Vergebung im Vaterunser
Am 18. Oktober findet in Schwabach die E21-Regionalkonferenz Südost zum Thema „Herr lehre uns beten: Auslegung und Anwendung des Vaterunsers“ statt. Peter Krell und Markus Matthes sind die Hauptredner der Konferenz. Die Anmeldung ist hier möglich.
Wenn du jemandem das Vaterunser beibringst – einem Kind, einem Nachbarn, einem Mitarbeiter oder einem Freund –, welche Zeile müsste aus deiner Sicht am dringendsten erklärt werden?
„Unser Vater, der du bist im Himmel! Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden. Gib uns heute unser tägliches Brot. Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.“ (Mt 6,9–13)
Vielleicht ist es die erste Zeile: Warum nennen wir den Gott des Universums „Vater“? Und was bedeutet es, etwas zu „heiligen“ (vor allem einen Namen)? Oder vielleicht ist es die zweite Zeile: Was ist der Wille Gottes, und wie erkennen wir ihn hier auf der Erde? Oder die eindringliche Zeile, in der es um „das Böse“ geht: Welche Art von Bösem umgibt und bedroht uns?
Wie auch immer wir selbst unsere Eingangsfrage beantworten, wir haben die Antwort Jesu auf diese Frage. Er wählte, nur über eine Zeile etwas zu sagen – und es ist nicht die, die viele von uns erwartet hätten.
Bittest du um Vergebung?
Als Jesus seine Jünger beten lehrte, begann er mit dem Königreich Gottes, dem Willen Gottes, dem Ruhm Gottes. Als wären wir dabei gewesen, können wir die Reaktion darauf fast hören: „Amen! Amen! Amen!“ Und dann, genauso plötzlich, wie er in die Krippe kam, steigt Jesus hinab in die kleinsten Einzelheiten unseres irdischen Lebens: „Gib uns heute unser tägliches Brot.“ Alles, was wir für den heutigen Tag benötigen? Da sagen wir nicht Nein.
Die nächste Zeile könnte jedoch für mehr Verwirrung gesorgt haben:
„Und vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern.“
Jesus sagt: Wenn ihr betet, dann denkt daran, wie ihr Gott beleidigt habt. Sagt ihm, wie ihr ihn heute erneut missachtet und wie unwürdig ihr euch in Bezug auf sein Königreich, seinen Willen und seinen Ruhm verhalten habt. Bittet ihn dann um Vergebung.
Jesus lehrt: Neben allem, worum ihr sonst noch betet, betet auf jeden Fall um Vergebung. Jeden Tag, an dem ihr aufwacht, werdet ihr Nahrung und Vergebung benötigen. Euer Magen wird knurren und eure Seele wird rebellieren. Betet also und lebt entsprechend.
Der qualvolle Hunger des Herzens
Die meisten Christen beten täglich um ihr Brot (oder danken Gott zumindest, wenn sie versorgt sind). Doch wie viele von uns beten wegen ihrer Sünden genauso beharrlich wie wegen ihrer Mahlzeiten? Warum ist das so?
Einer der Gründe ist, dass wir unser Bedürfnis nach Nahrung sehr stark spüren. Wir bekommen Bauchschmerzen. Wir können vielleicht hin und wieder eine Mahlzeit auslassen, aber nicht viele und schon gar nicht über einen längeren Zeitraum. Wenn wir das tun, meldet sich unser Körper. Wir halten es für selbstverständlich, aber es gibt eine magische Verbindung zwischen unserem Gehirn und unserem Darm, die uns mitteilt, wann wir etwas essen müssen. Wir müssen, um zu überleben, nicht ständig darauf achten, denn unser Körper gibt uns Signale, wenn es Zeit für das Mittagessen, einen Snack oder ein Glas Wasser ist. Es ist unwahrscheinlich, dass wir das Essen vergessen, weil unser Hunger schließlich alles andere übertönt.
Doch aus verschiedenen Gründen fällt es uns schwerer, die Hungersignale unserer sündigen Herzen zu vernehmen. Das Herz hat seine eigene Stimme, doch diese überwältigt uns körperlich nicht so sehr wie der Hunger. Die Signale des Herzens offenbaren genauso viel Hunger wie unser Magenknurren, aber wir kommen besser damit zurecht. Ruhelosigkeit, Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Faulheit, Ungeduld, Murren – wenn wir diese Signale überhaupt wahrnehmen, dann entschuldigen wir sie, statt uns damit auseinanderzusetzen.
Die Symptome der verbleibenden Sünden zeigen genau das, was Jesus ganz eindeutig lehrte: Wir brauchen Vergebung – und zwar viel öfter, als wir uns das eingestehen wollen. Das Gebet „Vergib uns unsere Schulden“ ist eine ehrliche, gütige und tägliche Erinnerung an ein ständiges Bedürfnis.
Vergebung – längst vollbracht?
Es ist gut möglich, dass wir nicht oft um Vergebung bitten, da wir im Grunde genommen annehmen, dass uns bereits vergeben worden ist. Wenn unsere Schuld bereits vollständig bezahlt ist, warum ist es dann notwendig, Gott ständig um Vergebung zu bitten? Als Jesus am Kreuz starb, verkündete er, dass sein Sühnopfer vollbracht sei: „Es ist vollbracht“ (Joh 19,30). Doch warum lehrte er uns, zu beten, als sei Vergebung ein ständiges Bedürfnis?
