Liebe, Hoffnung, Glaube
Christopher Nolan und der Apostel Paulus im Dialog
Nur wenige Filmemacher haben es zu dem kommerziellen, kritischen und kultigen Ruhm von Christopher Nolan gebracht. Nolans zwölf Filme als Regisseur haben (Stand August 2021) an den Kinokassen fast 5 Milliarden US-Dollar eingespielt.[1] Zwei seiner Filme (Memento und The Dark Knight) sind im National Film Registry der Vereinigten Staaten – einem Verzeichnis für Filme, die als „kulturell, historisch oder ästhetisch bedeutsam“ angesehen werden[2] – gelistet,[3] und sechs seiner Filme (Memento, Batman Begins, Prestige – Die Meister der Magie, The Dark Knight, Inception, The Dark Knight Rises und Interstellar) sind in der von IMDB-Nutzern gewählten Liste der 250 besten Filme aller Zeiten vertreten.[4] Nolan ist zweifellos einer der wichtigsten und innovativsten Filmemacher der letzten zwei Jahrzehnte. In einer Zeit von Reboots und Fortsetzungen erhalten Nolans originelle Werke weiterhin positive Kritiken, locken das Publikum in die Kinos und regen philosophische Diskussionen über das Wesen der Zeit an.
Und in der Tat: Wenn wir jemanden bitten würden, Nolans Filmographie mit einem einzigen Wort zusammenzufassen, wäre „Zeit“ wahrscheinlich die Antwort, spielt sie doch in mehreren seiner größten Filme eine zentrale Rolle. Die nichtlineare Erzählweise von Memento pendelt zwischen Zukunft und Vergangenheit, bevor sie in der Mitte der Geschichte ankommt. Inception führt uns in einen Traum in einem Traum innerhalb eines Traumes, wobei jede Traumebene eine andere Temporalität innehat. Interstellar thematisiert die Relativität der Zeit und das transzendente Wesen von Liebe (und Schwerkraft). Dunkirk verknüpft drei unterschiedliche Zeitachsen miteinander. Tenet führt das Konzept der umgekehrten Entropie ein, wodurch die Figuren miteinander interagieren können, während sie sich vorwärts und rückwärts durch die Zeit bewegen.
Auch wenn Zeit das offensichtlichste Thema sein mag, das Nolans Filme miteinander verbindet, teilen seine drei jüngsten Filme – Interstellar (2014), Dunkirk (2017) und Tenet (2020) – einen weiteren Schwerpunkt, nämlich die thematische Auseinandersetzung mit drei christlichen Tugenden: Liebe, Hoffnung und Glaube. In dieser informellen Trilogie präsentiert Nolan (der römisch-katholisch erzogen wurde) eine säkularisierte Version dieser christlichen Tugenden und passt sie einer Kultur an, die zunehmend weniger christlich und theistisch ist. Das Ergebnis sind drei Erzählungen, in denen die Menschheit Gott ersetzt und sowohl zum Geber als auch Empfänger der untersuchten Tugenden umfunktioniert wird. Nolans Neukonfiguration macht seine Filme einem breiteren Publikum schmackhafter, droht aber auch, genau diese Darstellung von Tugend und Menschlichkeit zu untergraben. Im Folgenden untersuche ich die drei genannten Filme im Dialog mit dem Apostel Paulus. Wie deutlich werden wird, entbehrt Nolans humanistische Vision von Liebe, Hoffnung und Glaube einer kohärenten theologischen Grundlage, weshalb sie auch keine überzeugende Darstellung dieser drei herausragenden Tugenden bieten kann.
1. Interstellar: Liebe, die Zeit und Raum transzendiert
In 1. Korinther 13 preist Paulus die Tugend der Liebe: „Die Liebe ist langmütig und gütig ... Die Liebe hört niemals auf. … Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe“ (V. 4.8.13). Christopher Nolan würde wahrscheinlich zustimmen. Von den drei untersuchten Filmen ist es der erste, Interstellar, in dem die transzendente Macht der Liebe thematisiert wird und ein zentrales Motiv bildet.
Interstellar spielt in der nahen Zukunft auf einer seit Generationen durch Vernachlässigung und Ausbeutung verwüsteten und zunehmend unwirtlichen Erde. Um eine neue Heimat zu finden, startet ein Rest von NASA-Wissenschaftlern die treffend benannte Lazarus-Mission, bei der eine Gruppe von Wissenschaftlern durch ein Wurmloch geschickt wird, um zwölf ferne Planeten auf ihre Eignung für menschliches Leben zu prüfen. Als drei dieser Planeten als potentiell lebensfreundlich eingestuft werden, begibt sich der ehemalige NASA-Ingenieur Cooper (Matthew McConaughey) mit einer Gruppe von NASA-Wissenschaftlern auf eine interstellare Reise, um die Lebensfähigkeit dieser Planeten zu bestätigen und so das Überleben der Menschheit – jenseits der Erde – zu sichern.
Die kosmische Dimension von Interstellar verwebt Mystery- und Entdeckungselemente, was es Nolan ermöglicht, dem Film eine spürbare übernatürliche Aura zu verleihen, die an die christliche Tradition erinnert.[5] Ähnlich wie der Heilige Geist weist beispielsweise ein „Geist“ Cooper den Weg zur geheimen NASA-Basis, indem er per Schwerkraft im Schlafzimmer seiner Tochter Murph (Mackenzie Foy) mit ihm kommuniziert. Wie die NASA einräumt, ist das Wurmloch, das ihre intergalaktischen Reisen ermöglicht, kein natürliches Phänomen, sondern „sie“ – nicht identifizierbare, aber scheinbar wohlwollende Wesen – haben es dort platziert, was die Zuschauer einlädt, die Existenz eines barmherzigen „Anderen“ zu erwägen, der sich der Menschheit annimmt.
Im Kern geht es in Interstellar jedoch nicht so sehr um die Erforschung des Weltraums, und noch nicht einmal um das Überleben der Menschheit. Es geht um Liebe, die vor allem in der Beziehung zwischen Cooper und seiner Tochter Murph zum Ausdruck kommt. Tatsächlich ist Coopers Hauptantrieb für die Teilnahme an der gefährlichen intergalaktischen Reise nicht seine Sorge um die Menschheit, sondern seine Liebe zu seinen Kindern und sein Wunsch, eine Welt zu finden, in der er mit ihnen alt werden kann. Cooper drückt dies in seinem Abschiedsgruß an seine Tochter aus: „Ich liebe dich, Murph. Für immer. Und ich komme zurück.“[6]
Wie sich jedoch zeigt, ist dieses Versprechen nur schwer einzuhalten. Nach einem Missgeschick auf Millers Planeten – einem Wasserplaneten, dessen Annäherung an ein supermassives Schwarzes Loch den Lauf der Zeit verlangsamt – vergehen auf der Erde mehr als zwanzig Jahre, die sich für Cooper wie ein paar Stunden anfühlen. Als Cooper zwei Jahrzehnte Videokommunikation von der Erde überprüft, stellt er fest, dass seine Kinder inzwischen so alt sind wie er selbst und nicht mehr an seine Rückkehr glauben.
