Vier Emotionen, die sich hinter deiner Wut verbergen

Artikel von Christopher Ash und Steve Midgley
19. März 2025 — 12 Min Lesedauer

Die komplexen Emotionen hinter unserer Wut

Wir sollten uns Zeit nehmen, um festzustellen, wie andere Emotionen so häufig neben – oder hinter – unserer Wut am Werk sind. Wir könnten beispielsweise damit beginnen, wahrzunehmen, wie oft wir es scheinbar genießen, Wut zu erfahren. Wut kann uns die Energie geben, mit einer Bedrohung umzugehen oder uns einer Schwierigkeit zu stellen. In unserer Wut finden wir die Kraft, uns gegen Mobbing zur Wehr zu setzen, oder die Entschlossenheit, eine Kampagne ins Leben zu rufen. Anstatt dass wir uns schwach und verletzlich fühlen, befähigt uns Wut dazu, uns gegen etwas auszusprechen, was falsch ist, oder angesichts Ungerechtigkeit mutig zu handeln.

Weil Wut eine so grundlegende Emotion ist und weil sie uns auch Energie liefern kann, ist es relativ einfach, in diese Emotion zu wechseln. Wir könnten sagen, dass es keine große Anstrengung erfordert, wütend zu werden oder Wut zum Ausdruck zu bringen. Wut ist sofort da. Das unterscheidet sie von einer ganzen Reihe anderer Emotionen, die nicht nur viel komplexer, sondern auch viel schwieriger zu identifizieren und zum Ausdruck zu bringen sind. Wir werden uns im Folgenden mit einigen dieser komplexeren Emotionen beschäftigen. Zuerst wollen wir uns jedoch den engen Begleiter der Wut bei der Entscheidung zwischen Kampf oder Flucht anschauen: Die Emotion der Angst.

Angst

Wenn wir wütend sind, ist eine der entscheidenden Fragen, die wir uns (und anderen) stellen müssen, die Frage danach, ob auch Angst vorliegt. Obwohl Angst genauso grundlegend wie Wut ist, kann es schwieriger sein, sie zuzugeben. Wut hilft uns oft dabei, uns stark zu fühlen, aber Angst einzugestehen sorgt meistens dafür, dass wir uns schwach fühlen. Es erfordert somit möglicherweise etwas Überzeugungsleistung, bis wir dazu bereit sind, unsere Angst zuzugeben.

Denken wir beispielsweise an einen Ehemann, der wütend auf seine Frau ist, weil sie verspätet nach Hause kommt, oder eine Mutter, die wütend auf ihr Kind ist, das auf die Straße gelaufen ist. Was liegt unter den scharfen Worten, die sie sagen? Sehr wahrscheinlich Angst. Die Mutter hat Angst, dass ihr Kind von einem Auto erfasst werden könnte. Der Ehemann befürchtet, dass die Verspätung seiner Frau bedeutet, dass sich ein schlimmer Unfall oder ein Überfall ereignet hat. Anstatt jedoch diese Angst zu zeigen, bringen sie jeweils Wut zum Ausdruck. Wie oben erwähnt, liegt das daran, dass Wut uns leichtfällt, weil wir uns stärker fühlen, wenn wir Wut zum Ausdruck bringen, wohingegen wir uns gezwungen sehen, uns unserer eigenen Verletzlichkeit zu stellen, wenn wir Angst zugeben.

Während Wut Beziehungen jedoch so oft trennt und stört, kann Angst viel konstruktiver sein. Wenn der wütende Ehemann seiner verspäteten Ehefrau gegenüber bereit wäre, seine Angst zum Ausdruck zu bringen, würde sie bei ihrer Ankunft zu Hause nicht von Anschuldigungen und Beschwerden überschüttet werden, sondern sie würde erkennen, wie sehr ihr Ehemann sie liebt und wie besorgt er aufgrund dieser Liebe war, sie verlieren zu können.

