Mit ganzem Herzen und Verstand

Das Leben von Jonathan Edwards

Artikel von John Piper
28. April 2025 — 8 Min Lesedauer

Wer Jonathan Edwards nur aus einer distanzierten Perspektive betrachtet, verkennt, wer er wirklich war. Manche sehen in ihm lediglich einen bedeutenden Denker, Schriftsteller und Prediger des 18. Jahrhunderts – und nicht mehr. Doch Edwards’ Denken, Schreiben und Predigen waren zutiefst geprägt von seiner Persönlichkeit und seiner geistlichen Ausrichtung. Wir verstehen ihn erst dann richtig, wenn wir begreifen, was John De Witt meinte, als er schrieb: „Edwards war der Größte im Blick darauf, was er an maßgeblicher, durchdringender geistlicher Ausrichtung beigesteuert hat, die eine enorme Strahlkraft besitzt“.[1] Hinter seinen großen Gedanken stand eine große Seele – erfüllt von einem großen Gott. Um Edwards zu verstehen, müssen wir diesen Gott anschauen – und die Seele, die ihn geschaut hat.

Heirat und Berufung zum Dienst

Jonathan Edwards wurde am 5. Oktober 1703 in Windsor, Connecticut, geboren – als einziger Sohn unter elf Kindern des Pastors Timothy Edwards. Der überlieferte Familienwitz lautete, Gott habe ihn mit „sechzig Fuß an Töchtern“ gesegnet. Jonathan lernte bereits mit sechs Jahren Latein und besuchte mit zwölf Yale – damals eine kaum fünfzehn Jahre alte Institution, die ums Überleben kämpfte, für Edwards jedoch ein Ort großer intellektueller Anregung wurde.

1720 schloss er sein Studium mit einer Festrede auf Latein ab und setzte seine Studien zwei weitere Jahre fort, um sich auf das geistliche Amt vorzubereiten. Mit nur neunzehn Jahren wurde er zum Predigen zugelassen und übernahm für acht Monate die Leitung einer presbyterianischen Gemeinde in New York. Im Sommer 1723, zwischen dieser ersten Pfarrstelle und seiner Rückkehr nach Yale, verliebte er sich in Sarah Pierrepont. Sie heirateten vier Jahre später am 28. Juli 1727 – er war 23, sie 17. Gemeinsam hatten sie elf Kinder: acht Töchter und drei Söhne.

Noch im selben Jahr trat Edwards die Nachfolge seines Großvaters als Pastor der Kirche in Northampton an – einer angesehenen kongregationalistischen Gemeinde mit 620 Abendmahlsteilnehmern im Jahr 1735. Dort diente er 23 Jahre lang, predigte zweimal pro Woche jeweils zwei Stunden, unterrichtete Kinder, führte seelsorgerliche Gespräche – und verbrachte täglich 13 bis 14 Stunden in seinem Studierzimmer.

Erwachen in den Wäldern

Trotz seiner ausgeprägten Vernunftorientierung hatte Edwards ein feines Empfinden für das Romantische und Mystische. In sein Tagebuch schrieb er:

„An schönen Tagen bin ich manchmal eher geneigt, die Herrlichkeiten der Welt zu betrachten, als mich dem Studium der ernsten Religion zu widmen“.[2] Für ihn galt: „Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes“ (Ps 19,1). Eine seiner tiefsten Erfahrungen beschreibt er so:

„1737 ritt ich einmal wegen meiner Gesundheit in die Wälder, wo ich an einem einsamen Ort vom Pferd stieg, um nach meiner Gewohnheit im gottgemäßen Nachsinnen und im Gebet ein Stück zu wandern. Da hatte ich eine für mich ungewöhnliche Offenbarung von der Herrlichkeit des Sohnes Gottes als Mittler zwischen Gott und Menschen und seiner wunderbaren, großen, vollen, reinen und kostbaren Gnade und Liebe sowie seiner sanften und gnädigen Herablassung. Diese Gnade, von der offensichtlich eine stille Erhabenheit ausging und die in meinen Augen wundersam war, ragte zugleich höher als alle Himmel empor. Die Person Christi erschien unbegreiflich herrlich und war angesichts ihrer Vollkommenheit so groß, dass alle Gedanken und alles Fassungsvermögen in ihr aufgingen. Diese Schau hielt, soviel ich sagen kann, beinahe eine Stunde lang an. Sie führte dazu, dass ich den größten Teil der Zeit über eine Flut von Tränen vergoss und laut weinte.“[3]

