Wie das katholische Verständnis von Heilsgewissheit das Gewissen belastet
Als ehemaliger Atheist mit römisch-katholischem Hintergrund erstaunt mich die anhaltende Faszination vieler Evangelikaler für den Katholizismus.
Viele Evangelikale wirken unzufrieden mit dem Protestantismus oder empfinden ihn gar als peinlich. Besonders deutlich wird das in der Bewegung der „spirituellen Formation“, wo manche, die sich selbst als Protestanten bezeichnen, lieber Jesuiten als Reformatoren zitieren. Am bedenklichsten erscheint mir jedoch die wachsende Zahl prominenter Übertritte aus verschiedenen Strömungen des Protestantismus zum Katholizismus oder zur Orthodoxie.
Diese Debatten drehen sich meist um Liturgie, kirchliche Tradition und Autoritätsstrukturen. Doch ein zentrales Problem wird dabei oft übersehen – sowohl von protestantischen Bewunderern Roms als auch von Konvertiten zum Katholizismus: die Heilsgewissheit.
Die römisch-katholische Kirche leugnet rundheraus, dass Christen Gewissheit über ihr Seelenheil haben können. Kardinal Robert Bellarmine (1542–1621), ein führender Vertreter der katholischen Gegenreformation, schrieb, dass „die größte von allen protestantischen Irrlehren die Lehre der Heilsgewissheit ist“. Das Konzil von Trient, das Bellarmine energisch verteidigte, besagt in Sektion 6, Kanon 16: „Wer mit absoluter und unfehlbarer Sicherheit sagt, er werde jene große Gabe der Beharrlichkeit bis zum Ende … sicher haben, ohne daß er dies aus einer besonderen Offenbarung erfahren hätte: der sei mit dem Anathema belegt.“ Um die Lehre des Konzils von Trient auf eine für Laien verständliche Weise zusammenzufassen, drückt es eine katholische Publikation so aus: „Als Sünder sind wir unseres Heils nicht sicher. Christen aber, die die Sakramente – Kanäle der rettenden Gnade Gottes – treu in Anspruch nehmen, ohne aufzugeben, können gewiss auf das Heil hoffen.“
Es gibt einen himmelweiten Unterschied zwischen Hoffnung auf Erlösung und Gewissheit des Heils. Manche sagen, genau dieser Unterschied entfachte die Reformation. Er brachte Luther dazu, sein Leben zu riskieren. Die Märtyrer von Oxford verloren ihres sogar. Die fehlende Heilsgewissheit in der römisch-katholischen Kirche ließ mich Religion ganz verwerfen. Ich wurde Atheist. Durch Gottes Gnade tat ich später Buße und vertraute auf Christus.
Zwar bejahen Protestanten zu Recht die Möglichkeit der Heilsgewissheit. Doch viele aufrichtige Gläubige ringen trotzdem damit, sie zu erleben. Gründe können aktuelle Sünde sein, Schuldgefühle wegen einer Sünde in der Vergangenheit oder ein übermäßig empfindliches Gewissen. Die gute Nachricht für diese Christen lautet: Fehlende Heilsgewissheit bedeutet nicht, dass uns die Verheißungen des Evangeliums fehlen, sondern nur, dass wir ihren vollen Genuss nicht erfahren. Wenn ich meine zweijährige Tochter trage, ist sie am ruhigsten, wenn sie sich fest an mich klammert. Aber selbst wenn ihr Griff nachlässt, lasse ich sie nicht fallen. Entscheidend ist nicht, wie stark wir uns an Christus klammern, sondern dass Christus uns festhält (vgl. Joh 10,27–30).
Die Wiederentdeckung von sola fide – und damit der Heilsgewissheit – in der Reformation nahm Millionen Christen eine schwere Last vom Gewissen. Umgekehrt verzerrt die anhaltende Leugnung der Heilsgewissheit in der römisch-katholischen Kirche das Gewissen auf mindestens drei Arten.
