Coming Out
Wenn von einem Coming-out die Rede ist, dann denken wir häufig an die woke Szene, die sich immer mehr und möglichst schrill in der Öffentlichkeit zu einem Lebensstil bekennt, der das konservative Weltbild auf den Kopf stellt. In diesem kleinen Büchlein im Taschenbuchformat mit rund 120 Leseseiten erfolgt das Coming-out in die andere Richtung. Der Herausgeber Gerrit Alberts lässt dazu vier Männer und zwei Frauen zu Wort kommen, die früher oder später in ihrem Leben feststellten, dass sie homosexuell empfinden. So unterschiedlich ihre Geschichten teilweise sind, ist ihnen aber gemeinsam, dass sie unter dieser Neigung gelitten haben. Gerade diese Gruppe von Menschen möchte das Buch ansprechen. Im Vorwort schreibt Gerrit Alberts:
„Wahrscheinlich entscheidet sich die Mehrheit der Menschen in unserer Kultur, die sich sexuell vom gleichen Geschlecht angezogen fühlen, ihre Neigung als normal anzusehen und sie auszuleben. Ein erheblicher Anteil fühlt sich jedoch unwohl mit der homosexuellen Orientierung und will keine ‚Identität‘ als ‚schwul‘ annehmen und so leben … Vertreter dieser Minderheit kommen in diesem Buch zu Wort … Sie schreiben über Verletzungen, die sie erlitten und anderen zufügten, ihre Enttäuschungen und Hoffnungen, ihre Irrwege und zielführenden Erfahrungen. Es handelt sich um zwei Frauen und vier Männer. Skeptiker mögen ihnen unterstellen, ihre Veränderung von homo- zur heterosexuellen Orientierung wäre nicht von Dauer. Sie alle berichten jedoch über ihre Erfahrungen im Abstand von mehreren Jahren, teilweise von Jahrzehnten. Zwei von ihnen schreiben unter einem Pseudonym. Fünf Autoren veröffentlichten bereits ähnliche Beiträge in anderen Printmedien und im Internet. Fünf leben heute in einer (heterosexuellen) Ehe, eine Frau lebt als Single.“ (S. 9–10)
Die Betroffenen wünschten sich einen Ausweg – und fanden ihn schließlich durch den Glauben an Jesus Christus. Darin ist die Motivation der Herausgeber zu finden, wie es im Vorwort weiter heißt:
„Die Autoren dieses Buches eint der Standpunkt, dass nicht die Homosexualität ihre wahre Bestimmung ausmacht. Sie haben Erfüllung in ihrer Beziehung zu Gott gefunden … Dieses Buch ist jenen gewidmet, die sich unsicher sind, wie sie ihre homosexuellen oder bisexuellen Gefühle beurteilen sollen, und die im Wirrwarr der heutigen Meinungen Orientierung suchen … Unser wichtigstes Anliegen ist, zu bezeugen, dass Jesus Christus lebt.“ (S. 10)
Die Herausgeber wollen mit dieser Veröffentlichung jedoch nicht schwarz-weiß malen und behaupten keinesfalls, dass es ein leichter Gang sei für den, der einen Ausweg aus seiner Homosexualität sucht. Sie sind sich auch bewusst, dass es keine Automatismen gibt: „Wir kennen Christen, bei denen sich trotz ihrer Hinwendung zu Gott die homophile Neigung nicht verändert hat, wohl aber ihre Haltung zum schwulen Lebensstil und das Verständnis vom Kern ihres Wesens. Wir möchten nicht, dass sie sich durch die Ausführungen dieses Buches herabgesetzt oder angegriffen fühlen. Zu dieser Fragestellung empfehlen wir das Buch von Sam Allberry ‚Ist Gott homophob?‘“ (S. 11).
