Was lehrt die Bibel über Scheidung und Wiederheirat?
Als Carol, eine junge Ehefrau mit einem kleinen Sohn, entdeckte, dass ihr Mann eine Affäre mit einer Kollegin hatte, stellte sie ihn zur Rede. Ryan, ein Polizeibeamter, wurde wütend, fuchtelte mit seiner Dienstwaffe herum und richtete sie zunächst auf sich selbst und dann auf Carol und ihr Baby. Carol brachte sich in Sicherheit und kam eine Woche später zu uns ins Gemeindebüro.
„Muss ich in dieser Ehe bleiben?“, fragte sie. Als ihr Pastor war meine erste Sorge, zusammen mit einem Team aus der Gemeinde ihre Sicherheit zu garantieren und meine Anteilnahme zu zeigen. Aber ich stand auch in der Verantwortung, Carol eine klare Antwort auf ihre Frage zu geben. Welche Möglichkeiten zeigt die Bibel ihr auf? Nach meinem Verständnis erlaubt die Bibel in bestimmten Fällen Scheidung und Wiederheirat. Allerdings sind sich Christen in dieser Frage nicht einig. Was sind die gängigen evangelikalen Ansichten zu Scheidung und Wiederheirat – und wie sind sie biblisch zu bewerten?
Zwei Sichtweisen auf Scheidung und Wiederheirat
Als ich meinen Dienst als Pastor begann, war mir bewusst, dass sich viele Menschen scheiden lassen, aber mir war nicht klar, wie häufig Scheidung und Wiederheirat unter Christen vorkommen. Mir war auch nicht klar, wie herausfordernd und komplex diese Situationen in der Seelsorge sein können. Evangelikale vertreten in der Regel einen von zwei Ansätzen in Bezug auf Scheidung und Wiederheirat.
Einige angesehene Bibellehrer vertreten die Ansicht, dass eine Ehe nicht aufgelöst werden kann (permanence view). Viele Vertreter dieser Sichtweise meinen, dass ein Gläubiger niemals eine Scheidung einleiten darf, und alle behaupten, dass ein geschiedener Gläubiger nicht frei ist, wieder zu heiraten, solange sein oder ihr früherer Ehepartner noch lebt. Diese Bibellehrer würden zwar mit Carol mitfühlen, Verständnis zeigen und ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit anerkennen, aber in der Frage von Scheidung und Wiederheirat an dem festhalten, was die Bibel ihrer Ansicht nach klar lehrt: dass wir nicht zulassen dürfen, dass die Geschichte einer Person die biblische Lehre außer Kraft setzt.
Die Mehrheit der evangelikalen Bibellehrer (mainstream evangelical view) hingegen lehrt, dass eine Scheidung zwar immer gegen das Ideal Gottes verstößt, Gott aber Schutz und Ausnahmen für Ehepartner vorsieht, deren Partner den Ehebund auf ruchlose Weise verletzt haben (wie es auch Kapitel 24 im Bekenntnis von Westminster beschreibt).
Behandle die Ehe als hohes Gut und Scheidung als letzten Ausweg
Gott hat die Ehe als lebenslangen Bund der Gemeinschaft geschaffen (vgl. 1Mose 2,24). Das biblische Ideal ist nicht nur, dass Paare verheiratet bleiben, sondern große Freude aneinander finden (vgl. Pred 9,9). Weil Gott derjenige ist, der einen Mann und eine Frau in der Ehe zusammenführt, sollte sie geehrt und geschützt werden (vgl. Mt 19,6). Wir müssen unsere eigenen Ehen vor Untreue und Vernachlässigung schützen. Wir müssen auch die Ehen anderer respektieren, sowohl durch unser Handeln als auch durch den Rat, den wir geben.
Unbiblische Ehescheidungen sollten niemals gefördert werden. Manche Menschen sind von Gott dazu berufen, schwierige Ehen zu führen, von denen viele durch Gottes Gnade verändert werden können. Aufgrund unserer zunehmend therapeutischen Kultur und ihrer weit gefassten Definition von „Missbrauch“ ist das Pendel in unserer Zeit vom „Schutz der Ehe auf Kosten des Schutzes von Missbrauchsopfern“ zum „Schutz angeblicher Opfer auf Kosten eines unzureichenden Schutzes der Ehe“ ausgeschlagen. Infolgedessen verlassen einige unglückliche Ehepartner ihre Ehen zu leicht und lassen sich ohne biblische Grundlage scheiden. Trotzdem: Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament finden sich biblische Gründe, die eine Scheidung erlauben.
