Spurgeons Definition einer gesunden Gemeinde
1860 hielt Spurgeon vor der Londoner Missionsgesellschaft einen Vortrag, in dem er seinen Wunsch nach einer erfolgreichen Missionsarbeit ausdrückte. Sein Vortrag trug die Überschrift: „Peace at Home, and Prosperity Abroad“ (dt. „Frieden im Inland und Gedeihen im Ausland“). Für Spurgeon waren gesunde Ortsgemeinden zu Hause der Ausgangspunkt einer erfolgreichen Missionsarbeit im Ausland. Er stellte die Frage: „Was macht eine gesunde Gemeinde vor Ort aus?“ Seine Antwort lautete:
- Ein Leben in Heiligung (Bekehrung), das durch andere Gemeindemitglieder geprüft und bestätigt wird
- Die Reinheit des Evangeliums (reine Lehre)
- Gemeinschaft der Erlösten (Einheit)
- Anhaltender Eifer (gute Werke)
- Beständigkeit im Gebet[1]
Er hätte vielleicht noch vier oder sechs weitere Aspekte hinzufügen können, aber diese fünf Merkmale sind sicherlich ein guter Ausgangspunkt für die gesunde Entwicklung einer Ortsgemeinde.
1. Ein Leben in Heiligung (Bekehrung), das durch andere Gemeindemitglieder geprüft und bestätigt wird
Spurgeon war überzeugt, dass Gläubige sich „von der Welt absondern sollten“ und dass wir „in Heiligung, und nur in Heiligung allein“ bestehen können. Wie kann sich eine Gemeinde von der Welt absondern und heilig sein?
Bekehrung: Dieses Thema durchzieht die Predigten von Spurgeon. An anderer Stelle sagte er: „Eine unheilige, nicht wiedergeborene Gemeinde kann niemals eine Säule der Wahrheit sein. Eine Gemeinde, in der echte Gottesfurcht fehlt und ein demütiger Wandel mit Gott nicht mehr wichtig ist, wird nicht lange eine gesunde Gemeinde Gottes bleiben können.“[2] Er betonte auch: „Wenn wir in unsere Gemeinde unbekehrte Menschen aufnehmen, wächst zwar die Mitgliedszahl, unsere tatsächliche Kraft nimmt aber ab.“
Echter Erfolg drückte sich für Spurgeon nicht allein in Zahlen, sondern auch „in der Lebenskraft, Gesundheit und Gottesfurcht jedes Einzelnen“ aus. Er wusste, dass unbekehrte Einzelne Auswirkungen auf die ganze Gemeinde hatten.
Diejenigen, die heute versucht sind, Prinzipien biblischer Gemeindezugehörigkeit zugunsten von wachsenden Mitgliederzahlen aufzugeben, sollten die Warnung Spurgeons ernst nehmen: „Wir haben die Welt nicht auf unser Niveau gehoben, wir sind auf ihres hinabgestiegen. Wir haben die Welt nicht bezwungen, wir haben einfach nur vor ihr kapituliert … Wir haben die reine Braut Christi dazu gebracht, Unzucht mit der Welt zu treiben.“
Wie können Gemeinden sicherstellen, dass ihre Mitglieder echte Christen sind?
Für Spurgeon war die Antwort auf diese Frage einfach: sorgfältige Prüfung der Mitglieder. Er predigte: „Wir können gar nicht zu streng sein bei der Prüfung derjenigen, die in die Gemeinde aufgenommen werden wollen.“
Spurgeon versuchte, in Fragen der Gemeindemitgliedschaft die Sanftmütigkeit Christi und die Liebe des Heiligen Geistes mit einer strengen Bestimmtheit zu verbinden. Das heißt, dass Gemeinden sich die größte Mühe geben sollten, „mit vorsichtiger Umsicht die Reinheit der Nachfolge zu erhalten“. Wir nehmen die Bekehrung ernst und wachen über sie, wenn wir „uns aktiv bei der Aufnahme oder Zurückstellung potentieller Gemeindemitglieder in der sichtbaren Ortsgemeinde einbringen“.
