Begründung des Glaubens

Rezension von Ben Graber
5. Juni 2025 — 8 Min Lesedauer

Mitten in meiner Uni-Zeit erschien Dan Browns Thriller The Da Vinci Code (2004 in deutscher Übersetzung als Sakrileg herausgebracht) und wurde gleich ein Bestseller. Sein Erfolg löste in den Medien eine Welle von Begeisterung für kirchengeschichtliche Verschwörungstheorien aus. Nach diesen Thesen sei die frühe Kirche theologisch sehr vielfältig und inklusiv verschiedenster Glaubensrichtungen gewesen. Leider habe Kaiser Konstantin eigenmächtig durch die Einberufung des Konzils zu Nicäa im 4. Jahrhundert die Theologie und den Kanon der Kirche standardisiert und alternative Formen des Christentums unterdrückt.

Historisch gesehen sind solche Thesen reinster Quatsch, aber die Fragen, die sie aufwerfen, sind für moderne Menschen nachvollziehbar. Wie, durch wen und in wessen Interesse hat sich die Kirche eigentlich auf diese statt auf jene Bibelbücher geeinigt?

Die Verschwörungstheorien damals zielten in der Regel besonders auf die römisch-katholische Kirche, die als Institution tatsächlich die Autorität beansprucht, zu bestimmen, was als echte christliche Lehre gilt und welche Schriften in die Bibel gehören. Für Katholiken ist das Vertrauen in die Kirche die logische Voraussetzung für das Vertrauen in die Bibel.

Bei Protestanten verhält es sich anders: Es ist die Bibel, die den Maßstab bietet, nach dem die Lehre der Kirche zu bewerten ist, keinesfalls andersherum. Das bringt jedoch andere Schwierigkeiten mit sich. Man kann die Glaubwürdigkeit und Motivation des römischen Lehramts zwar hinterfragen, doch wenigstens ist die Fragestellung klar, ob die Kirche recht hatte, als sie alternative Lehren und deren Schriften in vergangenen Jahrhunderten verwarf. Aber auf welcher Basis können sich Protestanten überhaupt zu einem festen biblischen Kanon bekennen?

Diese Problemstellung ist nicht neu. Als der niederländische Theologe Herman Ridderbos sein Buch Begründung des Glaubens: Heilsgeschichte und Heilige Schrift 1955 veröffentlichte, sprach man schon seit Jahren von einer „Krise des Kanons der Kirche“ (S. 29–30). Die historische Bibelkritik hatte damals bereits seit fast 200 Jahren den normativen Charakter des Kanons bestritten und seine Anerkennung als das Ergebnis von „Kampf … menschliche[r] Strategie und … kirchliche[r] Politik“ abgeschrieben (S. 30). Sollte man die Autorität der Bibel in der Moderne dann einfach verwerfen? Oder sollte die Kirche besser versuchen, eine Botschaft zu verkündigen, die durch die Komplexität von historischer und wissenschaftlicher Forschung unantastbar bleibt?

Der Kanon und seine Autorität

Ridderbos’ Antwort in Begründung des Glaubens – jetzt neu aufgelegt von Verbum Medien – besteht darin, „den Kanon des Neuen Testaments in heilsgeschichtlicher Hinsicht zu verstehen“ (S. 22). Was er damit meint, entfaltet sich vor allem im Kontrast zu den wichtigsten Alternativen. Sowohl der historisch-kritische Ansatz (Kap. 2) als auch die lutherische Tradition (Kap. 3) ordnen die Autorität des Kanons einem äußerlichen Kriterium unter: der historischen Forschung bzw. „was Christum prediget und treibet“, Luthers „Kanon im Kanon“ (S. 36). Solche Kriterien mögen ganz plausibel scheinen, aber auf welcher Basis können sie legitimiert werden, wenn sie von menschlicher Bewertung abhängen?

