Warum es sich lohnt, die Kirchenväter zu lesen

Artikel von Coyle Neal
17. März 2025 — 7 Min Lesedauer

Als Protestanten lieben wir die Reformatoren und die Puritaner (und falls nicht, dann sollten wir das). Aber wo der Abstand zwischen unserer modernen westlichen Welt und dem historischen christlichen Glauben immer größer wird, müssen wir über den Tellerrand hinausschauen und uns mehr mit Gläubigen beschäftigen, die auch grundlegend abgetrennt von der Kultur ihrer Zeit waren. Mit anderen Worten: Wir müssen mehr von den Kirchenvätern lesen.

Eine wichtige Vorbemerkung: Obwohl die Kluft zwischen dem westlichen Mainstream und dem traditionellen Christentum größer wird, sind wir nicht am Ausgangspunkt der frühen Kirche. Feindseligkeit der Kultur und Cancel Culture in den sozialen Medien ist nicht das gleiche wie systematische Verfolgung. Eusebius zum Beispiel schreibt über die frühe Kirche:

„Wir haben ... gesehen, wie an einem einzigen Tage mehrere zugleich teils enthauptet, teils verbrannt wurden. Das Richtschwert wurde stumpf und als unbrauchbar zerbrochen, und die Henkersknechte mußten sich vor Ermüdung gegenseitig ablösen.“[1]

Das ist offensichtlich nicht unsere Situation und wir würden gut daran tun, uns zu erinnern, dass wir generell deutlich besser dran sind als die meisten Christen im Verlauf der Geschichte.

Und trotzdem ist es eine neue kulturelle Situation für uns. Ob wir uns Aaron Renn anschließen, der unsere Zeit als „negative Welt“ bezeichnet, oder ob wir Carl Trueman zustimmen, dass das „moderne Selbst“ gesiegt hat: Du und ich, wir leben in einer Welt der kulturellen Feindschaft, die unsere Großeltern und Urgroßeltern so nicht kannten. Es ist eine gute Zeit für uns, von den Vorbildern früherer Generationen zu lernen.

Wofür die Kirchenväter gut sind

Es gibt mindestens drei Dinge, in denen die Kirchenväter uns inmitten einer feindlich gesinnten Kultur Vorbilder sein können.

Die Kirchenväter mussten Orthodoxie und Einheit in Einklang bringen

Eine feindlich gesinnte Kultur zwingt Christen dazu, kleinere Angelegenheiten beiseitezulegen, die sie trennen. Aber wir sind noch immer gefallene Sünder, die über andere jammern, egoistische und kleinliche Ziele verfolgen, Gemeinden spalten und manchmal sogar Irrlehren verfallen. Immer und immer wieder sehen wir, wie die Väter darum kämpfen, an der biblischen Wahrheit festzuhalten und die Einheit der Kirche zu bewahren. Manchmal gelingt es ihnen, manchmal nicht. Der Punkt ist: Auch in Zeiten von Krisen und Verfolgung lösen sich theologische und institutionelle Probleme nicht einfach in Luft auf. Die Kirchenväter machen vor, wie man mit diesen Problemen umgehen kann.

Die Kirchenväter mussten entscheiden, was sie von der Kultur annehmen und was nicht

Als Menschen, die in dieser Welt leben, müssen Christen zu einem gewissen Grad Teil ihrer Kultur sein, egal wie feindlich sie ihnen gegenüber eingestellt ist. Wie sollte diese Teilnahme aussehen? Das ist eine schwierige Frage. Die Kirchenväter reflektierten über alles – angefangen bei großen philosophischen Fragen bis hin zu den alltäglichen Belangen des Lebens. Sollten sie heidnische Philosophen studieren, bei Wagenrennen zuschauen, zeremonielle Kleidung tragen oder im Militär dienen? Sie rangen um die richtigen Antworten auf diese Fragen. Wir können lesen, wie sie argumentieren, und von ihren Bezügen zur Schrift lernen, wie sie versuchen den Platz von Christen in der Gesellschaft einzuordnen. Auch wenn wir mit ihrem Ergebnis nicht immer einverstanden sein mögen – der Eifer, mit dem sie die Gesellschaft antreiben, Gottes Wort zum Maßstab zu machen, ist beeindruckend.

Die Kirchenväter mussten ihren Glauben denen erklären, die sie verfolgten

Die apologetischen Werke der frühen Kirche sind kurz, knapp und angenehm zu lesen, aber von gleicher Bedeutung ist der Wunsch der Autoren, die Grundlagen des christlichen Glaubens auch ihren Verfolgern zu vermitteln. Einige Beispiele:

  • Tertullians rechtlicher Ansatz (Christen sind nicht schuld an den Dingen, für die sie die römische Regierung verantwortlich macht)
  • philosophischer Ansatz von Justin der Märtyrer (ihr Heiden wisst, dass es einen Gott gibt und ihr das Richtige tun sollt; Jesus als Logos ist selbst Gott und das Richtige und ihr müsst zu ihm kommen, um gerettet zu werden)
  • Minucius Felix’ literarischer Ansatz (ein Gespräch unter Freunden kann zur Wahrheit des Christentums führen)

Diese drei Ansätze sind sehr unterschiedlich, doch sie zeigen, wie die Kirchenväter auch Werkzeuge der Kultur gebrauchten, um der Welt das Evangelium zu erklären.