Nachdem Nolan eine zeitliche, räumliche und emotionale Leere zwischen Cooper und Murph geschaffen hat, folgt im Film nun seine eindrucksvolle Darlegung der Liebe: Da der Treibstoff knapp ist, muss sich die Crew entscheiden, welchen der beiden verbleibenden Planeten sie besuchen will. Dr. Brand (Anne Hathaway) plädiert für Edmunds’ Planeten, aber Cooper, der ihrem Urteil misstraut, zweifelt daran, dass ihre Entscheidung frei von subjektiven Gefühlen ist. Daraufhin gesteht Dr. Brand ihre Liebe zu Edmunds und warnt vor einer dogmatischen Wissenschaftlichkeit: „Vielleicht haben wir zu lange versucht, das alles mit Theorien zu erklären.“ Cooper versucht, die Diskussion wieder in vernünftige Bahnen zu lenken: „Sie sind Wissenschaftlerin, Brand“. Aber Dr. Brand ist hartnäckig:
„Das bin ich. Passen Sie also gut auf, wenn ich Ihnen sage, dass Liebe nicht etwas ist, das wir erfunden haben – sie ist feststellbar, mächtig. Warum sollte sie nicht etwas bedeuten? ... Vielleicht bedeutet sie mehr – etwas, das wir noch nicht verstehen können. Vielleicht ist sie eine Art Hinweis, ein Artefakt höherer Dimensionen, die wir nicht wahrnehmen können. … Die Liebe ist das Einzige, was wir wahrnehmen können, das die Dimensionen von Zeit und Raum transzendiert. Vielleicht sollten wir darauf vertrauen, auch wenn wir es noch nicht verstehen können.“
Hier klingt Dr. Brand ganz wie der Apostel Paulus. Die Liebe, sagt sie, übersteigt Zeit und Raum und verbindet uns miteinander auf unerklärliche Weise. Außerdem ist Liebe nicht nur ein menschliches Konstrukt. Sie ist „nicht etwas …, das wir erfunden haben“. Vielmehr bricht sie von außen ein und ist womöglich „ein Artefakt höherer Dimensionen“, das uns aus dem Jenseits ruft.
Dr. Brands Erörterung der Liebe deutet den Höhepunkt und die thematische Auflösung des Films an. Nach einem Kampf mit dem gegnerischen Dr. Mann (ein nicht ganz so subtiler Charaktername) gelingt es Cooper und Dr. Brand, die Kontrolle über ihr beschädigtes Raumschiff, die Endurance, wiederzuerlangen, geraten dann aber in die Gravitationsanziehung von Gargantua, einem supermassiven Schwarzen Loch. Da ihnen der Treibstoff auszugehen droht, nutzt Cooper die Gravitationskraft von Gargantua, um die Endurance auf den letzten lebensfähigen Planeten (Edmunds’ Planeten) zu schleudern, während Cooper selbst sich ablöst, um sicherzustellen, dass Dr. Brand der Gravitationskraft von Gargantua entkommen und die Mission beenden kann. Coopers Aufopferung ist nicht vergebens. Gargantua verschlingt ihn, aber das Schwarze Loch zerreißt ihn nicht; stattdessen greifen „sie“ noch einmal ein und retten Cooper, indem sie einen Tesserakt [Übertragung des klassischen Würfelbegriffs auf vier Dimensionen, Anm. d. Red.] konstruieren – einen unendlichen, fünfdimensionalen Tunnel, der es Cooper ermöglicht, zu jedem Zeitpunkt mit seiner Tochter über ihr Bücherregal im Schlafzimmer zu kommunizieren. Als Cooper erkennt, dass er der „Geist“ von Murphs Kindheit ist, übermittelt er ihr die notwendigen Quantendaten, um das Überleben der Menschheit nach dem Verfall der Erde zu sichern. Damit erreicht Nolans Hauptthema seinen Höhepunkt: die Liebe eines Vaters, der Zeit und Raum überwindet, um seine Tochter zu retten (und mit ihr die gesamte Menschheit). Aus Coopers Perspektive hat Dr. Brand also nicht einfach nur klug dahergeredet, als sie erklärte: „Die Liebe ist das Einzige, was wir wahrnehmen können, das die Dimensionen von Zeit und Raum transzendiert.“ Vielmehr prophezeite sie, was kommen würde, denn am Ende triumphiert die Liebe tatsächlich und beweist, dass der prägnante Satz des Paulus wahr ist: „Die Liebe hört niemals auf.“
Über die transzendente Kraft der Liebe scheinen Nolan und Paulus mit einer Stimme zu sprechen, aber wenn wir genau hinhören, ist da eine Dissonanz. Zunächst einmal stellt sich Paulus die Liebe in erster Linie als eine göttliche Aktivität vor. Das bedeutet nicht, dass Liebe immer nur in eine Richtung geht (von Gott zu den Menschen oder umgekehrt), sondern dass die Liebe, die die Menschen miteinander teilen, immer auf der Liebe Gottes zu den Menschen beruht.[7] „Darin besteht die Liebe“, schreibt Johannes, „nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und seinen Sohn gesandt hat als Sühnopfer für unsere Sünden“ (1Joh 4,10). Paulus formuliert seine Theologie vielleicht nicht so prägnant wie Johannes, kommt aber nichtsdestotrotz zu demselben Schluss. In seinem Brief an die Römer bekundet er die Priorität der Liebe Gottes, die sich im Erlösungstod des Messias manifestiert: „Gott aber beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“ (Röm 5,8). Im weiteren Kontext des Römerbriefes – und tatsächlich auch im weiteren Kontext des paulinischen Briefkorpus – stellt Paulus die Menschheit als versklavt von den Mächten der Sünde und des Todes dar, unfähig, ihre eigene Befreiung zu bewirken.[8] Und doch: In dem Augenblick als alle Hoffnung verloren und die Menschheit „tot [war] … durch Übertretungen und Sünden“ (Eph 2,1), griff Gott ein „um seiner großen Liebe willen, mit der er uns geliebt hat“ (V. 4, Hervorhebung hinzugefügt).
Für Paulus beginnt Liebe also notwendigerweise mit der vertikalen Dimension: Im Sendungsakt des Vaters kommt die Liebe vom Himmel herab, um Heil und Versöhnung zu bewirken. Aber die Liebe ist nicht nur ein vertikaler Akt. Es gibt auch ein horizontales Element, nämlich wenn sich die Liebe durch den Sohn – das wahre Bild Gottes und des Menschen (vgl. Röm 5,12–21; Kol 1,15–20) – vervielfältigt, in die Gemeinschaft des Volkes Gottes eindringt und dieses dazu befähigt, ein Volk der Liebe und Barmherzigkeit zu sein. Für Paulus ist diese horizontale Ausgießung der Liebe untrennbar mit der grundlegenden Identität der Kirche verbunden. Damit die Liebe nicht von Gottes Erlösungsabsicht losgelöst wird und zu einer abstrakten Idee verkommt, muss die Kirche als Empfängerin dieser verwandelnden Liebe Gottes dieselbe aufopfernde Liebe in ihrem täglichen, gemeinschaftlichen Handeln zum Ausdruck bringen. Aus diesem Grund ermahnt Paulus die Gemeinde häufig, von Liebe geprägt zu sein: „Lasst alles bei euch in Liebe geschehen“ (1Kor 16,14); „Seid niemand etwas schuldig, außer dass ihr einander liebt; denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt“ (Röm 13,8; vgl. Gal 5,12–13); „Über dies alles aber [zieht] die Liebe [an], die das Band der Vollkommenheit ist“ (Kol 3,14).[9]
Paulus konzeptualisiert also die Liebe als ein kreuzförmiges Bild vertikaler (Gott und Mensch) und horizontaler (Mensch und Mensch) Beziehungen.[10] Nolan scheint dem zu folgen, indem er Interstellar mit Bildern bestückt, die an die christliche Tradition erinnern: die wieder zu Staub werdende Erde; der „Geist“; die wohlwollenden „sie“; Dr. Brands Ausführungen zur Liebe; die dröhnende Kirchenorgel in Hans Zimmers Filmmusik,[11] Coopers Opfer. Doch auf dem Höhepunkt der Geschichte demontiert Nolan die vertikale Liebe, die von außerhalb zu uns kommt, und enthüllt, dass es schlussendlich doch – von Anfang bis Ende – die Menschheit war. Cooper bringt diese Enthüllung im Tesserakt zum Ausdruck: „Wir haben uns selbst hierher gebracht“; „Wir sind die Brücke“; „Verstehst du es immer noch nicht, Tars? ‚Sie‘ sind keine ‚Wesen‘ ... sie sind wir ... versuchen zu helfen ... so wie ich versucht habe, Murph zu helfen“. Der an den Heiligen Geist erinnernde „Geist“ ist also in Wirklichkeit Cooper. Die rätselhaften „sie“, die so sehr an die einbrechende Liebe Gottes erinnern, sind in Wirklichkeit eine zukünftige Inkarnation der Menschheit. Und sowohl Dr. Brands Ausführungen zur Liebe, die an die hohen Töne des Apostels erinnern, als auch Coopers Opfer, das so sehr an die Selbsthingabe Jesu erinnert, werden von sinnbildlichen Manifestationen der göttlichen Liebe zu ehrwürdigen Bildern menschlicher Anstrengung herabgewürdigt und verwässert.
