Du bist mein Fels
Ein Andachtsbuch über die Psalmen mit einer Begrenzung auf eine Seite pro Psalm zu schreiben, ist schon eine Herausforderung für sich. Doch genau das hat Dane Ortlund getan. Unter allen Büchern der Bibel gehören die Psalmen zu denen, über die es am schwierigsten ist, einen Konsens zu erzielen. Ein Ausleger kann zu einer völlig anderen Lesart gelangen als ein anderer Ausleger. Die Überschneidungen bei der Interpretation der Psalmen zwischen den einzelnen Auslegern sind im Allgemeinen sehr gering.
Dennoch ist es Ortlund in seinem Buch Du bist mein Fels: In 150 Andachten durch die Psalmen gelungen, die wesentliche Kernaussage jedes Psalms herauszuarbeiten.
Die Psalmen als Gebete
Der Autor des Buches möchte uns darauf aufmerksam machen, dass die Psalmen vor allem Gebete sind. Die Psalmen als Gebete zu lesen, ist kein selbstverständlicher Ansatz. Die Unterteilung der Psalmen in fünf Bücher, die den fünf Büchern Moses ähneln, sowie die Platzierung von Psalm 1, dem Tora-Psalm, als Einleitung werden jemanden dazu bringen, die Psalmen als Tora oder als Lebensanweisungen zu lesen. Betrachtet man die Psalmen aus der Perspektive der Weisheitstheologie, können die Psalmen als eine gegensätzliche alternative Lebensweise zwischen dem Leben der Gerechten und dem Leben der Gottlosen angesehen werden (vgl. Psalm 1). Liest man die Psalmen jedoch als Gebete, so versteht man sie als das geschenkte Wort Gottes, mit dem man Gott danken und loben, oder auch bei ihm klagen kann. Vielleicht wie Calvin, der in der Genfer Gottesdienstordnung von 1542 schreibt: „Wir werden keine besseren und geeigneteren Lieder finden als die Psalmen Davids … Wenn wir sie singen, so sind wir sicher, dass Gott uns die Worte in den Mund legt, als ob er selbst in uns sänge, um seine Ehre zu erhöhen“, möchte Ortlund die Einzigartigkeit der Psalmen als Gottes Wort geschrieben an Gott selbst hervorheben.
Die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle
Nicht nur ein einseitiges Gefühl, sondern „die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle“ (S. 5) wird in den Psalmen ehrlich ausgedrückt, sowohl Gefühle der Freude als auch Gefühle der Trauer. Um wieder an die reformatorische Sicht anzuknüpfen, lesen wir bei Luthers Vorrede zum Psalter (1528):
„Denn ein menschliches Herz ist wie ein Schiff auf einem wilden Meer, das die Sturmwinde aus den vier Himmelsrichtungen der Welt hin und her treiben. Hier gibt es Furcht und Sorge vor zukünftigem Unglück, dort fährt Grämen mit und Traurigkeit aus gegenwärtigem Übel. Hier weht Hoffnung und Vermessenheit aus zukünftigem Glück, dort bläst Sicherheit und Freude an gegenwärtigen Gütern.“
In Anlehnung an Luther versteht Ortlund die Psalmen als Worte des Dankes und des Lobes, aber auch der Entmutigung und der Verzweiflung. Durch die Betonung der vielfältigen menschlichen Gefühle erreicht das Buch Relevanz für uns heute, da unsere jüngere Generation unter anderem großen Wert auf emotionales Wohlbefinden legt. Die Psalmen beschreiben, wie die verschiedenen Gefühle eines Gläubigen authentisch und transparent zum Ausdruck gebracht werden können.
