Evolution – eine Frage der Philosophie, nicht der Biologie

Artikel von R.C. Sproul
15. Oktober 2025 — 8 Min Lesedauer

Ein einflussreicher Denker

Die Veröffentlichung von Darwins Über die Entstehung der Arten war so revolutionär wie die Veröffentlichung von Kopernikus’ Schrift Über die Umlaufbahnen der Himmelssphären. So revolutionär der Übergang von einem geozentrischen zu einem heliozentrischen Weltbild auch war, er ist nichts im Vergleich zu dem Einfluss von Darwins Ideen. Sein Name ist inzwischen gleichbedeutend mit dem Wort Evolution, obwohl es schon vor der Veröffentlichung seines Werkes Evolutionstheorien gab und es auch bis heute nicht die eine, einheitliche Evolutionstheorie gibt. Das heißt, die Idee der Evolution selbst hat sich entwickelt und verändert, aber Darwins Name bleibt zentral.

Dass zwischen Naturwissenschaften und Geschichte eine Verbindung besteht, ist nur natürlich. Geschichte befasst sich nicht nur mit dem Handeln von Menschen im Laufe der Zeit, sondern auch damit, wie dieses Handeln von der Natur beeinflusst wird. Das Verständnis vom Ursprung des Universums, der Natur und der Zeit hat einen großen Einfluss auf die eigene Anthropologie und Theologie. In diesen zwei Bereichen hat Darwins Werk eine große Krise ausgelöst.

Darwin und Theologie

Die Frage nach dem Ursprung des Menschen ist emotional aufgeladen, und es wird kontrovers diskutiert, wie man sie in Schulen behandeln soll. Wenn die Revolution durch Kopernikus einen Riss zwischen Naturwissenschaft und Religion verursachte, dann hat die Revolution durch Darwin diesen Riss in eine unüberbrückbare Kluft verwandelt. In dieser Kontroverse steht in erster Linie die Würde des Menschen auf dem Spiel. Wenn – wie manche schlussfolgern – der Mensch nicht durch die Aktivität einer höheren Intelligenz entstanden ist, sondern durch unpersönliche Kräfte der Natur, dann drängt sich die Frage nach der Würde des Menschen auf. Die heutige Würde des Menschen ist untrennbar mit seiner Vergangenheit und Zukunft, mit seinem Ursprung und Ziel verknüpft.

Wie auch in verschiedenen Formen des Nihilismus und des pessimistischen Existentialismus ist die Frage nach dem Ursprung entscheidend. Ein Philosoph sinnierte, dass der Mensch lediglich eine höher entwickelte Bakterie ist. Er ist durch Zufall aus dem Schleim hervorgegangen und balanciert am Rande eines Rädchens im Getriebe einer riesigen kosmischen Maschine, die für den Untergang bestimmt ist. Wenn wir tatsächlich aus dem Abgrund des Nichtseins gekommen sind und erbarmungslos wieder in diesen Abgrund geworfen werden, was haben wir dann für einen Wert, was für eine Bedeutung oder Würde? Wenn unser Ursprung und unser Ziel bedeutungslos sind, wie kann unser Leben jetzt eine Bedeutung haben? Einem kosmischen Unfall, der im besten Fall bestialisch ist, Würde zuzusprechen, heißt, sich sentimentalem Wunschdenken und philosophischer Naivität hinzugeben. Das haben Friedrich Nietzsche, Jean-Paul Sartre und andere genau verstanden.

Radikale Evolution hat für manche den Reiz, die Bedrohung durch einen obersten Richter zu beseitigen, vor dem man für das eigene Leben und Verhalten zur Rechenschaft gezogen wird. Wenn radikale Evolutionstheorien richtig sind, hat man bei einem solchen Richter nichts zu fürchten. Ausgewachsene Bakterien haben keinerlei moralische Verantwortung. Der Preis für diese Flucht vor einer Rechenschaft ist jedoch Sartres „nutzlose Leidenschaft“. Einfach gesagt: Wenn wir nicht für unser Leben verantwortlich sind, dann hat unser Leben schlussendlich keine Bedeutung.

