
Richter – Fragwürdige Helden und der wahre Held
Der beliebte Theologe und Autor Timothy Keller hat mit dem Buch Richter – Fragwürdige Helden und der wahre Held einen tiefgründigen und lebensnahen Kommentar verfasst.
Das Buch wurde von Verbum Medien im November 2024 veröffentlicht und ist eine Übersetzung des Richter-Kommentars aus der bekannten und empfehlenswerten englischen „For-You“-Reihe. Die gesamte Reihe ist darauf fokussiert, Bibeltexte zunächst in ihrem historischen und kulturellen Kontext zu erklären, sie dann aber auch mit Gottes großer Geschichte zu verknüpfen und die Verbindung zum Evangelium und zu Christus herzustellen.
So führt auch dieser Kommentar immer wieder zu dem einen wahren Helden, Jesus Christus, hin und zeigt dadurch, wie relevant das Richterbuch für uns Christen im 21. Jahrhundert ist.
Erste Eindrücke
Das Buch ist modern aufgemacht und hat ein Hardcover, welches gerade für den häufigen Gebrauch sehr angenehm ist.
Die einundzwanzig biblischen Kapitel des Richterbuches werden in dreizehn sinnvoll aufgeteilten Kommentarkapiteln behandelt. Innerhalb der Kapitel wurden Zwischenüberschriften verwendet, die den Lesefluss erleichtern. Zitierte Bibeltexte sind jeweils kursiv gedruckt, und jedes Kapitel schließt mit persönlichen Fragen zum Nachdenken ab.
Am Ende des Buches findet der Leser die Grafik „Der Richter-Kreislauf“ und eine hilfreiche tabellarische Übersicht über alle Richter.
Zum Inhalt
Keller erläutert nach und nach die Geschichte der einzelnen Richter, darunter Debora, Gideon, Jeftah und Simson. Hierbei wird deutlich, dass die Richter im Laufe des Buches immer unwürdiger werden und zunehmend versagen. Das Gleiche gilt für Israel als Volk: „Im Großen und Ganzen lesen wir eine Geschichte des Scheiterns: Israel wandte sich ständig von Gott ab – statt Gott zu erkennen, zu lieben und ihm zu gehorchen, tat jeder, ‚was recht war in seinen Augen‘“ (S. 9–10).
Deshalb könnte man das Richterbuch wohl auch mit „Die unrühmlichen Taten abstoßender Typen“ überschreiben, wie Keller es sehr treffend auf den Punkt bringt (S. 10).
Tatsächlich gilt das Buch Richter als eines der dunkelsten Bücher der Bibel. Keller stellt daher gleich am Anfang die Frage, die sicher auch manchen Bibelleser bewegt: „Warum um alles in der Welt steht das in der Bibel?!“ (S. 10). Schon hier schlägt der Autor die Brücke zum Evangelium, er erklärt auf S. 10:
„Das Buch Richter zeigt uns, dass die Bibel kein Buch der ‚Werte‘, keine Sammlung von inspirierenden Geschichten ist. Warum? Weil es in der Bibel (im Gegensatz zu den Büchern anderer Religionen) nicht um einen Moralkodex geht, den wir umsetzen sollen. Ihr Thema ist der barmherzige und langmütige Gott, der fortwährend in und durch uns wirkt – trotz unseres ständigen Widerstands gegen seine Ziele. Letztlich gibt es nur einen Helden in diesem Buch, und das ist Gott.“
Von der historischen Auslegung schlägt Keller stets die Brücke zur persönlichen Nachfolge des Lesers. Er verdeutlicht immer wieder die Größe von Gottes Gnade angesichts seines rebellischen Volkes Israel und verbindet die Texte mit dem Evangelium. Dies gelingt ihm, ohne dass man den Eindruck hat, er würde etwas in den Text hineininterpretieren.
