Überinformiert … und tatenlos?
Fünf Jahre nach der Veröffentlichung von Wir amüsieren uns zu Tode hielt Neil Postman in Deutschland eine Rede vor der Gesellschaft für Informatik, in der er sein Konzept des „Information/Aktion-Verhältnisses“ erläuterte. In dem Vortrag mit dem Titel „Informing Ourselves to Death“ (dt. „Wir informieren uns zu Tode“) beschrieb Postman, wie für den Durchschnittsmenschen im Jahr 1990 „Informationen keinen Bezug mehr zur Lösung von Problemen haben“. Seine Beschreibung trifft genauso gut auf den Durchschnittsmenschen im Jahr 2025 zu:
„Die Verbindung zwischen Informationen und Handlungen wurde gekappt. Informationen sind nunmehr eine Ware, die man kaufen und verkaufen kann, zu Unterhaltungszwecken nutzt oder wie ein Kleidungsstück trägt, um seinen Status zu verbessern. Informationen erreichen uns wahllos, richten sich an niemanden im Besonderen und entbehren jeder Nützlichkeit; wir werden mit Informationen überschwemmt, ertrinken in Informationen, haben keine Kontrolle über sie und wissen nicht, was wir mit ihnen anfangen sollen. … Unsere Abwehrkräfte gegen die Informationsflut sind zusammengebrochen; unser Informations-Immunsystem ist nicht mehr funktionsfähig. Wir wissen nicht, wie wir sie filtern können; wir wissen nicht, wie wir sie reduzieren können; wir wissen nicht, wie wir sie nutzen können.“
Dieses Problem der „Informationsflut“ beobachtete Postman, das sollte man nicht vergessen, bereits in der Zeit vor dem Internet. Wie viel stärker ist die Flut mittlerweile angestiegen? Wenn es mit unserer „Informationsimmunität“ damals nicht gut bestellt war, sind wir heute – im Zeitalter von ChatGPT, Deepfakes, politischen Fehlinformationskampagnen und der daraus resultierenden epistemologischen Krise – noch schlechter dran. Die Informationskrise, mit der wir es zu tun haben, ist eine (mindestens) dreifache: Es gibt zu viele Informationen, die sich zu schnell bewegen und algorithmisch darauf zugeschnitten sind, sich zu sehr auf uns selbst zu fokussieren.
In gewisser Weise ist „informiert sein“ in der heutigen Welt eher eine Bürde als ein Gewinn. Die Qualität digital vermittelter Informationen ist einfach zu unzuverlässig.
Häufige Nebenwirkungen des Überinformiertseins
Was passiert mit uns, wenn wir „überinformiert“, aber „unteraktiviert“ sind? Meinen Erfahrungen und Beobachtungen zufolge zeigen sich einige häufige Nebenwirkungen.
Wir werden ängstlich. Wenn unsere Seelen ständig mit „Eilmeldungen“ über Katastrophen, Ungerechtigkeiten und apokalyptischen Schlagzeilen gefüttert werden, sind wir natürlich ängstlich und nervös.
Wir werden wütend. Steigender Blutdruck und kochende Wut sind die Folge, wenn wir ständig parteiischen Clickbaits, Troll-Provokationen und anderen Formen von dummem Geschwätz ausgesetzt sind.
Wir werden süchtig. Algorithmen finden leicht heraus, welchen Arten von Informationen wir nicht widerstehen können. Schon bald scrollen und klicken wir wie Süchtige, unfähig, der berauschenden Anziehungskraft unserer bevorzugten „Nachrichten“, Trivialitäten oder saftigen Klatschgeschichten zu widerstehen.
Wir werden gefühllos und betäubt. Durch die Aufnahme von Informationen, die nicht mehr in Verbindung mit konkreten Handlungen stehen, werden diese zu abstrakten, surrealen und von unserem wirklichen Leben abgekoppelten Größen. Schließlich wird eine Schlagzeile über eine schreckliche Massenschießerei zu etwas, an dem wir so beiläufig vorbeiscrollen wie an dem Urlaubsfoto eines Freundes.
Wir werden einsam. Wenn wir große Teile unseres Lebens damit verbringen, jenseits von lokalen Gemeinschaften und echten menschlichen Kontakten digitale Informationen zu konsumieren (selbst wenn es sich um Informationen handelt, die wir online mit anderen diskutieren), werden wir immer einsamer. Die Online-Influencer, denen wir zuhören, oder die Online-Gesprächspartner, mit denen wir heftig diskutieren, sind wohl kaum ein Ersatz für die Art von Gemeinschaft, die wir wirklich brauchen – in der wir die anderen wirklich kennen und sie uns.
Wir werden verblendet. Die Tatsache, dass Informationen heute durch Algorithmen geformt und gestaltet werden, führt dazu, dass keiner von uns in demselben Informationsuniversum lebt. Wir alle sehen die Dinge anders, auf eine Art und Weise verzerrt, die unseren Vorlieben und Neigungen entspricht. Das führt dazu, dass wir uns in Echokammern verschanzen, was unser Vertrauen in unsere eigene Richtigkeit (wie falsch wir auch liegen mögen) noch weiter verstärkt.