Indem er sich in diese Richtung bewegt, hat Nolan sich selbst eine Falle gestellt (und tappt hinein). Er will an der Liebe als höchste Tugend festhalten (wie es die christliche Tradition tut; vgl. 1Kor 13,13; Gal 5,22–23), liefert dafür jedoch keine theologische Begründung. Wenn die Liebe schlichtweg ist – nichts mehr als ein anthropologisches, horizontales Phänomen –, wie lässt sich dann ihre Vorrangstellung begründen? Vielleicht rechnet Nolan schon mit diesem Einwand und antwortet mit Dr. Brand: „Warum sollte sie nicht etwas bedeuten?“ Aber der Appell von Dr. Brand ist kaum überzeugend. Indem er die Frage offenlässt, zeigt Nolan, dass seine Konzeption der Liebe, so „human“ sie auch sein mag, einen Glaubenssprung erfordert.[12]
„Die Liebe ist das Einzige, was wir wahrnehmen können, das die Dimensionen von Zeit und Raum transzendiert. Vielleicht sollten wir darauf vertrauen, auch wenn wir es noch nicht verstehen können.“ (Dr. Brand, Interstellar)
„[Ich bete, dass ihr] dazu fähig seid, mit allen Heiligen zu begreifen … und die Liebe des Christus zu erkennen, die doch alle Erkenntnis übersteigt.“ (Eph 3,18–19)
2. Dunkirk: Hoffnung auf Rettung
Nolans erstes historisches Drama, Dunkirk, erzählt von der Woche vor der Evakuierung von Dünkirchen (manchmal auch als „Wunder von Dünkirchen“ bezeichnet), die in der von Zivilisten geleiteten Rettung britischer Soldaten aus der gleichnamigen französischen Küstenstadt gipfelte. Obwohl dem Film durch die Historizität der Dünkirchen-Evakuierung ein gewisser Rahmen gesetzt ist, verleiht Nolan der Geschichte dennoch seine charakteristische Betonung der Zeit, indem er Dunkirk auf drei ineinander verflochtenen Zeitachsen erzählt: (1) Die Mole-Zeitachse folgt Tommy (Fionn Whitehead), einem jungen, wortkargen britischen Soldaten, der in der Woche vor der Evakuierung versucht, aus Dünkirchen zu fliehen; (2) die See-Zeitachse folgt Mr. Dawson (Mark Rylance) und der Besatzung seiner Yacht Moonstone, die am Tag der Evakuierung nach Dünkirchen reisen; (3) die Luft-Zeitachse konzentriert sich auf Farrier (Tom Hardy), einen Kampfpiloten, dessen Geschicklichkeit in der Luft sich in der letzten Stunde vor Beginn der Evakuierung als rettend erweist.
Wenn Interstellar eindeutig die Tugend der Liebe untersucht, widmet sich Dunkirk in ähnlicher Weise der Tugend der Hoffnung. Diesen Fokus verdeutlichen die Texteinblendungen gleich zu Beginn des Films:
„Der Feind hat die britischen und französischen Armeen bis ans Meer zurückgedrängt.“
„In Dünkirchen eingeschlossen, harren sie ihres Schicksals.“
„In der Hoffnung auf Rettung.“
„Auf ein Wunder.“[13]
Die Erfahrung von Hoffnung ist notwendigerweise mit der Abwesenheit sowie der Antizipation einer größeren Erfüllung verbunden: Nahrung für die Hungrigen, Orientierung für die Verlorenen oder (wie in Dunkirk) ein Zuhause für die Verlassenen. Dunkirk nähert sich dem Thema Hoffnung somit ganz natürlich von der negativen Seite an. Der Film lädt das Publikum ein, die Verderbtheit des Krieges und die damit einhergehende Hoffnungslosigkeit zu erleben und darüber nachzusinnen.
Wir begegnen dieser Hoffnungslosigkeit gleich zu Beginn des Films: Während die bereits erwähnten Texteinblendungen die gefährliche Situation verdeutlichen, fallen Flugblätter mit der Aufschrift „WE SURROUND YOU“ (dt. „Wir umzingeln euch“) wie parodistische Stücke von Manna vom Himmel. Hier führt Hans Zimmers Filmmusik das Ticken einer Uhr ein – ein Klang, der die Filmmusik durchzieht – und signalisiert, dass Zeit eine knappe Ressource ist. Zudem ist der Tod so alltäglich, dass Tommy vom Anblick Gibsons (Aneurin Bernard), der einen Soldaten begräbt, unbeeindruckt bleibt; Tommy unterstützt Gibson tatsächlich bei der hastigen Beerdigung und hilft seinem neuen Bekannten, sich unter falschem Namen an Bord eines abfahrenden Schiffes zu schleichen.
Ähnlich wie in Interstellar verwendet Nolan auch in Dunkirk biblisch anmutende Bilder, die die zunehmende Hoffnungslosigkeit noch verstärken. In den Texteinblendungen am Anfang werden die deutschen Truppen einfach nur als „der Feind“ bezeichnet, was sie ihrer Geschichtlichkeit und der damit einhergehenden historischen Identität beraubt, und sie stattdessen zu einem kosmischen Gegenspieler erhebt. Dämonischen Verfolgern gleich kommt der Feind wiederholt vom Himmel herab, um die stationierten Soldaten im Sturzflug zu bombardieren. Dünkirchen – das Land, in das der Feind eindringt – ist eine Masse aufsteigenden Rauchs, die wie die Hölle auf Erden wirkt (oder vielleicht eher wie ein fegefeuerartiger Limbus). Die Gewässer von Dünkirchen – wie das unbezähmbare Meer, das die Boote von Jona (vgl. Jona 1,4–16) und den Jüngern (vgl. Mk 4,35–41) zu zerreißen droht – verschlingen jedes Schiff, das zu fliehen versucht, und zwingen Tommy und seine Landsleute zurück an den Strand.
Die Küste von Dünkirchen ist so hoffnungslos und entmutigend, dass sich ein Soldat ertränkt, um dieser endlosen Qual zu entkommen. Ähnlich verhält es sich mit dem Zitternden Soldaten (Cillian Murphy), der als Erster an Bord von Mr. Dawsons Yacht geht: Als er entdeckt, dass sie nach Dünkirchen fahren, schreit er Mr. Dawson an – „Ich gehe nicht zurück!“ – und versetzt in seiner Panik George (Barry Keoghan), einem siebzehnjährigen Jungen, einen tödlichen Schlag. Wir sind demselben Zitternden Soldaten bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der Mole-Handlung begegnet, wo er gelassen und gefasst ist, als er Tommy und Alex (Harry Styles) ermahnt: „Ihr müsst ruhig bleiben ... Keine Panik ... Wir kehren zum Strand zurück.“ Die Schrecken von Dünkirchen haben seine Entschlossenheit innerhalb weniger Tage zunichtegemacht.
