Wer ist der Heilige Geist?

Artikel von Sinclair B. Ferguson
24. September 2025 — 12 Min Lesedauer

Mein Pastor während meiner Studienzeit war ein bemerkenswerter Mann namens William Still. Wie das bei lebendigen und dynamischen geistlichen Diensten meistens der Fall ist, waren seine Predigten geprägt von bestimmten wiederkehrenden Themen. Geistliche Diener wie Pastor Still zeichnen sich oft dadurch aus, dass ihnen – aufgrund von Erfahrungen, ihrem Kontext und biblischen Erkenntnissen – gewisse Anliegen besonders wichtig sind. Es gibt bestimmte Motive, die sich wie eine Melodie durch die Musik ihrer Predigten ziehen. Ein Motiv, das den Dienst von William Still kennzeichnete, war die regelmäßige Erinnerung an die Worte eines Liedes von Henry Francis Lyte:

„Think what Spirit dwells within thee, What a Father’s smile is thine, What thy Saviour died to win thee. Child of heav’n, should’st thou repine?“
„Denk, welch Geist in dir nun wohnet, Wie dein Vater dir nun lacht, Was dein Heiland dir erworben. Kind des Himmels: Murrst du noch?“

Das Lied wird heute nur noch selten gesungen – die Melodie ist nicht gerade zeitgemäß und auch die Sprache ist veraltet (wer „murrt“ heute noch?). Sprachlich können wir den Verlust des Liedes verkraften; theologisch und geistlich hingegen können wir es uns nicht leisten, den Aufruf in der ersten Zeile zu vernachlässigen: „Denk, welch Geist in dir nun wohnet.“

Die vergessene Person der Dreieinigkeit?

Zu den kontroversen Themen meiner Jugendjahre – es war die Zeit der sogenannten „charismatischen Erneuerung“ – gehörte die Frage, ob das Sprechen in Zungen ein sicheres Zeichen für die Taufe mit dem Heiligen Geist (und sogar für ein authentisches und geisterfülltes Leben an sich) sei. In Predigten und Ansprachen wurde häufig betont, der Heilige Geist sei „die vergessene Person der Dreieinigkeit“. Dieses Mantra wurde so oft wiederholt, dass es schließlich wie eine Binsenweisheit wirkte – wer könnte daran zweifeln?

Was allerdings in diesen Debatten immer im Zentrum stand, waren die Gaben des Geistes (insbesondere Zungenrede und Prophezeiungen), nicht seine Person. Mit der Zeit wurde ziemlich offensichtlich, dass beeindruckende (und scheinbar sogar geistliche) Gaben zu besitzen, nicht dasselbe ist, wie Gemeinschaft mit der Person des Geistes zu haben oder seine Frucht zu tragen. Geistesgaben und Gemeinschaft mit dem Geist gingen nicht notwendigerweise Hand in Hand. Nun, Jesus selbst hat darauf hingewiesen, dass es Menschen geben kann, die in seinem Namen außergewöhnliche Wundertaten vollbringen, obwohl er sie nicht kennt, und die somit keinen Anteil haben am Geist der Gnade (vgl. Mt 7,21–23). Auch Paulus sah diese Möglichkeit (vgl. 1Kor 13,1). Tatsächlich hinterließ in meiner Jugendzeit der „Dienst“ einiger prominenter Persönlichkeiten einen Eindruck, der an Simon den Zauberer erinnerte: Sie waren getrieben von dem Ehrgeiz, beeindruckende Machttaten auszuüben und sogar Kontrolle über den Heiligen Geist zu erlangen (vgl. Apg 8,9–24).

Trotz aller Aufmerksamkeit, die den Gaben des Heiligen Geistes geschenkt wurde, blieb der Geist die „vergessene Person der Dreieinigkeit“ – und mehr noch: eine unbekannte Person. Es fehlte das Streben des alten Gebets der Kirche:

„Den Vater auf dem ew’gen Thron lehr uns erkennen und den Sohn; dich, beider Geist, sei’n wir bereit zu preisen gläubig alle Zeit.“

Es war diese trinitarische – auf die „ganzheitliche Gottheit“ ausgerichtete – Perspektive auf den Heiligen Geist, die von den besten frühen Kirchenvätern gepflegt und geschätzt wurde. Sie wurde zur Zeit der Reformation von Theologen wie Johannes Calvin wiederentdeckt und in späteren Jahrhunderten dann von Leuten wie John Owen, Thomas Goodwin und Abraham Kuyper. Der Verlust dieser Perspektive hat (zumindest zu meinen Lebzeiten) dazu geführt, dass ein beunruhigender Teil „evangelikaler“ Lehre eher unitarisch als trinitarisch geprägt war: Man fokussierte sich auf den Vater oder den Sohn oder den Heiligen Geist, aber selten auf alle drei Personen der heiligen Dreieinigkeit.

