Was sagt die Bibel zu homosexuellen Beziehungen?

Rezension von Titus Vogt
12. Juni 2025 — 10 Min Lesedauer

Der englische Originaltitel des vorliegenden Buchs ist weniger zurückhaltend: Does the Bible Affirm Same-Sex Relationships?, also etwa Bejaht die Bibel gleichgeschlechtliche Beziehungen? – und die Antwort der Autorin ist klar: Nein, die Bibel bejaht solche Beziehungen nicht. Man könnte geneigt sein zu fragen: Braucht’s dafür noch ein weiteres Buch? Meine Antwort: Ja, es ist gut, ein weiteres Buch zu dem Thema zu haben! Folgende Punkte machen es zu einer lesenswerten Lektüre:

Authentisch

Die Autorin weiß, wovon sie schreibt. Ihre romantischen Gefühle für Mädchen in ihrer Schule waren nicht nur eine Phase. Auch während der Studienzeit entwickelte sie wieder eine entsprechende Zuneigung zu einer Freundin, anstatt sich in einen Jungen zu verlieben, was sie sich erhofft hatte (S. 9). So nimmt sie den Leser des Buches mit hinein in ihre Lebensgeschichte – durch Höhen und Tiefen, durch Zweifel und Hoffen. Gleichzeitig erzählt sie die Lebensgeschichten vieler anderer Christen, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen – und das alles nicht durch die rosarote Brille, sondern stimmig, ehrlich und authentisch.

Sie entwickelt das Buch anhand von zehn Thesen, die – bis auf eine – auch im deutschen Kontext altbekannte Argumentationsfiguren sind. Es gelingt ihr, die im Raum stehenden Behauptungen fair, ehrlich und frisch zu beantworten.

Konzentration auf Gottes Liebe

Muss man zwingend in einer Beziehung leben, um glücklich zu sein? Von 1. Mose 2,18 her („Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei …“) scheint das zunächst naheliegend zu sein und für viele Menschen ist der Gedanke an ein Leben allein auch nur schwer erträglich. Trotzdem macht die Autorin im ersten Kapitel zu Recht darauf aufmerksam, dass die Ehe zwischen Mann und Frau doch eher einem Modell gleicht, dass das Original widerspiegelt: die Beziehung Gottes zu seinem Volk bzw. von Christus zu seiner Gemeinde. Letztes Ziel des Menschen kann deshalb nicht ein menschlicher Partner sein, sondern muss Gott sein – andernfalls machen wir die Ehe „zu unserem Götzen und untergraben das Evangelium“ (S. 25).

Schwieg Jesus zum Thema Homosexualität?

Dass Jesus sich nicht explizit zum Thema Homosexualität äußerte, ist ein beliebtes Argumentationsmuster unter „progressiven“ Vertretern. Dass er damit nichts zum Thema gesagt habe, ist damit natürlich noch nicht erwiesen. Die Autorin verweist auf Matthäus 15,19–20, wo Jesus (neben anderen Sünden) auch den Sammelbegriff „Unzucht“, „sexuelle Unmoral“ (griech. porneia) nennt. Im Kontext des seinerzeitigen Judentums kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass darin auch homosexuelle Handlungen inkludiert waren.

Gleichzeitig macht Rebecca McLaughlin auf einen zweiten wichtigen Punkt aufmerksam: Gleichgeschlechtliches Begehren könne nicht falsch sein, weil es „bei manchen Menschen natürlich vorkomme“ – so die „progressive“ Sicht. Ihre Antwort: „In meinem Leben beispielsweise mussten die Gefühle der Zuneigung zu bestimmten Frauen nicht erst ‚hergestellt‘ werden. Sie kamen aus meinem Herzen. Aber laut Jesus bedeutet die Tatsache, dass etwas aus meinem oder deinem Herzen kommt, nicht auch, dass es nicht sündhaft ist. Auf dem Etikett an unseren sündhaften Gedanken und Taten steht immer: ‚Hergestellt im Herzen‘“ (S. 32f). Wie wahr!

Was ist mit Sodom?

Es wird oft argumentiert, dass Gottes Urteil über Sodom nichts mit Homosexualität zu tun habe. Die Autorin erliegt nicht der Versuchung, schnell „Doch, doch …“ zu rufen. Dass die in 1. Mose 18 angedrohte Massenvergewaltigung schweres Unrecht ist, ist unter allen Auslegern völliger Konsens, und wäre dieser Text der einzige zum Thema, ob ein Christ eine monogame homosexuelle Beziehung eingehen könne, dann „wäre das hochgradig unzureichend“ (S. 43). Aber das heißt nicht, dass man aus diesem Text und aus der Bezugnahme auf ihn in der Bibel nichts lernen könnte. Vielmehr ist auch dieser Text am Ende ein Ruf, die eigene Sünde – egal welche – ernstzunehmen, zu Gott umzukehren und „unser Vertrauen auf Jesus [zu] setzen“ (S. 43).[1]

Warum sind Schalentiere okay, Homosexualität aber nicht?

