Was Christus jetzt für uns tut
Jesus Christus wurde vor den Augen seiner Jünger außerhalb Jerusalems von einer Wolke emporgehoben, bis er ihren Augen entschwunden war. Er hatte dieses Ereignis mehrfach angekündigt (vgl. Joh 6,62; Joh 14,2.12; Joh 16,5.10.17.28). Der Apostel Paulus feiert diese Begebenheit in seinen Briefen (vgl. Eph 1,20; Phil 2,9–11).
Wir sollten bei dem, was damals geschah, weniger an eine Art Raumfahrt denken. Vielmehr war es der nächste Schritt der Rückkehr von Jesus zu seiner Ehre. Der Vater setzte den Sohn wieder ein in die Stellung der Herrlichkeit, welche dieser vor seiner Menschwerdung hatte: „Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“ betete unser Herr in Johannes 17,5.
Doch warum ist die Himmelfahrt ein so wichtiger Aspekt unserer Erlösung? Was meinte Jesus mit der Aussage: „Es ist gut für euch, dass ich weggehe“ (Joh 16,7)? Im unmittelbaren Zusammenhang von Johannes 16 spricht Jesus davon, dass sein Weggehen deshalb gut ist, weil er nur dann seinen Heiligen Geist, den Tröster, der uns an alles erinnert und in die Wahrheit leitet, zu uns senden kann.
Die Bedeutung der Himmelfahrt für gläubige Christen
Dieser Artikel versucht, die Bedeutung der Himmelfahrt in drei Schritten zu entfalten.[1] Der Schwerpunkt soll dabei auf der Frage liegen, was Jesus Christus jetzt, heute und jeden neuen Tag bis zu seiner Wiederkunft in Herrlichkeit für alle seine Kinder tut. Was bedeutet es, dass der Vater den Sohn bei der Himmelfahrt an die rechte Seite seines Thones erhöht hat?
1. Jesus Christus ist allem überlegen
In Matthäus 28,18 spricht Jesus selbst davon, dass ihm alle Macht im Himmel und auf der Erde übergeben worden ist! Alle Macht meint an dieser Stelle auch wirklich alle Macht.
In den alltäglichen Erfahrungen der Gemeinde und angesichts der fremden, neuen Welt um uns herum im postchristlichen und postfaktischen Europa[2] ertönt der Jubelschrei des Apostels Paulus in Epheser 1,18–23 dank der Himmelfahrt von Christus für uns heute nur umso lauter:
„Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke. Mit ihr hat er an Christus gewirkt, als er ihn von den Toten auferweckt hat und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“
Die Autoren der theologischen Kurzartikel in der Genfer Studienbibel formulieren es so: „Die Himmelfahrt bedeutet die Übernahme der Macht. Dass Jesus Christus an der Rechten des Vaters sitzt, heißt, dass er die Stellung des Herrschers im Auftrag Gottes einnimmt.“[3]
Eine buchstäblich atemberaubende Szene wird in der Offenbarung beschrieben, in welcher Christus die Geschichte der Welt in seine Hände nimmt (vgl. Offb 4–5). Denselben Händen, welche am Kreuz mit Nägeln durchbohrt wurden, wird der Verlauf der Weltgeschichte anvertraut. Bei allen Fragen und Zweifeln dürfen wir wissen, dass die Weltgeschichte gerade nicht ein Buch mit sieben Siegeln im Sinn von sinn- und ziellos ist. Nein! Christus hält die Geschicke der Welt im großen Weltgeschehen und in unserer kleinen Welt in seinen guten Händen!
2. Jesus Christus ist durch seinen Heiligen Geist überall bei uns
Durch seinen guten Geist lebt Jesus Christus in uns. Wir sind nie allein und verlassen. Auf unserem Weg zu unserem wirklichen Zuhause benötigen wir Trost und Zurüstung. Unzählige Christen bezeugen, wie sie die Gegenwart und Hilfe des Herrn gerade in den ausweglosen Situationen ihres Lebens erfahren haben. Wie könnte sonst der Apostel Paulus in 2. Timotheus 4,16–18 schreiben:
„Bei meiner ersten Verteidigung stand mir niemand bei, sondern alle verließen mich; es werde ihnen nicht angerechnet! Der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, damit durch mich die Verkündigung völlig ausgerichtet würde und alle Heiden sie hören könnten; und so wurde ich erlöst aus dem Rachen des Löwen. Der Herr wird mich auch von jedem boshaften Werk erlösen und mich in sein himmlisches Reich retten. Ihm sei die Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“
Wenn uns alle verlassen, wenn Freundschaften zerbrechen, wenn wir krank und einsam sind, wenn alle Sicherheiten weggebrochen sein mögen, ist doch einer immer bei uns. Wäre er noch physisch als König in Jerusalem auf dieser Welt, wäre das unmöglich.
