ihres Herzens. Er stößt die Mächtigen von ihren Thronen und erhöht die Niedrigen. Hungrige sättigt er mit Gütern, und Reiche schickt er leer fort. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an, um an seine Barmherzigkeit zu gedenken, wie er es unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinem Samen, auf ewig!“ (Lk 1,46–55)

Es gibt zwei Gruppen von Menschen, die das Kommen des Messias betrifft: einerseits die Niedrigen und Demütigen und andererseits die Großen und Hochmütigen. Auf beide wird der kommende Messias jeweils eine Auswirkung haben. Die eine Gruppe wird ihn als positiv erleben, die andere als negativ. Manche werden durch sein Kommen erhoben, andere wiederum erniedrigt.

Der Kontrast zwischen Magd und Priester

Interessanterweise erhalten wir einen kleinen Vorgeschmack von dieser Gegenüberstellung gleich im ersten Kapitel. Zacharias steht in der Gesamtgeschichte der Bibel freilich auf Gottes Seite. Wir lesen gleich am Anfang, dass er „ein gerechter Mann“ ist (Lk 1,6). Dennoch repräsentiert er als Priester und Leiter des Volkes die Art von Menschen, die im Folgenden eher Gegner von Jesus sein werden. Maria hingegen hat keinen hohen sozialen Status inne und repräsentiert deshalb die Unbedeutenden im Volk, die Jesus später gern zuhören werden. Das erste Kapitel berichtet also über die Engelserscheinungen an diese beiden Menschen. Die zwei Ankündigungen werden direkt nebeneinandergestellt und laden somit zum Vergleich ein.

Im ersten Fall richtet sich die Ankündigung an einen respektierten Mann mit gutem Namen, der aus einer angesehenen Familie stammt (vgl. Lk 1,5). Die zweite Botschaft erhält eine junge Frau von scheinbar unwichtiger Abstammung. (Auf ihre Abstammung wird nicht eingegangen; anders ist es bei Elisabeth in Vers 5.) Diese junge Frau ist sich zudem ihrer Unbedeutsamkeit sehr bewusst (vgl. Lk 1,48). Es werden zwei Wunder verkündigt. Bemerkenswert ist, dass der respektierte Priester das kleinere Wunder erfährt – die Geburt eines Kindes im hohen Alter. Das größere Wunder, als Jungfrau ein Kind zur Welt zu bringen, geschieht an der niedrigeren Person. Der belesene Geistliche, der seit jungen Jahren in Gottes mächtigem Wirken geschult wurde, glaubt nicht, dass Gott dieses Wunder tun kann (vgl. Lk 1,20), während das einfache Mädchen, ohne Ausbildung in der Schrift, der unglaublichen Botschaft Gottes durch den Engel Glauben schenkt (vgl. Lk 1,45). Der große Priester wird deshalb für eine gewisse Zeit mit Stummheit gestraft. Die unbedeutende Magd dagegen wird seliggepriesen.

Das Loblied der Maria steht demnach nicht zufällig am Anfang des Lukasevangeliums. Die Platzierung im Anschluss an die zwei Ankündigungen des Engels lässt es als eine Art Kommentar darüber erscheinen. Es gibt den Ton für den Rest des Evangeliums an und möchte sagen: Das Kommen des Messias wird als gute Nachricht hauptsächlich unter denjenigen angekündigt und angenommen werden, die demütig und klein sind. Deshalb wird im Lukasevangelium so oft betont, dass Jesus ein Retter der Schwachen ist. Jesu Geburt wird etwa gleich im nächsten Kapitel den Hirten, einem alten Mann und einer alten Witwe bekannt gegeben. Diese sind die ersten Empfänger der guten Nachricht, und sie werden zu den ersten Evangelisten. Diesem Schema entspricht der Rest des Lukasevangeliums. Jesus kümmert sich vor allem um die Schwachen, Geistesarmen, Hilflosen und Demütigen und verbringt Zeit mit ihnen. Das Lukasevangelium betont diesen Aspekt von Jesu Dienst mehr als alle anderen Evangelien.