Wie die Texteinblendungen andeuten, erfordert die offensichtliche Sinnlosigkeit einer Flucht ein Befreiungswunder. Auf dem Höhepunkt des Films geschieht genau ein solches Wunder, denn gerade als alle Hoffnung verloren scheint, trifft eine von Zivilisten gesteuerte Flotte von Booten ein (die in der Lage sind, die flache Küste zu befahren), um die zurückgelassenen Soldaten nach Hause zu transportieren. Ihre triumphale Ankunft wird jedoch bedroht, als ein Sturzkampfbomber seinen Sinkflug beginnt; aber Farrier (dem der Treibstoff ausgegangen ist) gleitet mit engelhafter Anmut heran, schießt den Bomber ab und sichert den Erfolg der Evakuierung.
Mit der sicheren Ankunft von Tommy und Alex in England ist die Evakuierung von Dünkirchen erfolgreich, und Nolans Vision der Hoffnung wird Wirklichkeit. Bevor wir uns jedoch mit Nolans Ansatz vertiefend auseinandersetzen, sollten wir uns mit Paulus’ Theologie der Hoffnung befassen, um anschließend aufzuzeigen, inwiefern sich die beiden Ansätze voneinander unterscheiden.
Für Paulus ist Hoffnung (ebenso wie Liebe) in erster Linie eine vertikale Beziehung. Richtig ausgerichtet und geordnet ist die Hoffnung der Menschheit dann, wenn sie in Gottes Heilwirken verwurzelt ist, wie Paulus es auch in seinem Gruß formuliert: „Paulus, Apostel Jesu Christi nach dem Befehl Gottes, unseres Retters, und des Herrn Jesus Christus, der unsere Hoffnung ist“ (1Tim 1,1). Entfremdung von Gott bedeutet somit Hoffnungslosigkeit: „[Darum gedenkt daran,] dass ihr in jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen von der Bürgerschaft Israels und fremd den Bündnissen der Verheißung; ihr hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt“ (Eph 2,12).
Paulus’ Hoffnungsverständnis ist weder abstrakt noch selbstgefällig, sondern steht in der jüdischen Tradition, die eine Zeit der Erlösung, Auferstehung und Wiederherstellung sehnlichst erwartet.[14] Für Paulus und die frühe Kirche verändern das Leben, der Tod und die Auferstehung Jesu diese Erwartungen, behalten jedoch das zentrale Element dieser Hoffnung bei: Es wird eine Zeit kommen, in der Gott sein Volk von allen Formen des Leidens befreien, es zu neuem Leben erwecken und den vollendeten Zustand der Schöpfung wiederherstellen wird. Noch einmal: Diese Hoffnung ist keine Form eines abstrakten Eskapismus hinein in einen „spirituellen Raum“, sondern die zuversichtliche Erwartung, dass Gott seinen Bundesverheißungen treu bleibt. Dementsprechend kann Paulus alle Arten von Leiden ertragen (und seine Gemeinden dazu ermutigen, dasselbe zu tun). Er vertraut darauf, dass Gottes Heilswerk, das in der Gegenwart begonnen wurde, zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft vollständig verwirklicht werden wird, und zwar auf eine Weise, die mit der gegenwärtigen Erfahrung sowohl in Kontinuität als auch in Diskontinuität steht.
Diese Hoffnung bringt Paulus auch in seinem Brief an die Römer zum Ausdruck:
„Aber nicht nur das, sondern wir rühmen uns auch in den Bedrängnissen, weil wir wissen, dass die Bedrängnis standhaftes Ausharren bewirkt, das standhafte Ausharren aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung; die Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist.“ (Röm 5,3–5)
Dieser Abschnitt steht unmittelbar vor dem zuvor zitierten Text – „Gott aber beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“ (Röm 5,8) – und offenbart, dass Liebe für Paulus weit mehr bewirkt als theologische Träumereien: Sie erzeugt eine Ausdauer- und Erwartungshaltung, die die Glaubensgemeinschaft radikal verändert, sodass sie trotz verschiedener Mühen und Fallstricke in ihrer Anbetung und ihrem Dienst ausharrt. Eine solche Ausdauer ist gerade deshalb möglich, weil sie nicht von der Fehlbarkeit der Menschen abhängt, sondern von der Vereinigung Christi mit seiner Kirche sowie dem Gott, der die Toten auferweckt. Wenn also, wie Paulus häufig bekräftigt, die Kirche der Leib Christi ist (vgl. Röm 12,4–5; 1Kor 10,17; 12,27; Eph 4,15–16; Kol 1,24), wird sie leiden, wie der Leib Christi gelitten hat; sie wird aber auch wiederhergestellt werden, wie der Leib Christi wiederhergestellt wurde. So wie Leiden unvermeidlich sind, ist auch die Wiederherstellung unvermeidlich, ob nun in diesem oder im nächsten Zeitalter. Paulus bringt diesen Punkt im 2. Korintherbrief zum Ausdruck, einem Brief, der Paulus’ wiederholte Leiden und Unzulänglichkeiten offenlegt:
„Wir hatten in uns selbst schon das Todesurteil, damit wir nicht auf uns selbst vertrauten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt. Er hat uns denn auch aus solch großer Todesgefahr gerettet und rettet uns noch; und wir hoffen auf ihn, dass er uns auch ferner retten wird.“ (2Kor 1,9–10; vgl. 1Thess 4,13–14)
Hier und an anderen Stellen des Briefes macht Paulus deutlich, dass er nicht aus eigener Kraft durchhält, sondern aufgrund seines Glaubens an „Gott, der die Toten auferweckt“. Damit lädt Paulus die Korinther ein, seine Leiden nicht als Schwäche zu betrachten, sondern als Zeichen seiner Treue und Hoffnung, durch welche die Kraft Christi voll zur Geltung kommt.[15]
Paulus gründet also die Hoffnung – wie auch die Liebe – auf den Gott, der durch Jesus Christus wirkt. Paulus ist in der Lage, horizontal zu blicken (sein Dienst an anderen), weil er gleichzeitig vertikal blickt (wiederum ein Kreuzbild hervorrufend). In Dunkirk folgt Nolan jedoch dem gleichen Muster wie in Interstellar, indem er den vertikalen Aspekt zugunsten einer rein horizontalen Manifestation der Hoffnung verflacht und zeigt, dass Erlösung nicht von oben kommt, sondern vielmehr dann eintritt, wenn unser Blick den Anderen (oder sogar unser eigenes Inneres) sucht.[16]
Nolan bestätigte diese Interpretation in einem Time-Interview:
„Wir leben in einer Zeit, in der die Tugend der Individualität stark überbetont wird. Die Vorstellung einer gemeinschaftlichen Verantwortung, eines gemeinsamen Heldentums und dessen, was durch Gemeinschaft erreicht werden kann, ist nicht populär. Dunkirk ist für mich eine sehr emotionale Geschichte, weil sie das repräsentiert, was verloren geht.“[17]
Mr. Dawson macht denselben Punkt, als er auf die Forderung des Zitternden Soldaten reagiert, auf die Reise nach Dünkirchen zu verzichten: „Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen.“[18]
Im Kern ist Dunkirk also eine Geschichte menschlichen Triumphs. „Der Feind“ ist zwar auch nur menschlich, aber indem Nolan seine konkrete Identität aus der Erzählung „wegabstrahiert“, kann er die Beharrlichkeit der Hauptfiguren gegenüber einem namenlosen, gesichtslosen und quasi-mythologischen Widersacher in den Vordergrund rücken. Dementsprechend zeigt Dunkirk, dass Hoffnungslosigkeit zwar durch den „Anderen“ hervorgerufen werden kann, Hoffnung jedoch aufeinander gerichtet sein sollte.