Sechs Lebensberichte
Die drei kürzeren Lebensberichte von Jörg, Astrid und Johann umfassen jeweils etwa zehn Seiten und sind bereits erschienen in: J. Hesse (Hrsg.), Gott kann verändern: Drei Lebensberichte über die Neuausrichtung der Sexualität, Walsrode: Gemeindehilfsbund, 2020. Der etwa acht Seiten lange Bericht von Sebastian erschien in einer ausführlicheren Version in: S. Weber, Ist Veränderung möglich? Erfahrungen eines ehemaligen Homosexuellen, Bielefeld: CLV, 2. Auflage, 2019. Der längste Bericht von Carina erschien ebenfalls ausführlicher bereits in: W. Bühne (Hrsg.), Das Glück der Verlorenen, Bielefeld: CLV, 5. Auflage, 2024. Einzig bei der Geschichte von Björn steht kein Verweis auf eine vorherige Veröffentlichung. Wer also schon eines oder mehrere der erwähnten Publikationen gelesen hat, könnte die Doppelspurigkeit bemängeln bzw. etwas enttäuscht sein – zumal die Ersterscheinungen aus jüngerer Zeit stammen und gemäß den angefügten Literaturempfehlungen noch erhältlich sind.
„Die Betroffenen wünschten sich einen Ausweg – und fanden ihn schließlich durch den Glauben an Jesus Christus.“
Das gilt auch für die zwei nützlichen und wertvollen Kapitel zum Schluss von Johann Hesse, wo er auf die umstrittenen Fragen eingeht – zum einen „Wie entsteht Homosexualität?“ und zum anderen „Ist Homosexualität veränderbar?“ , die ebenso in Hesses Publikation erschienen sind.
Wie entsteht Homosexualität?
Hesse fasst knapp und verständlich die gängigen Meinungen zusammen und stellt sie dem biblischen Befund gegenüber. Im ersten Kapitel mit der Frage, wie Homosexualität entsteht, erwähnt er zuerst die Theorie des „Schwulen-Gens“ und dann nur kurz die ähnlich gelagerte Theorie, „dass vorgeburtliche Hormone einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung homosexueller Anziehung ausüben“ (S. 105). Mit Verweis auf die entsprechenden wissenschaftlichen Studien, u.a. auch auf die Zwillingsforschung, zieht Hesse das nüchterne Fazit, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse bisher keine Belege zur Bestätigung dieser beiden Theorien liefern.
In einem dritten Abschnitt greift Hesse noch den entwicklungspsychologischen Ansatz auf und schreibt dazu:
„Ein entwicklungspsychologischer Ansatz ist sehr viel besser geeignet, die Entstehung homosexueller Anziehung zu erklären. Hier liegt der Blickwinkel nicht auf der Genetik oder dem Hormonspiegel, sondern auf der Persönlichkeitsentwicklung, dem Umfeld und den Umständen, unter denen ein Kind heranwächst. Zu diesen Umständen gehören auch bestimmte Probleme innerhalb der familiären Beziehungen während der Kleinkindphase, sexueller Missbrauch, Gefühle der Minderwertigkeit und des Nicht-Dazugehörens gegenüber gleichgeschlechtlichen Gleichaltrigen und aus dem allen folgend Verunsicherungen in der eigenen männlichen oder weiblichen Identität.“ (S. 106)
Beim Lesen der Lebensberichte fällt auf, dass es genau diese Themenfelder sind, welche mehr oder weniger bei den Betroffenen eine prägende Rolle spielen. In der längeren Geschichte von Carina wird zudem deutlich, dass es auch den Aspekt der Verführung gibt. Carina nimmt sich selbst nicht als homosexuell empfindend wahr, sondern sie rutscht in ihrer Not und Suche nach Geborgenheit in eine lesbische Beziehung hinein: „Und so geschah es, dass ich eine Beziehung zu Carmen zwar nicht suchte, sie aber dennoch zuließ“ (S. 83).
Im vierten Abschnitt leitet Hesse dann zu einer biblischen Betrachtungsweise über. Die entwicklungspsychologische Sicht ist bis zu einem gewissen Grad durchaus hilfreich, aber Hesse erkennt auch die Grenzen dieses Ansatzes: „Während die Psychologie zum Beispiel durch entwicklungspsychologische Erkenntnisse helfen kann, die Entstehung der Homosexualität auf individueller Basis, also im persönlichen Leben eines Menschen, zu erklären und mögliche Wege der Veränderung aufzuzeigen, so stellt die Bibel das komplexe Phänomen der Homosexualität in den noch größeren Zusammenhang der Heilsgeschichte Gottes mit der Menschheit“ (S. 110).
