Die Pastoralbriefe
Paulus’ Herzschlag für Gemeinde und Evangelium
Die drei Pastoralbriefe sind unter den 13 Briefen des Paulus einzigartig, da sie an seine Mitarbeiter Timotheus und Titus gerichtet sind, die pastorale Verantwortung für Gemeinden trugen. Beide hatten es mit falschen Lehrern und anderen Herausforderungen zu tun, die ihren Dienst erschwerten. Obwohl die Briefe an Timotheus und Titus persönlich adressiert sind, enden sie mit dem Segensgruß des Paulus: „Die Gnade sei mit euch“. In gewissem Sinne sind die Briefe also halböffentlich. Paulus erwartete, dass die Briefe der ganzen Gemeinde vorgelesen werden. Vor diesem Hintergrund sehen wir uns vier Hinweise für die Lektüre der Pastoralbriefe an.
1. Der Leib Christi steht im Zentrum – und du bist ein Teil davon
Viele Christen haben heute das Bewusstsein für die Bedeutung der Gemeinde verloren. Für sie steht die persönliche Beziehung zu Christus im Mittelpunkt – weniger das aktive Leben als Glied am Leib Christi. Paulus' Anliegen in den Pastoralbriefen ist die Gesundheit und Treue der Gemeinde. Sie ist der Ort, an dem das Volk Gottes genährt wird und im Glauben wächst. Deshalb verwendet Paulus viel Zeit darauf, die Qualifikationen für geistliche Leiter auszuführen, sowohl für Älteste (vgl. 1Tim 3,1–7; Titus 1,5–16) als auch für Diakone (vgl. 1Tim 3,8–13). Und deshalb fordert er Timotheus immer wieder auf, sich dem Dienst am Wort, also der Lehre und Predigt, ganz zu widmen. In einer gesunden Gemeinde wird das Volk Gottes mit dem Manna des gelesenen und verkündigten Wortes Gottes ernährt.
Die Pastoralbriefe sind zwar an Einzelpersonen gerichtet, zielen aber darauf ab, die Gemeinde Christi aufzubauen und ein aktives gemeinschaftliches Leben zu fördern. Dazu gehören gemeinsamer Gottesdienst (vgl. 1Tim 2; 4,13), gemeinsames Arbeiten und Dienen (vgl. 2Tim 2,21; Titus 3,1), Großzügigkeit gegenüber Geschwistern (vgl. 1Tim 6,17–19) und treue Fürsorge. In den Pastoralbriefen zeigt Paulus, dass die Gemeinde der zentrale Bestandteil christlichen Lebens ist – keine Nebensache oder optionale Ergänzung.
2. Die Gefahr falscher Lehren und die Notwendigkeit, sie zu bekämpfen
Paulus widmet in den Pastoralbriefen dem Thema „Irrlehre und ihre Bekämpfung“ mehr Raum als jedem anderen Thema. In 1. Timotheus behandelt er es an drei verschiedenen Stellen. Tatsächlich beginnt er den Brief nicht – wie sonst üblich – mit einem Dankesabschnitt nach der Begrüßung, sondern steigt sofort in die Auseinandersetzung mit den falschen Lehrern in Ephesus ein (vgl. 1Tim 1,3–11). Später greift er das Thema erneut auf – in Kapitel 4 und nochmals in Kapitel 6. Die Bekämpfung der Irrlehre ist auch in 2. Timotheus und Titus ein wichtiges Thema.
Warum geht Paulus dabei so entschieden vor, selbst wenn das bedeutet, gesellschaftliche Konventionen im Briefstil zu durchbrechen? Weil falsche Lehre eine Frage von Leben und Tod ist. Das Heil und das ewige Leben hängen davon ab, dass man der von Gott in Christus offenbarten Wahrheit glaubt und an ihr festhält. Deshalb nimmt Paulus das Thema todernst. Wie Paulus über die falsche Lehre in Galatien schreibt: „Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig“ (Gal 5,9).
Zur Bekämpfung falscher Lehren gehört untrennbar auch die Verkündigung der Wahrheit – was zum dritten Hinweis führt.
3. Die zentrale Bedeutung der Wortverkündigung
Paulus spricht in den Pastoralbriefen viele Dienste der Gemeinde an – aber keiner steht so sehr im Zentrum wie der Dienst am Wort Gottes. Er ermutigt Timotheus dazu, sich auf „das Vorlesen, das Ermahnen und das Lehren“ zu konzentrieren (1Tim 4,13). Die Verkündigung des Wortes ist entscheidend für den Glauben. Der Glaube kommt durch das Hören und das Hören durch das Wort Gottes. Wer sich dem Wort Gottes aussetzt, wird im Glauben gestärkt. In 2. Timotheus ermahnt Paulus seinen jüngeren Mitarbeiter: „Verkündige das Wort ... es sei gelegen oder ungelegen ... Denn es wird eine Zeit kommen, da werden sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern sich selbst nach ihren eigenen Lüsten Lehrer beschaffen, weil sie empfindliche Ohren haben“ (2Tim 4,2–3).
Zum Dienst der Gemeinde gehört auch gemeinsames Gebet – sowohl für die Menschen in der Gemeinde als auch für die Herrscher und Mächtigen außerhalb der Gemeinde (vgl. 1Tim 2,1–2). Ebenso umfasst er den praktischen Dienst von Ältesten und Diakonen. Älteste tragen die Verantwortung für die geistliche Fürsorge als Hirten über die Herde. Diakone kümmern sich um praktische Bedürfnisse. Obwohl Diakone ihre Arbeit oft im Hintergrund verrichten, unbemerkt von den meisten in der Gemeinde, gibt Gott ihnen eine wunderbare Verheißung: „Denn wenn sie ihren Dienst gut versehen, erwerben sie sich selbst eine gute Stufe und viel Freimütigkeit im Glauben in Christus Jesus“ (1Tim 3,13). Alle Dienste sind für eine gesunde Gemeinde unerlässlich, doch das Wort Gottes steht im Mittelpunkt.
4. Einblicke in das Herz eines Dieners
Paulus wurde in der Vergangenheit oft negativ dargestellt – auch von vielen Christen. Beliebt ist eine karikaturhafte Beschreibung: klein, glatzköpfig, krummbeinig, mit großer Nase und zusammengewachsenen Augenbrauen – meist mit grimmigem Gesichtsausdruck. Auch charakterlich wurde er manchmal als streitsüchtig und schwer umgänglich beschrieben. Immerhin trennte er sich ausgerechnet von Barnabas, dem „Sohn des Trostes“. Und er weigerte sich, Markus eine zweite Chance zu geben.
Doch in der Apostelgeschichte und seinen Briefen – besonders den Pastoralbriefen – zeigen sich Paulus' Liebe und Mitgefühl für andere. Er bezeichnet Timotheus als „mein Sohn“ und als „mein geliebtes Kind“. Titus nennt er „mein echtes Kind nach unserem gemeinsamen Glauben“. Besonders deutlich sehen wir sein Herz in seinem letzten Brief, dem 2. Timotheusbrief. Dort hören wir seine Trauer über Menschen, die ihn verlassen haben, aber auch seine Zuneigung zu treuen Freunden wie Timotheus, Lukas – und selbst Markus, mit dem er sich offenbar versöhnt hat. Die Pastoralbriefe machen deutlich, dass seine tiefe Liebe zu Christus in seiner Liebe zu anderen Menschen zum Ausdruck kommt.