
Der toxische Kampf gegen Männlichkeit
Die kulturelle Krise der Männlichkeit
Pearcey zeichnet die Geschichte der Männlichkeit in der westlichen Kultur nach. Sie beginnt mit der Kolonialzeit, in der Männer und Frauen gemeinsam für Haushalt und Familie arbeiteten, und zeigt, wie die Industrialisierung Männer aus dem familiären Kontext entfernte. Die zunehmende Trennung zwischen Arbeitswelt und Zuhause führte zu einer Schwächung der männlichen Rolle als Ehemann und Vater.
Die Autorin beschreibt, wie säkulare Ideologien – etwa die Vorstellung des „darwinistischen Mannes“ als gewalttätig und egoistisch – zu einem negativen Männerbild beitrugen. Diese kulturelle Degradierung hat Männer nicht nur von ihrer Verantwortung entfremdet, sondern auch zu Unsicherheit und Identitätskrisen geführt. Pearcey zeigt jedoch, dass diese Entwicklungen nicht nur die USA betreffen, sondern auch Europa durch Filme und Social Media beeinflussen.
Biblische Heilsgeschichte als Gegenentwurf
Pearcey stellt die biblische Schöpfungsordnung als Alternative zur säkularen Sicht auf Männlichkeit vor. Sie argumentiert, dass Männer und Frauen gemeinsam berufen sind, Gottes Schöpfung zu verwalten und zu gestalten. Das sogenannte Kulturmandat umfasst alle kreativen Tätigkeiten, von der Arbeit bis zur Familiengründung, und hebt die Gleichwertigkeit der Geschlechter hervor. Der Sündenfall habe diese Harmonie zerstört, was zu Unterdrückung und Ausbeutung der Frau führte. Pearcey betont jedoch, dass das Evangelium Heilung und Erneuerung für die Beziehung zwischen Mann und Frau bietet. Sie plädiert für eine „gegenseitige Unterordnung“ in der Ehe, die Liebe, Respekt und Verantwortung miteinander verbindet.
Praktische Ansätze zur Heilung der Geschlechterbeziehungen
Ein besonders eindrucksvoller Abschnitt des Buches widmet sich konkreten Schritten, wie Männer ihre Rolle neu definieren können. Pearcey fordert eine Neustrukturierung der Arbeitswelt, die beiden Elternteilen ermöglicht, sich gleichermaßen um Familie und Beruf zu kümmern. Sie schlägt vor, Homeoffice und kleine Familienunternehmen zu fördern, um die Trennung zwischen Arbeit und Zuhause zu überwinden.
Darüber hinaus spricht sie sich für eine stärkere Einbindung von Männern in die Erziehungsarbeit aus. Dies erfordere sowohl die Überwindung von Egoismus als auch die bewusste Entscheidung, Verantwortung für die Familie zu übernehmen. Ein weiterer Aspekt ist die Notwendigkeit von Männergruppen in der christlichen Gemeinde, die echte Gemeinschaft und geistliches Wachstum fördern.
Der erlöste Mann
Pearcey beschreibt, wie das Evangelium Männern eine neue Identität verleiht. Sie zeigt anhand von Beispielen, wie Männer in südamerikanischen Gemeinden ihre Familien stärken, indem sie sich selbstlos für ihre Ehefrauen und Kinder einsetzen. Die Bibel betont Gegenseitigkeit und gegenseitige Verantwortung in der Ehe, was ein radikaler Kontrast zu patriarchalen oder säkularen Modellen ist. Ein besonderer Fokus liegt auf der Rolle der Vaterschaft. Pearcey zitiert neurowissenschaftliche Studien, die zeigen, dass Männer biologisch darauf ausgelegt sind, enge Bindungen zu ihren Kindern aufzubauen. Diese Erkenntnisse unterstützen ihre These, dass Männlichkeit und Familie untrennbar miteinander verbunden sind.