Es sind nicht nur horizontale Beziehungen, die von einem Eingeständnis unserer Angst profitieren können. Es kann auch für unsere vertikale Beziehung zu Gott gelten. Wenn wir dazu bereit sind, uns einzugestehen, dass wir Angst haben, können wir anfangen, mit Gott über diese Angst zu sprechen und auch darauf hören, wie häufig und vielfältig Gott in diese Ängste hineinspricht.

Wir haben Angst, weil wir glauben, allein zu sein, überzeugt davon, dass sich niemand um uns kümmert, uns versorgt und auf uns aufpasst. Wir leben, als wären wir Waisen, als hätten wir keinen himmlischen Vater, der sich um uns kümmert. Das bringt uns dazu, dass wir uns Angst nicht eingestehen, sondern wütend reagieren: „Wenn ich auf mich allein gestellt bin, wenn nur ich mich gegen jegliche Bedrohung verteidigen kann, wenn alle und alles gegen mich sind, dann sollte ich – muss ich – kämpfen. Die Welt ist viel zu beängstigend, als dass ich irgendetwas anderes tun könnte. Da es niemanden gibt, der mächtig genug ist, einzugreifen, muss ich mich auf mich selbst verlassen.“

Das Mittel gegen eine solche Angst ist, dass wir uns die souveräne Versorgung des Herrn wieder ins Gedächtnis rufen. Wir müssen uns daran erinnern, dass es einen Gott gibt, der die Vögel ernährt und die Lilien kleidet und dass dieser Gott auch für uns sorgt (vgl. Mt 6,25–34). Unsere Angst und die Wut, hinter der sie sich so oft verbirgt, entstehen, wenn wir uns selbst erhöht und Gott von seinem Platz verdrängt haben. Aber unsere Angst und mit ihr unsere Wut werden sich legen, wenn wir uns an das Wesen unseres Gottes erinnern und sowohl seine als auch unsere ordnungsgemäße Stellung wiederherstellen.

Angst ist jedoch nicht die einzige Emotion, die der Ehemann in unserem vorherigen Beispiel fühlen könnte. Nehmen wir einen Moment an, dass seine Angst berechtigt ist, dass eine Gefahr oder Bedrohung besteht. Doch was kann er ohne Informationen tun? Seine Liebe mag ihn dazu veranlassen, sich um seine Geliebte zu kümmern, aber ihm fehlt das notwendige Wissen, um zu erkennen, wie er handeln muss. Er fühlt somit nicht nur Wut. Es verbirgt sich noch eine Emotion hinter dieser Wut, und diese Emotion ist Frust.

Frust

Wie Könige, die irrtümlicherweise davon überzeugt sind, Macht zu haben, glauben wir, dass wir die Kontrolle haben sollten, dass es innerhalb unseres Bereichs des Erreichbaren liegen sollte, zu bekommen, was wir wollen: „Ich sollte das ändern können. Ich bin sicher, dass eine Person wie ich fähig dazu sein sollte, so etwas zu erreichen. Ich hasse es, dass ich nicht meinen Willen bekomme. Es ist nicht nur frustrierend, es ist zum verrückt werden. Es macht mich wütend, dass ich so machtlos zu sein scheine und die Welt so immun gegen meine Herrschaft zu sein scheint.“

Es ist die gleiche Thematik, die hier sichtbar wird: Unser Frust ist eng verknüpft mit Selbstverherrlichung. Wir sind sicher, dass wir dieses erreichen oder jenes verändern können sollten, weil wir uns selbst davon überzeugt haben, dass wir – wirklich – eine Art Minimessias sind: „Ich möchte an meine eigene Macht glauben, meine eigene Fähigkeit. Ich möchte mich stark und fähig fühlen und es frustriert mich, dass das nicht so ist.“ Hinter Wut steckt Frust und hinter Frust steckt Sünde – die Sünde, die uns dazu gebracht hat, Gottes Platz einzunehmen.

Trauer

Angst und Frust sind – wie Wut – relativ rohe Emotionen. Die folgenden beiden Emotionen, die wir uns anschauen werden, sind alles andere als einfach. Die erste von ihnen, Trauer, hat viele Facetten, insbesondere da sie im Zusammenhang mit Kummer und Verlust zum Ausdruck gebracht wird.