Wer ist der Heilige Geist?

Trotz aller Wiederholungen des Mantras, der Heilige Geist habe aufgehört, „die vergessene Person der Dreieinigkeit“ zu sein, bleibt es fraglich, ob wir tatsächlich zu einer reichhaltigeren und innigeren Gemeinschaft mit dem Geist selbst gelangt sind. Die Frage, die (wenigstens für mich) weiterhin offenbleibt, lautet also: Wer ist der Heilige Geist? Wie kann und sollte ich über den Geist denken, der in mir wohnt?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir mit der Bibel in ihrer Gesamtheit vertraut sein. Es gibt da keine Abkürzung (so sehr wir uns das auch wünschen), denn abgesehen vom Wort Gottes haben wir keine Möglichkeit, zu erfahren, wer er ist, oder zu verstehen, wie er wirkt. Wir erfinden das Wirken des Heiligen Geistes ebenso wenig wie das Wirken Christi.

Es geht mir nicht darum, authentische Geistesgaben schlechtzumachen oder ihre Wichtigkeit für unser gemeinsames Leben in der Gemeinde herunterzuspielen. Es geht mir auch nicht darum, die Abhängigkeit der Gemeinde von der Kraft des Geistes kleinzureden, die unseren Schwachheiten aufhelfen muss – solange wir uns davor hüten, dass die Gier nach Macht, unser Bewusstsein unserer Schwäche auslöscht, da Schwachheit und Kraft zusammengehören (vgl. 2Kor 11,29–30; 12,5.9; 13,4). Dennoch: Gaben und Krafttaten bedeuten nicht automatisch, dass man auch Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist hat, ihn kennt und seine Frucht trägt.

Was würdest du von einem Ehemann halten, der auf die Frage, warum er seine Frau liebt und ihr vertraut, antwortet: „Sie ist eine fantastische Köchin, und ich esse einfach so unglaublich gern!“ Oder was würdest du von einer Ehefrau halten, die auf die Frage, warum sie ihren Mann liebt, antwortet: „Er ist reich, sieht umwerfend gut aus, und an seiner Seite sehe auch ich toll aus – und ich liebe es, Geld auszugeben und von anderen Menschen bewundert zu werden!“ Würden wir nicht lieber hören: „Ich vertraue ihr um ihrer selbst willen und weil ich sie kenne.“ Oder: „Ich liebe ihn, weil er mich liebt und wir das wunderbare Privileg einer Liebesgemeinschaft miteinander teilen.“

Wie also sollten wir über den denken, der in uns wohnt?

Hier müssen wir uns auf eine kurze (mit vielen Bibelverweisen versehene) Zusammenfassung beschränken, die unseren Horizont erweitern und unsere Herzen erwärmen soll (und vielleicht auch unseren Kopf ein wenig rauchen lässt!). Der Geist, der in uns lebt, ist eng mit Gottes Plänen und mit dem Sohn verbunden – damit er auch unser Leben prägen kann.

Der Geist im Alten Testament

Die erste biblische Erwähnung des Heiligen Geistes findet sich in 1. Mose 1,2: „Der Geist Gottes schwebte über den Wassern.“ Das hebräische Wort ruach kann entweder mit „Geist“ oder „Wind“ übersetzt werden, und manchmal ist diese Übersetzung umstritten; unbestritten ist jedoch das Wirken des Geistes bei der Schöpfung im Allgemeinen und bei unserer eigenen Schöpfung im Besonderen (unabhängig davon, wie Elihus Rede insgesamt zu verstehen ist: Hiob 33,4 ist eine wahre Aussage).