Potenzielle Unausgewogenheit: Funktionaler Egalitarismus
Ein Schwachpunkt in Pearceys Betrachtung ist ihre Interpretation von männlicher Führung und weiblicher Unterordnung. Sie definiert „Haupt“ (kephale) als „Quelle“ und stützt diese Ansicht auf ein einzelnes Zitat von Athanasius (S. 90, Fn 26), was eine egalitäre Lesart begünstigt. Männliche Führung beschreibt sie nicht als Herrschaft, sondern nur als Verantwortung, während sie zugleich die Autorität der Frau im Haushalt betont. Dadurch könnte sie einem „funktionalen“ Egalitarismus Vorschub leisten, der das aktuelle gesellschaftliche Ideal widerspiegelt. Praktisch kann dies dazu führen, dass männliche Eigenschaften wie körperliche Stärke, Unnachgiebigkeit oder Wettbewerbstrieb, die – durch die Kraft eines von Christus erneuerten Lebens – als Schutz in Familie und Gemeinde wirken könnten, in den Hintergrund geraten.[1]
Persönliche Reflexion und Beurteilung
Das Buch hat mich tief berührt, nicht zuletzt wegen seiner thematischen Nähe zu meinen eigenen Herausforderungen. Als Vater in der Lebensmitte habe ich mich oft gefragt, wie ich sowohl die Realität meines Scheiterns akzeptieren als auch neue Hoffnung schöpfen kann. Pearceys Ansatz, Männlichkeit aus einer heilsgeschichtlichen Perspektive zu betrachten, gibt mir Orientierung und Trost.
Besonders wertvoll fand ich die praktischen Vorschläge zur Veränderung der Arbeitswelt und zur Förderung gesunder Familienstrukturen. Die Betonung der gegenseitigen Verantwortung in der Ehe und die Rolle der Gemeinde als Unterstützungsnetzwerk sprechen wichtige Themen an, die in vielen Kirchen noch zu wenig Beachtung finden.
Gleichzeitig war es herausfordernd, mich durch einige der historischen Abschnitte zu arbeiten, die stark auf die USA fokussiert sind. Manche Leser könnten sich fragen, wie relevant diese Details für den europäischen Kontext sind. Dennoch sind die übergreifenden Prinzipien universell anwendbar und bieten auch hierzulande wertvolle Einsichten.
Fazit
Nancy Pearcey gelingt es, das komplexe Thema Männlichkeit mit Tiefgang und Praxisnähe zu behandeln. Ihr Buch verbindet persönliche Erfahrungen, biblische Theologie und wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer eindringlichen Analyse, die Männern und Frauen gleichermaßen Orientierung bietet.
Besonders empfehlenswert ist das Buch für Männer, die bereit sind, sich mit ihrer Identität und Verantwortung auseinanderzusetzen, aber auch für Ehepaare, Gemeinden und Seelsorger. Es ist kein leichtes Buch, aber ein lohnendes, das Klischees hinterfragt und neue Perspektiven eröffnet. Ob sich die „gegenseitige Unterordnung“, von der Pearcey spricht, exegetisch geradlinig begründen lässt, kann man hinterfragen.[2] Ihre praktischen Schlussfolgerungen lassen sich aber unabhängig von der Exegese dieser Bibelstelle ziehen.
Das Buch ist allen zu empfehlen, die den Mut haben, sich den Herausforderungen von Männlichkeit und Beziehung zu stellen – und Hoffnung suchen.
Buch
Nancy Pearcey, Der toxische Kampf gegen Männlichkeit. Wie das Christentum die Geschlechter versöhnt, Augustdorf: Betanien Verlag, 2024, 488 Seiten, 21,90 €.
1 Siehe dazu: Zacharay Garris, „The Leaven of Egalitarianism“, American Reformer, 10.10.2023, online unter: https://americanreformer.org/2023/10/the-leaven-of-egalitarianism/ (Stand: 28.01.2025) und Eikon. A Journal for Biblical Anthropology 6/2, 2024, online unter: https://cbmw.org/wp-content/uploads/2024/11/Eikon_Issue_6.2_interior_digital_Print_Final_Art_compressed-1.pdf (Stand: 28.01.2025).
2 O’Brien schreibt z.B.: „On grounds of semantics, syntax, and the flow of Paul’s argument we prefer the latter interpretation. The apostle is not speaking of mutual submission in the sense of a reciprocal subordination, but submission to those who are in authority over them.“ O’Brien, Peter Thomas, The letter to the Ephesians, The Pillar New Testament Commentary, Grand Rapids, MI: W.B. Eerdmans Publishing Co., 1999.