Damit ist nicht gesagt, Dunkirk sei oberflächlich. Die emotionale Kraft des Films ist in der Tatsache begründet, dass es sich um ein wahres, historisches Ereignis handelt, das zudem nicht in der fernen Vergangenheit liegt. Dementsprechend lädt uns Dunkirk ein, uns an unsere Vergangenheit zu erinnern, und inspiriert uns dazu, besser zu werden, indem wir unser eigenes Leben für andere riskieren (ein Punkt, dem Paulus zweifellos zustimmen würde). Aber wie bei Interstellar müssen wir uns am Ende des Films fragen: „Warum?“ Warum sollte man seinem Nächsten trauen, wenn es doch dieser Nächste war, der den Krieg angezettelt hat? Warum sollte man seine Hoffnung auf etwas so Unbeständiges wie die Menschheit setzen? Und worauf genau hoffen wir eigentlich? Frieden? Liebe? Leben? Indem Nolan die vertikale Dimension ausblendet, lässt er uns gestrandet zurück, den Blick auf den Horizont gerichtet, unsicher, was die Zukunft bringen wird.
„Bis – wenn Gott es schenkt – … die Neue Welt mit all ihrer Kraft und Macht zur Rettung und Befreiung der alten hervortritt.“ (Tommy, der in Dunkirk Winston Churchills Rede liest)[19]
„Denn ich bin überzeugt, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll. Denn die gespannte Erwartung der Schöpfung sehnt die Offenbarung der Söhne Gottes herbei. Die Schöpfung ist nämlich der Vergänglichkeit unterworfen, nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung hin, dass auch die Schöpfung selbst befreit werden soll von der Knechtschaft der Sterblichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mitseufzt und mit in Wehen liegt bis jetzt; und nicht nur sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlingsgabe des Geistes haben, auch wir erwarten seufzend die Sohnesstellung, die Erlösung unseres Leibes. Denn auf Hoffnung hin sind wir errettet worden.“ (Röm 8,18–24)
3. Tenet: Glaube und Schicksal
Die Beziehung zwischen Tenet und der letzten theologischen Tugend, dem Glauben, ist zwar nicht so klar wie die zwischen Interstellar und Liebe oder Dunkirk und Hoffnung, zeichnet sich bei einer genaueren Untersuchung aber dennoch ab. Tatsächlich ist diese Beziehung, wenn auch subtil, vor Filmbeginn bereits wahrnehmbar, nämlich im Titel des Films: Tenet – ein Wort, das ein Prinzip oder einen Glauben bezeichnet (insbesondere einen religiösen) – veranlasst das Publikum dazu, über die Rolle des Glaubens innerhalb der bevorstehenden Erzählung nachzudenken.[20]
Die Sache wird jedoch komplizierter, wenn wir uns mit der verworrenen Handlung von Tenet befassen. Der Film folgt dem charismatischen Protagonisten (John David Washington), einem CIA-Agenten, der in eine geheime Organisation namens Tenet involviert ist, deren Mission es ist, den „Dritten Weltkrieg“ zu verhindern. Eine relativ simple Idee, die Nolan jedoch durch seine charakteristische Manipulation der Zeit verkompliziert: Tenet verfügt über Objekte mit „invertierter Entropie“, einer Eigenschaft, die bewirkt, dass sie sich in der Zeit zurückbewegen. Der russische Oligarch Andrei Sator (Kenneth Branagh) kontrolliert mehrere „Drehkreuze“: Maschinen, die diejenigen, die sie passieren, invertieren, sodass sie sich in der Zeit zurückbewegen können, um Informationen aus der Zukunft weiterzugeben und in die Vergangenheit „einzugreifen“. Mit Drehkreuzen und Informationen aus der Zukunft bewaffnet, beabsichtigt Sator, die neun Teile des Inversionsalgorithmus zu sammeln und das Ende der Welt herbeizuführen, indem er die Zeit auf Geheiß zukünftiger Generationen, für die die Erde unbewohnbar geworden ist, vollständig umkehrt. Dementsprechend muss der Protagonist sich in der Welt elitärer Waffenhändler zurechtfinden und dabei die Komplexität sich überschneidender Zeitachsen meistern, um die Menschheit vor der vollständigen Vernichtung durch eine Zeitumkehr zu retten.
Wie die zuvor untersuchten Filme enthält auch Tenet Elemente, die als biblische Bildersprache interpretiert werden können: Direkt im Anschluss an die Texteinblendung „Tenet“ wird der Protagonist „wiedergeboren“, als er aus einem medizinisch induzierten Koma erwacht, das durch eine Pille ausgelöst wurde (die er für eine Selbstmordpille hielt), und mit den Worten „Willkommen im Jenseits“ begrüßt, die auf die radikal neue Welt verweisen, die er gemeinsam mit Tenet betritt. Während des gesamten Films zeigt der Protagonist seine Bereitschaft, sich für andere zu opfern: Nachdem er das Ziel gesichert hat, riskiert er sein Leben, um die Zivilisten im Opernhaus zu retten; mehrmals widersetzt er sich dem furchterregenden Sator, um dessen Frau Kat (Elizabeth Debicki) – trotz ihrer eher spärlichen Beziehung zu ihrem Ehemann – zu beschützen. Nolan selbst kommentierte diesen Charakteraspekt des Protagonisten und merkte an, er und Washington hätten „nach einem Aspekt der Selbstlosigkeit in der Figur gesucht“, „einem gewissen Maß an Spiritualität“ oder „Großmut des Geistes“.[21] Neil (Robert Pattinson) legt dieselbe Selbstlosigkeit an den Tag, als er bei der Auflösung des Films erneut in das Hypozentrum eintritt, obwohl er weiß, dass dies zu seinem Tod und zum Überleben des Protagonisten führt. Wenn auch subtiler als Interstellar oder Dunkirk, **scheint sich Tenet bewusst in die christliche Tradition einzuordnen.