Christologische Auslegung
In einer typisch klassischen evangelischen Auslegung folgt Ortlund der reformatorisch-christozentrischen Lesart der Psalmen. Jesus selbst sagte, dass es die Schriften sind, die von ihm zeugen (vgl. Joh 5,39; Lk 24,27). Dieser christozentrische Ansatz hindert uns daran, das Buch der Psalmen nur als inspirierende Worte zu verstehen, sondern in erster Linie als eine Ermutigung des Herzens, Jesus tiefer zu lieben, denn in der wahren christlichen Religion geht es um eine persönliche Liebesbeziehung zu Jesus. So wird beispielsweise die Lust am Gesetz des Herrn (vgl. Ps 1) mit der Glückseligkeit verbunden, die man empfindet, wenn man das sanfte Joch Jesu auf sich nimmt (vgl. Mt 11,29). Mit einem Verweis auf Hebräer 2,6–8 erinnert der Autor daran, dass Christus die perfekte Verkörperung der in Psalm 8 beschriebenen Menschheit ist (S. 26). Über Psalm 23 schreibt er, dass „Jesus Christus durch das finstere Tal des Todesschattens gegangen ist“ (S. 63). Sogar die Andacht des letzten Psalms endet mit: „In seinem Sohn Jesus Christus hat er so konkret und eindeutig wie nur möglich erwiesen, dass er unser Hirte, Freund und Erlöser ist“ (S. 408).
Die Beziehung zu Gott pflegen
Laut dem Autor besteht der Zweck des Buches darin, „die Beziehung zu Gott inmitten all der Höhen und Tiefen des täglichen Lebens in dieser gefallenen Welt zu pflegen“ (S. 5). Hier liegt ein gewisser theologischer Realismus vor, da das Leben eines Christen im Kontext der gefallenen Welt beschrieben wird. Es geht nicht darum, sich in einem besseren Lebenszustand zu befinden; es geht vielmehr darum, in einer tieferen Beziehung zu Gott zu sein, durch alle möglichen Umstände hindurch, durch die Höhen und Tiefen des Lebens.
„Die feste Beziehung zu Gott dient uns nicht nur als unerschütterlicher Anker in den Stürmen der See, sondern auch als Angelpunkt der Sehnsucht unseres Herzens und damit auch als Grundlage für unser geistliches Wachstum.“
In den Höhen des Lebens stärken wir unsere Beziehung zu Gott durch Lobpreis und Danksagung; in den Tiefen durch Klagen und Weinen. „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen, Angst und Not sind der Christen Tränenbrot, die das Zeichen Jesu tragen.“ Jedoch: „Sei getreu, alle Pein wird doch nur ein Kleines sein. Nach dem Regen blüht der Segen, alles Wetter geht vorbei“ (J.S. Bach, Kantate BWV 12). So könnte man die Wandlungsprozesse der Gläubigen im Buch der Psalmen beschreiben. Die feste Beziehung zu Gott dient uns nicht nur als unerschütterlicher Anker in den Stürmen der See, sondern auch als Angelpunkt der Sehnsucht unseres Herzens und damit auch als Grundlage für unser geistliches Wachstum.
Schwachstellen?
Trotz aller Schönheit des Buches müssen wir einige Schwächen erwähnen. Die einzelnen Andachten sind in ihrer Länge relativ ähnlich, wohingegen die Länge der Psalmen doch sehr unterschiedlich ist. Beispielsweise wird Psalm 117 auf einer Seite behandelt, während der viel längere Psalm 119 nur auf eineinviertel Seiten besprochen wird. Selbst diesem längsten Psalm widmet Ortlund nur einen kurzen Gedanken. Der Leser soll sich mit weniger als zwei Seiten begnügen, in denen insgesamt 176 Verse aus Psalm 119 kommentiert werden. Eine solche Behandlung wird dem Reichtum dieses Tora-Psalms sicherlich nicht gerecht.
Fazit
Insgesamt eignet sich das Buch gut zur täglichen Meditation. Gelegentlich stellt Ortlund dem Leser Fragen zum Nachdenken und Anwenden, sodass das Buch zum weiterführenden Studieren anregt. Darüber hinaus entspringen die Andachten sicherlich einem starken seelsorgerlichen Geist und Herzen. Ortlund ist Hauptpastor der Presbyterian Church in Naperville. Wer eine tiefergehende Erklärung der Psalmen erwartet, sollte sich lieber mit Psalmenauslegungen befassen. Das Lesen der Psalmen im Licht des Neuen Testaments ist jedoch eine Stärke des reformatorischen Ansatzes in diesem Buch, sodass dem Leser eine gesamtbiblische Theologie vermittelt wird.
Buch
Dane Ortlund, Du bist mein Fels: In 150 Andachten durch die Psalmen, Bad Oeynhausen: Verbum Medien, 2024, 412 Seiten, 24,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.