In seiner eigenen theologischen Tradition findet Ridderbos einen anderen Ansatz (Kap. 4). Für Johannes Calvin und seine Nachfolger sind die biblischen Schriften per se glaubwürdig, eben weil sie von Gott inspiriert sind. Das innere Zeugnis des Heiligen Geistes in den Gläubigen wird zwar von den Reformierten stark betont, aber es macht die Schrift nicht kanonisch – es ist vielmehr das „Mittel“, durch das die Menschen sie erkennen, wie sie wirklich ist. Aber aus welchem Grund sind diese Bücher glaubwürdig?

Hier stellt Ridderbos seine Hauptthese wieder auf: „Die Bedeutung der Schrift, ihre Kanonizität und die Eigenart ihrer Autorität lassen sich nicht aus sich selbst erklären, sondern nur aus dem Heilshandeln Gottes, dem sie entspringen“ (S. 51). Nicht die Genialität der menschlichen Autoren, nicht die unfehlbare Einsicht der Kirche, auch nicht die Entsprechung der Schriften einem externen Maßstab, sondern ihr Ursprung als Teil von Gottes Erlösungswerk in Jesus Christus verleiht ihnen diese einzigartige Autorität.

Zu den großen Heilstaten Gottes in Christus gehören nämlich auch die Auserwählung der Apostel und deren Beauftragung als seine Bevollmächtigten. Diese Menschen waren dafür zuständig, das Evangelium zu verkündigen und somit das Fundament der Kirche zu legen. Durch diese Verkündigung wurde die Kirche geschaffen, und solange sie treu überliefert wurde, würde Jesus in ihr zu seinem Volk sprechen. Es war dann eine ganz natürliche Entwicklung, dass man diese normative Verkündigung niederschrieb, damit die Überlieferung ununterbrochen in zukünftigen Generationen erfolgen könnte (Kap. 7). Ein geschlossener, einzigartig autoritativer Kanon von Schriften ist ein notwendiges Ergebnis von Gottes Heilsplan und entspricht genau der Selbstdarstellung der neutestamentlichen Schriften (Kap. 8).

Dass der neutestamentliche Kanon diese Rolle in der Heilsgeschichte einnimmt, bedeutet wiederum, dass die Kirche den Kanon auf die gleiche Art und Weise anerkennt, wie sie sich zu Jesus Christus im Glauben bekennt. Historisch gesehen gab es keinen einzigen Entschluss, eine bestimmte Liste der Schriften zum Kanon zu benennen. Vielmehr hat die Kirche sich ganz natürlich und ohne Vorbehalt auf diese Bücher berufen, um die authentische christliche Lehre zu definieren (Kap. 10). Unsicherheit bzgl. bestimmter Bücher, vor allem der Offenbarung des Johannes und des Hebräerbriefs, tauchte relativ spät in der frühen Kirchengeschichte auf und konnte relativ organisch ohne Beschlüsse von Konzilien behoben werden.

Im kürzeren zweiten Teil des Buches (in der Neuauflage von Verbum Medien zum ersten Mal in deutscher Sprache erschienen) befasst sich Ridderbos mit der Frage, welches heilsgeschichtliche Phänomen der neutestamentliche Kanon ist. Der Autor nennt und beschreibt drei biblische Kategorien: Das Neue Testament besteht aus der apostolischen Verkündigung (gr. Kerygma, Kap. 13), dem apostolischen Zeugnis (gr. Martyria, Kap. 14) sowie der apostolischen Lehre (gr. Didache, Kap. 15). Anhand dieser Kategorien untersucht Ridderbos den Charakter der neutestamentlichen Schriften als treue Wiedergabe historischer Tatsachen, aber auch Aufrufe zum Glauben und einem Lebenswandel, der der Wahrheit des Evangeliums entspricht.

Orthodox und modern zugleich

Begründung des Glaubens ist von überschaubarer Länge, aber es belohnt langsames, aufmerksames sowie wiederholtes Lesen. Als Werk der akademischen Theologie ist es besonders geeignet für Bibelschüler oder Seminarstudenten mit theologischen Grundkenntnissen. Ridderbos’ Argumentation kann in manchen Abschnitten schwer nachzuvollziehen sein – Kapitel 9 ist besonders herausfordernd, dafür aber besonders geistreich. Der Autor setzt bei seiner Leserschaft auch eine grundlegende Vertrautheit mit der reformatorischen, insbesondere der reformierten, theologischen Tradition voraus. Dennoch hat Ridderbos verdient, dass der Inhalt seiner Thesen in evangelikalen Gemeinden verbreitet wird.

