Gelten die Gesetze aus dem Alten Testament noch heute?

Artikel von Richard Belcher
9. September 2025 — 4 Min Lesedauer

Das Gesetz Gottes – auch bekannt als Pentateuch (1. Mose bis 5. Mose) – ist nicht immer leicht zu verstehen. Ein angemessener Zugang zum Gesetz betont, dass wir aus allen alttestamentlichen Gesetzen lernen können, selbst wenn wir manche nicht mehr befolgen, weil sie in Christus erfüllt worden sind. Einige grundlegende Prinzipien helfen uns dabei, diese biblische Gattung richtig einzuordnen.

1. Drei wesentliche Arten des Gesetzes

Die Dreiteilung des Gesetzes wird gemeinhin als Moralgesetze, Zeremonialgesetze und Zivilgesetze definiert. Das moralische Gesetz wird in den Zehn Geboten zusammengefasst. Es handelt sich um allgemeingültige, absolute Aussagen, die keine konkreten Strafbestimmungen enthalten und direkt von Gott niedergeschrieben wurden (vgl. 2Mose 31,18). Diese Gebote bilden das Fundament für alle weiteren Gesetze im Alten Testament und gelten laut den Aposteln im Neuen Testament auch für Christen heute (vgl. Röm 13,8–10; Eph 6,1).

Das zeremonielle Gesetz betrifft den Gottesdienst Israels und das Thema der Reinheit und Unreinheit, denn wer unrein ist, darf nicht im Heiligtum anbeten. Dazu gehören z. B. die Vorschriften über Opfer (vgl. 3Mose 1–7), die Speisegebote (vgl. 3Mose 11) und Regelungen zur rituellen Unreinheit (vgl. 3Mose 12–15).

Das zivile Gesetz bezieht sich auf die staatliche Ordnung Israels und enthält Anweisungen für Richter (vgl. 5Mose 17,8–13), Regelungen zum Thema Sklaverei oder Schuldknechtschaft (vgl. 2Mose 21,1–11; 3Mose 25,39–55) sowie weitere Gebote, die das menschliche Miteinander betreffen (vgl. 2Mose 21,12–26; 3Mose 24,17–23; 5Mose 19,1–22,8). Auch wenn diese Dreiteilung nicht absolut ist, dient sie als ein hilfreiches Lehrmittel – und wird durch den Umgang der Apostel mit dem alttestamentlichen Gesetz im Neuen Testament bestätigt.

2. Drei wichtige Verwendungen des Gesetzes

Eine gängige Erklärung, wie das Gesetz im Leben von Gottes Volk wirkt, ist das Konzept vom „dreifachen Gebrauch des Gesetzes“.

Die erste Verwendung des Gesetzes zeigt uns unsere Schuld. Das Gesetz wirkt wie ein Spiegel: Es deckt unsere Sünde auf und macht uns bewusst, dass wir Erlösung brauchen. Das ist der warnende und überführende Aspekt des Gesetzes.

Die zweite Verwendung des Gesetzes hat eine zurückhaltende Funktion: Es warnt vor den zivilen und gesellschaftlichen Konsequenzen von Ungehorsam und hilft, Sünde einzugrenzen.

Die dritte Verwendung des Gesetzes betrifft die Segnungen des Gesetzes Gottes. Es wurde Gottes erlöstem Volk gegeben (vgl. 2Mose 20,2), damit es weiß, wie es zur Ehre Gottes leben kann. In diesem Sinne trägt das Gesetz zu unserer Heiligung bei, indem es uns hilft, in unserer Beziehung zu Gott zu wachsen.

Als Beispiel dafür, dass das Neue Testament den dreifachen Gebrauch des Gesetzes kennt, sehen wir, wie das sechste Gebot, „Du sollst nicht töten“, in allen drei Verwendungen benutzt wird: die erste Verwendung in Jakobus 2,9–11, die zweite in 1. Timotheus 1,9–10 und die dritte in Römer 13,9–10. Wir sind durch das Gesetz verurteilt, weil wir es gebrochen haben, aber die gute Nachricht ist, dass Christus das Gesetz für uns erfüllt hat, indem er es perfekt eingehalten hat. Wenn wir vor Gott, unserem Richter, stehen, rechtfertigt er uns, indem er uns durch den Glauben an das, was Christus für uns vollbracht hat, für gerecht erklärt. In der Heiligung leben wir in Beziehung zu Gott als unserem Vater, und das Gesetz ist ein Segen, um unsere Beziehung zu ihm zu stärken.

3. Alttestamentliche Gesetze im Licht von Christus verstehen

Das Kommen Christi und seine Erfüllung des Gesetzes brachten Veränderungen mit sich, die unser Verhältnis zum Gesetz heute prägen.

Obwohl die Moralgesetze weiterhin gültig sind, enthalten sie zeremonielle Elemente, die durch Christus neu gedeutet werden. Ein Beispiel ist das Sabbatgebot: Ursprünglich betrifft es den siebten Tag als Erinnerung an Schöpfung und Erlösung (vgl. 2Mose 20,8–11; 5Mose 5,12–15). Im Neuen Bund feiern Christen den Gottesdienst am ersten Tag, weil die Auferstehung Christi die neue Schöpfung einleitet. Wir freuen uns über seinen Sieg über Sünde und Tod und blicken der endgültigen eschatologischen Ruhe entgegen, die uns erwartet, wenn er wiederkommt (vgl. Offb 1,10; Hebr 4,1–11).

Die Zivilgesetze des Alten Testaments betreffen Israel als Nation. Sie offenbaren Grundsätze der Gerechtigkeit, die von unserem gerechten König gegeben wurden und die für weltliche Herrscher und unser Leben als Christen lehrreich sein können – auch wenn diese Gesetze heute nicht mehr wörtlich genommen werden müssen (siehe Westminster Glaubensbekenntnis 19.4). Die Apostel deuten z. B. die Todesstrafe aus dem zivilen Gesetz als Bild für die Gemeindezucht, die das Volk Gottes reinhalten soll (vgl. 1Kor 5,13; 5Mose 17,7).

Die Zeremonialgesetze regeln Opfer, Reinheitsgebote und Tempeldienst. Diese Gesetze sind durch das Werk Christi erfüllt und damit aufgehoben. Er ist das Opfer, das Gott dargebracht wird, sodass wir keine Opfer als Teil unserer Anbetung bringen (vgl. Hebr 10,11–14). Er ist der Tempel, der uns in die Gegenwart Gottes bringt, sodass wir nicht an einem einzigen geographischen Ort, sondern verstreut unter den Völkern „im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 2,19; 4,24) anbeten. Vorschriften über Speisen und Blut gelten nicht mehr, sodass Juden das Evangelium den Nichtjuden bringen konnten (vgl. Mt 28,19–20; Apg 10,9–14). Für diejenigen, die Christus nachfolgen, gilt:

„Wie habe ich dein Gesetz so lieb! Ich sinne darüber nach den ganzen Tag“ (Ps 119,97).

Richard Belcher ist Professor für Altes Testament und akademischer Dekan am Reformed Theological Seminary in Atlanta und New York, sowie Ältester in der Presbyterian Church in America. Er ist Autor mehrerer Bücher.