Der Autor versteht es, die Bedeutung der damaligen Ereignisse für uns heute aufzuzeigen. Im Laufe des Buches werden unter anderem folgende Themen angesprochen:
- Wie steht es um Israels Vertrauen auf Gottes Verheißungen im verheißenen Land? Der Kontrast zwischen unserer oft halbherzigen Nachfolge und Gottes Treue wird hierbei sehr klar.
- Weil Israel die fremden Völker weiter im Land wohnen lässt, steht es in der ständigen Versuchung, deren Götter zu verehren. Ähnlich dürfen auch wir Heutige den modernen Götzen keinen Raum in unseren Herzen geben.
- Israel meint, Gott nicht nachfolgen zu können, aber Gott deckt auf: Israel will Gott nicht nachfolgen. Auch heute hört man immer wieder: „Ich kann nicht“, wenn es um Gehorsam geht. Keller gibt Hilfestellung, um diese Ausrede zu überwinden.
- Das gesamte Richterbuch entwickelt sich in der Spannung zwischen der Treue (Zuspruch) und der Heiligkeit (Anspruch) Gottes. Sie begleitet auch den Leser durch den ganzen Kommentar, und wird mit dem Kreuz und dem Evangelium aufgelöst.
- Israel sank damals immer tiefer, einzig eine Erweckung konnte dieses im Abgrund befindliche Volk noch retten. Der Leser lernt, wie Gott durch Gericht, Versklavung und Buße ein Volk erweckt und wieder zu sich zieht.
- Der Kommentar nimmt die unterschiedlichen Richter unter die Lupe. Als Leser bekommt man dabei hilfreiche (positive und negative) Eindrücke von verschiedenen Leitertypen. Insbesondere Menschen in Führungsverantwortung werden dadurch herausgefordert.
- An Gideon wird sehr eindrücklich geschildert, wie Gott schwache und kleinmütige Menschen zuerst zerbricht und dann gebraucht.
Weitere lebensrelevante Themen, die dem Leser im Laufe des Buches begegnen, sind das Streben nach Anerkennung und Ehre oder auch der Umgang mit Kritik. Auch schwierige Fragen werden beleuchtet wie z.B.
- Debora und der Dienst von Frauen
- Wer ist der Engel des Herrn?
- Warum hat Gott geboten, ein ganzes Volk (die Kanaaniter) auszurotten? Was lehrt die Bibel über einen „Heiligen Krieg“?
Fazit
Ich kann diesen Kommentar uneingeschränkt weiterempfehlen; er ist theologisch tiefgründig, ermutigend und herausfordernd. Keller besitzt die Fähigkeit, komplexe theologische Konzepte einfach und verständlich zu erklären.
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass man Keller in jeder Hinsicht zustimmen muss. Offensichtlich nicht pauschal zutreffend ist beispielsweise die Behauptung, Israel habe bei der Eroberung des Landes seine Feinde nicht ausplündern dürfen (vgl. S. 24 u. 241; vgl. aber Jos 8,2.27), durch die untermauert werden soll, dass die Landnahme kein „imperialistischer Eroberungsfeldzug“ war.
Solche kleinen Schwachstellen sind aber sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass es sich um einen allgemeinverständlichen Kommentar für jedermann handelt, der nicht zu kompliziert werden sollte. Wer also einen technischen Kommentar bevorzugt, sollte zu anderen Werken greifen.
Wer aber nach einem Kommentar sucht, in dem die dunkle und herausfordernde Richterzeit tiefgehend analysiert und ausgelegt wird, und der zugleich lebensnah und inspirierend für den heutigen Leser ist, wird begeistert sein von diesem Buch. Er findet hier nicht nur eine Auslegung des Buches Richter, sondern auch Hilfestellung für das persönliche Leben im 21. Jahrhundert.
Man wird das Buch wohl kaum am Stück durchlesen, es ist aber sehr gut dafür geeignet, es im Selbststudium oder in der Kleingruppe durchzuarbeiten. Darüber hinaus ist dieser Kommentar (wie auch die gesamte „For-You“-Reihe) ein hervorragendes Hilfsmittel für die Predigtvorbereitung.