
Sexualität
Kaum zu glauben, dass es vor ein paar Jahren noch wenigstens in christlichen Kreisen normal war, Sex als einen Akt der Intimität zwischen einem Mann und einer Frau im Schutzraum einer verbindlichen, lebenslangen Ehe zu verstehen. Wer diese Ansicht heute noch vertritt, kann mit einem mitleidsvollen Kopfschütteln oder einem abschätzigen Naserümpfen rechnen – leider auch zunehmend in christlichen, sogar in freikirchlichen Kreisen. Wie so oft der Fall in gesellschaftlichen Entwicklungen, stolpert der Leib Christi unbeholfen und resigniert hinter dem Zeitgeist her oder schreitet ihm in manchen Fällen sogar voraus. Gleichzeitig stellen bibelliebende Christen fest, dass das alte Motto „Wir machen es so, weil die Bibel es so vorschreibt“ zumindest in der jungen Generation nicht mehr so richtig greift. Liberal und „progressiv“ gesinnte Bibelanalytiker fragen sich, ob die Bibel es überhaupt so gemeint hat. Sie machen sich an die Aufgabe, altgediente biblische Wahrheiten auszuhöhlen und neu zu interpretieren (wie auch in anderen Bereichen), um sie bequemer für die säkularisierte Kirche zu machen.
Zeitgeist vs. Wahrheit
Umso dankbarer darf man für die Mühe und die solide theologische Arbeit von Paul Bruderer und Christoph Raedel sein, den Herausgebern des neu erschienenen Workbooks Sexualität: Was sich Gott dabei gedacht hat (Fontis). In den Seiten dieses Buches wird das Thema Sex in jeder Hinsicht „ent-tabuisiert“, nicht um zu schockieren, sondern als Anleitung, wie wir zu einer gesunden, fröhlichen, biblischen Sicht über Sexualität zurückgelangen können. Oder, in den Worten der Herausgeber in der Einleitung zum Buch:
„Wir sind überzeugt, dass die biblische Botschaft genau das ist, wonach wir Menschen uns im Tiefsten sehen. Was die Bibel uns über den menschlichen Körper, sexuelle Intimität und gelingende Beziehungen zeigt, schafft Identität, stillt Sehnsucht, gibt Hoffnung und schenkt Heimat.“ (S. 5)
Was sagt Gott wirklich über Sex? Und – wichtig für das heutige Zeitalter der Zyniker und Zweifler – warum? Dieses Workbook ist eine Antwort auf die achselzuckende Reaktion von Skeptikern auf die altgediente Behauptung: „Wir machen es so, weil es in der Bibel so steht.“ Was schreibt die Bibel genau vor? Was verbietet sie? Und warum? Wie sind diese Aufforderungen und Warnungen für uns heute zu verstehen? Müssen sie neuen gesellschaftlichen Normen angepasst werden? Brauchen sie ein Update?
Gottes Perspektive
Das Buch ist klar und übersichtlich strukturiert. Es besteht hauptsächlich aus einer Zusammensetzung von Grundlagentexten, die einen guten Mix zwischen sachlichen Informationen und einem seelsorgerlichen Ansatz ergeben. Verschiedene Autoren mit unterschiedlichen Schwerpunkten tragen ihre Gedanken zum Gesamtwerk bei, unter ihnen Paul Bruderer, Christian Jungo, Janine Götz, Rolf Rietmann, Christa und Wilf Gasser, Susanna Aerne und Regula Lehmann. Manche sind schon für ihre Impulse zum Thema Sexualität an anderer Stelle bekannt. Die lange Liste von Anmerkungen am Ende von jedem Kapitel zeugt von der großen Zahl von Zusatzquellen, die herangezogen werden. Diese vielfältigen Quellen untermauern die Hauptthese der Autoren, dass die von Gott geschaffene Sexualität ein wunderbares Geschenk ist, das in der Bibel mit großer Ehrlichkeit beschrieben und auch gefeiert wird. Den Autoren ist es gelungen, eine bejahende Sicht über Sex zu vermitteln, nicht trotz der klaren Leitplanken, die das Wort Gottes uns vorschreibt, sondern gerade wegen dieser Leitplanken.
