Gewohnheiten für ein gelingendes Bibelstudium

Artikel von Jon Nielson
20. August 2025 — 4 Min Lesedauer

Auf Kurs bleiben

Vor vielen Jahren, als ich mit Oberstufenschülern arbeitete, gaben wir ihnen diesen einfachen Plan an die Hand, um ihnen zu zeigen, wie sie Bibelarbeiten in Kleingruppen anleiten können. Er besteht aus sechs Gewohnheiten, die einen grundlegenden Zugang zur Auslegung beliebiger Bibeltexte bilden. Wenn du diese Gewohnheiten kultivierst, bleibst du im Studium auf Kurs: Du achtest auf den Text, vermeidest Abschweifungen und tust alles, um Hauptaussage und zentrale Anwendung so zu erfassen, wie Gott sie beabsichtigt hat. Schauen wir uns diese Gewohnheiten an.

1. Gründlich lesen

Die erste Gewohnheit ist schlicht sorgfältiges Lesen. Viele Fehler in der Hermeneutik (biblischen Auslegung) entstehen, weil man zu schnell durch einen Text geht, vorschnell meint, ihn verstanden zu haben, und dann gedanklich zu einer eigenen Erfahrung springt, an die der Text einen erinnert. Den Text mehrmals langsam zu lesen, kann der erste und wichtigste Schritt sein, wirklich zu hören, was die Bibel sagt. Nimm dir Zeit. Beobachte und verweile am Text. Lies ihn erst leise, dann laut. Und vergiss nicht, Gott um Hilfe zu bitten, während du auf sein Wort hörst und es treu verstehen und anwenden willst.

2. Im Kontext lesen

Viele Fehlinterpretationen und Fehlanwendungen lassen sich vermeiden, wenn wir den Kontext von Versen und Abschnitten beachten. Ein Vers, der auf den ersten Blick etwas zu sagen scheint, kann im Zusammenhang das Gegenteil bedeuten. Achte daher auf die umgebenden Verse. Beziehe die historische Situation der Ersthörer ein, um zu erkennen, was der biblische Autor ihnen sagte, bevor du den Text auf dich anwendest. Und vergiss den Gesamtzusammenhang der Bibel nicht: die Geschichte von Gottes Schöpfung, dem Sündenfall, der Erlösung durch Christus und der Verheißung der Auferstehung und des ewigen Lebens in Gottes neuer Schöpfung. Jeden Abschnitt – und jeden Vers – im rechten Kontext zu lesen, ist entscheidend für ein angemessenes Verstehen und Anwenden von Gottes Wort.

3. Schlüsselbegriffe identifizieren

Suche nach wichtigen Worten oder Wendungen. Frage dich: Welche Wörter oder Ausdrücke werden wiederholt? Tauchen bestimmte Gedanken immer wieder auf? Setzt der Autor möglicherweise einen Akzent am Anfang und am Ende einer Perikope? Diese Gewohnheit führt uns an den Kern (die Hauptaussage) des Textes heran, indem wir die wiederholten Schwerpunkte des Autors erkennen. Wie in einer Rede oder Erzählung betonen wir durch Wiederholung das Wichtigste – ebenso tut es der biblische Text. Achte darum auf Wiederholungen; sie helfen, die Aussage von Gottes Wort zu erfassen.

4. Die Hauptaussage bestimmen

Diese Gewohnheit zielt auf das Thema eines Abschnitts, verstanden als zeitlose theologische Wahrheit, die der Text lehrt. Diese Wahrheit gilt heute ebenso wie damals: Sie kann Gottes Wesen betreffen, den Menschen, Sünde, Erlösung oder unsere gefallene Welt. Übe dich darin, die Hauptaussage in einem einzigen Satz zu formulieren: „Die Hauptaussage dieses Abschnitts lautet: …“. Du wirst damit nicht immer punktgenau landen. Aber du trainierst, nicht nur Vers für Vers, sondern die Einheit als Ganzes zu sehen und die übergreifende Aussage zu erfassen, die der biblische Autor – inspiriert durch den Heiligen Geist – seiner ursprünglichen Zielgruppe (und uns als Gottes Volk heute) vermitteln wollte.

5. Christus im Text sehen

Wir lassen uns dabei von folgender Überzeugung leiten: Die Schrift handelt letztlich von Gottes Erlösung von Sündern – und der ganzen Schöpfung – durch das Leben, den Tod, die Auferstehung und die Wiederkunft seines Sohnes, Jesus Christus. Der Höhepunkt der Bibel ist Gottes heilsgeschichtliches Handeln durch Jesus Christus in der Kraft des Heiligen Geistes. Darum ist es angemessen, zu fragen: „Wie hängt dieser Text mit Jesus und dem Evangelium zusammen?“ Verschiedene Texte tun das unterschiedlich: Manche alttestamentlichen Stellen sind direkte Verheißungen auf den kommenden Messias; andere machen die Notwendigkeit seines Kommens deutlich. Manche neutestamentlichen Texte erklären Jesu Kreuzeswerk, andere ziehen Schlüsse daraus oder stellen Jesus als Vorbild für Christen hin. In jedem Fall ist es wichtig – und berechtigt –, jeden Abschnitt mit der Person und dem Werk Jesu Christi zu verknüpfen, des Retters aller, die glauben.

6. Auf Gottes Ruf antworten

Hier wird es praktisch. Frage: „Was bedeutet die Wahrheit dieses Textes für mein Denken, Reden und Handeln?“ Oder: „Was ist der zentrale Ruf dieses Abschnitts an mich als Nachfolger Jesu Christi?“ Es geht um Anwendung. Wenn die Bibel wahr ist – und wenn Jesus wirklich unser Retter und Herr ist, der uns zum Nachfolgen und Gehorsam ruft –, dann betrifft jeder Text unser Leben. Vernachlässigen wir diese letzte Gewohnheit, droht die Gefahr, dass wir die Schrift nur kognitiv-akademisch behandeln und sie uns nicht herausfordern und verändern darf. Gottes Wort ist lebendig und wirksam (vgl. Hebr 4,12); der Herr will, dass wir ihm gehorchen und fortwährend verwandelt werden, indem es uns zu tieferem Gehorsam, Heiligung und Wachstum in Christus ruft. Beim Bibelstudium suchen wir also nicht nur die Bedeutung des Textes, sondern auch ihre Bedeutung für unseren Alltag als treue Nachfolger Jesu Christi.