Klarer zu erkennen ist womöglich die Auseinandersetzung des Films mit der Frage nach dem freien Willen, einem kontroversen theologischen Thema in den unterschiedlichen christlichen Traditionen, das sich – stark vereinfacht gesagt – mit dem Verhältnis zwischen dem Konzept der Allwissenheit Gottes und der Schuld bzw. Strafbarkeit der Menschen hinsichtlich ihrer Reaktion auf die von Gott erwirkte Sühne befasst. Ganz allgemein gesprochen, betont die calvinistische Tradition eine Version der Prädestination, in der Gott souverän Einzelne erwählt, unabhängig von ihrem Willen, Gottes Gnade anzunehmen; die arminianische Tradition hingegen argumentiert, Gottes Auswahl beruhe auf seinem Vorwissen darüber, wie sich der Einzelne angesichts der ihm gebotenen Gelegenheit entscheidet: ob er Gottes Angebot annimmt oder ablehnt. Beide Seiten sind sich einig, dass Gott die Auserwählten vorherbestimmt und die Geschichte nach seinem Willen lenkt, aber der Arminianismus berücksichtigt das offensichtliche Phänomen des freien Willens in der Gleichung. Schließlich scheint der freie Wille als gelebte Erfahrung ein untrennbarer Aspekt menschlicher Identität zu sein, der uns dazu zwingt, zu hinterfragen, inwieweit wir Akteure sind, die gezwungen sind, unsere vor-geschriebenen Rollen zu spielen, und inwiefern wir unsere Rollen improvisieren.[22]
Tenet ringt mit genau diesen Fragen. Nachdem der Protagonist über das Wesen der Inversion aufgeklärt wurde, fragt er: „Was ist mit dem freien Willen?“ Die Wissenschaftlerin Barbara (Clémence Poésy) antwortet: „Versuchen Sie nicht, es zu verstehen. Fühlen Sie es.“ Trotz Barbaras Bitte fährt der Film fort, das Wesen der Inversion und ihre Beziehung zum freien Willen zu erkunden. Später fragt der Protagonist Neil, was mit Kat in der Gegenwart passieren würde, wenn Sator sie in der Vergangenheit töten würde. Es sei unmöglich, das zu wissen, antwortet Neil, woraufhin der Protagonist eine unwissenschaftliche Frage stellt: „Was glauben Sie?“ Neils Antwort – „Was passiert ist, ist passiert“ – wird zum fatalistischen Mantra des Films, zu einem Appell an die Unveränderlichkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Wie viele Theologen erkennt Nolan jedoch, dass die Abschaffung des freien Willens zur Aufhebung der persönlichen Verantwortung führen kann, und so nuanciert er die Diskussion über den freien Willen am Ende des Films. Als Neil sich darauf vorbereitet, erneut in das Hypozentrum einzutreten, fragt ihn der Protagonist: „Können wir etwas verändern, wenn wir anders handeln?“ Neil antwortet: „Was passiert ist, ist passiert. Was ein Glaubensbekenntnis an die Mechanik der Welt ist. Das ist keine Entschuldigung, nichts zu tun.“ Der Protagonist fragt, ob dies „Schicksal“ sei, worauf Neil antwortet: „Realität.“
Hier versucht Nolan, das Dilemma auf der Grundlage des Glaubens zu lösen, aber Nolans Definition von Glauben unterscheidet sich erheblich von der des Apostels Paulus und erschwert somit seine Lösung. In einer Bewegung, die mittlerweile vertraut sein dürfte, reduziert Nolan den vertikalen Aspekt von Paulus’ Theologie des Glaubens auf den horizontalen und schafft so eine humanistische Imitation von Paulus’ Weltanschauung.
Für Paulus ist der Glaube (wie Liebe und Hoffnung) eine kreuzförmige Tugend, bei der die vertikale der horizontalen Achse notwendigerweise vorausgeht und sich mit dieser überschneidet. Wir sehen dies in Paulus’ Darstellung der Rechtfertigung – Gottes Bestimmung der Gerechtigkeit.[23] In seinem Brief an die Römer schreibt Paulus:
„Jetzt aber ist außerhalb des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes offenbar gemacht worden …, nämlich die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben an Jesus Christus, die zu allen und auf alle [kommt], die glauben. Denn es ist kein Unterschied; denn alle haben gesündigt und verfehlen die Herrlichkeit, die sie vor Gott haben sollten, sodass sie ohne Verdienst gerechtfertigt werden durch seine Gnade aufgrund der Erlösung, die in Christus Jesus ist. Ihn hat Gott zum Sühnopfer bestimmt, [das wirksam wird] durch den Glauben.“ (Röm 3,21–25; vgl. Gal 2,15–16)
Hier stellt Paulus rundheraus klar, dass Sündhaftigkeit ein universeller Zustand ist („alle haben gesündigt“), für den die Menschheit kein Heilmittel besitzt. Die Menschheit ist ungerecht und daher unfähig, sich selbst für gerecht zu erklären. Wenn die Menschheit von den Mächten der Sünde und des Todes befreit werden soll, braucht sie Gott, der – durch den Messias – eingreift und die Dinge in Ordnung bringt. Rechtfertigung ist also nichts, was man durch menschliche Anstrengung erlangen könnte, sondern wird allein durch den Glauben der Kirche an das göttliche Wirken gewährt (sie anerkennt es und nimmt es an), ein Punkt, den Paulus in seinem Brief an die Epheser ähnlich formuliert: „Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das nicht aus euch – Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme“ (Eph 2,8–9, Hervorhebung hinzugefügt; vgl. 1Kor 2,4–5). Für Paulus kann der erlösende Glaube also nicht horizontal ausgerichtet sein; er muss vertikal auf die Fürsprache Gottes durch das Leben, den Tod und die Auferstehung des Messias ausgerichtet sein. Dabei ist Paulus’ Verständnis von Glauben keine rein intellektuelle Übung. Wie bei der Liebe und der Hoffnung trifft sich die Vertikale notwendigerweise mit der Horizontalen, da sich der Glaube in der Treue der Kirche gegenüber Gott und dem Nächsten manifestiert; er verwandelt und befähigt die Gemeinschaft der Gläubigen, die Frucht der Liebe, der Freude, des Friedens usw. zu tragen (vgl. Gal 5,22–23).
Für Paulus muss die Kirche also an etwas oder jemanden außerhalb ihrer selbst glauben. Die Menschheit ist zu verdorben, um sich selbst zu retten, und muss durch die hereinbrechende Liebe Gottes im Gottmenschen Jesus gerettet werden. Das Unvorstellbare zu tun und den Glauben an Gott durch den Glauben an die Menschheit zu ersetzen – an diejenigen also, die gesündigt und Gottes Herrlichkeit verfehlt haben (vgl. Röm 3,23) –, kommt einer gänzlichen Beseitigung des Glaubens gleich und fällt in den Götzendienst zurück, der die Menschheit seit jeher bedrängt hat. Das ist jedoch genau das, was Nolan in Tenet tut.
Während des gesamten Films wird der Protagonist über die inneren Machenschaften von Tenet im Unklaren gelassen. Alle um ihn herum – Neil, Priya (Dimple Kapadia), Ives (Aaron Taylor-Johnson) und Sator – sind besser über das Wesen von Tenet, der Inversion sowie der den Algorithmus umgebenden drohenden Gefahr informiert. Auf dem Höhepunkt des Films verspottet Sator die Unwissenheit des Protagonisten: „Du kämpfst für eine Sache, die du kaum verstehst. … Dein Glaube ist blind. Du bist ein Fanatiker.“ Dann stellt er sich selbst als Retter der Menschheit dar, indem er behauptet, er schaffe eine neue Welt und sei vielleicht „eine Art Gott“. Der Protagonist entgegnet, Sator glaube nicht an Gott oder „irgendetwas außerhalb deiner eigenen Erfahrung“; dann fügt er hinzu, ohne Glauben sei man „kein Mensch. Du bist ein Verrückter.“
Dieser entscheidende Dialog veranschaulicht Nolans Ansichten zum Thema Glauben. Einerseits verurteilt er Sators Selbstvergötterung als unhaltbar und unmenschlich. Für Nolan ist der Glaube an etwas Größeres ein wesentlicher Aspekt unseres Menschseins. Andererseits untergräbt er diesen Punkt gleich wieder, da er keine substanzielle Entität liefert, an die man glauben sollte. Tatsächlich scheint es so, als widerspreche Nolan sich hier selbst, denn während er Sators Ambitionen verurteilt, wird der Protagonist selbst zum Objekt des Glaubens, nämlich als Neil enthüllt, dass der Protagonist der Drahtzieher hinter Tenet ist und somit die Ereignisse des Films inszeniert hat. Der Protagonist erläutert diesen Punkt in der Schlussszene des Films: „Ich habe erkannt, dass ich nicht für dich gearbeitet habe. Wir haben beide für mich gearbeitet. Ich bin der Protagonist.“ Mit dieser Erkenntnis behauptet sich der Protagonist als Drahtzieher der Operation und zeigt, dass seine Beteiligung an Tenet nicht länger „blinder Glaube“ ist, sondern eine Anerkennung seiner eigenen zentralen Rolle.