Kein Wunder also, dass Elisabeth Dodds schreibt: „Das mythische Bild von ihm ist das eines strengen Theologen. In Wahrheit war er ein zärtlicher Liebhaber und ein Vater, den seine Kinder ehrlich zu mögen schienen“.[4]

Die Grenzen eines gottgeweihten Lebens

Doch selbst bei allem Respekt vor Edwards’ geistlicher Tiefe: Auch er war ein Kind seiner Zeit. Seine fehlende Distanz zur Sklaverei steht in deutlichem Kontrast zu seiner ansonsten so ausgeprägten geistlichen Sensibilität. Obwohl die Abschaffung der Sklaverei längst überfällig war – wie zahlreiche neutestamentliche Texte nahelegen (vgl. z. B. Mt 7,12; Gal 3,28; Phlm 16) –, hielt Edwards sie für mit dem Christsein vereinbar. Er meinte, das Neue Testament fordere lediglich, dass Sklaven freundlich und ohne Grausamkeit behandelt würden. 1736 wurde sein Dienstmädchen Leah in Northampton getauft und in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen.[5]

Vielleicht hätte sich seine Sichtweise verändert, wäre ihm mehr Lebenszeit vergönnt gewesen. Immerhin überzeugte ihn seine spätere Missionsarbeit unter Indianern davon, dass manche von ihnen tiefere Christen waren als viele weiße Kolonisten. Er wurde ein engagierter Fürsprecher ihrer Rechte.

Auch sein Sohn Jonathan Jr. sowie Lemuel Haynes, ein ehemaliger Sklave und Bewunderer Edwards’, leiteten aus seiner Theologie abolitionistische Überzeugungen ab. Seine Schwächen werfen grundsätzliche Fragen auf: Warum geschieht Heiligung oft so langsam? Wie sehr prägen Familie und Kultur unsere blinden Flecken? Und wie sollen wir von geistlichen Vorbildern lernen, deren Leben nicht in allem vorbildlich ist?[6]

Entlassung und Neuanfang

1750 wurde Edwards aus seiner Gemeinde in Northampton entlassen – nach heftigen Auseinandersetzungen über das Abendmahl. Sein Großvater hatte vertreten, dass man das Abendmahl in der Hoffnung auf eine spätere Bekehrung empfangen könne – Edwards widersprach dem entschieden. Trotz einer ausführlichen Verteidigungsschrift wurde seine Sicht kaum rezipiert. Der Unmut wuchs, und am 22. Juni 1750 wurde seine Entlassung öffentlich verkündet. Damals war er 46 Jahre alt, hatte neun Kinder – das jüngste gerade drei Monate alt.

Im Dezember desselben Jahres erhielt er das Angebot, Pastor in Stockbridge zu werden – einer kleinen Grenzgemeinde, 40 Meilen westlich von Northampton. Dort lebten Kolonisten und Indianer. Am 8. August 1751 trat er sein neues Amt an.

Während er in Northampton finanziell gut versorgt war, fehlte ihm in Stockbridge sogar das Papier zum Schreiben. Dennoch widmete er sich treu seinen Aufgaben: Hausbau, Predigtdienst, Schulprojekte für Indianerkinder, Versöhnung verfeindeter Gruppen und Missbrauch von Missionsgeldern – all das lag auf seinen Schultern.

Präsident wider Willen

Doch Gottes größere Absichten mit diesem Lebensabschnitt lagen wohl in dem, was Edwards in dieser Zeit schrieb. Zwischen 1752 und 1757 verfasste er vier seiner bedeutendsten Werke: Freedom of the Will, The End for Which God Created the World, The Nature of True Virtue und The Great Christian Doctrine of Original Sin. Paul Ramsey nannte sie „vier der besten und wertvollsten Werke, die die Gemeinde Christi besitzt“.