„Spurgeon versuchte, in Fragen der Gemeindemitgliedschaft die Sanftmütigkeit Christi und die Liebe des Heiligen Geistes mit einer strengen Bestimmtheit zu verbinden.“
Außerdem sollten Gemeindeleiter sich die größte Mühe geben, ihre Gemeindemitglieder regelmäßig zu prüfen. Er beendete diese Ausführung mit den folgenden Worten:
„Möge Gott jedem Einzelnen von uns Gemeindeleitern diese unablässige Aufmerksamkeit und Wachsamkeit schenken, die uns dazu befähigt, die Wölfe in Schafsgewändern zu erkennen und denjenigen, die uns um Aufnahme und Gemeinschaft bitten, aber nicht ausreichend zeigen können, dass sie wirklich zur Familie Gottes gehören, ruhig und streng, aber trotzdem liebevoll antworten: ,Du musst warten, bis der Geist Gottes dein Herz berührt, denn solange du den lebendigen Glauben an Jesus Christus nicht empfangen hast, können wir dich nicht in den Reihen seiner Nachfolger aufnehmen‘“.
2. Die Reinheit des Evangeliums (reine Lehre)
Wird das Evangelium treu gepredigt? Wird die reine Lehre bestätigt und hochgehalten? Wenn nicht, dann besteht die Gefahr, dass sich eine Gemeinde auf dem Weg zum Abgrund befindet, statt immer mehr an geistlicher Gesundheit zuzunehmen. Spurgeon sagte: „Ach! Wenn die Lehre einer Gemeinde verdorben ist, wird sie den Glauben nicht halten können; und wenn eine Gemeinde diesen Zustand erreicht, ist der nächste Schritt unvorhersehbar.“ Spurgeon hielt an dieser Überzeugung in allen seinen Predigten fest. In einer anderen Predigt sagte er: „Eine gesunde Gemeinde zerstört die Irrlehre und reißt das Böse entzwei.“[3]
Spurgeon war ein unbeirrter Verteidiger der Wahrheit. Trotzdem versuchte er, auch wohlwollend zu sein, und strebte Einheit in den wichtigen Punkten des Glaubens an. Er führte die Diskussion zwischen Calvinisten und Arminianern als Beispiel an:
„Sein Ziel beim Predigen über gesunde Ortsgemeinden bestand darin, seine Zuhörer auf grundlegende, lebenswichtige Wahrheiten auszurichten, anhand derer die Lehre einer Gemeinde geprüft werden konnte.“
„Ich bin bereit, diese Fragen wohlwollend zu prüfen und zuzugeben, dass sich die meisten Diskussionen zwischen Arminianern und Calvinisten nicht um zentrale Glaubenswahrheiten drehen, sondern vielmehr um Begriffe, mit denen diese zentralen Glaubenswahrheiten ausgedrückt werden sollen … Als ich von dem Konflikt zwischen Mr. Whitefield, dem großen Mann, der die Wände mit seiner Stimme zum Erzittern brachte, und jenem anderen großen Mann, Mr. Wesley, der seinerzeit ebenfalls sehr brauchbar war für Gott, las, hatte ich den Eindruck, dass sie beide um dieselben Wahrheiten rangen und dass der Grund für diese Meinungsverschiedenheit nicht in der fehlenden Gottesfurcht der beiden lag.“