Wann erlaubt Gott Scheidung und Wiederheirat?
Das Wesen der Ehescheidung ist die Beendigung der ehelichen Pflichten. Wie 5. Mose 24,1–4 darlegt, ist die Freiheit zur Wiederheirat in dieser Beendigung impliziert und vorausgesetzt. Jesus macht zwar deutlich, dass Scheidung und Wiederheirat ohne biblische Grundlage sündhaft und ehebrecherisch sind (vgl. Mt 19,9; 1Kor 7,10–11), aber er erkennt auch an, dass diejenigen, die geschieden sind, wirklich geschieden (in Gottes Augen also nicht mehr verheiratet) sind und diejenigen, die wieder geheiratet haben, wirklich verheiratet sind.
Wenn Gott aber Ehescheidung hasst, warum erlaubt er dann Ehescheidung und Wiederheirat? Jesus erklärt es: „[W]egen der Härtigkeit eures Herzens“ (Mt 19,8). In einer gefallenen Welt werden einige Ehepartner den Bund brechen, weshalb es notwendig ist, Ehescheidung zu regulieren. Auch wenn jede Scheidung auf menschliche Sünde zurückzuführen ist, heißt das nicht, dass jeder sündigt, der sich scheiden lässt. Mein Argument wäre, dass Scheidung im Fall von Ehebruch zeigt, wie ernst Gott die Verletzung des Ehebundes nimmt. Eine Scheidung kann dem Unschuldigen Schutz bieten und eine gottgefällige Wiederheirat kann ein Segen sein. In welchen Fällen lässt die Bibel also Scheidung und Wiederheirat zu?
1. Gott erlaubt Scheidung im Fall von sexueller Sünde
Vertreter des mainstream view verweisen darauf, dass Jesus zweimal erklärt, dass Scheidung und Wiederheirat im Fall sexueller Unzucht (porneia; vgl. Mt 5,32; 19,9) erlaubt sind. Befürworter des permanence view hingegen argumentieren, dass die klarsten Texte über Ehescheidung keine Ausnahmen erwähnen (vgl. Mk 10,1–9; Lk 16,18) und es ausdrücklich heißt, dass man erst nach dem Tod des Ehepartners wieder heiraten darf (vgl. Röm 7,2–3; 1Kor 7,39). Außerdem können sie sich auf die Kirchenväter berufen, die jegliche Form von Scheidung und Wiederheirat ablehnten.
Einige Vertreter des permanence view behaupten, die Ausnahme beziehe sich auf Ehebruch während der Verlobung (vgl. Mt 1,18–19). Aber in Matthäus 19 wird Jesus nicht über den Bruch einer Verlobung befragt, sondern über verheiratete Menschen, die sich scheiden lassen und wieder heiraten (vgl. Mt 19,3–5). Diejenigen, die die Auffassung vertreten, eine Ehe sei unauflösbar, haben große Schwierigkeiten, die porneia-Ausnahme zu erklären. Für die Legitimität von Scheidung (im Falle von porneia) argumentierende Bibellehrer behaupten, dass sich die Passagen bei Markus und Lukas auf die allgemeine Regelung zum Thema Ehescheidung beziehen, es aber (wie Matthäus deutlich macht) Ausnahmen gibt. Um ein Beispiel zu gebrauchen: Ein Schild mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung stellt eine allgemeine Regel dar, aber ein zu schnell fahrender Krankenwagen verstößt nicht gegen das Gesetz. Die allgemeine Regel ist, dass die Ehe mit dem Tod des Ehepartners endet, aber es gibt Ausnahmen für die vorzeitige Beendung (Scheidung), wenn einer der Partner den Bund verletzt.
Wer an der porneia-Ausnahme festhält, muss die Art und das Ausmaß der sexuellen Sünde definieren, die einen Scheidungsgrund darstellt. Einige Fälle (wie Ehebruch und homosexuelle Handlungen) sind eindeutig, in anderen Fällen (wie bei Pornographie oder emotionalen Affären) ist Weisheit gefragt.