Einwände gegen die Kirchenväter

Ich möchte kurz auf zwei Einwände gegen die Kirchenväter eingehen, die wir häufig von vorsichtigen Protestanten hören.

Praktizierten die Kirchenväter nicht eine schlechte Hermeneutik?

Die Antwort darauf ist komplex und wir können hier nicht näher darauf eingehen (wobei wahrscheinlich auffällt, dass Kommentare von den Kirchenvätern nicht in meinen Leseempfehlungen unten auftauchen). Es ist hilfreich, zwei Wahrheiten im Kopf zu behalten, wenn es um die Beziehung zwischen den Vätern und der Schrift geht. Erstens, auch wenn sie manchmal eine schlechte Hermeneutik anwenden, wird in ihren Schriften ohne Zweifel deutlich, dass sie die feste Absicht haben, ihr Leben und Denken von der Schrift bestimmen zu lassen. Gottes Wort ist ihre Grundlage und ihr Maßstab, und das wird auf jeder Seite ihrer überlieferten Texte deutlich. Zweitens, wie Gerald Bray deutlich macht, auch wenn sie in ihrem Lesen der Schrift manchmal danebenliegen, ist ihre Thelogie trotzdem häufig gut. Natürlich wird es durch den zeitlichen Abstand von mehreren Jahrhunderten Fehler, Häresien und religiöse Sonderlinge geben, aber am Ende des Tages sind die Kirchenväter so orthodox wie jede andere Gruppe historischer Gläubige auch.

Führt das nicht zum Katholizismus oder zur östlichen Orthodoxie?

Das erfordert auch eine komplexere Antwort, aber in Kurzform lautet sie „nein“. Die mittellange Antwort ist, „niemand kann die Kirchenväter wirklich für sich beanspruchen, da wir alle Ähnlichkeiten und Unterschiede mit ihnen haben“. Die weniger freundliche Antwort ist, „die meisten Katholiken und Orthodoxen kennen sich auch nicht sehr gut mit den Kirchenvätern aus“.

Und jetzt?

Eine abschließende Bemerkung, um zu beginnen. Ich gehe davon aus, dass es für beschäftigte Pastoren wohl keine Option sein wird, das 38-bändige Werk von Philip Schaff zu lesen, also lasst mich fünf kürzere Texte empfehlen. Diese haben zudem den Vorteil, dass sie leicht zu lesen sind, da sie nach Schaffs Version aus dem 19. Jahrhundert übersetzt oder geschrieben wurden:

  • Die apostolischen Väter, übersetzt von Franz Zeller: Eine Sammlung von Schriften von nach dem Kanon bis ungefähr zur Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christus. Mit anderen Worten, die erste und zweite Generation von Christen nach den Aposteln. Obwohl die Texte lückenhaft und unvollständig sind, sind sie absolut lesenswert.
  • Erste Apologie von Justin der Märtyrer: Beinhaltet Justins Verteidigung des Glaubens gegen die römische Welt und eine der frühesten Beschreibungen von Taufe und Abendmahl.
  • Über die Geduld von Tertullian: Eine schöne kleine Andacht über Geduld, geschrieben von jemandem, der von sich selbst sagt, wenig davon zu besitzen (weshalb er diesen Text schrieb).
  • Die frühen Christen: Wie die Römer sie sahen von Robert L. Wilken: Die klassische Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Christen und der römischen Gesellschaft und ein sehr guter Ausgangspunkt für alle, die mehr über die Kirchenväter und ihre Bedeutung für uns heute nachdenken möchten.
  • Die Kirche in der antiken Welt von Henry Chadwick: Ein großartiger Überblick über die frühe Kirche von einem, der sie viel erforscht hat.

1 Eusebius, The History of the Church, übersetzt von G.A. Williamson, New York: Penguin Classics, 1989, VIII, 8. Das deutschsprachige Zitat ist folgender Ausgabe entnommen: Eusebius, Ausgewählte Schriften Band II: Kirchengeschichte, übersetzt von P. Häuser. München, 1932, online unter: https://etgladium.wordpress.com/wp-content/uploads/2017/02/01-kirchengeschichte-eusebius-2017.pdf (Stand: 09.03.2025).

2 Gerald Bray, Augustine on the Christian Life, Wheaton: Crossway, 2015.