Beim Studium des Hebräerbriefes entdecken wir, dass wir immer und überall Zugang zum „himmlischen Zion“ haben. Zion! Der Sehnsuchtsort der Gläubigen im Alten Testament, der Ort, an dem Gott „wohnt“, an dem das Leiden sein Ende findet und wir in unmittelbarer Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater leben dürfen! Der Schreiber des Hebräerbriefes ermutigt verzagte und angefochtene Gläubige damals und heute, dass wir jetzt schon jeden Moment unseres Lebens in Gottes liebevoller Gegenwart leben und freien Zugang zum wahren, nämlich dem himmlischen Zion haben:
„Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu Zehntausenden von Engeln, zu der Festversammlung und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten, und zu Jesus, dem Mittler des neuen Bundes, und zu dem Blut der Besprengung, das Besseres redet als [das Blut] Abels.“ (Hebr 12,22–24).
3. Jesus Christus ist jetzt für uns aktiv
Wir sprechen zu Recht viel davon, was Jesus Christus mit seiner Menschwerdung, seinem vollkommenen Leben, seinem Sühnetod am Kreuz und seiner Auferstehung getan hat. Doch was tut er jetzt?
Wir wollen anhand von zwei Stellen aus dem Neuen Testament darüber staunen, wie das Herz von Jesus Christus auch jetzt als erhöhter Herr genauso wie damals auf der Erde voller Mitleid und Erbarmen für Sünder und Leidtragende schlägt.
Die erste Stelle finden wir in Hebräer 7,25: „Daher kann er auch diejenigen vollkommen erretten, die durch ihn zu Gott kommen, weil er für immer lebt, um für sie einzutreten.“
Die Himmelfahrt von Christus führt dazu, dass wir keinem distanzierten Herrscher vertrauen müssen, der einmal vor langer Zeit unsere Erlösung erwirkt hat. Sozusagen Erlösung auf Bewährung, im Sinne einer zweiten Chance, verbunden mit der inneren Dynamik, was wir jetzt daraus machen.
Die Himmelfahrt erinnert uns daran, dass die zweite Person der Dreieinigkeit durch das, was sie jetzt tut, unzweifelhaft bewirkt, dass wir alle auch wirklich nach Hause kommen. Es ist letztlich keine Botschaft oder Formel, die uns rettet, sondern eine Person!
Jesus, unser Erlöser, kann für immer selig machen, die durch ihn zu Gott kommen, weil er jetzt lebt und jetzt für dich und für mich bittet! Unser Gebetsleben ist im besten Fall mangelhaft. Das Gebetsleben von Christus ist vollkommen. Mir persönlich ist es unmöglich zu glauben, dass die Gebete des Sohnes vom Vater nicht erhört werden. Das meines Erachtens gewaltigste uns überlieferte Gebet, welches neben dem Vaterunser jemals von dieser Erde zum Himmel stieg, findet sich in Johannes 17.
Nicht zu Unrecht wird es das Hohepriesterliche Gebet genannt! Dieses Gebet zu studieren ist unglaublich glaubensstärkend.
Der zum Himmel aufgefahrene Christus ist jetzt dort, im wahren Allerheiligsten, immer noch unser Hohepriester. Er bringt im Unterschied zu allen irdischen Hohepriestern vor ihm keine Opfer mehr, denn der Vorhang im irdischen Tempel in Jerusalem ist durch sein einmaliges Opfer endgültig zerrissen. Wir haben durch Christus Zugang zur versöhnten, ewigen Gemeinschaft mit dem heiligen und gerechten Gott. Gott ist unser Vater!
Jesus wendet durch seine Fürbitte nun jeden Tag für uns das an, was er durch sein Sühnopfer am Kreuz von Golgatha vollbracht hat. Theologisch formuliert: Durch das, was Christus jetzt tut, wendet er die Rechtfertigung auf unseren Alltag an.
