Der digitale innere Ring

Artikel von Samuel James
12. Februar 2025 — 9 Min Lesedauer

Nur wenige von uns würden ihre Zeit in der weiterführenden Schule freiwillig wiederholen. Viele assoziieren die Zeitspanne zwischen zwölf und siebzehn Jahren mit Unsicherheiten, Ängsten, Enttäuschungen und vielleicht sogar großem Leiden, das wir kein zweites Mal durchleben wollen.

Ein Teil unserer Schwierigkeiten rührte von der jugendlichen Tendenz her, alles, sogar unsere tiefsten Freuden und Erfolge, mit denen Gleichaltriger zu vergleichen. Wenn du mir ähnelst, kannst du dich sofort an Momente erinnern, in denen sich Menschen, die du für deine Freunde hieltest, von dir abgewandt haben. Oder in denen nichts, was du für die Menschen getan hast, deren Zuneigung und Freundschaft du dir sehnlichst gewünscht hast, ausreichend war. In jenen Jahren konnte der Druck, von anderen anerkannt werden zu wollen, selbst unsere glücklichsten Momente belasten.

Vor einigen Jahren las ich etwas von einem Experten, der darauf hinwies, dass es in den sozialen Medien zugehe wie in der weiterführenden Schule. Ich stimme ihm zu. Wir mögen uns zwar selbst davon überzeugen, dass wir nicht mehr dieselben cliquenorientierten, beziehungsängstlichen Menschen sind, die wir als Teenager waren. Ist es aber nicht oft so, dass wir online ähnliche Gefühle empfinden und aus ähnlichen Gründen Entscheidungen treffen?

C.S. Lewis hat folgende Beobachtung gemacht: „Von allen Leidenschaften ist die, zum ‚inneren Ring‘ zu gehören, am geschicktesten darin, einen Menschen, der noch nicht besonders schlecht ist, dazu zu bringen, Schlechtes zu tun“[1]. Lewis hatte eine eher traditionelle Vorstellung eines „Inneren Rings“: Gruppen von leiblichen Menschen, die andere Menschen in Schulen, Büros und Gemeinschaften anziehen bzw. ausschließen. Was ist aber, wenn die inneren Ringe, zu denen wir gehören wollen, digital sind?

Ich stelle die These auf, dass eine der größten Herausforderungen christlicher Treue heutzutage die Art und Weise ist, wie unsere Technologie uns dazu befähigt, ein nahezu endloses Netzwerk von inneren Ringen zu schaffen.

Ringe der Überzeugung

Menschliche Wesen sind keine autonomen Denkmaschinen. Wir sind soziale Geschöpfe, die (zumindest teilweise) entscheiden, was wir denken und wie wir in Bezug auf andere um uns herum leben wollen. Das ist keine Konsequenz des Sündenfalls, sondern schlichtweg Teil dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Die soziale Komponente des Glaubens kann sogar ein enormer Segen sein, denn der wahre Glaube anderer um uns herum kann uns inspirieren und stärken. Paulus unterweist Timotheus: „Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und was dir zur Gewissheit geworden ist, da du weißt, von wem du es gelernt hast“ (2Tim 3,14). Paulus appelliert an Timotheus, den Menschen zu vertrauen, die ihm das Evangelium als Ermutigung verkündet haben, damit er weiterhin daran glaubt.

Bei unserem eigenen Kampf im Glauben an Gottes Verheißungen ist es also gut, den Glauben derer zu betrachten, die wir kennen und denen wir vertrauen. Diese gottgefällige Nachahmung ist jedoch ganz anders als das, was oft in den sozialen Medien geschieht. Wenn wir online ständig mit den Überzeugungen eines bestimmten inneren Rings konfrontiert sind und sehen, dass dieser Ring durch „Likes“ und „Shares“ für seine Überzeugungen und Werte Vorteile erlangt, kann dies unsere Überzeugungen verändern. In diesem Fall wollen wir eigentlich nur Ruhm. Wir wollen die Aufmerksamkeit und die Bestätigung, die wir bei bestimmten Menschen sehen. Daher sind wir versucht, ihre Überzeugungen zu imitieren, in der Hoffnung, dass wir etwas von dem Ruhm abbekommen, den sie genießen.