Die Rechtfertigung – die vollkommene Annahme vor Gott durch den Glauben allein – ist kein Bedürfnis, welches man jeden Tag erneut spürt, wie den Bedarf nach dem täglichen Brot. Wenn du heute durch Gnade und Glauben gerechtfertigt bist, musst du morgen nicht aufs Neue gerechtfertigt werden: „Da wir nun aus Glauben gerechtfertigt sind, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm 5,1). Da wir freigekauft wurden, sind wir mit Gott im Reinen – und das wird durch die heutigen oder morgigen Sünden nicht aufgehoben: „So gibt es jetzt keine Verdammnis mehr für die, welche in Christus Jesus sind“ (Röm 8,1). Die ewige Verdammnis ist nicht wie ein Unkraut, das über Nacht erneut in den Garten zurückkehrt. Für diejenigen, die wahrlich in Christus sind, ist sie endgültig vorbei.
Trotzdem lehrte Jesus uns, fortwährend so zu beten: „Vergib uns unsere Schulden.“ Warum? Weil gerechtfertigte Sünder immer noch Sünder sind. Die Sünde stört immer noch die Beziehung zu Gott. Die Sünde kann die wahrhaft Gerechten nicht verdammen – ihre Schuld ist getilgt, der Fluch aufgehoben und der Zorn Gottes abgewendet. Das bedeutet aber nicht, dass die Sünde nicht anstößig oder schädlich für Beziehungen ist, auch für die Beziehung zu Gott. Indem wir regelmäßig um Vergebung bitten, nehmen wir das vollendete Werk Christi in die gegenwärtigen Versuchungen und Verfehlungen mit hinein – und wir erneuern und vertiefen die Gemeinschaft, die wir aufgrund dieses vollendeten Werks mit ihm erfahren.
Wir erkennen diese Dynamik, wenn Jakobus uns ermahnt: „Bekennt einander die Übertretungen und betet füreinander, damit ihr geheilt werdet!“ (Jak 5,16). Diese Christen sind schon freigekauft, doch sie sündigen immer noch und spüren immer noch die schlimmen Folgen der Sünde, was sie dazu bringt, zu beten, zu bekennen und um Vergebung zu bitten. Und indem sie beten, vernichten sie das schmerzhafte Unheil der Sünde. In diesem Fall werden sie geheilt.
Was macht Vergebung unmöglich?
Wir haben jedoch noch nicht gehört, wie Jesus diese Zeile in seinem Gebet erläutert. Nachdem er das Gebet beendet hat, kehrt er ausdrücklich auf die Bitte um Vergebung zurück:
„Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater euch auch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen ihre Verfehlungen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“ (Mt 6,14–15)
Jesus geht nicht näher auf den Willen Gottes ein oder erklärt auch nicht die Gefahren des Bösen; nein, er macht ihnen klar, wie dringend es aus geistlicher Sicht ist, dass sie vergeben. Er warnt sie, dass ihre Gebete – alle ihre Gebete für alle anderen Dinge – auf taube Ohren stoßen werden, wenn sie Bitterkeit hegen und keine Vergebung gewähren. Die Warnung ist direkt in das Gebet eingeflochten: „Vergib uns unsere Schulden, so wie auch wir unseren Schuldigern vergeben haben.“ Das Gebet, dass Gott uns vergibt, setzt voraus, dass wir selbst bereits vergeben haben, auch wenn das in der allgemein gebräuchlichen deutschen Übersetzung nicht so klar herauskommt. Hast du vergeben?
Wir brauchen Vergebung mindestens so oft wie etwas zum Essen. Und fast so oft, wie wir Vergebung brauchen, müssen wir vergeben. Uns wird nicht vergeben werden, wenn wir nicht ebenfalls vergeben. Wem musst du vergeben? Wir können den restlichen Teil des Vaterunsers nicht auf sinnvolle Weise beten, wenn wir uns weigern, zu vergeben, wie er es tut.
Vergebung ermöglicht Gebet
Dieses einfache Gebet Jesu erinnert uns daran, dass unsere Sünde ein tägliches Problem ist. Jeden Tag tun wir, was wir nicht tun sollten. Wir versäumen, das zu tun, was wir tun sollten. Wir sagen, was wir nicht sagen sollten. Wir versäumen es, zu sagen, was wir sagen sollten. Wir denken, was wir nicht denken sollten. Wir vermeiden es, die Gedanken zu haben, die wir haben sollten. Das Vaterunser legt die verderblichen Folgen unserer Rebellion gegen Gott offen. Und es erinnert uns bei jedem Gebet daran, dass Gott immer noch vergibt – auch heute noch und auch dir, wenn du dich demütigst und ihn darum bittest.
Jesus sagte nicht: „Denkt an eure Sünden und versinkt in Scham und Schuld.“ Nein, er lehrte seine Jünger, ihm ihre Sünden zu bekennen und Vergebung zu erwarten. Und warum konnten sie mit Vergebung rechnen? Weil er wusste, dass seine Wunden dieses Gebet bald möglich machen würden. Er lehrte sie nicht einfach nur das richtige Gebet, sondern war auch bereit, zu sterben, um ihren Gebeten Leben und Wirksamkeit vor dem Thron Gottes zu geben. Schon bevor er die Nägel, die Dornen und das Kreuz erlitt, lehrte er seine Freunde, das Kreuz anzunehmen.
Denk beim Beten daran und bitte im Namen Jesu mutig um Vergebung. Und so wie Gott dir vergeben hat, vergib deinen Schuldnern, bevor du betest.