Wir sehnen uns nach einem König
Weihnachten verzaubert die westliche Welt noch immer.
Obwohl der Säkularismus sich radikal in der Gesellschaft ausgebreitet hat und unsere Welt immer gottloser wird, machen wir aus Weihnachten noch eine ziemlich große Sache. Das ist geradezu ein Wunder.
Zugegeben, unsere Zeit tut ihr Bestes, um Weihnachten zu entweihen. Sie versucht, Christus loszuwerden. Und das restliche Jahr arbeitet sie daran, ihr Vertrauen auf andere Messias-Gestalten zu setzen.
Von den offensichtlichen praktischen und kommerziellen Zwängen mal abgesehen, lässt der Weihnachtszauber uns Menschen trotzdem nicht los. So sehr auch versucht wird, dieses christliche Fest von allem Christlichen zu befreien – eine geheimnisvolle Sehnsucht in den Tiefen der menschlichen Seele hält auch sonst völlig weltlich Gesinnte nicht davon ab, diese besondere Zeit des Jahres irgendwie zu feiern. Weihnachten hält sich hartnäckig.
Was steckt dahinter? So sehr wir auch versuchen, diese Sehnsucht zu unterdrücken: Wir alle kennen die Sehnsucht nach einem Messias. Wir sind für Weihnachten geschaffen.
Unsere Hoffnung auf einen Messias
Ob in Ost oder West, Nord oder Süd, ob in der Moderne oder Vormoderne, wir Menschen sehnen uns nach wahrer Leitung, nach einem gütigen Herrscher, einem König, der in sich alles verkörpert und ist, was wir brauchen – eine einzigartige, greifbare, persönliche Lösung für alles, was uns bedrückt. Das heißt, Gott hat uns für sich selbst erschaffen. Doch nicht nur das, er hat uns für sich selbst in seiner Menschwerdung geschaffen.
Bevor Gott, der Vater, die Welt durch ihn erschuf, setzte er seinen göttlichen Sohn zum Erben über alles ein (vgl. Hebr 1,2). Er schuf die Welt im Hinblick auf den kommenden König – sein ewiges fleischgewordenes Wort. Die Welt sollte ihn erwarten und die menschliche Seele nach dieser einzigartigen und persönlichen Hoffnung suchen und streben.
Gewiss, unsere Herzensfabrik produziert nicht nur das Verlangen nach einem Messias, sondern auch nach allerlei Götzen. Der größte unter ihnen, besonders in unserer heutigen Zeit, ist die Vergötterung des eigenen Ichs. In unserem Innersten finden wir nicht nur die Sehnsucht nach einem Messias, sondern durch die Sünde beeinflusst suchen wir wie am Fließband nach Gelegenheiten, unser eigener Herr zu sein. Unsere Hoffnung kämpft also gegen den Kern der Sünde und die Spuren, die sie hinterlassen hat. Aber die Hoffnung bleibt. Die Geschichte der Menschheit erzählt von einer Messias-Gestalt nach der anderen, die in ihrer Jugend die geheimnisvolle Hoffnung und den Traum eines Volkes verkörpert, nur um ausnahmslos ihre Fehler und Grenzen mit der Zeit immer mehr aufgedeckt zu bekommen.
Zerbrochene Kronen und geplatzte Träume
Jahrhundertelang richtete Gottes erstgeborenes Bundesvolk diese menschlichen Sehnsüchte auf die Verheißung des „Samens der Frau“, eines „Nachkommen Abrahams“ und eines „Propheten wie Moses“, und schließlich auf die volle Entfaltung dessen: auf einen „Messias“, der größere Nachkomme des großen Davids, der höchste Gesalbte. Dieser König würde als Gottes Sohn das Volk regieren, es als Gottes Arm zu seinem Wohl anführen und über die Feinde herrschen, um die Seinen zu schützen.
Nur einen weiteren David zu haben, war für manche ausreichend. Aber die Propheten wussten es besser. David selbst hatte ihre Hoffnung und den Traum von einem Messias nicht erfüllt. Auch sein Sohn Salomo nicht. Ein König nach dem anderen stieg in seiner Jugend auf den Thron, beflügelt von der messianischen Hoffnung des Volkes. Und einer nach dem anderen ließ diese Träume platzen – manche (wie Ahab oder Manasse) auf schändliche Weise.
