Das regulative Prinzip für den Gottesdienst

Artikel von Derek Thomas
2. Januar 2025 — 11 Min Lesedauer

Was ist das regulative Prinzip in Bezug auf den Gottesdienst? Vereinfacht ausgedrückt besagt das regulative Prinzip, dass die gemeinsame Anbetung Gottes, also der gemeinsame Gottesdienst, auf bestimmten Anweisungen der Heiligen Schrift beruhen muss. Oder anders gesagt: Nichts sollte in den Gottesdienst eingebracht werden, was nicht ausdrücklich durch das Wort Gottes gerechtfertigt ist.

Nur um das klarzustellen: Das ganze Leben ist ein Gottesdienst, bei dem wir Gott anbeten – ob beim Angeln, beim Golfspielen, beim Frühstück oder beim Autofahren. Paulus macht das sehr deutlich:

„Ich ermahne euch nun, ihr Brüder, angesichts der Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber darbringt als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer: Das sei euer vernünftiger Gottesdienst! Und passt euch nicht diesem Weltlauf an, sondern lasst euch [in eurem Wesen] verwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist.“ (Röm 12,1–2)

Deshalb wird von einigen behauptet, dass es keine besonderen Regeln für den gemeinsamen Gottesdienst gibt. Alles sei Gottesdienst. Dabei werden jedoch einige sehr wichtige Aspekte außer Acht gelassen. Es gibt sehr wohl ein regulatives Prinzip (eine Reihe allgemeiner Regeln) für das, was wir als „ganzheitliche Anbetung“ oder auch „Leben als Gottesdienst“ bezeichnen könnten. Alles, was wir tun, muss Gottes Ehre zum Ziel haben. „Ob ihr nun esst oder trinkt oder sonst etwas tut — tut alles zur Ehre Gottes!“ (1Kor 10,31). Man könnte dies als ein allgemeines regulatives Prinzip bezeichnen. Aber gibt es eine spezifischere Anwendung dieses Grundsatzes für den gemeinsamen Gottesdienst? Die Reformatoren (insbesondere Johannes Calvin) und die Puritaner beantworteten diese Frage mit einem Ja. Gott legt besonderen Wert darauf, wie wir ihn in unseren gemeinsamen Zusammenkünften anbeten.

Eine typische Formulierung für diese Sichtweise findet sich bei Calvin: „Gott missbilligt alle Arten der Anbetung, die nicht ausdrücklich von seinem Wort gebilligt werden.“ Das Baptistische Bekenntnis von 1689 drückt es so aus:

„Dabei ist die angemessene Art und Weise, in welcher der wahre Gott verehrt werden soll, von ihm selbst festgesetzt worden und durch seinen eigenen geoffenbarten Willen derart gebunden, dass er nicht nach den Vorstellungen und Einfällen von Menschen oder gemäß den Anregungen Satans durch irgendwelche sichtbaren Darstellungen oder auf irgendeine sonstige Weise, die nicht in der Heiligen Schrift angeordnet ist, verehrt werden darf.“

Die Westminstersynode

Als die Westminstersynode zusammentrat, bestand ihre Hauptaufgabe darin, genau diese Frage zu beantworten. Schon bald begann sie, sich auch mit anderen Themen zu befassen, doch anfangs stand die Frage des Gottesdienstes im Vordergrund. Später wurde das Directory for the Public Worship of God veröffentlicht. Der Begriff Directory (dt. „Leitfaden“) ist an sich schon wichtig; es handelt sich nicht um eine Liturgie, wie es beispielsweise die Anglikaner mit dem Book of Common Prayer hatten. Sie waren sich darüber im Klaren, dass der Leitfaden auf eine ganz andere Weise funktionierte.

Das erste Kapitel des Westminster Bekenntnisses handelt von der Heiligen Schrift. Das drückt aus, dass wir, bevor wir etwas über Gott oder die Menschheit oder die Sünde oder die Kirche oder den Gottesdienst sagen können, eine Grundlage der Autorität brauchen. Und diese einzige Autorität ist das Wort Gottes. Die gesamte Heilige Schrift ist gottgehaucht (vgl. 2Tim 3,16–17). Die Menschen sprachen so, wie der Heilige Geist sie trieb (vgl. 2Petr 1,21). In der Tradition von Westminster beginnen wir also mit der Heiligen Schrift.