Es stimmt, dass Nolan in Neils Antwort, „Realität“ sei „ein Glaubensbekenntnis an die Mechanik der Welt“, einen gewissen Aspekt von Vertikalität beibehält. Dieser Verweis auf die deterministischen Gesetze der Physik ist jedoch insofern nichtig, als sich diese Gesetze dem Algorithmus beugen, der von dem anonymen, zukünftigen Wissenschaftler formuliert wurde, und außerdem ist es die Manipulation der Inversion durch den Protagonisten mittels der Tenet-Operation, die die Rettung der Menschheit bewirkt. Nolan möchte somit Sators Mangel an Glauben an etwas außerhalb seiner selbst entmenschlichen („Der Rest ist Glaube, und den habe ich nicht“), aber gleichzeitig die Behauptung aufrechterhalten, die Menschheit selbst bewirke ihre eigene Befreiung. Ähnlich wie die palindromische Struktur der Handlung von Tenet, fällt damit Nolans Vorstellung von Glauben in sich selbst zusammen.
„Was passiert ist, ist passiert. Was ein Glaubensbekenntnis an die Mechanik der Welt ist. Das ist keine Entschuldigung, nichts zu tun.“ (Neil, Tenet)
„Was ich aber jetzt im Fleisch lebe, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat.“ (Gal 2,20)[24]
4. Fazit
In diesem Artikel habe ich Christopher Nolans drei jüngste Filme – Interstellar, Dunkirk und Tenet – unter dem Gesichtspunkt der drei theologischen Tugenden Liebe, Hoffnung und Glaube untersucht. In allen Fällen habe ich gezeigt, dass Nolan die kreuzförmige (vertikale und horizontale) Tugendtheologie des Paulus verflacht und sie auf eine rein horizontale Ebene reduziert. Wo also Paulus Liebe als opferbereites Herabsteigen des Sohnes, Hoffnung als die Erwartung der Wiederherstellung der gesamten Schöpfung durch Gott, und Glauben als die transformative Annahme der Gnade Gottes versteht, macht Nolan die Menschheit zum Geber und Empfänger dieser Tugenden, sodass in jedem Film die Menschheit ihre eigene Erlösung bewirkt.
An dieser Stelle drängt sich die Frage nach der Fairness dieser Argumentation auf. Schließlich geht es beim Medium Film um visuelles Geschichtenerzählen, und man kann kaum erwarten, dass jeder Film, der sich mit Liebe, Hoffnung und Glauben befasst, die kreuzförmige Tugendtheologie widerspiegelt, die wir bei Paulus finden. Aus diesem Grund habe ich nicht versucht, zu zeigen, dass Nolans Filme einfach eine dürftige Sicht auf die Tugenden haben, die zu wünschen übrig lässt, sondern Nolan bewusst die Bilder und Sprache der christlichen Tugend übernommen und umgestaltet hat, um seinem Publikum eine bestimmte Reaktion zu entlocken. Falls jemand meint, ich sei hier zu kritisch: Nolan selbst hat sich auf die Frage nach der Rolle des Christentums in seinen Filmen folgendermaßen geäußert:
„Ich denke, der Einfluss des Christentums ist primär kulturell und auf meine Erziehung zurückzuführen. Wissen Sie, ich bin römisch-katholisch erzogen worden … Ich würde sagen, dass das Christentum einfach ein kultureller Einfluss ist, wie bei vielen anderen Menschen, die in der westlichen Kultur aufwachsen.“[25]
Nolan hat also nicht das Anliegen, „christliche“ Filme zu drehen, ist aber auch nicht bereit, auf die theologischen Tugenden zu verzichten. Nolan hat ein Gespür für die ihnen innewohnende Kraft und integriert sie, indem er sie säkularisiert – wodurch er außergewöhnliche Filme schafft, die zur Liebe anregen, Hoffnung spenden und zum Glauben ermutigen. Indem er jedoch Gott ausschließt, werden die theologischen Elemente der Filme – die pathetisch daherkommen – als Fassade entlarvt, als getünchtes Grab, das bei näherer Betrachtung nicht hält, was es verspricht.
Um zu etwas Substanziellerem zu gelangen, muss die Kirche immer wieder auf die Worte des Apostels Paulus zurückkommen, der uns neu auf Gott ausrichtet und uns aufruft, ein kreuzförmiges Volk der Liebe, der Hoffnung und des Glaubens zu werden.
1 „Christopher Nolan“, The Numbers, online unter: https://www.the-numbers.com/person/106410401-Christopher-Nolan#tab=technical (Stand: 19.08.2025).
2 „About this Collection“, Library of Congress, online unter: https://www.loc.gov/collections/selections-from-the-national-film-registry/about-this-collection/ (Stand: 19.08.2025).
3 „Complete National Film Registry Listing“, Library of Congress, online unter: 2021, https://www.loc.gov/programs/national-film-preservation-board/film-registry/complete-national-film-registry-listing/ (Stand: 19.08.2025).
4 „Top Rated Movies“, IMDB, online unter: https://www.imdb.com/chart/top/?ref_=nv_mv_250 (Stand: 19.08.2025).
5 Im Gegensatz zu Dunkirk und Tenet hat Christopher Nolan Interstellar gemeinsam mit seinem Bruder, Jonathan Nolan, geschrieben. Da Christopher Nolan den endgültigen Entwurf verfasst hat und der Regisseur des Projekts ist, beziehen sich alle Verweise auf „Nolan“ auf ihn.
6 Es handelt sich um die erste Artikulation von „Liebe“ in dem Film.
7 In seinem Kommentar zur Erörterung der Liebe in 1. Korinther 13 bemerkt Dunn: „Es ist kaum zu bezweifeln, dass Paulus, als er die Liebe so beschrieb, vor allem Gottes Liebe in Christus im Sinn hatte“ (James D.G. Dunn, The Theology of Paul the Apostle, Grand Rapids: Eerdmans, 1998, S. 596).
8 Zur Personifizierung von Sünde und Tod vgl. Beverly Roberts Gaventa, „The Cosmic Power of Sin in Paul’s Letter to the Romans: Toward a Widescreen Edition“, in: Int 58, 2004, S. 229–240.
9 Wie diese drei Zitate zeigen, ist Liebe für Paulus nicht nur eine Eigenschaft oder ein Gefühl, sondern eine Handlung. In ähnlicher Weise verwendet Paulus in seiner berühmten Passage „Die Liebe ist langmütig und gütig, die Liebe beneidet nicht …“ (1Kor 13,4) Verben statt Adjektive, um die Dynamik der Liebe zu beschreiben. Garland scheibt dazu: „Liebe ist dynamisch und aktiv, nicht statisch. [Paulus] spricht nicht von einem inneren Gefühl oder einer Emotion. Liebe wird nicht durch Worte vermittelt, sondern muss sich praktisch zeigen. Sie kann nur durch das definiert werden, was sie tut und nicht tut“ (David E. Garland, 1 Corinthians, Grand Rapids: Baker Academic, 2003, S. 616).
10 Mit „kreuzförmig“ meine ich „in der Form des Kreuzes“. Im Folgenden beziehe ich mich häufig auf die Schnittstelle der vertikalen und horizontalen Ebene von Liebe, Hoffnung und Glauben; diese ähnelt dem Kreuz, wo die Tugenden ihren vollsten Ausdruck sowie ihr Telos finden. Die vertikale Ebene bezeichnet die Beziehung zwischen Gott und der Menschheit, die horizontale Ebene die zwischen Mensch und Mensch. Auch wenn ich mich auf Gottes Wirken durch Jesus häufig als „vertikal“ beziehe, möchte ich damit nicht die horizontale Natur von Jesu Leben, Tod und Auferstehung ausblenden; als Gottmensch steht Jesus im Zentrum des kreuzförmigen Schnittpunkts und vervollkommnet somit sowohl die vertikale als auch die horizontale Ebene. Dennoch bezeichne ich dieses Wirken in erster Linie als „vertikal“, da es sich um einen Akt göttlicher Intervention handelt, der von der Menschheit allein nicht bewirkt werden kann.