Kurz nach dem Sündenfall verkündete Gott, dass aufgrund der Sünde der Menschen sein „Geist … nicht ewig im Menschen bleiben“ soll (1Mose 6,3; ELB). Dennoch leitete der Geist das Leben von alttestamentlichen Heiligen wie Joseph (vgl. 1Mose 41,38), führte das Volk Gottes beim Auszug aus Ägypten (vgl. Jes 63,10–14) und war über sie betrübt (vgl. 63,10) – ein sicheres Zeichen für seine personale Natur, da man unpersönliche Kräfte nicht betrüben kann.

Der Geist verteilte auch Gaben für die Bauarbeiten an der Stiftshütte (vgl. 2Mose 31,1–5; 35,31). Seine Gegenwart ruhte auf Mose, seinen siebzig Ältesten und sogar auf den zwei Männern im Lager (vgl. 4Mose 11,17.25–26). In diesem Zusammenhang drückte Mose, der Mittler des Alten Bundes, eine prophetische Sehnsucht nach dem aus, was nur Jesus Christus als Mittler des Neuen Bundes gewähren konnte: „Ach, dass doch das ganze Volk des HERRN weissagen würde! Dass doch der HERR seinen Geist auf sie legen würde!“ (4Mose 11,29).

Derselbe Geist war in Josua (vgl. 4Mose 27,18) und kam über die Richter Israels, die als gesalbte Befreier des alttestamentlichen Volkes Gottes fungierten (vgl. z.B. Ri 3,10; 6,34). Er war der „Geist der Prophezeiung“ und Inspiration, durch den Menschen im Namen Gottes redeten (vgl. 2Sam 23,2; 2Petr 1,21). Er versprach den kommenden Messias (vgl. 1Petr 1,12), dessen Leben und Charakter er formen würde (vgl. Jes 11,2; 48,16). Vor allem war er der Geist des Knechtes des Herrn, der leiden und dennoch erhöht werden würde. Er war derjenige, der „viele Nationen besprengen“ würde, vor dem „Könige ihren Mund schließen“ würden (52,15; ELB), und in dessen Händen die Beute seines Sieges „mit Gewaltigen“ geteilt werden würde (53,12; ELB).

Der Geist in den Evangelien

Es war dieser Geist, durch den der Herr Jesus im Schoß Marias als „Haupt der neuen Schöpfung“ (wie John Owen es formulierte) empfangen wurde (vgl. Lk 1,31.35), in dessen Weisheit er wuchs (vgl. Lk 2,52; Jes 11,2) und mit dem er am Jordan für seinen öffentlichen Dienst gesalbt wurde (vgl. Joh 1,32–34; 3,22–35). Durch denselben Geist – den „Finger Gottes“ (Lk 11,20) – wurde er in die Wüste geführt (vgl. Lk 4,1), griff er die Festung Satans an und errang den lang ersehnten Sieg, der in Eden verheißen worden war (vgl. 1Mose 3,15).

Der Geist in uns

Nun kommen wir zum Kern der Sache: Als der Christus Gottes trug der Herr Jesus den Geist in sich und wurde während seines gesamten Lebens vom Geist getragen, um diesen Geist schließlich seinem Volk übertragen zu können. Als Jesus die Verheißung seines Vaters sandte und damit die Prophezeiung Johannes des Täufers erfüllte, er würde mit Heiligem Geist taufen (vgl. Lk 3,17; Apg 2,33), war es derselbe Geist, also der Geist Jesu (kein zusätzlicher oder anderer Geist), der am Pfingsttag über die Gemeinde ausgegossen wurde. Dies ist die eine Taufe, an der wir alle teilhaben, wenn wir im Glauben und in Buße zu Christus kommen (vgl. 1Kor 12,13; Eph 4,5) und von oben geboren werden durch den Geist (vgl. Joh 3,3–5).