In diesem Eröffnungskapitel über die Heilige Schrift als Grundlage aller Erkenntnis findet sich das regulative Prinzip:

„Der ganze Ratschluss Gottes in Bezug auf alles, was zu seiner eigenen Ehre und zum Heil, zum Glauben und zum Leben des Menschen nötig ist, ist entweder in der Schrift ausdrücklich niedergelegt oder kann durch gute und notwendige Schlussfolgerungen aus der Schrift hergeleitet werden. Zu ihr darf zu keiner Zeit etwas hinzugefügt werden, sei es durch neue Offenbarungen des Geistes oder durch menschliche Traditionen. Trotzdem anerkennen wir, dass die innere Erleuchtung des Geistes Gottes zum heilschaffenden Verständnis solcher Dinge, die im Wort geoffenbart sind, notwendig ist, und dass es einige Umstände bezüglich des Gottesdienstes und der Kirchenleitung gibt, die allen menschlichen Handlungen und Gesellschaften gemeinsam sind, die durch das Licht der Natur und christliche Klugheit nach den allgemeinen Regeln des Wortes, die stets beachtet werden müssen, geordnet werden müssen.“ (WB 1.6)

Hier geht es darum, dass die Heilige Schrift bestimmte Grundsätze zu zwei bestimmten Themen festlegt: die Form der Kirchenleitung und der Gottesdienst. Das gleiche Prinzip findet sich im Kapitel über den Gottesdienst wieder:

„Das Licht der Natur zeigt, dass es einen Gott gibt, der Gewalt und Herrschaft über alles hat, der gut ist und allen Gutes tut, der deshalb zu fürchten, zu lieben, zu preisen und anzurufen ist, und dem man vertrauen und von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller Kraft dienen muss. Aber die wohlgefällige Art der Verehrung des wahren Gottes ist von ihm selbst festgesetzt und durch seinen eigenen geoffenbarten Willen so eingegrenzt worden, dass er nicht nach den Einbildungen und Betrügereien der Menschen oder nach den Eingebungen Satans oder unter irgendeiner sichtbaren Darstellung oder auf irgendeine andere Art und Weise verehrt werden darf, die nicht in der Heiligen Schrift vorgeschrieben ist.“ (WB 21.1)

Der Punkt ist dieser: Die Schrift (d.h. Gott selbst, denn die Schrift ist Gottes Wort) schreibt vor, wie wir Gott anbeten sollen. Der Begriff „vorschreiben“ impliziert Autorität. Wenn du in die Apotheke gehst und ein Medikament benötigst, das nicht frei verkäuflich ist, brauchst du ein Rezept.

Und warum hielten die Westminster-Väter (die Theologen, die sich auf der Westminstersynode versammelten) dies für so wichtig? Die Antwort darauf findet sich im vorherigen Kapitel des Bekenntnisses, das wohl als das wichtigste Kapitel angesehen werden kann und in einem ganz besonderen Kontext des 17. Jahrhunderts steht – dem Kapitel über die Gewissensfreiheit. Sie enthält diese äußerst wichtige Aussage:

„Gott allein ist Herr des Gewissens und hat es von den menschlichen Lehren und Geboten frei gemacht, die in Sachen des Glaubens und Gottesdienstes in irgendetwas seinem Wort entgegenstehen oder darüber hinausgehen.“

Auf einer bestimmten Handlung im Gottesdienst zu bestehen, die die Heilige Schrift nicht ausdrücklich gebietet, ist eine Verletzung der Gewissensfreiheit. Das war im 17. Jahrhundert von höchster Relevanz. Für die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise war dies ein wichtiges Thema. Die Gewissensfreiheit war die einzige Garantie der Religionsfreiheit.