Meiner Ansicht nach ist Pornographie im Allgemeinen nicht so gravierend wie körperlich-physischer Ehebruch, kann aber einen Scheidungsgrund darstellen, wenn der Schuldige sich weigert, gegen diese Versuchung anzukämpfen und seinen Ehepartner vernachlässigt, oder es sich um den Konsum illegaler Kinderpornographie handelt.
Sexuelle Unmoral hebt den Ehebund nicht auf, sondern gibt dem unschuldigen Ehepartner das Recht auf Scheidung. In vielen Fällen können solche Ehen durch Reue und Vergebung gerettet oder wiederhergestellt werden.
2. Gott erlaubt Scheidung im Fall von Vernachlässigung
Paulus ermutigt zwar Gläubige, die mit Ungläubigen verheiratet sind, in ihren Ehen zu bleiben, aber er sagt auch, dass der Gläubige nicht mehr gebunden ist, wenn der Ungläubige ihn verlässt (vgl. 1Kor 7,12–16). Diese Ausnahme gilt eindeutig, wenn ein ungläubiger Ehepartner die Scheidung einleitet oder auszieht.
Ich bin auch der Meinung, dass die vorsätzliche Vernachlässigung der ehelichen Pflichten ein Scheidungsgrund sein kann. Das steht im Einklang mit 2. Mose 21,10–11, wo gelehrt wird, dass eine Frau, deren Mann seiner grundlegenden ehelichen Verantwortung nicht nachkommt, für Nahrung, Kleidung und die ehelichen Rechte zu sorgen, frei sein kann (vermutlich, um wieder zu heiraten; vgl. 1Kor 7,15.39). Wie auch in Fällen von sexueller Unmoral braucht es Weisheit, um zu erkennen, welcher Grad von Vernachlässigung einen Scheidungsgrund darstellt. Niemand von uns hat sein Ehegelübde in vollkommener Weise eingehalten.
Meiner Ansicht nach gilt die Vernachlässigungsausnahme eindeutig in Fällen vorsätzlicher, hartherziger Vernachlässigung durch einen Ungläubigen. Wenn jedoch der Partner, der seinen Ehepartner verlässt, sich zum Glauben bekennt, ist ein Prozess der Konfrontation und Gemeindezucht angemessen, um der Person Gelegenheit zu Buße und Umkehr zu geben. Idealerweise sollte die Scheidung so lange hinausgezögert werden, bis die Gemeinde beschlossen hat, den reuelosen Ehepartner als Ungläubigen zu behandeln.
3. Missbrauch (als Form von Vernachlässigung) kann ebenfalls einen Scheidungsgrund darstellen
Anstatt ihn als dritte Ausnahme zu betrachten, sollte Missbrauch in der Ehe als eine besonders abscheuliche Form ehelicher Vernachlässigung betrachtet werden. In den letzten Jahren haben viele Gemeinden ausdrücklich anerkannt, dass wir alle Formen von Unterdrückung und Zwang ernst nehmen müssen, nicht nur körperliche Gewalt. Wie bei den anderen Scheidungsgründen auch brauchen wir Unterscheidungsvermögen, um den Unterschied zwischen gewöhnlichen Ehekonflikten und Missbrauch zu erkennen.
Wir wollen niemanden dazu ermutigen, ein biblisches Gebot zu brechen. Eine schwierige Ehe zu verlassen, kann Sünde sein, so wie es auch möglich ist, durch eine Wiederheirat ehebrecherisch zu handeln. Gleichzeitig wollen wir aber auch niemanden daran hindern, den Schutz und die Freiheit zu genießen, die Gott denjenigen gewährt, deren Ehepartner den Ehebund irreparabel gebrochen haben.
Carols Fall war eindeutig. Ryan befand sich unbußfertig in einer ehebrecherischen Beziehung. Er hatte das Leben seiner Frau und seines Kindes auf missbräuchliche Weise bedroht, weil er seine Kontrolle wiedererlangen wollte. Unser Gemeindeleitungsteam zeigte Ryan bei den Behörden an (er ist nicht mehr Polizeibeamter). Die beiden ließen sich scheiden. Wir betrachteten Carol nun als junge Witwe, die von einer Wiederheirat profitieren würde (vgl. 1Tim 5,14). Nach einiger Zeit sorgte Gott für einen gottesfürchtigen Ehemann, mit dem sie eine glückliche und fruchtbare Ehe führt.