Das ist also der Geist, der in dir wohnt! Und wir sind noch nicht fertig mit unserer biblisch angeleiteten Untersuchung seiner Identität. Denn dies ist derselbe Geist, der der Schöpfung den letzten Schliff gab; der die Absichten Gottes während der gesamten Heilsgeschichte überwachte; der in der Person des fleischgewordenen Sohnes „bei“ den Aposteln blieb (so verstehe ich Johannes 14,17); und der schließlich – nach Jesu Tod, Auferstehung, Himmelfahrt und seiner Bitte an den Vater, ihm die versprochene Herrlichkeit zukommen zu lassen, indem er ihnen denselben Geist (und keinen anderen) zuteilwerden ließ (vgl. Joh 7,37–39) – in ihnen zu wohnen begann. Das hörbare, sichtbare, irdische Drama von Pfingsten offenbarte, dass die versprochene unsichtbare Vereinbarung zwischen Vater und Sohn – „Ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, dass er bei euch bleibt in Ewigkeit“ (Joh 14,16) – nun Wirklichkeit geworden war (vgl. Apg 2,33).

Und dies (um eine Jahrtausende alte Geschichte kurz zu fassen) ist der Geist, der die Welt am Pfingsttag von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht überführte (vgl. Joh 16,8–11; Apg 2,37–41), die frühe Kirche durch die Phasen ihrer frühen Entwicklung führte (vgl. z.B. Apg 8,29.39; 10,19; 11,28; 16,7; 19,21) und jedem Gläubigen als Geist der Sohnschaft geschenkt ist (vgl. Röm 8,15; Gal 4,6). Er, der uns innewohnende Geist, stimmt ein in das Gebet der Kirche, die zu jeder Zeit die Wiederkunft des Herrn Jesus erfleht (vgl. Offb 22,17).

Bedenke dies alles! Dieser Geist – genau dieser Geist, kein anderer – wohnt in dir. Es handelt sich um denselben Geist, der auch in dem Herrn Jesus wohnte.

Ist das die Art und Weise, wie du über den Geist denkst?

Bedenke, wer in dir wohnt

Begreifst du, was das bedeutet? Die vielleicht erstaunlichsten, verblüffendsten, herzerwärmendsten und lebensveränderndsten biblischen Wahrheiten, die wir über den Heiligen Geist verstehen müssen, sind in Wirklichkeit diese einfachen (wenn auch niemals vollständig ergründbaren) Wahrheiten:

  • Es gibt nicht zwei Heilige Geister – einen, in dessen Gnade und Kraft der Herr Jesus lebte, und einen anderen, der jetzt in dir wohnt.
  • Es gibt nicht mehrere Heilige Geister – einen, in dessen Gnade und Kraft der Herr Jesus lebte; einen, der in dir wohnt; einen, der in mir wohnt; und eine Vielzahl anderer Heiliger Geister, die in einer unzähligen Schar von Gläubigen wohnen.
  • Nein! Es gibt nur einen Heiligen Geist – und der, der als Geist Christi in mir wohnt, wohnt auch in jedem anderen Gläubigen, dem ich jemals begegnen werde.

Durch diesen einen Geist Christi können wir sowohl „Jesus ist Herr!“ als auch „Abba! Vater!“ rufen (vgl. 1Kor 12,3; Röm 8,15). Lieber Bruder, liebe Schwester: Es ist dieser Geist, der in dir wohnt, kein anderer.

Über diese Wahrheit nachzusinnen – und wirklich zu erfassen, was sie bedeutet, und sich daran zu erfreuen – macht es erforderlich, dass wir uns mit jeder expliziten und impliziten biblischen Aussage über den Geist befassen. Diese Wahrheiten müssen sich uns einprägen und unser Denken verändern, unsere Gefühle entflammen und unseren Willen formen. Ich muss also für den Rest meines christlichen Lebens an den „geistlichen Tropf“ angeschlossen bleiben, der mich mit den biblischen Wahrheiten versorgt, die den Geist identifizieren und beschreiben, der Christus verherrlicht und uns in die Gegenwart des Vaters führt.

Und damit wir hier keinen Fehler begehen: Die Tatsache, dass der Geist Christus und nicht sich selbst verherrlicht (vgl. Joh 16,14), bedeutet nicht, dass wir ihn nicht verherrlichen sollten. Denn er soll zusammen mit dem Vater und dem Sohn für immer verherrlicht werden.

Wenn wir nicht vergessen, daran zu

„Denk[en], welch Geist in dir nun wohnet, Wie dein Vater dir nun lacht, Was dein Heiland dir erworben“,

werden wir die gewichtige Ermutigung der darauffolgenden Frage verspüren:

„Kind des Himmels: Murrst du noch?“