1. Die Leugnung der Heilsgewissheit führt zu verzweifelten oder belasteten Gewissen
Ein Grund, warum die römisch-katholische Kirche die normative Möglichkeit der Heilsgewissheit ablehnt, ist folgender: Gläubige können nicht wissen, ob sie eine Todsünde begehen und dadurch aus dem Stand der Gnade fallen. Der Katechismus der Katholischen Kirche sagt in Artikel 1861:
„Die Todsünde … zieht den Verlust der göttlichen Tugend der Liebe und der heiligmachenden Gnade, das heißt des Standes der Gnade, nach sich. Wenn sie nicht durch Reue und göttliche Vergebung wieder gutgemacht wird, verursacht sie den Ausschluss aus dem Reiche Christi und den ewigen Tod in der Hölle.“
Mit anderen Worten: Fällt jemand durch eine Todsünde aus dem Stand der Gnade und stirbt ohne Umkehr (konkret: ohne das Bußsakrament), kommt er in die Hölle, nicht ins Fegefeuer. Artikel 1446 definiert das Bußsakrament so:
„Christus hat das Bußsakrament für alle sündigen Glieder seiner Kirche eingesetzt, vor allem für jene, die nach der Taufe in schwere Sünde gefallen sind und so die Taufgnade verloren haben … Ihnen bietet das Sakrament der Buße eine neue Möglichkeit, sich zu bekehren und die Gnade der Rechtfertigung wiederzuerlangen.“
Römisch-katholische Theologen vermeiden meist feste Listen von Todsünden. Üblicherweise definieren sie eine Todsünde als schwere Sünde, begangen mit vollem Wissen und bewusster Zustimmung.
Die Unklarheit und die Angst, die dieses System erzeugt, drängen Menschen, die (a) ihre eigene Verdorbenheit wirklich erkennen und (b) die römisch-katholische Lehre konsequent anwenden, zu einem verzweifelten oder skrupellosen Gewissen.
Bei mir führte es zur Verzweiflung. Der Unterricht über Todsünde im katholischen Religionsunterricht war der erste Schritt auf meinem Weg zum Atheismus. Ich dachte: „Ich könnte mein ganzes Leben als hingebungsvoller Katholik leben, dann eine Todsünde begehen, von einem Bus erfasst werden, bevor ich sie einem Priester beichten kann, und in die Hölle gehen.“ Ich sah ein, dass ich mit der sakramentalen Tretmühle aus Todsünde und Beichte nicht mithalten würde; ich wäre ohnehin verdammt. Die einzige Hoffnung schien zu sein, dass es Gott nicht gibt.
Dasselbe Ringen quälte Martin Luther. Als Augustinermönch verbrachte er bis zu sechs Stunden täglich damit, jede Sünde zu beichten, an die er sich erinnern konnte. Er erinnerte sich später:
„Mein Gewissen konnte nie Gewissheit erlangen, sondern war immer im Zweifel und sagte: ‚Du hast das nicht richtig gemacht. Du warst nicht zerknirscht genug. Das hast du in deiner Beichte ausgelassen.‘ Je länger ich also versuchte, mein unsicheres, schwaches und aufgewühltes Gewissen mit menschlichen Traditionen zu heilen, desto unsicherer, schwächer und aufgewühlter machte ich es ständig.“[1]
Römisch-katholische Apologeten tun Luther oft als überängstlichen Mönch ab. In Wahrheit folgte er nur ihrem System bis zu dessen logischer Konsequenz.