Jesus und die verkehrte Welt

Die Kehrseite dieser Botschaft zeigt sich im Verhalten der Mächtigen und Vornehmen. Anfangs werden die Könige, Schriftgelehrten, Hohepriester, Adligen und Vornehmsten des Volkes in Bezug auf die frohe Botschaft vollkommen im Unwissen gelassen. Erst später werden auch sie eingeweiht. Aber selbst an der Stelle, wo sie endlich mit dem Messias in Kontakt kommen, werden vor allem ihre Hartherzigkeit und Ablehnung offenbar, weshalb Jesus sie scharf kritisiert und verurteilt (vgl. Lk 11,37–52; 13,31–33; 16,14–15; 18,18–25; 20,46 ff.). Die Botschaft hat zwei Seiten: Jesus ist der Erlöser der Kleinen und Demütigen, während die Großen und Hochmütigen in ihm nichts als den Stein des Anstoßes finden, der sie schließlich zermalmen wird (vgl. Lk 20,17–18). Jesu Kommen ist nicht automatisch ein Zuspruch, der ohne Weiteres auf jeden von uns angewandt wird, sondern stellt jeden Menschen vor eine Herausforderung.

Darauf bereitet uns der Lobgesang Marias gleich am Anfang vor. Wichtig ist, dass dieser Gesang zwischen Ankündigung und Bericht von Jesu Geburt steht. Der Lobgesang will den Leser zum Nachdenken anregen, bevor der Messias tatsächlich da ist. Er will den Leser über folgende Fragen nachsinnen lassen: Der Sohn Gottes kommt – werde ich davon profitieren? Kommt der Sohn Gottes als Erlöser für mich? Wer bin ich – der Hochmütige oder der Demütige? Zu welcher Gruppe gehöre ich – zu den Kleinen oder zu den Großen? In der Adventszeit haben wir die Möglichkeit, uns selbst diese Fragen wieder ganz neu zu stellen.

Was passiert aber, wenn wir das nicht tun? Der Glanz des ganzen Geschehens wird blass. Das Wunder von Weihnachten geht verloren. Das unübertroffene Geschenk Gottes wird selbstverständlich – und das Selbstverständliche erregt für uns Menschen keine Aufmerksamkeit mehr. Dabei ist es wie mit einem Kind, das viele Spielsachen besitzt. Ein weiteres Spielzeug verliert seinen Reiz und geht in der Masse unter. Gehört einem Kind aber nichts anderes als ein einziger Teddybär, wird es diesen in Ehren halten. Selbstverständlichkeit macht stolz. Sie ist nicht dankbar. Sie sagt zu Gott: „Ist das alles? Hast du nichts mehr zu geben?“ So kann es uns an Weihnachten gehen. Die Geschichte bewegt uns nicht mehr. Das unübertroffene Geschenk „haben wir schon“. Es lässt uns kalt.

Demut als Weg zum wahren Weihnachtswunder

Zu Weihnachten müssen wir wieder aus dem kalten, leidenschaftslosen Schlaf der Selbstverständlichkeit aufwachen. Wie? Indem wir uns demütigen. Demut ist das Gegenmittel zur Selbstverständlichkeit. Demut bedeutet, uns selbst zu entäußern, uns arm zu machen, uns selbst zu Nichts zu machen (vgl. Phil 2,6–8). Dabei begehen wir den Pfad Jesu, als er Mensch wurde. Wir folgen ihm nach.

Durch Demut wird uns ferner unsere Unwürdigkeit erneut bewusst. Wir erinnern uns, wie unverdient Gottes Gabe in Jesus Christus war und wie besonders sie immer noch ist. Der Glanz von Gottes Geschenk wird somit in unseren Herzen erneuert. Durch Demut wird in uns die Wertschätzung gegenüber dem Wunder von Weihnachten wiedergeboren. Durch Demut strahlt in uns der Aufgang des Morgensterns aus der Höhe noch heller (vgl. Lk 1,78). Diese subtile Herausforderung am Anfang des Lukasevangeliums möchte uns die Freude an Advent und Weihnachten nicht wegnehmen, sondern uns zu der Demut anspornen, die uns im Umkehrschluss mit unendlicher Freude beschenkt.