Wir werden abgekoppelt von der Realität. Der kumulative Effekt all dieser Faktoren ist, dass ein überinformiertes Leben zu einem pseudorealen Leben wird. Wenn das Wissen das Handeln übertrumpft und wir uns stärker von Erzählungen als von der Realität leiten lassen, wird unsere Wahrnehmung der Welt immer surrealer.
Vielleicht bringt C.S. Lewis dies alles in einem Brief an einen Freund am besten auf den Punkt, wenn er die Dynamik beklagt, die aus einem Missverhältnis von Wissen und Handeln resultiert:
„Es ist eines der Übel der schnellen Verbreitung von Nachrichten, dass die Sorgen der ganzen Welt an jedem Morgen zu uns kommen. Ich denke, jedes Dorf sollte Mitleid mit seinen eigenen Kranken und Armen haben, denen es helfen kann; und ich bezweifle, dass es die Pflicht eines jeden Einzelnen ist, sich mit den Missständen zu beschäftigen, die er nicht beeinflussen kann. (Dies kann sogar zu einer Flucht vor den Werken der Nächstenliebe werden, die wir wirklich an denjenigen vollbringen können, die wir kennen.) Viele Menschen scheinen heute zu glauben, dass der bloße Zustand des Besorgtseins an sich schon Anerkennung verdient. Ich glaube nicht, dass dem so ist.“
Lewis stellt (richtigerweise) nicht nur den sozialen Wert des bloßen „Zustands des Besorgtseins“ infrage (das soziale Kapital des Wissens), sondern er trifft auch den Nagel auf den Kopf, wenn er behauptet, wir sollten es vermeiden, unsere Gedanken auf Probleme zu fixieren, die wir nicht lösen können. Das belastet uns nicht nur auf die oben beschriebene Weise, sondern lenkt uns auch von den lokalen Problemen ab, die wir möglicherweise lösen können.
Die Vernachlässigung des Lokalen
Wir verwenden unglaublich viel Energie darauf, über die Geschehnisse in der Welt auf dem Laufenden zu bleiben, und vernachlässigen dabei die Menschen genau vor unserer Haustür, denen wir Liebe erweisen und denen wir in ihren Problemen beistehen können. Für Christen, die dazu berufen sind, ihre Nächsten zu lieben und sich konkret für Barmherzigkeit und Gerechtigkeit einzusetzen, ist dies der Kern des Problems (und der Falschheit) eines unausgewogenen Verhältnisses von Information und Aktion.
Unsere von Massenmedien beherrschte Informationsumwelt hat dazu geführt, dass ein durchschnittlicher junger Mensch des 21. Jahrhunderts viel mehr über nationale als über lokale Politik weiß. Er entwickelt starke Meinungen über Präsidentschaftskandidaten in entfernten Ländern und über Fälle des Bundesgerichtshofs, kennt aber nicht den Namen des Bürgermeisters oder eines Stadtratsmitglieds seiner Stadt, und kann auch nicht die dringendsten Herausforderungen benennen, mit denen sein unmittelbares Umfeld gerade konfrontiert ist.
Wie viele der Millionen von Gen-Z-Jugendlichen, die im Juni 2020 ein leeres schwarzes Quadrat auf Instagram posteten (#blackouttuesday), um gegen Polizeigewalt zu protestieren, haben jemals ein Gespräch mit einem Polizisten in ihrer eigenen Nachbarschaft geführt? Wie viele der Millionen, die im Februar 2022 in den sozialen Medien ihre Avatare in die ukrainische Flagge geändert haben, haben Flüchtlingen oder Einwanderern aus kriegsgebeutelten Ländern in ihren eigenen Städten konkret geholfen?
Online-Hashtag-Aktionen sind gut gemeint und vielleicht macht die virale Kraft einer solchen „kollektiven Online-Aktion“ einen gewissen Unterschied. Wie Lewis betont, besteht jedoch die Gefahr, dass solche Aktionen „zu einer Flucht vor den Werken der Nächstenliebe werden, die wir wirklich an denjenigen vollbringen können, die wir kennen“.
Es gibt viele Gründe, warum jeder von uns ein ausgewogeneres Information/Aktion-Verhältnis anstreben sollte. Es wird deiner psychischen Gesundheit guttun und dich in deinem lokalen Umfeld sowie einer echten menschlichen Gemeinschaft verankern. Es wird dich auch (das ist insbesondere für Christen relevant) an deine geschöpflichen Grenzen erinnern und dein Vertrauen in einen souveränen Gott stärken, der auf eine Weise allwissend ist, wie du es nie wirst sein können. Und es wird dir fruchtbarere Möglichkeiten eröffnen, deinen Nächsten zu lieben und an genau dem Ort, an den Gott dich gestellt hat, ein treuer Zeuge zu sein.