Wie Trauer und Wut zusammenhängen, ist gut untermauert. In ihrer berühmten Studie zur Reaktion von Patienten auf die Diagnose einer unheilbaren Krankheit konnte Elisabeth Kübler-Ross vor allem die Bedeutung von Wut identifizieren. Im Angesicht eines nicht behandelbaren Zustands waren die Patienten wütend auf die Krankheit und auf die Ärzte, da sie keine Behandlung anbieten konnten. Sie waren wütend auf das, was sie von einer Behandlung abgehalten hatte, wütend auf eine Welt, der es anscheinend egal war, und wütend auf Gott, weil er nicht auf ihre Gebete um Heilung reagiert hatte.[1]

Ihre Ergebnisse wurden auf viele unserer anderen Verlusterfahrungen erweitert, vor allem aber auf die Erfahrung von Trauer bei einem Todesfall. Auch wenn die Trauernden den Verlust selten in den eindeutig bestimmbaren Phasen durchlaufen, lässt die Theorie doch vermuten, dass viele dieser Elemente vorliegen. Das Wissen, dass Wut eine der Emotionen ist, die zum Vorschein kommen können, ist wichtig, da es uns dabei hilft, darauf zu achten. Es ist wichtig, weil es nicht intuitiv offensichtlich ist, dass Wut ein Gefühl ist, welches wir in unserem Verlust erleben können, insbesondere Wut auf die verstorbene Person. Dennoch ist solch eine Wut überraschend häufig. Manchmal äußert sie sich in dem Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein: „Wie konnte sie mich verlassen?“ Manchmal erscheint sie im Gewand eines Ausdrucks des Bereuens: „Warum hat er nicht getan, was ich gesagt habe, und hat sich früher Hilfe geholt?“ Oft wird sie jedoch in Form von Gleichgültigkeit zum Ausdruck gebracht: „Wenn sie mich geliebt hätte, hätte sie mich nie so verlassen.“

Wenn wir hinter die Wut schauen, finden wir oft Trauer und Verlust. Wenn wir aber versuchen, im Angesicht von Verlust in unser Erfahren von Wut hineinzusprechen, müssen wir darauf achten, dass es sowohl richtige als auch falsche Wege gibt, die Empörung zum Ausdruck zu bringen. Es ist richtig, empört darüber zu sein, dass unser Feind, der Tod, seinen Schaden anrichtet – diese Wut ist richtig und angemessen, und Jesus selbst hat sie auf der Erde erfahren. Es gibt aber auch eine falsche Art der Empörung, die wir fühlen können, weil wir vergessen haben, wer auf dem Thron sitzt, und uns frustriert fühlen, weil unsere eigenen souveränen Pläne durchkreuzt wurden.

Scham

Die letzte Emotion, die hinter unserer Wut steckt, ist Scham. Es ist eine vertraute Kombination. Wir hassen es, gedemütigt zu werden, und es ist überhaupt nicht ungewöhnlich, wenn aus unserer Demütigung Zorn wird. Wenn andere unser Versagen sehen, wird das Bild, das wir der Welt präsentieren möchten, zerstört. Wir wollen, dass die Welt uns als stark sieht, doch wir werden als schwache Menschen entlarvt. Wir wollen, dass die Welt uns als erfahren sieht, aber es wird deutlich, dass wir bloße Anfänger sind. Wir wollen, dass die Welt uns für unsere Intelligenz bewundert, aber es ist unsere Unwissenheit, die aufgedeckt wird. Das Bild, das wir von uns haben, und das Bild, das wir der Welt vermitteln möchten, werden zunichtegemacht. Das macht uns wütend.

Wiederum ist es seltsam, wie sehr wir uns selbst täuschen. Wenn die Grenzen unserer Stärke offenbar werden, könnten wir einfach zugeben, dass wir begrenzt sind. Aber irgendetwas hindert uns daran, das zu tun. Wir hassen es, uns schwach zu fühlen. Es führt zu Demütigung. Das kommt aus unserer Entschlossenheit, Stärke vorzugeben, die wir eigentlich nicht haben.