1831 stach Darwin in See auf eine weltweite Reise, um naturwissenschaftliche Beobachtungen zu machen und empirische Forschung zu betreiben. Er nahm Charles Lyells Buch Principles of Geology (dt. „Prinzipien der Geologie“) mit – eine klare Verteidigung der uniformitären Geologie. Der Uniformitarismus argumentiert gegen Theorien des Katastrophismus, die davon ausgehen, dass katastrophale Ereignisse für die Geschichte der Erde verantwortlich sind. Das hat Fragen über das Alter der Erde aufgeworfen. Der Uniformitarismus setzt eine Erde voraus, die Millionen Jahre alt ist, um große Veränderungen in der Erde und im Gestein sowie das Heben und Absenken von Bergen zu erklären.

Darwin schwärmte von Lyells Buch und dessen Einfluss auf sein Denken. Nachdem er bereits einen Großteil seiner Reise zurückgelegt hatte, stellte Darwin in der Nähe von Tahiti seine Theorie über die Entstehung von Korallenriffen auf. Darwin argumentierte auf überzeugende Weise, dass lebende Korallen auf Sonnenlicht angewiesen seien und in einer Tiefe von über 30 Metern nicht leben könnten. Daher müsse das Herausbilden eines Riffs aus Korallschichten Zeit kosten und könne, auch nicht durch ein katastrophisches Ereignis, plötzlich passieren.

1859 veröffentlichte Darwin Über die Entstehung der Arten. Bereits 1839 hatte er damit angefangen und es im Grunde im Jahr 1844 fertiggestellt. 15 Jahre lang hielt er der Öffentlichkeit sein Werk vor, vermutlich aus Angst vor der Empörung, die es verursachen könnte. In seinem Buch stellte er die Theorie auf, alle lebenden Organismen auf der Erde stammten von einer Urform ab. Aus dieser einzigen Quelle hätten sich alle Formen des Lebens entwickelt und entwickelten sich nun weiter. Das ist das Prinzip der Makroevolution. Diese unterscheidet sich von der Mikroevolution, bei der man davon ausgeht, dass Anpassung und Veränderung nur innerhalb von Arten geschieht.

Darwins Prämissen

In seinem Buch Coming of Age in the Milky Way (dt. etwa „Erwachsenwerden in der Milchstraße“) nennt Timothy Ferris drei wichtige Voraussetzungen für Darwins Theorie:

Prämisse 1: Jedes einzelne Mitglied einer bestimmten Spezies unterscheidet sich von den anderen. Diese Einzigartigkeit des Individuums innerhalb einer Spezies wird heutzutage nicht abgestritten.

Homo sapiens: In der Moderne werden individuelle Merkmale mit dem genetischen Code in Verbindung gebracht. Um die Identität einer Person nachzuweisen, bevorzugt die Rechtsmedizin heute DNA gegenüber Fingerabdrücken. Im England des 19. Jahrhunderts war ein großes Interesse an der Tierzucht und der Hybridzucht von Pflanzen entstanden. Darwins Schwiegervater war als Tierzüchter daran interessiert, wie individuelle Merkmale an die nächste Generation weitervererbt werden können. Darwins Großvater, Erasmus Darwin, schrieb ein Buch mit dem Titel Zoonomie oder Gesetze des organischen Lebens, in dem er argumentierte, dass alles Leben von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen könnte.

Prämisse 2: Alle Lebewesen neigen dazu, mehr Nachkommen zu zeugen, als ihre Umwelt versorgen kann. Das führt dazu, dass manche die Natur (oder Gott) als verschwenderisch oder skrupellos ansehen. Nur ein Prozentsatz der neugeborenen Insekten, Tiere, Fische usw. lebt lang genug, um sich fortzupflanzen. Selbst in der menschlichen Fortpflanzung wird die weibliche Eizelle zwar nur von einem Samen befruchtet, ein einziger Samenerguss eines Mannes kann aber Millionen Spermien enthalten. Warum diese Verschwendung? (Eine positivere Sichtweise ist eine der Gewissheit und nicht der Verschwendung: Wenn 999.999 Spermien „verschwendet” werden, um die Befruchtung einer Eizelle sicherzustellen, deutet das auf einen starken Drang zum Überleben und Fortbestehen der Spezies hin). Das führt zu Darwins dritter Prämisse, die die „natürliche Selektion“ beinhaltet.