Auch auf dieses klassische Argument geht die Autorin ein, und die Frage ist ja durchaus berechtigt. Picken sich Christen am Ende nicht irgendwie doch wahllos einfach Gebote aus dem Alten Testament (AT) heraus, die sie noch für gültig halten, und lassen andere einfach weg? Ja, das Essen von Schalentieren wird (neben vielen anderen Beispielen) ebenso als „Gräuel“ bezeichnet (vgl. 5Mose 14,3ff) wie homosexueller Sex (vgl. 3Mose 18,22; 20,13). Warum sollte das eine noch verbindlich sein und das andere nicht? „Die Antwort auf diese Frage liegt im Neuen Testament“ (S. 49), wonach man jedes Gebot grob in eine von drei Kategorien einordnen könne. Erstens: Gebote, die „angesichts von Jesu Kommen ausdrücklich für nicht mehr bindend erklärt“ werden, wozu eben „auch die Speisegesetze“ gehören „(siehe Markus 7,18–19; Apostelgeschichte 10,9–16)“. Zweitens: Gebote, die nicht aufgegriffen werden und wo es einen Interpretationsspielraum gibt. Drittens: Gebote, die „für Christen explizit bestätigt werden“. Faktisch ist diese Dreiteilung sicher zutreffend. Ob sie systematisch den Befund stimmig widergibt, wäre zu diskutieren. Ich würde da eher vom AT her argumentieren, dass es dort in vielen Texten bereits eine klare Zweiteilung gibt, die im Wesentlichen ziemlich dem entspricht, was Theologen üblicherweise Zeremonial- beziehungsweise Moralgesetz nennen (vgl. 1Sam 15,22; Spr 21,3; Am 5,21–24, etc.). Ersteres ist tatsächlich mit Jesu erstem Kommen vollständig erfüllt, Zweiteres als Gottes ewiger moralischer Wille prinzipiell in Kraft. Eine ausführlich(er)e Debatte dieser Frage hätte den Umfang des vorliegenden Buchs sicher gesprengt. Die Grundthese, dass Christen durchaus nicht willkürlich „sortieren“, ist aber ohne Einschränkung richtig.

Verurteilt Paulus in Römer 1 nur ausbeuterischen homosexuellen Sex?

Dass Paulus im Vergleich zum heutigen aufgeklärten, wissenschaftlich informierten Menschen schlecht informiert gewesen sei, er insofern ja gar nichts habe wissen können von monogamer, einvernehmlicher homosexueller Praxis, ja die Idee von „sexueller Orientierung“ noch gar nicht bekannt gewesen sei, ist ein altes Narrativ in der Debatte. Der Autorin gelingt es – gerade auch in der Kürze des Buches –, exegetisch detailliert und historisch gut informiert nachzuweisen, wie wenig stichhaltig diese Argumentation ist. Nicht zuletzt zitiert sie aktuelle „progressive“ Autoren, die diese Auslegung für zwar gut gemeint, aber doch für „unhistorisch“ halten (S. 70).

Geht es in 1. Korinther 6,9 nur um „ungezügelte Begierde“?

Dass es 1946 mit „homosexuell“ eine „schwerwiegende Fehlübersetzung“ an dieser Stelle in einer englischen Bibel gegeben und damit überhaupt erst die „Anti-Schwulen-Bewegung unter Christen“ ihren Beginn genommen habe, ist offensichtlich v.a. eine amerikanische Debatte. Dass damit die Aussage breiter und pauschaler ist (im Vergleich zu traditionell „Lustknaben“ und „Knabenschänder“), ist offensichtlich – und findet sich mittlerweile auch in neueren deutschen Bibelübersetzungen. Auch hier wird die Debatte um die beiden Begriffe exegetisch sauber und zutreffend geführt.

Sklaverei ade – und jetzt?

Nicht selten wird argumentiert, die Bibel stehe der Sklaverei eigentlich nicht wirklich kritisch gegenüber, wir seien heute weiter, es gäbe eine Art „hermeneutische Spirale“, mit der sich dann auch eine gottgemäße Ethik weiterentwickle. Die Autorin zeichnet gut die antiken und später neuzeitlichen Eckdaten der Sklaverei nach. Sie geht dann aber nicht nur auf die an Zahl überschaubaren Texte zum Thema bei Paulus ein (z.B. der Brief an Philemon), sondern macht zu Recht darauf aufmerksam, dass Jesus als „Diener“ bzw. „Knecht“ die ganze klassische Hierarchie umdreht und das ausdrücklich auch für seine Nachfolger fordert (vgl. Mk 10,43–45). Aber jenseits dieser großen Perspektive weist die Autorin auf 1. Timotheus 1,9–10 hin, wo – neben vielen anderen schweren Sünden – „Sklavenhändler“ neben den Männern stehen, die „mit anderen Männern sexuell verkehren“ (so Roland Werner in seiner Übersetzung „Das Buch“).

Bringt unfreiwilliges Singlesein nicht „schlechte Frucht“?