Genauso ist es bei mangelnder Erfahrung. Wir könnten einfach zugeben, dass wir noch immer viel zu lernen haben. Das wollen wir aber auch nicht. Wir fühlen uns deshalb gedemütigt, weil wir scheinbar vorgeben müssen, dass wir alles wissen.

Was würde passieren, wenn die Menschen sehen würden, dass uns etwas schwerfällt, und sie uns helfen würden? Wir könnten ihnen für ihre Hilfe danken und zugeben, dass wir nicht alles allein können. Zu häufig scheint es für uns jedoch zu schwierig zu sein, diesen Schritt zu gehen. Stattdessen lehnen wir die Hilfe ab und fühlen uns gleichzeitig gedemütigt, nur weil wir scheinbar vorgeben müssen, dass wir komplett unabhängig und eigenständig sind.

Alle diese verblendeten Vorstellungen, über ein allumfassendes Wissen, unbegrenzte Macht und absolute Eigenständigkeit zu verfügen, sind Wege, auf denen wir vorgeben, Gott zu sein. Es sind Eigenschaften, die zu ihm gehören. In unserer Verblendung geben wir vor, sie würden zu uns gehören. Das macht uns anfällig für Demütigung, wenn es offensichtlich wird, dass das nicht so ist.

Es ist natürlich von unerlässlicher Bedeutung, anzuerkennen, dass Scham nicht nur auf diese Weise entsteht. Manchmal fühlen wir Scham nicht deshalb, weil wir in einer Weise behandelt wurden, die nicht unserem aufgeblähten Selbstbild entspricht, sondern weil wir in einer Weise behandelt wurden, die nicht der Würde entspricht, die uns von Gott gegeben wurde. Ein Missbrauchstäter beschämt sein Opfer dadurch, dass er es dazu zwingt, erniedrigende Dinge zu tun. Ein Chef demütigt einen Mitarbeiter, indem er sich über ihn lustig macht und ihn öffentlich zur Schau stellt. Ein Ehemann beschämt seine Frau, indem er ihr ständig Vorwürfe und sich über alles lustig macht, was sie tut. In diesen Fällen ist es kein übertriebenes Gefühl der Selbstgefälligkeit, das untergraben wird, sondern das Gefühl an Wert, das wir alle haben als diejenigen, die nach dem Bild und Wesen Gottes geschaffen wurden.

Interessanterweise wird diese Art der Scham weniger häufig in Form von Wut zum Ausdruck gebracht. Es scheint, als wäre Wut viel häufiger mit der Scham und der Demütigung verbunden, die wir spüren, wenn es unser übertriebenes, Gott ersetzendes Bild ist, das bedroht wird. Genau in diese Erfahrung spricht das Evangelium hinein. Wenn wir einmal gesehen haben, dass unserer Wut Scham zugrunde liegt, sind wir bereit dazu, den zweifachen Trost des Evangeliums zu hören. Zunächst einmal sind wir bereit dazu, seinen Ruf zur Umkehr zu hören, die sündige Annahme einzugestehen, die uns davon überzeugt hat, vorzugeben, wir wären wie Gott, und diese entschieden beiseitezulegen. Diese Umkehr ist ein Trost – manchmal sogar eine Freude – da es so eine Erleichterung ist, nicht mehr etwas nachzujagen, wozu wir nie geschaffen wurden.

Der zweite Trost, den wir im Evangelium finden, ist ein Geschenk, das für uns bereitliegt. Ein Geschenk, das uns in unserer Scham entgegenkommt und das, anstatt unsere Schmach aufzudecken, diese bedeckt. Dieses Geschenk der Rechtfertigung gibt uns einen solchen Stand und Status vor Gott, der bedeutet, dass wir uns nie mehr eingeschüchtert oder niedergedrückt fühlen müssen. Er hat uns für würdig befunden. Wir sind kostbar in seinen Augen. Es gibt keinen Grund zur Scham mehr, nie wieder.

In dieser Befreiung von unserem Gefühl der Scham finden wir auch die Entschärfung unserer Wut.


1 Elisabeht Kübler-Ross, On Death and Dying, New York: Macmillan, 1969.