Seltsame Visionen, beunruhigende Prophezeiungen und ein Gott, der wiederherstellt

Der Prophet Hesekiel

Artikel von Justin Estrada
27. Mai 2025 — 5 Min Lesedauer

Das Buch Hesekiel ist auf verschiedene Arten und Weisen spannungsgeladen: das Volk Gottes, aufgeteilt in Exilanten in Babylon und belagerte Bewohner Jerusalems, ein verletzter Prophet aus priesterlichem Geschlecht, der 390 Tage lang auf der linken Seite liegt und sich weigert, den Tod seiner Frau zu betrauern, und Visionen mit esoterischer Symbolik in Kombination mit anschaulichen, beunruhigenden Prophetien (vgl. Hes 4,4–8; 24,15–24). Die vielleicht größte Spannung in Hesekiel liegt in der Offenbarung des Charakters Gottes: transzendent und doch immanent, heilig und angegriffen durch die Sünde, aber vergebend, schrecklich in seinem Gericht, aber wunderbar in seiner Barmherzigkeit. Auch wenn diese Spannungen das Potential haben, den Leser zu verwirren, macht das Buch Hesekiel den Namen und die Herrlichkeit des Herrn auf einzigartige und lehrreiche Weise bekannt.

Diese drei Dinge sollen dir dabei helfen, die Spannung abzubauen und dich an den Prophezeiungen Hesekiels zu erfreuen.

1. Hesekiels seltsame Visionen und Weissagungen offenbaren einen herrlichen, aber erkennbaren Gott

Man muss nicht lange im Buch Hesekiel lesen, um verwirrt zu sein. In seiner ersten Vision und Berufung sind vier lebendige Wesen (später als Cherubim identifiziert) mit monströsen Merkmalen zu sehen, eine „Erscheinung der Herrlichkeit des HERRN“, die die Sinne der Sterblichen erschüttert, und eine Reihe von Handlungen, die mit seinem Auftrag einhergehen – einschließlich des Verzehrs einer Schriftrolle und Stummheit (vgl. Hes 1,1–3,27; 10,20). Und das ist erst der Anfang des Buches. Symbolische Handlungen, Bilder und Verkündigungen sowie Erscheinungen des herrlichen Herrn und seines engelhaften Gefolges ziehen sich durch den gesamten Text (vgl. Hes 10,1–22; 40,1–4).

All das sollte dich in Erstaunen versetzen. Die Begegnung mit der Herrlichkeit des transzendenten Gottes verlangt eine Reaktion des Staunens und der Demut. Als die Herrlichkeit Gottes Hesekiel begegnet, fällt er auf sein Gesicht (vgl. Hes 1,28). Ein Zweck dieser Aufzeichnung seines Dienstes ist es, die gleiche ehrfurchtsvolle Reaktion in uns hervorzurufen. Menschen wie Hesekiel, wie die babylonischen Exilanten und wie wir können Gott nicht aus eigener Kraft kennenlernen: Er muss sich selbst zu erkennen geben. Hesekiel offenbart, dass unser souveräner Gott immanent ist und sich in der ganzen Welt zu erkennen gibt: Der Satz „Und so sollt ihr erkennen, dass ich der HERR bin“ zieht sich durch die gesamten Aussprüche an Israel und die Völker (Hes 7,4.9; 11,10; 13,9 usw.).

Leider erfordern menschliche Sünde und Abtrünnigkeit, dass der heilige Gott sich zuerst im Gericht offenbart, was uns zu unserem nächsten Punkt führt.

2. In seiner priesterlichen Abstammung betont Hesekiel die Heiligkeit Gottes

Hesekiel bezeichnet sich selbst zu Beginn des Buches als Priester, aber wahrscheinlich hatte er nie die Gelegenheit, dieses Amt in Jerusalem auszuüben (vgl. Hes 1,3). Stattdessen beruft ihn der Herr als seinen Propheten, der zunächst Gerichtsurteile über sein eigenes rebellisches Volk und dann über die bösen Nationen verkündet (vgl. Hes 1,1–24,27; 25,1–32,32). Trotz dieses Berufswechsels greift Hesekiel stark auf sein priesterliches Wissen zurück, insbesondere in Bezug auf die Heiligkeit Gottes im Gericht.