Prämisse 3: Unterschiede zwischen Individuen, zusammen mit Umwelteinflüssen, wirken sich darauf aus, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Individuum lange genug überlebt, um seine genetischen Merkmale weiterzugeben. Ein Beispiel ist die Pfeffermotte in der Nähe von Manchester in England. Während des 18. Jahrhunderts hatten alle Motten, die in der Region gesammelt wurden, eine blasse Farbe. 1849 wurde eine einzelne schwarze Motte gefangen. 1880 waren schwarze Motten in der Mehrzahl. Warum? Was hatte das Vorkommen der Motten verändert? Darwin schaut nicht auf angeborene Stärken oder Schwächen der Motten, sondern auf Veränderungen in der Umwelt. Die industrielle Revolution in Manchester stellte eine Wirkung von außen dar, die die Umwelt der Motten veränderte. Der Ruß aus den Fabriken färbte die Baumstämme schwarz, wodurch die ursprünglichen Motten nicht mehr getarnt waren und immer weniger wurden. Die dunkleren Bäume boten aber eine gute Tarnung für die paar schwarzen Motten und so vermehrten sie sich. Als Gesetze zum Umweltschutz eingeführt wurden und der Ruß an den Bäumen immer weniger wurde, erholte sich die Population der blassen Motten.

Darwin und Makroevolution

Manche behaupten, dass Makroevolution nicht mehr als Theorie oder Hypothese bezeichnet werden kann, sondern als unbestreitbare Tatsache angesehen werden sollte. Das deutet auf den fast schon religiösen Eifer hin, der mit den heutigen Theorien einhergeht und der dem religiösen Eifer gleichkommt, der sie abstreitet. Es gibt aber vieles, das von der Evolutionstheorie her noch ungeklärt ist. Der Ursprung biologischer Arten ist letztendlich vielmehr eine historische als eine biologische Frage. Dass Organismen in dieser Welt sich verändern, ist nichts Neues. Das war für Thales offensichtlich und eine Wahrheit für Heraklit. Die Frage, wie das Werden mit dem Sein zusammenhängt, ist so alt wie die Philosophie selbst. Wie und warum wir werden, ist für Philosophen ein dauerhaftes Anliegen.

Wir hören oft, dass unser heutiges Verständnis vom Wesen lebender Organismen die Makroevolution beweist. Das Argument lautet, dass die Tatsache, dass alles Lebende aus den gleichen Grundbestandteilen bzw. dem gleichen „Stoff“ besteht – wie Aminosäuren, Proteine usw. – beweist, dass alles Lebende denselben Ursprung hat. Aber wegen gemeinsamer Bestandteile von einem gemeinsamen Ursprung auszugehen, ist ein falscher Schluss. Gemeinsame Bestandteile erfordern genauso wenig einen gemeinsamen Ursprung, wie die Entstehung einer Sache nach einer anderen beweist, dass die erste die zweite verursacht hat (der sogenannte Post-hoc-Fehlschluss).

Evolutionstheorien nehmen normalerweise an, dass alle Veränderungen durch Mutationen, natürliche Selektion usw. Teil einer Aufwärtsspirale des Fortschritts sind. Solch ein „Fortschritt“ deutet auf eine Bedeutung und ein Ziel hin, und das wiederum nimmt die Teleologie oder einen Schöpfer an. Schöpfung ohne Schöpfer, wie Zielen ohne Ziel, wirft die Frage nach Intelligenz auf. Warum nehmen solche Theorien der Veränderung nicht an, dass diese Veränderungen rückschrittlich sind? Warum werden diese Veränderungen nicht einfach als bedeutungslos abgetan? Wenn wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, merken wir schnell, dass die Evolution letztendlich vielmehr eine Frage der Philosophie ist als der Biologie.