Predigen mit Gott im Zentrum
„Unsere Zuhörer brauchen keine vollgestopften Köpfe, sondern bewegte Herzen.“ Die Worte von Jonathan Edwards, zitiert von Sinclair Ferguson im Vorwort von Predigen mit Gott im Zentrum, fassen die Stoßrichtung des Buches treffend zusammen. Michael Reeves, Rektor der Union School of Theology, möchte mit seinem erstmalig 2024 in Wales erschienenen und gerade erst im Verbum Medien-Verlag ins Deutsche übersetzten Buch keinen gesättigten Markt von „Toolboxen“ zum Predigen bedienen, sondern tiefer gehen. Er entwirft eine Theologie der Predigt, die „auf dem Wesen Gottes, der Herrlichkeit seines Wortes und der Kraft des Evangeliums gründet“ (S. 14).
Das gelingt ihm in überraschender Knappheit und Eindringlichkeit. Es handelt sich hier um eine leichte und gelungene Lektüre mit Tiefgang. Ein geübter Leser wird kaum mehr als zwei Stunden dafür benötigen. Das Buch wirkt wie eine Aneinanderreihung von Essays zu einem großen Thema, was zu manchen Redundanzen führt. Man schaut über diese Wiederholungen aber nicht nur hinweg. Sie werden vielmehr als notwendige Vertiefung wahrgenommen. Mit geschickt gewählten Zitaten weist Reeves über sein Werk hinaus auf die großen Prediger vergangener Zeiten, wie Calvin, Edwards oder Spurgeon.
Gott als Prediger: Die theologische Grundlage
In den ersten drei Kapiteln legt Reeves die theologische Grundlage. Warum predigen wir? Weil Gott ein Prediger ist (Kapitel 1). Er schuf die Welt durch sein Wort und baut seine Gemeinde durch ebendieses Wort. Damit ist offensichtlich, dass Gottes Wort nicht einfach Information ist. Wenn er spricht, verändern sich Dinge. In seinem Wort ist Gott selbst gegenwärtig. Wenn das Helvetische Glaubensbekenntnis darin recht hat, dass die Predigt des Wortes Gottes das Wort Gottes selbst ist, dann ist also die Predigt nichts weniger als eine Begegnung mit Gott (Kapitel 2). Sie erschöpft sich nicht darin, Informationen zu vermitteln. Sie will Menschen an Gott vermitteln. Sie ist kein Reden über das Wort Gottes, sondern Gott selbst will in der Predigt reden und dem Menschen begegnen. Reeves: „Wir predigen nicht einfach über Christus, sondern wir bringen Christus zu den Versammelten“ (S. 31). Es geht um Gott, der zu den Menschen kommt.
Christus vor Augen malen: Person statt Konzept
Das ist für den Prediger demütigend und stärkend zugleich. Seine Person tritt völlig in den Hintergrund. Die Kraft hängt nicht von ihm ab, sondern das Wort bestätigt sich selbst (Kapitel 3). Dieses Wort will nicht verteidigt, sondern verkündet werden. Reeves schließt das dritte Kapitel mit dem Appell: „Prediger, du bist nicht das Licht. Lass die wahre Lampe durch dich leuchten!“, um dann in den nächsten Kapiteln zu entfalten, was das bedeutet. Es gilt in der Predigt, den Zuhörern Christus vor Augen zu malen (Kapitel 4). Das Ziel der Predigt ist nicht, Schriftgelehrte zu erzeugen, sondern Anbeter Jesu Christi. Hilfreich für den Prediger sind Fragen wie diese: „Sage ich den Menschen in erster Linie, was sie tun müssen, oder erzähle ich ihnen von Jesus und was er tat?“ (S. 48). Die Zuhörer sollen nicht nur etwas über Jesus wissen, sondern zu ihm kommen, um das Leben zu haben (S. 50; vgl. Joh 5,40). Wie kann das gelingen? Dafür weist Reeves hilfreich auf drei Gefahren hin, die es zu vermeiden gilt:[1]
- Predige Christus, kein Abstraktum. Reeves erkennt die Gefahr, die Person Jesu Christi durch abstrakte Konzepte von „Evangelium“, „Gnade“ oder „Wahrheit“ zu ersetzen, sodass man als Hörer den Eindruck bekommt, dass das theoretische Konzept – richtig verstanden – schon rettet.
- Predige den lebendigen Christus, kein archäologisches Artefakt. Hier sieht Reeves die Gefahr, Christus wie ein Versuchsobjekt zu behandeln, bei dem nach sorgfältiger Analyse und logischer Schlussfolgerung stets die richtige Antwort herauskommt: „Jesus!“ Es geht aber um mehr, als nur den roten Faden der Bibel aufzuzeigen. Es geht darum, den Menschen Christus zu bringen. Es geht darum, eine Braut für Christus zu gewinnen.
- Predige so, dass Christus sichtbar wird. Es reicht nicht aus, etwas über Jesus zu sagen. Die Zuhörer müssen ihn schmecken und sehen. Das bedeutet aber, dass der Prediger selbst Christus geschmeckt haben muss.