Hesekiel hält sich in seinem geisterfüllten, anklägerischen Amt nicht zurück, wenn er die Übertretungen der Gemeinde des Alten Bundes gegen Gottes Bundesgesetze und ihre Verunreinigung durch Götzendienst aufdeckt (vgl. Hes 5,6; 16,59). Diese Handlungen liefen Gefahr, den Namen des Herrn zu „entweihen“, was Gott dazu veranlasste, seine Heiligkeit zu bewahren, indem er seine herrliche Gegenwart (symbolisiert durch seinen himmlischen, tragbaren Thron) aus Jerusalem entfernte und für Jerusalem einen Tag des Verderbens ansetzte (vgl. Hes 20,9.14). Hesekiel veranschaulicht die Abscheulichkeit der Rebellion Israels durch verschiedene literarische Darstellungen, von denen vielleicht keine verstörender ist als die Allegorie der zwei untreuen Schwestern (vgl. Hes 23,1–49). Und damit die Völker sich nicht über den Untergang Jerusalems freuen und sich für unverwundbar halten, richtet Hesekiel ähnliche Gerichtsurteile an sieben umliegende Königreiche – symbolisch für alle Völker der Welt. Auch sie werden sich für ihre Bosheit und Rebellion gegen einen heiligen Gott verantworten müssen und die Welt wird seine Herrlichkeit durch ihr Gericht erkennen.

Doch damit Israel die Hoffnung nicht aufgibt, beruft sich Hesekiel auf ein anderes priesterliches Konzept, um die Wiederherstellung vorwegzunehmen: den Tempel.

3. Jesus erfüllt als wahrer Tempel die Prophezeiungen Hesekiels über die Wiederherstellung

Selbst inmitten des Gerichts prophezeite der herrliche, heilige Gott Israels die Wiederherstellung. Er würde sein Bundesvolk wieder auferwecken, so sicher, wie Hesekiel die Wiederbelebung der dürren Gebeine gesehen hatte (vgl. Hes 37,1–14). Der Herr würde sie jedoch nicht einfach in den Zustand vor dem Gericht zurückversetzen, sondern er würde sie reinigen und ihnen ein neues Herz geben, sie wieder in ihr angestammtes Reich einsetzen, einen gerechten davidischen Fürsten über sie setzen und für immer in ihrer Mitte wohnen (vgl. Hes 36,22–37,28). Hesekiel beschreibt den neuen Zustand des Bundesfriedens vor allem durch seine Vision eines neuen Tempels – ein Sinnbild für die dauerhafte Gegenwart Gottes, was auch im Namen der Stadt zum Ausdruck kommt: „Der HERR ist hier!“ (Hes 48,37; vgl. Hes 40–48).

Die Erfüllung von Hesekiels Prophezeiung geht über den Wiederaufbau des zweiten Tempels hinaus und findet ihren Höhepunkt in Jesus. Der Apostel Johannes bezeugt diese Tatsache: Die Fülle der Herrlichkeit Gottes offenbart sich im menschgewordenen Gottessohn, der inmitten seines Volkes wohnt und Gott bekannt macht (vgl. Joh 1,14–18). Jesus identifiziert sich mit dem Tempel und vergleicht dessen Zerstörung mit seiner Kreuzigung und die Herrlichkeit seiner Wiederherstellung mit seiner Auferstehung (vgl. Joh 2,18–22). Und so wie Hesekiel einen Fluss sieht, der aus dem Tempel fließt und der ganzen Welt Leben spendet, so erklärt sich Jesus selbst zur Quelle des lebendigen Wassers (vgl. Joh 4,1–43; 7,37–39). In seiner letzten Vision sieht Johannes, wie der selbe Strom vom Thron Gottes und des Lammes fließt und seinem Volk, das unter den Völkern verstreut ist, Reinigung und Heilung bringt (vgl. Offb 22).

Die große Spannung von Hesekiel hat sich zu dem größten vorstellbaren Potential entwickelt: der ewigen Gegenwart Gottes und des Lammes.