Das Wirken des Heiligen Geistes

Artikel von Hannes Ramsebner
8. Juni 2025 — 11 Min Lesedauer

Ich frage mich oft, wie es den Jüngern wohl erging, als sie mit Jesus unterwegs waren. Sie konnten beobachten, wie er redete, betete und auf die Menschen und ihre Nöte einging. Was für ein Privileg das gewesen sein muss! Was könnte besser sein als diese Erlebnisse?

Diese Frage stellten sich auch die Jünger, als Jesus nach dem letzten Abendmahl ankündigte, was sie in Zukunft erwarten würde: Er sprach über unmittelbar bevorstehende Ereignisse wie den Verrat durch Judas und die Verleugnung von Petrus. Er warnte sie vor Hass und Verfolgung, welche die Jünger und ihr Zeugnis bedrohen würden. Sie sollten nicht blind in die Zukunft gehen. Doch Jesus wollte ihnen auch Trost spenden. Schließlich waren sie traurig, weil sie hörten, dass er zum Vater zurückkehren würde.

Die folgende Aussage von Jesus muss dann eine große Überraschung für sie gewesen sein: „Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich hingehe; denn wenn ich nicht hingehe, so kommt der Beistand nicht zu euch. Wenn ich aber hingegangen bin, will ich ihn zu euch senden“ (Joh 16,7).

Diese Worte Jesu gelten nicht nur seinen elf Jüngern damals, sondern auch uns heute: Wir dürfen wissen, dass es gut ist, weil er uns zu Pfingsten seinen Heiligen Geist schickte.

Jesus spricht vom Heiligen Geist hier als „Beistand“. Dieses Wort wird manchmal auch „Tröster“ oder „Fürsprecher“ übersetzt. Der Geist ist ein „anderer Beistand“ (Joh 14,16), was zeigt, dass er den Jüngern zur Seite stehen wird – ähnlich wie Jesus damals. In den folgenden Versen in Johannes 16 zeigt er, wie der Heilige Geist einerseits die Welt konfrontieren und andererseits das Zeugnis der Jünger bestätigen wird.

Ich möchte anhand dieser beiden Rollen des Geistes, die Jesus hier erwähnt, fragen: Wieso ist es auch für uns heute gut, dass er uns zu Pfingsten den Heiligen Geist als Beistand schickte?

1. Die Welt überführen

Die erste Rolle des Geistes ist die Konfrontation. Jesus verspricht den Jüngern, dass der Heilige Geist die Welt in drei Punkten überführen wird: von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht (vgl. Joh 16,8).

Was meint er damit? Und wie kann dies Trost oder Beistand für uns sein? Dazu ist der Kontext hilfreich: Christus bereitet seine Jünger hier auf ihren Auftrag vor. Vor der Himmelfahrt würde er ihnen den sogenannten Missionsbefehl geben und sie in die Welt senden, um andere zu Jüngern zu machen. Doch wie könnten die Jünger dies allein schaffen? Natürlich hatte Jesus sie zuvor auf kurze Missionseinsätze geschickt. Doch nun fürchteten sie, dass sie auf sich selbst gestellt sein würden. Die gleiche Sorge beschäftigt vielleicht auch uns heute, wenn wir als Jünger Jesu seinem Auftrag folgen und die Gute Nachricht verkünden möchten.

Hier kommt der Heilige Geist ins Spiel, der unser Zeugnis unterstreicht, indem er die Welt konfrontiert. „Die Welt“ steht im Johannesevangelium oft für die gefallene Menschheit, die in Rebellion gegen Gott lebt.

Erstens überführt er sie von Sünde, „weil sie nicht an mich [Jesus] glauben“ (Joh 16,9). Von Gott getrennte Sünder leben in Unglauben. Es braucht das gnädige Werk des Geistes, damit wir erkennen, dass unsere sündigen Gedanken, Worte und Werke vor Gott falsch sind und gegen sein Gesetz verstoßen. Ohne das Geschenk der Wiedergeburt durch den Heiligen Geist bleiben wir tot in Sünde. Nur er kann harte, verschlossene Herzen öffnen und weich machen.

Der zweite Punkt, in dem er die Welt überführt, ist die Gerechtigkeit. Die Begründung Jesu lautet: „weil ich zu meinem Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht“ (Joh 16,10). Wieso also muss der Heilige Geist dann die Welt von Gerechtigkeit überführen? Weil alle gesündigt haben und niemand gerecht ist – außer Christus allein (vgl. Röm 3). Als einziger vollkommener Mensch zeigte er immer wieder die Ungerechtigkeit der Menschen auf – schon allein durch seine Person, egal was er tat oder sagte, denn der Kontrast zu seinen Mitmenschen war enorm. So erlebten die Jünger immer wieder, dass sich Menschen entweder über Jesus freuten oder ihn hassten, weil er so anders war. An ihm war kein Makel zu finden, niemand konnte ihm eine Sünde nachweisen, er lebte ohne Widerspruch. So spiegelte er den Menschen ihre pharisäische Selbstgerechtigkeit und schließlich Verlorenheit wider. Doch wie konnten die Jünger damals und wie können wir heute diese Aufgabe übernehmen, da wir doch selbst noch mit Sünde zu kämpfen haben? Jesus verspricht, dass der Geist die scheinbare „Gerechtigkeit“ der Welt aufdecken und sie damit konfrontieren wird. Er wird aufzeigen, dass selbst ihre guten Werke schmutziges Gewand vor dem Herrn sind (vgl. Jes 64,5) und niemand ohne Christus vor Gott gerecht sein kann.