2. Die Leugnung der Heilsgewissheit lehrt das Gewissen, gute Werke mit außerbiblischen Zeremonien gleichzusetzen
Der römische Katholizismus fürchtet, dass sola fide zum Antinomismus führt. Er behauptet, mit der Ablehnung der Rechtfertigung allein aus Glauben bewahre er lediglich den „Glauben, der durch die Liebe wirksam ist“ (Gal 5,6). Der ehemalige Papst Benedikt XVI. formulierte es 2008 so:
„Luthers Wort ‚allein durch den Glauben‘ ist wahr, wenn es nicht dem Glauben in der Liebe entgegengesetzt wird. Glaube heißt, auf Christus zu schauen, sich Christus anzuvertrauen, mit Christus vereint zu sein, Christus und seinem Leben gleichgestaltet zu werden. Und die Form, das Leben Christi, ist die Liebe; glauben heißt also, Christusförmigkeit anzunehmen und in seine Liebe einzutreten.“[2]
Obwohl Papst Benedikt dem Protestantismus scheinbar entgegenkommt, wiederholt seine Aussage genau den Irrtum, gegen den die Reformatoren im 16. Jahrhundert kämpften. Glauben bedeutet nicht, Christusförmigkeit anzunehmen, sondern Christus zu vertrauen. Benedikt vermischt subtil Glauben und Werke, indem er das Wesen des Glaubens („sich Christus anzuvertrauen“) mit der Frucht des Glaubens („Christus gleichgestaltet zu werden“) verwechselt.
Zudem erweckt diese Aussage den Eindruck, die römisch-katholische Kirche betone bei der Aufwertung der Werke lediglich die Bedeutung der Christusförmigkeit – was Protestanten bereitwillig bejahen. In Wirklichkeit geht sie weit darüber hinaus und errichtet ein System, in dem geängstigten Gewissen durch Rituale, die nirgendwo in der Bibel zu finden sind, nur vorübergehend Erleichterung verschafft wird.
Ein heutiges Beispiel ist, dass das Papstamt jenen, die 40 Stunden eucharistische Anbetung halten (d.h. Christus in der Eucharistie kniend anbeten), regelmäßig einen vollkommenen Ablass gewährt (Erlass zeitlicher Sündenstrafen im Fegefeuer). Die katholische Kirche beruft sich dabei auf die Schlüssel des Reiches (vgl. Mt 16,13–19) und lehrt, dass es aus der „Schatzkammer der Verdienste“ der Kirche die Gerechtigkeit Christi austeilen könne (vgl. Katechismus der katholischen Kirche 1471–1479).
Noch beunruhigender ist die Praxis, ein Skapulier zu tragen: zwei kleine Wollstücke, durch Bänder verbunden und über den Schultern getragen. Auf einer populären katholischen Waren-Website, auf der Skapuliere für knapp unter 30 Euro angeboten werden, findet sich folgende Ursprungserzählung:
„Am 16. Juli 1251 gab Maria dem heiligen Simon Stock ein braunes Skapulier mit den Worten: ,Nimm dieses Skapulier an. Es soll ein Zeichen des Heils, ein Schutz des Friedens sein. Wer mit diesem Skapulier bekleidet stirbt, wird das ewige Feuer nicht erleiden.‘ Diese Verheißungen gelten auch für Sie! Stöbern Sie in unserer Auswahl an Skapulieren und tragen Sie Marias Versprechen.“
Während im Mittelalter gequälte Gewissen verzweifelt durch abergläubische Praktiken nach Bruchstücken von Gewissheit suchten, wiesen die Reformatoren die Kirche zurück auf das reiche Evangeliumsmahl der Heilsgewissheit in Gottes Wort: „Dies habe ich euch geschrieben, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes, damit ihr wisst, dass ihr ewiges Leben habt“ (1Joh 5,13). Wer wahrhaft an Christus glaubt, hofft nicht nur auf das ewige Leben, sondern kann wissen, dass er es hat.