11 Die Kirchenorgel, die in Zimmers Oscar-nominierter Filmmusik zu hören ist, war Zimmers erste Wahl: die „viermanualige Harrison & Harrison-Orgel aus dem Jahr 1926 in der Londoner Temple Church aus dem 12. Jahrhundert“ (Jon Burlingame, „Hans Zimmer’s Interstellar Adventure: Composer Unveils Secrets of Organ, Choir, Orchestra in Nolan Film“, Film Music Society, online unter: http://www.filmmusicsociety.org/news_events/features/2014/110614.html (Stand: 19.08.2025).
12 Wie die unten angeführten und einander gegenübergestellten Zitate zeigen, ist es dieser Glaubenssprung, der Nolan und dem Apostel Paulus – trotz ihrer unüberbrückbaren Differenzen – eine gemeinsame Grundlage gibt, nämlich das transzendente und unbeschreibliche Wesen der Liebe.
13 Ähnlich zeigt der Trailer zu Dunkirk die Texteinblendung „Hope is a weapon“ (dt. „Hoffnugn ist eine Waffe“); vgl. „Dunkirk – Trailer 1“, Warner Bros. Pictures, 14.12.2016, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=F-eMt3SrfFU (Stand: 19.08.2025).
14 Für eine Erörterung der Hoffnung Israels vgl. N.T. Wright, The New Testament and the People of God, Minneapolis: Fortress, 1994, S. 280–338.
15 Hinsichtlich dieses Punkts kommt Savage zu folgendem Schluss: „Der Apostel führt uns zu der paradoxen … Schlussfolgerung, dass der Herr sein mächtiges Werk nur durch kreuzförmige Leiden wie diese vollbringen kann, nämlich indem er Herrlichkeit in ein Zeitalter der Finsternis, Erlösung in eine Welt der Verzweiflung, ein neues Zeitalter innerhalb des alten und Leben und Kraft für immer mehr Menschen bringt“ (Timothy B. Savage, Power through Weakness: Paul’s Understanding of the Christian Ministry in 2 Corinthians, Cambridge: Cambridge University Press, 1996, S. 189). Für weitere Ausführungen zu Paulus’ Ansichten über das Leiden vgl. Savage, Power through Weakness, insb. S. 164–186; Dunn, The Theology of Paul the Apostle, S. 482–487; Scott J. Hafemann, „Suffering“, DPL, S. 919–921; Brian J. Tabb, „Paul and Seneca on Suffering“, in: David E. Briones und Joseph Dodson (Hrsg.), Paul and Seneca in Dialogue, Leiden: Brill, 2017, S. 88–108.
16 Die visuelle Entsprechung dieses Punkts ist Farriers rechtzeitiges Eingreifen „von oben“, was jedoch nichts an der Behauptung ändert, dass Farrier ein Aspekt der geplanten Evakuierung von Dünkirchen ist. Dennoch ist es bemerkenswert, dass Farriers Abstieg vom Himmel und seine Gefangennahme durch „den Feind“ an das biblische Narrativ der Menschwerdung und des Todes Jesu erinnert, wenn auch sicherlich gefärbt durch die humanistische Perspektive des Films.
17 Eliza Berman, „Christopher Nolan: Dunkirk Is My Most Experimental Film since Memento“, Time, 19.07.2017, online unter: https://time.com/4864049/dunkirk-christopher-nolan-interview/ (Stand: 19.08.2025).
18 Mr. Dawson verkörpert die selbstlose, gemeinschaftliche Verantwortung, zu der Nolan inspirieren möchte. Das erklärt, warum Nolan die Figur ohne die Marine (und trotz der Requisition durch die Marine) abreisen lässt. Ohne die Marine an Bord, die die Mission leitet, tritt Mr. Dawsons Heldentum noch deutlicher vom Vorschein.
19 Von Churchills persönlichen religiösen Überzeugungen einmal abgesehen, ist es interessant, dass Nolan sich entschieden hat, den Film mit einem Zitat zu beenden, das so starke Anklänge an die christliche Eschatologie hat. Es ist unwahrscheinlich, dass Paulus mit irgendetwas in diesem kurzen Zitat nicht einverstanden wäre, obwohl er, wie das nachfolgende Zitat aus dem Römerbrief zeigt, noch viel hinzuzufügen hätte.
20 Die andere Bedeutung des Titels liegt in der zentralen Position von „TENET“ im Sator-Quadrat, einem fünfteiligen lateinischen Palindrom, das aus den Wörtern SATOR, ROTAS, OPERA, AREPO und TENET besteht, die alle im Film vorkommen. Ferner spiegelt sich das Sator-Quadrat in der palindromischen Handlungsstruktur von Tenet wider.
21 „Writers Bloc Presents: Christopher Nolan, Tom Shone and Kenneth Branagh“, Writers Bloc Presents, 02.12.2020, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=PqGrR2Upz0M/ (Stand: 19.08.2025).
22 Diese Vereinfachung wird zweifelsohne den Zorn einiger Theologen auf sich ziehen, aber für die Zwecke dieses Artikels würde alles andere den Rahmen sprengen. Für einen Überblick über die verschiedenen Ansichten zum Thema Erwählung vgl. Chad Owen Brand (Hrsg.), Perspectives on Election, Nashville: B&H Academic, 2006.
23 Dass Gott derjenige ist, der die Beziehung zwischen Gott und der Menschheit initiiert und aufrechterhält, ist für Paulus’ Theologie des Glaubens von zentraler Bedeutung. Zu diesem Punkt bemerkt Dunn: „Das ist es also, was Paulus mit Rechtfertigung durch den Glauben (und allein durch den Glauben) meinte. Es war eine tiefgreifende Vorstellung von der Beziehung zwischen Gott und der Menschheit – eine Beziehung völliger Abhängigkeit und bedingungslosen Vertrauens. Die Abhängigkeit des Menschen von der göttlichen Gnade musste bedingungslos sein, sonst wäre es nicht der Glaube Abrahams gewesen, der Glaube, durch den Gott sein eigenes Werk vollbringen konnte“ (Dunn, The Theology of Paul the Apostle, S. 379). Obwohl er Dunns Rechtfertigungsverständnis von Paulus nicht teilt, betont Moo ebenfalls, dass Gott die Beziehung zwischen Gott und Menschheit initiiert: „Die Rechtfertigung durch den Glauben ist der anthropologische Widerschein von Paulus’ Grundüberzeugung, dass das, was Gott in Christus für die sündigen Menschen getan hat, gänzlich eine Sache der Gnade ist“ (Douglas J. Moo, Romans, Grand Rapids: Eerdmans, 2. Aufl., 2018, S. 100). Für einen historischen Überblick über die oft umstrittene Lehre von der Rechtfertigung vgl. Alister E. McGrath, Iustitia Dei: A History of the Christian Doctrine of Justification, New York: Cambridge University Press, 4. Aufl., 2020.
24 Die Unterschiede zwischen Nolan und Paulus werden in diesen letzten gegenübergestellten Zitaten vielleicht am deutlichsten. Im Gegensatz zu Interstellar und Dunkirk, wo die Ausrichtung auf Liebe und Hoffnung der Erzählebene stattfindet, gibt es in Tenet einen expliziten Empfänger des Glaubens, nämlich „die Mechanik der Welt“. Für Paulus ist, wie der Galaterbrief eindeutig bekräftigt, allein Gott ein würdiger Empfänger des Glaubens.
25 „Writers Bloc Presents: Christopher Nolan, Tom Shone and Kenneth Branagh“, Writers Bloc Presents, 02.12.2020, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=PqGrR2Upz0M/ (Stand: 20.08.2025).