Die Westminstersynode wurde einberufen, nachdem der König (und die Kirche von England) versucht hatten, Schottland eine bestimmte Art des Gottesdienstes aufzuerlegen. Und einige der Schotten waren damit nicht einverstanden. Da ist zum Beispiel die denkwürdige Geschichte von Jenny Geddes. 1637 versuchte Karl I., der schottischen Nation ein Gebetbuch im englischen Stil aufzuzwingen. Die Legende besagt, dass als Dekan James Hannay begann, daraus vorzulesen, eine Frau namens Jenny Geddes den Klapphocker, auf dem sie gesessen hatte, gegen seinen Kopf schleuderte und rief: „Sag mir nicht die Messe ins Ohr!“

Die Auferlegung von religiösen Ritualen und Zeremonien, die keine ausdrückliche biblische Unterstützung haben, ist ein Verstoß gegen das Gewissen.

Biblische Legitimation

Wo lehrt die Bibel das regulative Prinzip? An mehr Stellen, als man denkt, einschließlich der sich wiederholenden Vorschrift in 2. Mose in Bezug auf den Bau der Stiftshütte, dass alles „nach dem Vorbild ... das dir ... gezeigt worden ist“ (2Mose 25,40), geschehen soll. Hinzu kommt das Urteil über Kains Opfer, das darauf hindeutet, dass sein Opfer (oder sein Herz) den Anforderungen Gottes nicht genügte (vgl. 1Mose 4,3–8); das erste und zweite Gebot, die zeigen, wie wichtig Gott die rechte Anbetung ist (vgl. 2Mose 20,2–6); der Vorfall mit dem goldenen Kalb, der lehrt, dass die Anbetung nicht nur nach den eigenen Werten und dem eigenen Geschmack erfolgen darf, und die Geschichte von Nadab und Abihu und dem „fremden Feuer“ (3Mose 10). Außerdem Gottes Ablehnung von Sauls nicht vorgeschriebener Anbetung, wo Gott sagte: „Gehorsam ist besser als Schlachtopfer“ (1Sam 15,22), und Jesu Ablehnung der pharisäischen Anbetung nach der „Überlieferung“ (Mt 15,1–14). All diese Stellen deuten darauf hin, dass Gottesdienste, die anders als nach den Werten und Prinzipien der Heiligen Schrift ablaufen, abzulehnen sind.

Von besonderer Bedeutung sind die Reaktionen des Paulus auf die fehlerhaften Gottesdienste in Kolossä und Korinth. An einer Stelle bezeichnet Paulus den öffentlichen Gottesdienst in Kolossä als ethelothrskia (Kol 2,23), was mit „selbst gewähltem Gottesdienst“ übersetzt werden kann. Die Kolosser hatten Elemente eingeführt, die eindeutig inakzeptabel waren, auch wenn sie möglicherweise eine Legitiamtion durch Engel für ihre Handlungen geltend machten (vgl. Kol 2,18).

Wahrscheinlich finden wir im korinthischen Gebrauch (bzw. Missbrauch) von Sprachenrede und Prophetie den deutlichsten Hinweis auf die Bereitschaft des Apostels, den gemeinsamen Gottesdienst zu „regulieren“. Er regelt sowohl die Anzahl als auch die Reihenfolge des Gebrauchs der geistlichen Gaben in einer Weise, die nicht für das ganze Leben gilt: Es darf keine Sprachenrede ohne einen Ausleger praktiziert werden (vgl. 1Kor 14,27–28), und nur zwei oder drei Propheten dürfen nacheinander sprechen (vgl. 1Kor 14,29–32). Die Anweisung des Paulus an die Korinther verdeutlicht, dass der gemeinsame Gottesdienst geregelt werden muss, und zwar in einer Weise, die sich von dem unterscheidet, was für das gesamte Leben gilt.