„Entdecke …, dass Gott viel größer und wertschätzender über uns Menschen, unseren Körper und unsere Sexualität denkt, als wir dies selbst oft tun!“ So wird auf dem Klappentext zur Lektüre des Buches eingeladen.
Intensive sechs Wochen
Ergänzend zu den Texten gibt es am Anfang des Buches einen Arbeitsteil. In einem Zeitraum von sechs Wochen darf der Leser bzw. Kursteilnehmer sechs Predigten anhören, die auf einer zum Buch eingerichteten Internetseite aufgerufen werden können. Das Buch erklärt in den sechs entsprechenden Einheiten, warum die Bibel in ihrer Sicht über Sex nicht einengend ist, sondern befreiend. Die Kapitel sind übersichtlich gestaltet und einfach zu verstehen. Sie laden zum Mitmachen, Mitschreiben und Mitreden ein. Ergänzende Quellen (Predigten, Artikel, Literaturempfehlungen) geben Anregungen für weitere Reflexion. Die Themen sind umfangreich: Der Leser findet Informationen zu gesellschaftlichen und historischen Entwicklungen zum Thema Sexualität, Impulse für ein kraftvolles Singlesein, Ehe, Verhütung, Sex im Alter sowie den Umgang mit Verletzungen. Auch brisante Fragen wie Selbstbefriedigung und Pornographie werden nicht verschwiegen. Es gibt keine Tabus. Das Buch ist auch praxisnah und gibt Ideen für Austauschrunden – allein, als Ehepaar, in Kleingruppen sowie für Männer oder Frauen unter sich. Die Predigten dienen als Basis für Austausch und Vertiefung. Zu den verschiedenen Predigtthemen gibt es für jeden Wochentag einen Impuls, mit dem der Leser sich in aller Ruhe gründlicher beschäftigen darf.
Uneingeschränkt empfehlenswert
Dieses Buch erklärt und erforscht das Thema, wirbt für ein tieferes Verständnis und zeichnet ein Bild von Sexualität nach Gottes Vorstellung, das einladend, ansprechend und einleuchtend ist. An keiner Stelle wird die traditionell-konservative Sicht auf Sexualität infrage gestellt oder für die moderne moralische Beliebigkeit „kontextualisiert“. Im Gegenteil, biblische Werte werden gut und solide begründet. Sogar ohne eine Bibel in der Hand könnte ein rationaler Mensch zu den gleichen Schlüssen kommen wie die Autoren. Das Buch ist praktisch, ehrlich, lebensnah und realistisch. Es strahlt eine Leichtigkeit aus, die den Erwartungsdruck mindert, dass Sex das Nonplusultra sei und endloses Lebensglück bieten müsse.
„Sex sells“ – so lautet die gängige Redewendung, wenn es um die Darstellung von Sexualität in den Medien geht. Man kann nur hoffen, dass dies in Zusammenhang mit diesem Buch auch zutrifft – allerdings im positiven Sinne! Sprachfähigkeit in diesem Lebensbereich gehört traditionell nicht zu den Vorzügen der christlichen Meinungsmacher. Ich empfehle das Buch von ganzem Herzen – für die Gemeindearbeit, Paararbeit, auch für Jugendliche und Singles! Ich hoffe sehr, dass das Buch große Verbreitung findet und Christen wie auch Nichtchristen daran erinnert, wie gesund, gut und verständlich Gottes Baupläne für uns Menschen sind.
Buch
Paul Bruderer und Christoph Raedel (Hg.), Sexualität: Was Gott sich dabei gedacht hat. Ein Workbook, Basel: Fontis, 2024, 232 Seiten, 14,90 EUR.