Zuletzt wird der Heilige Geist die Welt vom Gericht überführen, „weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist“ (Joh 16,11). Sie begriffen es noch nicht, doch es war bereits bestimmt: Das Schicksal von Satan, dem Fürsten der Welt, war besiegelt. Christus würde ihm den Kopf zertreten, wenn er am Kreuz stirbt (vgl. 1Mose 3,15). Der Teufel wird wie ein starker Mann gebunden, sein Haus wird geplündert und Jesus rettet viele aus seiner Herrschaft (vgl. Mk 3,27). Doch all jene, die dem Satan folgen, sind ebenso dem Gericht geweiht und unter ewiger Verdammnis. Der Heilige Geist zeigt auf, wohin dieser Weg schlussendlich führt.

Auch wenn diese Worte primär den ersten Jüngern galten, so schrieb sie Johannes für uns nieder. Was bedeutet also diese Rolle des Geistes für uns? Durch ihn erkennen wir Gottes Sicht auf die Welt, wenn er unsere geistliche Blindheit wegnimmt: Er konfrontiert uns mit Sünde (Wir sehen: Wir sind vom heiligen Gott getrennt), mit Gerechtigkeit (Aus eigener Kraft können wir diese Kluft nicht überwinden) und mit Gericht (Eines Tages müssen wir uns dafür verantworten).

Doch es bleibt nicht bei der Konfrontation, denn er hilft uns auch, die Herrlichkeit Gottes in Christus zu sehen, wie die folgenden Verse aufzeigen. Durch das Wirken des Geistes können wir an den glauben, der ohne Sünde war und unsere Sünde auf sich nahm. Wir können die Gerechtigkeit Gottes in Christus sehen, durch die wir gerechtfertigt im letzten Gericht bestehen können. Und wir können begreifen, dass Christus das Gericht über Satan am Kreuz ausspricht und gleichzeitig das Gericht über die Sünde für uns auf sich nahm.

Ja, es ist tatsächlich „gut“, dass er den Beistand schickte. Denn ohne das Wirken des Geistes könnten wir nicht an Jesus glauben und auch die rettende Botschaft nicht annehmen. Es gäbe keine Wiedergeburt, kein neues Leben, weder Bekehrung noch Buße.

Als Jünger Jesu dürfen wir wissen, dass der gleiche Geist, der einst uns die Augen öffnete und Christi Herrlichkeit zeigte, dasselbe Werk auch in anderen bewirken kann. Wenn die Jünger damals und wir heute das Evangelium weitersagen, überführt der Beistand andere Menschen dadurch. Dies nimmt Druck von uns, denn wir wissen, dass wir nicht auf uns allein gestellt sind. Es befreit uns auch vom schlechten Gewissen oder Gefühlen der Niederlage, wenn nach unserem Zeugnis keine unmittelbare Frucht zu sehen ist. Vielmehr ermutigt uns das, mehr und öfter von Jesus zu reden, denn er verspricht uns, dass sein Geist dadurch die Welt überführt und unser Zeugnis bestätigt. Dies sehen wir nun in der zweiten Rolle, die Jesus hier beschreibt.

2. In die Wahrheit leiten

Jesus kündigte dann seinen Jüngern an, dass er noch viel mehr zu sagen hätte, dass sie es aber nicht ertragen könnten (vgl. Joh 16,12). Zu stark waren die Emotionen der letzten Tage und zu groß ihre Trauer über das, was sie an jenem Abend hörten. Daher ermutigte er sie damit, dass auf ihre Trauer Freude folgen würde, und betete für sie, bevor er schließlich verhaftet wurde. Nun war nicht die Zeit, alles Weitere ausführlich zu erklären. Jedoch gab er ihnen ein Versprechen, dass der Heilige Geist sie in der Wahrheit leiten und das Zukünftige verkündigen würde (vgl. Joh 16,13). Hinter ihrer Trauer und Verwirrung standen nämlich genau diese Fragen: Wer konnte so wie er vom himmlischen Vater reden? Wer würde sie in Zukunft lehren? So versprach Jesus, dass der Beistand der Geist der Wahrheit sein würde, und sie in alle Wahrheit führt, auch in dem, „was zukünftig ist“.