Dane Ortlund beschreibt das in seinem wunderbaren Buch Gütig und Sanft: Wie Sünder und Leidtragende das Herz Christi erfahren so:
„Das jetzige Eintreten Christi für uns zeigt die Fülle, den Sieg und die Vollständigkeit seines irdischen Werkes an, nicht aber, dass etwas an seinem Wirken auf Erden fehlen würde. Die Sühne bewirkte unser Heil. Die Fürbitte ist die Anwendung dieses sühnenden Wirkens in jedem Augenblick. In der Vergangenheit tat Jesus das, wovon er jetzt spricht. Jetzt spricht Jesus von dem, was er damals tat. Deshalb verbindet das Neue Testament die Rechtfertigung mit der Fürbitte, wie etwa in Römer 8,33-34: ‚Wer will gegen die Auserwählten Gottes Anklage erheben? Gott ist es doch, der rechtfertigt! Wer will verurteilen? Christus ist es doch, der gestorben ist, ja mehr noch, der auch auferweckt ist, der auch zur Rechten Gottes ist, der auch für uns eintritt!‘ Das Eintreten ist das ständige Auffrischen unserer Rechtfertigung vor dem himmlischen Hof.“[4]
Je länger wir mit Christus unterwegs sind, desto mehr lernen wir Gott und uns selbst kennen. Durch die wachsende Erkenntnis Gottes werden uns die Abgründe unseres eigenen Lebens zunehmend bewusster. Natürlich sagen und singen wir, dass uns alles vergeben wurde, und wir glauben aufrichtig oder zumindest ziemlich stark, dass dem so ist. Doch was ist mit dem einen, dunklen Teil unseres vergangenen oder jetzigen Lebens, der so eigensinnig, so hässlich und so beschämend scheint? Unsere unkontrollierte Wut? Unsere Bitterkeit? Unser Neid? Unser Drang, sich durch das schlecht Reden über andere besser zu fühlen? Unsere Habgier oder unsere Abgründe im Bereich von Gottes wunderbarer Gabe der Sexualität?
Nun, unser Hoherpriester kann uns „für immer selig machen“ (LU2017) und er kann uns „völlig retten“(ELB)! Gottes vergebende, liebevolle, wiederherstellende Berührung reicht in die finstersten Abgründe unserer Seele hinein, zu den Orten, wo wir am meisten niedergeschlagen sind. Christus, unser Hoherpriester liebt uns gerade dort am meisten und bittet jetzt für uns, wo wir am sündigsten sind. Er kann wirkliche Sünder, die wir immer noch sind, wirklich retten! Er lebt für immer, um immer für uns zu bitten! Wenn Christus in dem versagt, was er jetzt für uns tut, dann werden wir das Ziel unseres Glaubens nicht erreichen. Dass Christus, dem alle Macht gegeben ist und der für immer lebt und für uns bittet, versagen wird, ist jedoch undenkbar!
Die zweite Stelle finden wir in 1. Johannes 2,1: „Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt! Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, den Gerechten.“
Natürlich sollen wir nicht sündigen! Natürlich ist dort, wo keine Heiligung ist, auch die berechtigte Frage angebracht, ob wir denn von Neuem geboren und wirklich durch Glauben gerechtfertigt sind. Natürlich werden wir allein durch Glauben gerettet. Natürlich nicht durch einen Glauben, der allein bleibt und keine Werke bringt. Doch was tun wir, wenn wir heute sündigen? Schließlich werden wir sündigen, bis wir sterben!
Wenn die Lehre der Sündlosigkeit auf dieser Seite der Ewigkeit wahr ist, dann bin ich persönlich kein Christ und dann habe ich, ehrlich gesagt, in meinen nun beinahe 55 Lebensjahren noch nie einen echten Christen getroffen. Die Himmelfahrt lehrt uns etwas anderes: Wenn wir sündigen ist der erhöhte Herr Jesus Christus unser „Anwalt“, unser „Fürsprecher“, unser „Beistand“, unser „Helfer“ und unser „Tröster“.[5]
Nehmen wir das persönlich: Himmelfahrt bedeutet, dass im Himmel bei Bedarf und in jedem Fall unser Anwalt für uns eintritt! Weil dem so ist, sind die Arme Gottes immer weit offen. Die Sünde verliert ihre zerstörerische Dynamik. Weil wir beim Vater einen Fürsprecher haben, sind wir frei von aller Verdammung, stets willkommen und dürfen vor Gott, uns selbst und unseren Mitmenschen befreiend ehrlich sein.
1 Angelehnt an den Kurzartikel in der Genfer Studienbibel: „Die Himmelfahrt Jesu Christi“, S. 1694.
2 Vgl. den gleichnamigen Buchtitel Fremde neue Welt von Carl R. Trueman (Verbum Medien).
3 Genfer Studienbibel, S. 1694.
4 Dane Ortlund, Gütig und sanft: Wie Sünder und Leidtragende das Herz Christi erfahren, Waldems-Esch: 3L-Verlag, S. 83–84.
5 Verschiedene Übersetzung in deutschen Bibeln für den Ausdruck „Parakletos“.