Diese Tendenz ist nicht neu. Jesus sprach solch ein Verhalten bereits an. „Wie könnt ihr glauben,“ fragte er die Pharisäer, „die ihr Ehre voneinander nehmt und die Ehre von dem allmächtigen Gott nicht sucht?“ (Joh 5,44). Sozialer Ruhm ist bei der Suche nach Wahrheit wie Treibsand. Wenn dies schon vor zweitausend Jahren zutraf, wie viel relevanter ist es dann heute, wo die Bücher, die wir lesen, die Meinungen, die wir haben, und sogar die Menschen, die wir lieben, „Inhalte“ sind, die wir veröffentlichen können, damit wir Anerkennung bekommen?

Glaube wächst nicht isoliert von anderen. Er wächst aber auch nicht, weil er von anderen gesehen werden will. Als Jesus seine Jünger lehrte, im Verborgenen zu beten, verbot er nicht das öffentliche Gebet, sondern er verbot das Gebet um der Öffentlichkeit willen (vgl. Mt 6,1; 5,6). Die Herausforderung, der wir uns im digitalen Zeitalter stellen müssen, ist, dass die sozialen Medien in so vielen Aspekten des Lebens eingebunden sind. Es ist nicht leicht, zu erkennen, wo „Gerechtigkeit üben“ aufhört und wo „Gerechtigkeit üben, um von anderen gesehen zu werden“, beginnt.

Innere und äußere Ringe

Die zunehmende Verlagerung des Lebens ins Internet verschärft diese Versuchung in besonderer Weise. Je mehr wir online aktiv sind, desto eher neigen wir dazu, nicht nur einen privaten inneren Ring zu entwickeln – die Accounts, nach deren Aufmerksamkeit und Zustimmung wir uns am meisten sehnen – sondern auch einen äußeren Ring. Ein äußerer Ring steht für die Art von Menschen, die wir nicht mögen und denen wir nicht vertrauen. Es mag eine Gruppe von Menschen mit einer bestimmten theologischen Sichtweise sein, die wir als falsch ansehen, sodass wir auch all ihren anderen Überzeugungen misstrauisch gegenüberstehen. Es kann sich aber auch um eine Gruppe von Menschen mit einer bestimmten politischen Einstellung handeln, die sie aus unserer Sicht disqualifiziert, jemals etwas Vernünftiges zu sagen – was noch wahrscheinlicher ist.

Die Wahrheit hat Grenzen. Es gibt durchaus verdammenswerte Irrtümer (vgl. Gal 1,8). Und es gibt Zeiten und Gelegenheiten, in denen wir keinen Umgang haben sollen mit denjenigen, die Lügen lehren oder danach leben (vgl. 2Joh 10; 1Kor 5,11). In diesen biblischen Situationen ist jedoch immer eine wichtige Komponente beteiligt: die Ortsgemeinde. Sie ist eine verkörperte Gemeinschaft von Christen, die die Botschaft des Evangeliums in gutem Glauben weitergeben und die Grenzen Jesu um sie herum geltend machen.

Unsere äußeren Ringe sind jedoch in der Regel nicht durch nüchterne Urteile von echten Gemeinden geprägt, sondern durch unsere eigenen Meinungen und Vorlieben. Hinzu kommt, dass wir am Computer alle Personen, die wir nicht sehen wollen, einfach stummschalten oder blockieren können. Diese Praxis trainiert unser Gewissen darauf, Menschen im wirklichen Leben, die Dinge sagen oder machen, mit denen wir nicht einverstanden sind, instinktiv abzulehnen. Je mehr wir in diese digitale Liturgie eindringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir unsere äußeren Ringe in der realen Welt an merkwürdigen Stellen platzieren, die mehr von Fragen zweiter und dritter Ordnung (oder vielleicht sogar von schlichter Abneigung) beeinflusst werden als von Fragen erster Ordnung. Dies entspricht nicht den Absichten Jesu für sein Volk.

Gott sieht uns

In unserer hypertransparenten Welt, die uns dazu einlädt, alles, was wir sind und tun, zu veröffentlichen, dient die Einladung Jesu, mit ihm im Verborgenen zu kommunizieren, sowohl als nicht verhandelbares Gebot als auch als lebensspendende Atempause.