Aber die Antwort auf einen bösen König wie Manasse lag nicht darin, in die Zeit der Richter zurückzukehren, wo das Volk noch keinen König hatte und jeder tat, was recht war in seinen Augen (vgl. Ri 17,6; 18,1; 19,1; 21,25). Nein, die Lösung war ein wahrer und gerechter König, stark und mutig genug, um die Feinde zu besiegen, und sanftmütig und gütig genug, um sein Volk als Hirte zu leiten. Genau der König, nach dem wir uns an Weihnachten sehnen.
Worauf sich die Hoffnung richtet
Ihre Hoffnung auf einen Messias war – wie auch die unsere – von mindestens drei ganz konkreten Sehnsüchten geprägt.
Die Sehnsucht nach einem Retter
Zur Zeit Davids sehnte sich das Volk nach Befreiung von den Philistern. Drei Jahrhunderte später war Jesajas größte Sehnsucht die Rettung von den Assyrern. Und zwei weitere Jahrhunderte später war Jeremias sehnlichster Wunsch, aus Babylon zurückzukehren.
Zur Zeit Jesu sehnten sich die Juden nach Befreiung von der Herrschaft der Römer, wie ihre Vorfahren es bei den Ägyptern getan hatten. Aber darunter verborgen lag eine noch viel größere Unterdrückung und Sklaverei – die der Sünde. Östlich von Eden war die ursprüngliche Sehnsucht nach einem Messias, wie er in 1. Mose 3,15 angekündigt worden war, noch nicht von menschlichen Versuchen, eine eigene Lösung zu finden, ausgelöscht worden. Gott hatte ein Versprechen gegeben und deshalb erwartete sein Volk den Nachkommen einer Frau. Er sollte den Kopf der Schlange zertreten, auch wenn diese ihm dabei in die Ferse stechen würde.
„Er kam nicht, um von uns regiert zu werden. Er kam, um ein Volk zu gewinnen, zu beschützen und zu besitzen, ein Volk, das darüber jubelt, von ihm regiert zu werden.“
Die Sehnsucht nach einem Messias, insbesondere die weihnachtliche, räumt mit unserer Ablenkung durch die Politik auf. Sie hofft auf Rettung vor einem Feind, der viel zerstörerischer ist als Ägypten, Babylon oder Rom: „[D]u sollst ihm den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden“ (Mt 1,21, Hervorhebung hinzugefügt). Die Welt richtet ihre messianische Hoffnung auf Politiker, Sportler und Milliardäre aus. Doch wir müssen von mehr erlöst werden als von unserer Langeweile oder jenen Leuten, die politisch anders ticken als wir. Weihnachten offenbart eine viel tiefergreifendere Erlösung, nämlich die von unserer Sünde, die uns unter den gerechten, allmächtigen Zorn Gottes stellt. An Weihnachten kam der Messias, um uns davon zu befreien (vgl. Gal 3,13; Röm 3,25; 1Joh 4,10).
Die Sehnsucht nach einem Retter, den man respektieren kann
Wir wollen Erlösung, die wollen wir wirklich. Aber irgendwas in uns kann sich nicht damit zufriedengeben, Erlösung zu empfangen und dann fröhlich weiter unseres Weges zu ziehen. Wir wollen auch jemanden, den wir bewundern können – ein Vorbild. Wir sehnen uns nach einem vorbildlichen Menschen, von dem wir lernen und den wir nachahmen können, aber auch nach einem, der uns weit überragt und unserer Anbetung würdig ist. Wir sehnen uns nach einem Hirten, den wir schätzen und nicht nur ertragen. Wir wollen jemanden, der nicht nur einen guten Job macht und von dessen Handeln wir profitieren, sondern über den wir uns als Person freuen und dessen Charakter wir bewundern können.
Wir möchten einen König, auf den wir stolz sein können, im heiligsten Sinne des Wortes. Einen König, der unsere Treue verdient. Einer, für den wir uns nicht schämen müssen, sondern der Lob in uns entfacht. Einen, der uns, wie C.S. Lewis einst bemerkte, zusätzlich das Glück schenkt, den zu loben, der uns Freude bereitet, „weil der Lobpreis die Freude nicht nur ausdrückt, sondern vervollständigt“ (C.S. Lewis, Das Gespräch mit Gott, 2024, S. 106).