Diese Worte mögen zunächst verwundern, denn an anderer Stelle äußert sich Spurgeon sehr deutlich zugunsten des Calvinismus. Es ist schließlich derselbe Spurgeon, der den Calvinismus als „geistliches Schwarzbrot, das einen Mann dazu befähigt, im Dienst und in der geistlichen Arbeit nicht aufzugeben und weiterzumachen“[4] ansah und glaubte, dass „der Calvinismus einem zehntausend Gründe mehr zur Hoffnung bietet als ein Prediger der Arminianer“.[5] Wir sollten nicht vergessen, dass der Mann, der an dieser Stelle für Wohlwollen plädierte, derselbe Mann ist, der an anderer Stelle sagte: „Ich bin der Meinung, dass es unmöglich ist, den gekreuzigten Christus zu predigen, ohne den heutzutage sogenannten Calvinismus zu predigen. Eigentlich handelt es sich dabei nur um ein Ersatzwort – Calvinismus ist nichts anderes als das Evangelium. Ich glaube, es ist unmöglich, das Evangelium zu predigen, ohne Rechtfertigung aus Glauben ohne Werke, ohne die Souveränität Gottes bei seiner Gnadenerweisung, ohne Betonung der erwählenden, unveränderlichen, ewigen, beständigen, gewinnenden Liebe Jehovas zu predigen. Ich glaube auch nicht, dass es möglich ist, das Evangelium zu predigen, wenn wir es nicht auf der besonderen und gezielten Erlösung seiner Auserwählten gründen, die Christus am Kreuz für sie erwirkt hat. Ich kann ein Evangelium nicht verstehen, welches es für möglich hält, dass die Heiligen nach ihrer Berufung abfallen und Kinder Gottes im Feuer der Verdammnis brennen können, nachdem sie einst an Jesus Christus geglaubt haben. Solch ein Evangelium verabscheue ich.“[6]
Sein Ziel beim Predigen über gesunde Ortsgemeinden bestand darin, seine Zuhörer auf grundlegende, lebenswichtige Wahrheiten auszurichten, anhand derer die Lehre einer Gemeinde geprüft werden konnte. Er sagte: „Ich behaupte, dass ein beständiges Festhalten an den grundlegenden Lehren der göttlichen Wahrheit nötig ist und vorhanden sein muss, wenn unsere Gemeinden gesund sein sollen.“ Fehlende Einheit, wenn es um die Wahrheit geht, ist „ein klarer Beweis dafür, dass sich der Leib der Gemeinde in einem ungesunden Zustand befindet“. Spurgeon forderte nachdrücklich eine Einheit in Fragen der gesunden Lehre, während er gleichzeitig kühn verteidigte, was er als Wahrheit erkannte.
Seine Haltung kommt in den folgenden Worten wahrscheinlich am besten zum Ausdruck: „Meine Brüder, sollte es jemals dazu kommen, dass die Gottheit Jesu oder der Heilige Geist als Person infrage gestellt werden; sollte es dazu kommen, dass Begriffe der Heiligen Schrift auf eine Weise verwendet werden, die dem entgegensteht, was sie seit jeher bezeugt hat; sollte es dazu kommen, dass die uns überlieferte Erkenntnis über die göttliche Gerechtigkeit und das große Sühneopfer, welche die Grundlage des ganzen Evangeliums sind, entstellt und zerstört wird; dann meine Brüder, ist die Zeit gekommen, das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Wir müssen gegen jeden kämpfen, der diese kostbaren, lebenswichtigen Wahrheiten angreift, die das Herzstück unseres Glaubens ausmachen – wenn nötig, bis zum Tod.“
Spurgeon betonte die Einheit des Leibes, jedoch wandte er sich gegen eine oberflächliche Einheit. Seiner Ansicht nach ist Einheit in einer gesunden Gemeinde nur auf der Grundlage reiner Lehre möglich.