Das Ergebnis? Bestimmte Elemente des Gottesdienstes werden hervorgehoben, nämlich …

  • das Lesen der Bibel (vgl. 1Tim 4,13).
  • das Predigen der Bibel (vgl. 2Tim 4,2).
  • das Singen der Bibel (vgl. Eph 5,19; Kol 3,16) – die Psalmen sowie andere Lieder aus der Heiligen Schrift, welche die Entwicklung der Erlösungsgeschichte in der Geburt, dem Leben, dem Tod, der Auferstehung und der Himmelfahrt Jesu widerspiegeln.
  • das Beten der Bibel – das Haus des Vaters ist ein „Bethaus“ (Mt 21,13).
  • die Bibel in den beiden Sakramenten der Kirche – der Taufe und dem Abendmahl – zu sehen, was Augustinus als „sichtbares Wort“ bezeichnete (vgl. Mt 28,19; Apg 2,38–39; 1Kor 11,23–26; Kol 2,11–12). Darüber hinaus wurden auch gelegentliche Elemente wie Eide, Gelübde, öffentliches Fasten und Dankfeste anerkannt und hervorgehoben (vgl. WB 21.5).

Und das war’s!

Es ist wichtig zu erkennen, dass das regulative Prinzip, wenn es auf den öffentlichen Gottesdienst angewandt wird, die Kirche von unangemessenen und idiotischen Handlungen befreit.

Das regulative Prinzip ist genau das – ein Prinzip. Es beantwortet nicht jede einzelne Frage, die man ihm stellen kann. Und deshalb verpflichtet es die Kirche nicht zu einer liturgischen Gleichförmigkeit. Innerhalb der Einhaltung des Prinzips gibt es einen beträchtlichen Spielraum für Variationen – in Angelegenheiten, die die Schrift nicht ausdrücklich angesprochen hat (adiaphora). So kann das regulative Prinzip als solches nicht herangezogen werden, um zu bestimmen, ob zeitgenössische oder traditionelle Lieder verwendet werden, ob drei Verse oder drei Kapitel der Heiligen Schrift gelesen werden, ob ein langes Gebet oder mehrere kurze Gebete gesprochen werden oder ob ein einziger Kelch oder mehrere Kelche mit echtem Wein oder Traubensaft beim Abendmahl verwendet werden. Bei all diesen Fragen muss der Grundsatz „Lasst alles anständig und ordentlich zugehen!“ (1Kor 14,40) gelten.

Manche wenden das regulative Prinzip an, um einen Gottesdienst zu gestalten, der liturgisch „umfangreicher“ ist als andere. Das schottische und irische Presbyterianismus folgte beispielsweise dem liturgischen Muster der Puritaner und ist daher liturgisch „schlichter“.

Wenn jedoch jemand vorschlägt, dass Tanz oder Theater ein zulässiger Bestandteil des öffentlichen Gottesdienstes sind, muss die Frage gestellt werden, wo die biblische Rechtfertigung dafür liegt. Die Behauptung, ein Prediger, der sich auf der Kanzel bewegt oder seine Stimme „dramatisch“ einsetzt, sei auch eine Art Theater im obigen Sinne, ist eine Verharmlosung der Debatte. Die Tatsache, dass beides „ordentlich“ sein kann, ist umstritten und nebensächlich, denn für beides gibt es nicht den geringsten biblischen Beleg, geschweige denn einen Auftrag. Es ist also überflüssig, mit der Poesie der Psalmen oder dem Beispiel Davids zu argumentieren, der vor der Bundeslade tanzt (in unbekleidetem Zustand!), es sei denn, man ist bereit, alle anerkannten Regeln der Bibelauslegung aufzugeben. Es ist eine hilfreiche Tatsache, dass es im Tempel kein Amt eines „Choreographen“ oder „Regisseurs“ gab. Der Umstand, dass sowohl Tanz als auch Schauspiel eine legitime Beschäftigung für Christen sind, spielt an dieser Stelle keine Rolle.

Ohne das regulative Prinzip sind wir der Willkür von Lobpreisleitern und tyrannischen Pastoren ausgeliefert, die Christen verurteilen, wenn diese den Gottesdienst nicht auf eine bestimmte Art Weise feiern. Zu gehorchen, wenn es sich um ein ausdrückliches Gebot Gottes handelt, ist wahre Freiheit; alles andere ist Knechtschaft und Gesetzlichkeit.