Oder anders gefragt: Gilt Paulus’ Aussage, wer sich nicht enthalten könne, solle heiraten (vgl. 1Kor 7,9), nur für Heterosexuelle? (So real – und offenbar rhetorisch gemeint – von einem Ethikdozenten gehört.) Die Autorin nimmt die Frage sehr ernst, sind doch „Christen mit einem gleichgeschlechtlichen Verlangen vor besondere Herausforderungen und Nöte gestellt. Das möchte ich keinesfalls kleinreden“ (S. 105). Aber auch hier gelingt ihr eine sehr differenzierte und biblisch stimmige Argumentation, die dabei nicht nur auf einen einzelnen Text fokussiert (vgl. Mt 7,15–18), sondern die vielfältigen anderen Aussagen der Bibel aufgreift, wie sie im Verlauf des Buchs dargestellt werden. Nicht zuletzt schlägt sie den ganz großen Bogen: Ja, ganz am Anfang gab Gott dem Menschen als eins der grundlegenden Gebote den Auftrag, fruchtbar zu sein und die Erde zu füllen: den Auftrag zu Ehe und Familie. Jesus gab seinen Jüngern am Ende den Auftrag, in alle Welt zu gehen und Jünger zu machen. So gut und richtig und schön Ehe und Familie sind – aus der Perspektive des Reiches Gottes betrachtet sind sie nicht alles. Von daher gibt es neutestamentlich gesehen eben auch eine sehr gut begründete und positive Haltung zum Singlesein.

Muss ein Gott der Liebe nicht alle Liebesbeziehungen gutheißen?

Oder: „Kann denn Liebe Sünde sein?“, wie in einem alten deutschen Schlager rhetorisch gefragt wird. Oft machen wir es uns in der alltäglichen Diskussion ziemlich einfach und definieren „Liebe“ selbst. Dann ist alles „Liebe“, was sich – und wenn auch nur vorübergehend – gut anfühlt. Die Bibel macht aber deutlich, dass Gott vom Wesen her nicht nur ein Gott der Liebe bzw. die Liebe selbst ist (vgl. 1Joh 4,8.16), sondern dass er möchte, dass wir diese Liebe, die er zu uns hat, auch selbst leben und weitergeben (vgl. z.B. 1Joh 4,7–21). So schön romantische Liebe ist, am Ende ist sie sehr viel mehr – und manches Fühlen und daraus resultierendes Verhalten ist aus biblischer Sicht gerade keine Liebe!

In der Auseinandersetzung mit dieser letzten These legt die Autorin den Finger in eine reale Wunde: Wie oft haben wir als Christen und Gemeinden viel zu wenig auf die Texte geachtet, in denen von tiefer, inniger, freundschaftlicher Liebe zwischen Menschen egal welchen Geschlechts die Rede ist – egal ob das Jesus und Johannes („der Jünger, den Jesus lieb hatte“), Jesus und Lazarus (vgl. Joh 11,3), Paulus und Onesimus, („sein Herz“, vgl. Phil 12), Paulus und Timotheus (sein „geliebtes Kind“, vgl. 2Tim 1,2), Paulus und die Gläubigen in Philippi (vgl. Phil 4,1) und andere waren. Diese geschwisterliche, von Gott gebotene und vielfach praktisch bezeugte Liebe geht in der Debatte viel zu stark unter. Ja, uns ist das Gebot der Nächstenliebe bekannt – und häufig reduzieren wir es zu stark auf praktische Hilfeleistungen. Die uns von Gott gebotene Liebe ist mehr als das. Aber „dieses große ‚Ja‘ zur Liebe unter Gläubigen geht mit einem entschiedenen ‚Nein‘ zu jeglicher Form sexueller Unmoral einher“ (S. 113). So schließt sich hier der Kreis zum ersten Kapitel, das sich schon grundlegend mit der Liebe Gottes auseinandersetzt.

Ein Ruf zur Gemeinschaft

„Der christliche Ruf ist nicht ein Ruf zur Einsamkeit, sondern zur Liebe. Wir sind dazu bestimmt, einander zu brauchen. Wir müssen einander zuhören, helfen, heraufordern, annehmen und daran erinnern, dass der Herr Jesus eines Tages zurückkommen und uns alle als seine Braut zu sich rufen wird.“ (S. 127)

Möge uns Gott in unseren Gemeinden und persönlichen Beziehungen helfen, dieser Liebe Gottes mehr und mehr gerecht zu werden – zu seiner Ehre und zu unserem Wohl.

Buch

Rebecca McLaughlin, Was sagt die Bibel zu homosexuellen Handlungen? Zehn Thesen über Sexualität und Glaube im Test, Dillenburg: Christliche Bücherstube Dillenburg, 2025, 136 Seiten, 12,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.


1 Wie der vorliegende Aufsatz zeigt, ist die Forschung in Bezug auf diese Frage wieder offen für die Sichtweise, dass es in dieser Erzählung um Homosexualität geht.