Ist Homosexualität veränderbar?
Im Schlusskapitel mit der Frage, ob Homosexualität veränderbar sei, verweist Hesse nochmals auf die Tatsache, dass auch (säkulare) Psychologen aufgrund ihrer Arbeit und Erfahrung davon ausgehen, dass dies bei einem größeren Teil möglich ist, wenn die Betroffenen selbst eine Veränderung wünschen. Dann wirft Hesse nochmals einen Blick in die Bibel (u.a. auf 1Kor 6,9–11), um darzulegen, dass aus Gottes Sicht das Festhalten an einem homosexuellen Lebensstil keine Option ist.
„Sündhafte Lebensmuster – auch beim Thema Homosexualität – sind veränderbar.“
Wichtig aber ist bei diesem Thema der Hinweis: „Praktizierte Homosexualität steht an dieser Stelle des ersten Korintherbriefs gleichrangig in einer Reihe mit vielen weiteren Sünden, die sämtlich zum Ausschluss aus dem Reich Gottes führen. Zum einen wird dadurch deutlich, dass praktizierte Homosexualität nur eine von vielen Sünden ist und somit auch nicht besonders betont werden sollte. Zum anderen wird aber auch deutlich, dass praktizierte Homosexualität niemals verharmlost oder von christlichen Gemeinden bestätigt, gesegnet oder gar der Ehe gleichgestellt werden darf“ (S. 117).
Hesse bleibt am Schluss nicht bloß dabei stehen, dass praktizierte Homosexualität wie auch andere Sünden zu unterlassen ist, sondern schließt seine Ausführungen mit der festen Überzeugung und der biblisch begründeten Hoffnung, dass sündhafte Lebensmuster – auch beim Thema Homosexualität – veränderbar sind. Er verweist auf die Ethik von Helmut Burkhardt, der in diesem Zusammenhang zu 1. Korinther 6,11 schreibt: „Bemerkenswert aber ist, dass Paulus hinzufügt: ‚Solche sind etliche von euch gewesen, aber ihr seid abgewaschen, geheiligt, gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus‘ (V. 11). Paulus rechnet also mit der Veränderbarkeit solcher Lebensweise“ (S. 118).
Die Veränderung geschieht nicht so sehr aus eigener Kraft, sondern durch Gottes gnädiges Wirken in der Auferstehungsmacht von Jesus Christus. So lautet Hesses trostvolles Schlussvotum: „Weil Jesus Christus lebt, sind wir der Macht sexueller Anziehung, Bindung und Orientierung nicht länger hilflos ausgeliefert. Jesus ist stärker! Weil Jesus lebt, ist Veränderung möglich“ (S. 120).
Für wen eignet sich das Buch?
Die Lebensberichte der sechs betroffenen Männer und Frauen sowie die Ausführungen von Johann Hesse in den beiden Schlusskapiteln können nicht nur denen Mut machen, die sich eine Veränderung für sich selbst wünschen. Sie sind auch für jene nützlich und ermutigend, die Menschen begleiten, die darunter leiden, dass sie homosexuell empfinden.
„Die Veränderung geschieht nicht so sehr aus eigener Kraft, sondern durch Gottes gnädiges Wirken in der Auferstehungsmacht von Jesus Christus.“
Wer also die Geschichten und Ausführungen aus den früheren Publikationen noch nicht kennt, hat mit diesem kurz gehaltenen, leicht lesbaren und äußerst kostengünstigen Büchlein gewiss ein brauchbares und ermutigendes Zeugnis zur Hand.
Buch
Gerrit Alberts, Coming out: Unser Weg aus der Homosexualität, Bielefeld/Walsrode: CLV/Gemeindehilfsbund, 2024, 128 Seiten, 2,90 EUR.