Zugleich bestanden die Reformatoren auf der Notwendigkeit guter Werke (wie die Schrift sie definiert), nicht als Ursache, sondern als Folge und Beweis der Rechtfertigung. Die reformierten Bekenntnisse, etwa das Westminster Bekenntnis (18.2), beschreiben die Heilsgewissheit als „dreibeinigen Schemel“:
- Die objektiven Verheißungen Gottes in seinem Wort (vgl. Röm 10,9–13)
- Ein verändertes Leben, das durch Liebe zu den Mitchristen (vgl. 1Joh 3,14–16) und ständige Umkehr von Sünde (vgl. 1Joh 3,6–9) gekennzeichnet ist
- Das innere Zeugnis des Heiligen Geistes, dass wir Kinder Gottes sind (vgl. Röm 8,16–17)
3. Die Leugnung der Heilsgewissheit treibt Gewissen dazu, außerhalb der Gerechtigkeit Christi Erleichterung zu suchen
Als ich erst wenige Monate Christ war, wusste ich, dass ich Jesus nachfolgen wollte, war jedoch unsicher, ob ich Protestant oder Katholik sein sollte. Als ich dann erstmals den Galaterbrief las und auf Paulus’ Worte stieß: „Ich verwerfe die Gnade Gottes nicht; denn wenn durch das Gesetz Gerechtigkeit [kommt], so ist Christus vergeblich gestorben“ (Gal 2,21), wusste ich, dass ich niemals römisch-katholisch sein konnte.
Mein ganzes Leben hindurch hatte man mich gelehrt, mein schlechtes Gewissen durch den Empfang der Sakramente und die Teilnahme an kirchlichen Traditionen zu beruhigen. Katholische Theologen betonen, ihr sakramentales System mit Taufwiedergeburt, gnadenvermittelnder Kommunion und Todsünde lösender Buße sei ein System der Gnade und nicht der Werke. Das Christentum, das ich in diesem System erlebte, fühlte sich jedoch sehr nach „Gerechtigkeit durch das Gesetz“ an.
Wenn – wie die katholische Kirche behauptet – meine Gerechtigkeit von Christus durch die „Schatzkammer der Verdienste“ der Kirche zu mir gelangte, dann war es eine Gerechtigkeit, die ständig leckte. Es war eine Gerechtigkeit, die ich durch meine „Mitarbeit mit der Gnade“ fortwährend flicken musste.
John Bunyan rang um Heilsgewissheit, wie er in seiner Autobiographie von 1666, Grace Abounding to the Chief of Sinners, berichtet. Sein gequältes Gewissen wurde erst frei, als er auf die unveränderliche, makellose Gerechtigkeit Christi blickte:
„Eines Tages, als ich auf dem Feld unterwegs war – und das mit einigen Stichen meines Gewissens, da ich fürchtete, noch sei nicht alles recht –, fiel plötzlich dieser Satz auf meine Seele: ‚Deine Gerechtigkeit ist im Himmel‘; und mir war, als sähe ich mit den Augen meiner Seele Jesus Christus zur Rechten Gottes; dort, sage ich, war meine Gerechtigkeit. … Ich sah überdies, dass weder ein guter Herzenszustand meine Gerechtigkeit besser machte noch ein schlechter sie schlechter; denn meine Gerechtigkeit war Jesus Christus selbst, derselbe gestern und heute und in Ewigkeit.“ (eigene Übersetzung)[3]
In einer gefallenen Welt werden wahre Gläubige mit Heilsgewissheit ringen. Weder menschengemachte Riten noch sogar von Gott eingesetzte Sakramente können das erdrückende Gewicht eines schuldigen Gewissens vor Gott heben. Nur die biblische Lehre der Heilsgewissheit, in der Reformation wiederentdeckt und in der zugerechneten Gerechtigkeit Christi verwurzelt, vermag wahren und bleibenden Gewissensfrieden zu schenken.
1 Zitiert nach Michael A.G. Haykin, „Luther’s Timely Discovery of a Merciful God“, online unter: https://equip.sbts.edu/publications/towers/luthers-timely-discovery-merciful-god/#_edn8 (Stand: 19.8.25)
2 Benedict XVI, „General Audience of 19 November 2008: Saint Paul (13). The Doctrine of Justification: from Works to Faith“, online unter: https://www.vatican.va/content/benedict-xvi/en/audiences/2008/documents/hf_ben-xvi_aud_20081119.html (Stand: 19.8.25)
3 John Bunyan, Grace Abounding to the Chief of Sinners, Bellingham: Logos Bible Software, 2006, Bd. 1, S. 35.