In Kapitel 5 erläutert Reeves, welche Auswirkungen eine christuszentrierte Predigt bei den Zuhörern haben sollte. Sie sollte Licht und Wärme spenden. Emotionen allein reichen nicht aus. Der Verstand muss Erkenntnis empfangen. Der Zuhörer muss Gott kennen und lieben lernen. Dann gilt: „Das Wort Gottes greift die Finsternis und die Pforten der Hölle an. Es ist ein Kriegsgeschrei, der Sünder erzittern und Gläubige vor Erstaunen erbeben lässt“ (S. 62). Als inhaltliche Kritik sei dabei jedoch angeführt, dass sich dem Leser die Relevanz der griechischen Begriffe zum Predigen (S. 61) für die weiteren Ausführungen nur teilweise erschließt.
Herzen verändern durch Evangelium: Gesetz und Gnade
In den Kapiteln 6 und 7 führt Reeves aus, wie radikale Veränderung in den Zuhörern geschieht. Sie wird von innen nach außen bewirkt. Darum reicht es nicht aus, in der Predigt an den Willen zu appellieren und zu veränderten Taten aufzurufen. Es gilt, das Herz zu erreichen und die Liebe an die richtige Adresse auszurichten. Treffender als mit den immer wieder in diesem Buch zitierten Worten des „Fürsten der Prediger“ C.H. Spurgeon kann man es nicht sagen: „Wir wollen das Herz von der Sünde scheiden und es mit Christus verheiraten“, und: „[Prediger sind] nicht gesandt, um Grabsteine zu übertünchen, sondern um Gräber zu öffnen“ (S. 70).
Dabei hilft es, zwischen Gesetz und Evangelium zu unterscheiden (Kapitel 7). Während das Gesetz Sünde aufdeckt, aber keine Lösung bietet, birgt das Evangelium die Kraft des Heiligen Geistes (S. 78). Das Zitat von John Bunyan beschreibt Letzteres sehr eindrücklich: „Es gibt nichts im Himmel oder auf der Erde, das das Herz so in Ehrfurcht versetzen kann, wie die Gnade Gottes. … Nichts hat diese Vollmacht und herrschaftliche Kraft in den Herzen der Menschen wie die Gnade Gottes“ (S. 82). Deshalb lautet der einzige Auftrag des Predigers: „Lass die Menschen die reine Schönheit Christi sehen“ (S. 85).
Predigen wie Christus: Haltung und Herzenshaltung
Reeves schließt seine Ausführungen mit einem herausfordernden Appell an den Prediger ab: Predige wie Christus (Kapitel 8). Wie Christus predigen heißt, Gott zu lieben und die Menschen zu lieben. Die Botschaft ist nicht vom Botschafter zu trennen, seine Verkündigung nicht von seinem inneren Zustand. Daher muss der Prediger nicht nur auf die Lehre, sondern auch auf sich selbst achten. Predigen ist also weit mehr, als eine professionelle Rede zu halten. „Stolze Worte können keine demütigen Menschen hervorbringen“ (S. 92). Der Prediger muss Gottes Ruhm suchen, nicht seinen eigenen. Er muss seinen Zuhörern dienen wollen.
Den Anhang des Buches bildet ein Studienführer mit Reflexionsfragen zum Gelesenen. Es bietet sich an, diese Fragen in einer Gruppe (z.B. von Theologiestudenten) gemeinsam zu besprechen.
Fazit: Empfehlung für die Praxis
Das Buch weckt neue Ehrfurcht vor dem Predigtdienst. Es geht um nichts weniger, als die Zuhörer in eine Begegnung mit dem lebendigen Gott zu führen. Es macht demütig und entlastet zugleich. Denn beim Predigen geht es nicht um mich als den Prediger, sondern um Jesus. Es sind nicht meine Worte, sondern es ist Gottes Wort. Ein Bild über das Predigen hat sich mir bei der Lektüre eingebrannt: Als Prediger werbe ich eine Braut für ihren Bräutigam. Das Buch ermutigt, auf mich selbst als Prediger zu achten. Ein Wunsch bleibt zurück: Meinen Herrn und seine Gemeinde noch mehr zu lieben, um besser für ihn werben zu können.
Wenn die Predigt kein Strohfeuer, sondern Leben spendendes Licht und Wärme, nicht nur eloquente Rede, sondern Leben verändernde Kraft sein soll, braucht es mehr als eine Anleitung in Rhetorik. Es braucht eine Vision davon, was die Predigt von Gott her ist: Begegnung mit Christus in Person. Das prägt Reeves in das Herz seiner Leser. Darum sollte jeder Prediger, jeder Pastor oder Gemeindeleiter und jeder Theologiestudent neben einer „Werkzeugkiste“ zum Predigen auch Predigen mit Gott im Zentrum auf seinem Schreibtisch liegen haben. Eine theologische Vorbildung ist dabei keinesfalls Voraussetzung, um das Buch mit großem Gewinn zu lesen.
Buch
Michael Reeves, Predigen mit Gott im Zentrum, Bad Oeynhausen: Verbum Medien, 2025, 120 Seiten, 7,90 EUR. Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.
1 Die Punkte sind im Artikel „Predigst du wirklich Christus?“ ausführlicher nachzulesen, online unter: https://www.evangelium21.net/media/4158/predigst-du-wirklich-christus.