Zu Weihnachten empfangen wir den einen Messias, dessen Werke und Charaktereigenschaften fehlerlos sind. Er ist ein Messias, der uns niemals blamieren wird. Einer, der selbst vollkommener Mensch und Gott zugleich ist, würdig unserer Anbetung und demütigen Nachahmung. Einer, den wir heute respektieren können, ohne es morgen oder jemals bereuen zu müssen.
Die Sehnsucht nach einem Retter, der regiert
Ein letzter Aspekt unserer Sehnsucht nach einem Messias mag heutzutage für einige befremdlich klingen: Wir sehnen uns danach, regiert zu werden. Die Sehnsucht nach einem Messias – nach einem alleinigen, persönlichen Retter für alles, was uns bedrückt – beinhaltet nicht nur die Hoffnung auf Rettung und auf jemanden, den wir aufrichtig respektieren können, sondern auch auf jemanden, der uns regiert. Was sollte ein König sonst tun?
An Weihnachten feiern wir das Kommen des Königs, der erwählter Erbe aller Dinge ist. Dazu wurde er schon berufen, bevor Gott die Welt durch ihn erschuf. Und wir erinnern uns nicht nur, dass auf diesen neugeborenen König, den wir anbeten, von Geburt an die Hoffnung auf einen Messias gerichtet wurde. Wir erinnern uns auch, dass er aufwuchs und ein Mann wurde, der sich selbst als Lösegeld für viele hingab und siegreich auferstand. Und wir erinnern uns daran, dass er unsere messianischen Erwartungen nicht enttäuschte, als er das Leben führte, das Gott für ihn bestimmt hatte.
Tatsächlich ist er der einzige König der Weltgeschichte, der diese Erwartungen erfüllt und sogar übertroffen hat. Endlich, nach Jahrhunderten der hingehaltenen Hoffnung, kam Christus (vgl. Spr 13,12). Der Neugeborene wuchs heran und wurde zu dem König, der sein Volk rettet. Zu einem König, der würdig ist, von ihnen respektiert zu werden und der jetzt über alle Nationen regiert. Sein Volk, bestehend aus allen Nationen, sind jene, die seine Königsherrschaft jubelnd annehmen.
Nehmen wir seine Königsherrschaft an?
Eine Frage, die wir uns also an diesem Weihnachtsfest stellen könnten, lautet: Heiße ich seine Herrschaft wirklich willkommen? Oder lehne ich seine Herrschaft ab? Hat ein weiteres Jahr unter dem Einfluss der Welt in mir tiefere Muster der Sehnsucht nach Selbstbestimmung verankert?
Sein eigener Herr sein zu wollen, bedeutet, den Messias abzulehnen. Er kam nicht, um von uns regiert zu werden. Er kam, um ein Volk zu gewinnen, zu beschützen und zu besitzen, ein Volk, das darüber jubelt, von ihm regiert zu werden. Das heißt, ihm zu gehören. Nicht nur, ihn als Erlöser und Schatz zu haben, sondern sein Eigentum zu sein, als frohe Untertanen des großen Königs und Herrn, der gut und mild zu uns ist (vgl. 1Petr 2,18).
Die Freude, unserem König zu gehören
Diejenigen, die er rettet, sind „die vielen“, die übersprudeln vor Respekt für ihn und sich bereitwillig seiner Königsherrschaft unterordnen. Es sind jene, die sagen: „Was für eine Freude, ihm zu gehören, sein Volk zu sein – und nicht nur sein Volk, sondern sogar seine Braut!“
„Als Christen wissen wir: Christus ist gekommen.“
Wir sehnen uns nicht nur danach, dem wahren und guten König untertan zu sein, einer unter vielen, sondern wir wollen ihm auch irgendwie nahe sein, ihn nicht nur flüchtig kennen. Wir wollen sogar von ihm erkannt und geliebt werden. Wir sehnen uns danach, nicht nur zu den Untertanen des Königs zu gehören, sondern zu seiner Braut, der Gemeinde.
Wir können es noch so sehr unterdrücken, aber wir sehnen uns danach, von dem guten und sanften Herrscher regiert zu werden, und unser schmerzhaft kurzes Leben in der Welt sinnvoll zu nutzen, indem wir uns seiner Mission und der Erweiterung seines Königreichs anschließen.
Weihnachten verzaubert uns noch immer. Als Christen wissen wir: Christus ist gekommen. Schon jetzt ist unser Messias erschienen, er gehört uns und, viel wichtiger, wir gehören ihm. Und er wird wiederkommen.