Ständige Leistung ist anstrengend. Unsere digitalen inneren Ringe feiern uns zwar einen Moment lang, aber ihr Lob ist nur von kurzer Dauer. Nach einiger Zeit werden wir unruhig, bis sie ein weiteres Mal ihre Anerkennung bekräftigen. Wir sind es leid, unsere äußeren Ringe aufrechtzuerhalten, und hoffen, dass wir nie in die Augen der Menschen schauen müssen, die wir digital meiden. Unter allen Branchen hat der Kauf und Verkauf von Ruhm die höchste Burnout-Rate.

Jesus hat das Gegenmittel. Ob wir dazu beitragen, die physischen Bedürfnisse der anderen zu stillen oder die geistigen Bedürfnisse unseres eigenen Herzens, Jesus lenkt unsere Aufmerksamkeit nicht auf die coolen Kinder, die zuschauen, sondern auf den Vater, „der ins Verborgene sieht“ (Mt 6,4). Der digitale innere Ring zieht uns dann am meisten an, wenn wir Gottes Augen am wenigsten auf unserem Leben spüren. Für manche von uns fühlt sich der digitale innere Ring wie eine Möglichkeit an, unser kleines und dunkles Leben größer erscheinen zu lassen. Der Erfolg in den sozialen Medien kann sich wie das Leben anfühlen, das wir nie gelebt haben. Das ist aber nur deshalb der Fall, weil wir den vergessen haben, in dessen Gegenwart wir jeden Tag leben.

Das Paradoxe an den digitalen inneren Ringen ist, dass, wenn sie sehen könnten, wer wir wirklich sind, uns die Teile, die wir bewusst nicht online veröffentlichen wollen, wahrscheinlich in den äußeren Ring drängen würden. Gott sieht alles von uns. Er sieht jeden bösen Gedanken, jedes harte Wort, jeden ungeduldigen Moment, jede beschämende egoistische Handlung. Er sieht ins Verborgene. Trotzdem lädt er uns ein, ganz alleine in ein kleines Zimmer mit ihm zu kommen und dort unser nach Ruhm strebendes Herz vor ihm auszuschütten. Anstatt uns stummzuschalten, bietet er sich selbst als Belohnung.

Freunde statt Follower

Lewis schloss seinen Beitrag über den inneren Ring mit dem Versprechen an seine jungen Hörer, dass sie etwas noch Besseres fänden, wenn sie der Versuchung widerstehen würden, Menschen zu benutzen, um Ruhm zu erlangen, und stattdessen die Gemeinschaft um ihrer selbst willen genießen würden:

„Und wenn Sie in Ihrer Freizeit nur mit solchen Menschen zusammenkommen, die Sie mögen, werden Sie wiederum feststellen, daß Sie ganz unversehens wirklich drinnen sind. Sie werden sich sicher und behaglich in einem Kreis wiederfinden, der von außen einem ‚inneren Ring‘ zum Verwechseln ähnlich sieht. Der Unterschied ist nur, daß sein Geheimnis in der Zufälligkeit liegt und seine Exklusivität ein Nebenprodukt ist. … Das ist Freundschaft. Aristoteles zählte sie zu den Tugenden. Ihr verdanken wir vielleicht die Hälfte allen Glücks auf dieser Welt – und sie ist in keinem ‚inneren Ring‘ zu finden.“[2]

Du solltest dir in einer Welt der digitalen inneren Ringe echte Freunde suchen, keine Online-Follower. Lass dich von den Christen in deiner Gemeinde, die nicht so sind wie du, herausfordern und anspornen, anstatt deine eigene private Liste von Stimmen zu erstellen, die du befürwortest. Am wichtigsten ist: Strebe nach Freundschaft mit dem Freund der Sünder, der niemanden ausschließt, der zu ihm kommt.


1 C.S. Lewis, „Der innere Ring“, S. 29–40 in: C.S. Lewis, Der innere Ring – und andere Essays, 2. Taschenbuchaufl., Basel und Gießen: Brunnen, 1992, S. 38.

2 Ebd., S. 40.