Am 24. September 1757 starb sein Schwiegersohn Aaron Burr, Präsident des Princeton College. Zwei Tage später wurde Edwards zu seinem Nachfolger berufen. Er war überrascht, drückte Bedenken aus, willigte schließlich aber unter Tränen ein. Im Januar 1758 trat er das Amt an – seine Familie sollte im Frühjahr nachkommen.

Ein guter Gott unter einer dunklen Wolke

Am 13. Februar 1758 ließ sich Edwards gegen Pocken impfen. Doch die Impfung schlug fehl – die Pusteln in seinem Rachen wuchsen so sehr, dass er keine Flüssigkeit mehr aufnehmen konnte. Als er ahnte, dass sein Tod nahte, sprach er zu seiner Tochter Lucy, die als Einzige bei ihm war:

„Liebe Lucy, es hat den Anschein, als sei es Gottes Wille, dass ich euch bald verlassen muss. Darum sage meiner lieben Frau, deiner geliebten Mutter, dass ich sie in das Herz geschlossen habe. Sage ihr, dass die ungewöhnlichen Bande, die so lang zwischen uns geknüpft gewesen sind, nur geistlichen Ursprungs sein können und daher auf ewig Bestand haben werden. Dabei hoffe ich, sie werde in ihrem so großen Leid getröstet werden und sich freudig dem Willen Gottes ergeben. Und was euch, meine Kinder, angeht, so werdet ihr jetzt vaterlos sein. Ich hoffe, dass dieser Umstand euch alle dazu veranlassen möge, einen Vater zu suchen, der euch nie verlassen wird.“[7]

Er starb am 22. März 1758. Seine Frau Sarah, selbst krank, schrieb wenig später an ihre Tochter Esther:

„Was soll ich sagen? Ein heiliger und guter Gott hat eine dunkle Wolke in unserem Leben aufziehen lassen. Ach, möchten wir uns der Rute beugen und die Hand auf den Mund legen! Der Herr hat es getan. Er hat mich seine Güte anbeten lassen – dafür, dass wir unseren Geliebten so lang hatten. Aber mein Gott lebt, und ihm gehört mein Herz. O welch ein Vermächtnis hat mein Mann und Euer Vater uns hinterlassen! Wir sind alle in Gottes Obhut gestellt. Bei ihm bin ich, und ich bin gern dort.“[8]

Sonne und Ozean

So endete das irdische Leben eines Mannes, dessen Leidenschaft für die Vorherrschaft Gottes in der Kirchengeschichte wohl einzigartig war. Er verkündete Gottes Herrlichkeit mit solcher Vehemenz, weil er wusste, dass nicht spekulatives Wissen, sondern die geistliche Schau Gottes und die Freude an ihm die Seele rettet und die Gemeinde segnet.

„Die Freude an Gott ist das einzige Glück, das unseren Seelen volle Genüge geben kann. In den Himmel zu kommen, sich über Gott in umfassender Weise zu freuen, ist besser als die angenehmsten Verhältnisse hier auf Erden. Die Beziehungen zu Vätern und Müttern, Ehemännern, Ehefrauen oder Kindern bzw. die Gemeinschaft mit irdischen Freunden sind nur Schatten, Gott ist das Wesen. Diese sind nur vereinzelte Strahlen; Gott aber ist die Sonne. Diese sind nur Bäche; Gott aber ist der Ozean.“[9]

1 Zitiert in: Ian H. Murray, Jonathan Edwards. A new Biography, Edinburgh: Banner of Truth Trust 1987, S. xvii.

2 Elisabeth Dodds, Marriage to a Difficult Man: The Uncommon Union of Jonathan & Sarah, Laurel, MS: Audubon Pr & Christian Book Service, 2005, S. 22.

3 Iain H. Murray, Jonathan Edwards – Ein Lehrer der Gnade und die Große Erweckung, Bielefeld: CLV 2011, S. 146.

Dodds, Marriage to a Difficult Man, S. 7.

Harry S. Stout (Hrsg.), The Jonathan Edwards Encyclopedia, Grand Rapids: Eerdmans, 2017, S. 535.

6 Wer tiefer in diese Fragen einsteigen möchte, dem sei dieser Artikel von Thabiti Anyabwile sowie dieses Video und dieser Podcast empfohlen.

7 Murray, Jonathan Edwards, S. 534.

8 Ebd., S. 535.

9 Ebd., S. 199.