Das Buch bietet Hilfe in der Apologetik – einerseits gegen die radikale Bibelkritik, die 70 Jahre nach der ursprünglichen Veröffentlichung von Begründung des Glaubens immer noch in deutschen Universitäten vorherrscht und Einfluss in post-evangelikalen Kreisen übt; andererseits gegen die römisch-katholische Auffassung, die besonders auf junge, theologisch zu wenig verwurzelte Christen heutzutage sehr attraktiv wirken kann.

Gegen die moderne und postmoderne Bibelkritik betont Ridderbos die interne Kohärenz des Kanons und seine Selbstwahrnehmung als Offenbarungswort des Herrn. Ohne sich dafür zu entschuldigen, lehnt er jede Bibelwissenschaft ab, die das Neue Testament nicht nach dessen eigenen Bedingungen als autoritatives Zeugnis von Christus untersucht. Er zeigt, dass die Haltung der frühen Kirche gegenüber der Schrift in der reformierten Tradition am treusten vertreten wird. Die Reformation stellte keinen Bruch mit der apostolischen Kirche dar, sondern eine Fortsetzung der authentischen christlichen Überlieferung. Gegen beide Seiten besteht Ridderbos darauf, dass die Autorität der Bibel von nichts abhängt als nur von Gottes Wort und Werk.

Der Wert von Ridderbos’ Beitrag zur Lehre über den Kanon ist jedoch nicht nur apologetischer, sondern auch konstruktiver Natur. Als Vertreter des sogenannten „Neocalvinismus“ weist Ridderbos in Begründung des Glaubens die Stärken dieser Bewegung auf. Wie Abraham Kuyper und Herman Bavinck vor ihm will Ridderbos sowohl orthodox als auch modern sein. Dem historischen Glauben gegenüber treu bleiben zu wollen, heißt nicht, dass wir so tun müssen, als ob wir noch im 16. Jahrhundert lebten. Man muss keine Angst vor Fortschritten in der wissenschaftlichen Untersuchung der Bibel haben – Ridderbos ist vielmehr überzeugt, dass wahre Erkenntnisse gewonnen werden, die zur Erbauung der Kirche beitragen werden, wenn diese Arbeit in gutem Glauben ausgeführt wird.

Doch „in gutem Glauben“ ist ernst gemeint: „Ein wissenschaftlicher Zugang zum Neuen Testament“ ist „nur dann angemessen …, wenn er das Zeugnis der Schrift … als Zeugnis des Heiligen Geistes anerkennt“ (S. 190). „Das menschliche Leben ist eine Einheit“, schreibt Ridderbos in seiner Einleitung: „So wenig wir allein mit unserem Herzen zur Gemeinde gehören, so wenig können wir nur mit dem Kopf wissenschaftlich tätig sein“ (S. 18). Wir leben in Gottes Welt und begegnen ihm in seinem Wort, ob wir es wahrnehmen oder nicht. Wollen wir ihn von unseren wissenschaftlichen Untersuchungen ausklammern, werden wir letztendlich auch keine wirklich wissenschaftlichen Erkenntnisse gewinnen.

All das schreibt Herman Ridderbos in erster Linie als Ausarbeitung der jahrhundertealten Glaubensbekenntnisse der Reformation. Begründung des Glaubens bietet insoweit ein Vorbild für heutige Christen: verwurzelt in und überzeugt vom christlichen Glauben, wie er in einer konkreten historischen Tradition verkörpert wurde, und bereit, aus den alten Quellen Weisheit zu schöpfen, um den Herausforderungen von Heute mit Zuversicht zu begegnen.

Buch

Herman Ridderbos, Begründung des Glaubens, Bad Oeynhausen: Verbum Medien, 2025, 248 Seiten, 12,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.