Dieses Versprechen wurde leider immer wieder von falschen Lehrern als Anlass genommen, um ihre außerbiblischen Ansichten zu begründen. Sie geben vor, vom Geist in bisher verborgene Wahrheiten geleitet zu werden und neue Erkenntnisse erhalten zu haben, die Gott ihnen persönlich offenbarte. Mit der Absurdität ihrer Behauptungen konfrontiert, antworten sie: „Hatte nicht Jesus genau das versprochen, dass der Geist uns in alle zukünftige Wahrheit leiten würde?“ Ist eine solche Auslegung dieser Verse gerechtfertigt? Hier müssen wir genau sein und fragen, von welchen zukünftigen Dingen der Heilige Geist spricht.

Wir dürfen nicht ignorieren, dass diese Worte Jesu in erster Linie damals an die elf Jünger gerichtet waren. Was lag für sie in unmittelbarer Zukunft? Es waren heilsgeschichtlich relevante Ereignisse wie das Kreuz, die Auferstehung, der Missionsbefehl, die Himmelfahrt und schließlich das Pfingstfest und damit verbunden das rasche Wachstum der Gemeinde. Viele neue Situationen kamen auf sie zu.

So gilt das Versprechen Jesu hier zuerst als Trost für die unmittelbare Zukunft der Jünger: Durch den Heiligen Geist würde ihnen die Bedeutung dieser Ereignisse klar werden, doch er würde nichts sagen, was dem Vater oder Sohn widerspricht. Was der Vater hat, das hat der Sohn, und dies wird der Heilige Geist ihnen sagen (vgl. Joh 16,14–15). Diese Zusage Jesu über die Leitung des Geistes ist kein Freibrief für scheinbar neue Offenbarungen und geheime Eingebungen des Geistes oder gar ein drittes Testament. „In die ganze Wahrheit leiten“ geht nicht so sehr in die Breite und fügt neues hinzu, sondern führt in die Tiefe, um das Gehörte zu verwurzeln.

Für die Jünger damals bedeutete dies, dass sie auch nach Christi Himmelfahrt einen Beistand hatten, der ihnen half, diese großen Ereignisse der Heilsgeschichte richtig einzuordnen. Er würde sie an Christi Worte erinnern und ihnen helfen, eins und eins zusammenzuzählen. So konnte Petrus zu Pfingsten deuten, dass sich hier Prophezeiungen erfüllten, und zur versammelten Menge predigen. Mit der Zeit würde ihr Verständnis wachsen und sie würden sich an bekannte Gleichnisse und Predigten Jesu erinnern. Sie würden erkennen, wie alles zusammenhängt und staunen, wie wunderbar Christi Werk ist. So würde also das Zeugnis des Geistes dazu dienen, Christus zu verherrlichen (vgl. Joh 16,14).

Weil der Heilige Geist sie damals in der Wahrheit leitete, dürfen wir auch gewiss sein, dass die Worte des Neuen Testaments Wahrheit sind. Durch seine Führung schrieben die Jünger auf, was wir nun als Heilige Schrift studieren und verstehen können. Wenn wir die Bibel lesen, dürfen wir gewiss sein: Es ist der gleiche Heilige Geist, der diese Worte inspirierte und durch die Jünger niederschreiben ließ, der uns nun dadurch lehrt. Mit seiner Hilfe wachsen wir im Verständnis der Bibel, werden an Gottes Wort erinnert und ermutigt, es an andere weiterzugeben.

Ich erlebte als Jugendlicher, wie ich durch das Lesen der Bibel vom Heiligen Geist überführt wurde. Zuvor wusste ich kaum über die Notwendigkeit des Glaubens und der Buße. Doch als ich von Jesus und seinen Worten las, wusste ich, dass ich mich als Sünder vor Gott verantworten musste, dass ich seine Gerechtigkeit benötige. Der Heilige Geist inspirierte die Worte und wendete sie auf mein Leben an, „zur Errettung durch den Glauben“ (2Tim 3,15). Seitdem ist es mein Wunsch, anderen diese Botschaft zu bringen, und ich bete anhand dieser Verse, dass der Geist auch durch mein Zeugnis wirkt.

Der Geist kam schließlich nicht nur zu Pfingsten auf die Urgemeinde, sondern jeder Christ darf sich seines Wirkens gewiss sein. Er wird auch weiterhin durch Gottes Wort die Welt von Sünde, Gerechtigkeit und Gericht überführen, um Rebellen zum Vater zurückzubringen und Gottes Kinder Jesus ähnlicher zu machen. Wenn wir in Christus sind, dann dient sein Werk nicht dazu, uns zu verdammen, sondern uns zu heiligen und uns zu jedem guten Werk auszurüsten (vgl. 2Tim 3,16–17).

Was könnte also besser sein, als damals mit Jesus unterwegs zu sein? Heute mit Jesus unterwegs zu sein, mit dem Heiligen Geist als Beistand. Denn mit Pfingsten begann eine neue Zeitrechnung, in der die Gemeinde durch sein Wirken wächst und Christus verherrlicht wird.