3. Gemeinschaft der Erlösten (Einheit)
Als drittes Merkmal einer gesunden Gemeinde sah Spurgeon die Einheit – vor allem unter den Dienern, die das Evangelium verkündigen. In einer Zeit von vielen Spaltungen ist dies ein wertvoller Hinweis. Er stellte fest: „Wenn der Fuß und die Hand eines Körpers untereinander verfeindet sind, befindet sich dieser Körper in einem Zustand des Wahnsinns; eine solche Zerrissenheit kann nicht das Ergebnis eines klaren Verstandes sein.“ Und an anderer Stelle bemerkte er: „Sollte unter uns noch etwas von dem Geist der Spaltung übrig geblieben sein; sollten wir bereit sein, Brüder auszuschließen und den Kontakt zu ihnen abzubrechen, nur weil sie mit uns nicht in allen geistlichen Fragen übereinstimmen, obwohl wir in den Hauptfragen doch auf dem gleichen Wege sind; dann steckt irgendwo in uns noch eine verborgene Krankheit … Wie sehr sehnt sich mein Herz nach größerer Einheit unter den Dienern Jesu Christi.“ Spurgeon sagte: „Diese drei Punkte – ein Leben in Heiligung, die Reinheit der Lehre und Einheit unter den Dienern der Gemeinde Jesu – tragen zur Gesundheit einer Ortsgemeinde bei.“ Das war aber noch nicht alles. Er fügte zwei weitere Punkte hinzu: anhaltenden Eifer und das Gebet.
4. Anhaltender Eifer (gute Werke)
Spurgeon sagte: „Oh, meine Brüder, wir irren uns, wenn wir meinen, dass eine Gemeinde, die bequem und ruhig geworden ist, gesund sei.“ Und an anderer Stelle bemerkte er: „Von Zeit zu Zeit rüttelt eine ernsthafte Predigt die Gemeindemitglieder auf und sie beginnen, krampfhaft aktiv zu werden, doch dann verfallen sie wieder in ihre Apathie und die Lauheit von Laodizea.“
Sein Gegenmittel für Bequemlichkeit und Tatenlosigkeit waren kein überfüllter Terminkalender und immer wieder neue Aktivitätsangebote. Spurgeon war überzeugt, dass Gemeinden sich stattdessen darauf konzentrieren sollten, neue Jünger zu gewinnen. Er warnte: „Es ist erstaunlich, dass sie es sich bequem machen, während Seelen sterben und Sünder verderben, während sich die Hölle füllt und das Reich Gottes nicht ausbreitet.“
5. Beständigkeit im gemeinsamen Gebet
Jeder der vorangehenden Punkte ist wichtig, aber Spurgeon betonte auch: „Eine Gemeinde kann nicht gesund sein, wenn sie nicht beständig im Gebet bleibt.“ Er warnte: „Es ist mir gleich, ob die anderen Gottesdienste überfüllt sind – wenn die Gebetsversammlungen schlecht besucht werden, handelt es sich nicht um eine blühende Gemeinde.“
Spurgeon hatte keine Hemmungen, sein eigenes Versagen auf diesem Gebiet zuzugeben, als er bedauerte: „Ich muss bekennen, dass ich bei mir selbst – und ich denke, ich spreche für viele andere auch – einen Mangel an Gebetseifer vor allem für Missionsanliegen feststelle.“ Spurgeon sah dieses Problem nicht nur in anderen Gemeinden, sondern auch in seinem eigenen Leben.
Zusammenfassung
Spurgeon fasste seine Predigt über diese fünf Merkmale mit folgenden Worten zusammen: „Es bleibt jedem einzelnen Herzen und jedem einzelnen Mitglied einer Gemeinde überlassen, die Frage nach der geistlichen Gesundheit seiner Gemeinde anhand dieser Merkmale zu beantworten: Heiligung, Lehre, Einheit, Eifer und Gebet.“
Vielleicht übertrifft sich deine Gemeinde immer wieder selbst in diesen Bereichen. Vielleicht ist sie jedoch weit davon entfernt. Wenn Letzteres auf deine Ortsgemeinde zutrifft, dann lass mich dir raten, dort zu beginnen, wo Spurgeon seine Predigt beendete. Er schloss nicht mit einer Verdammung ungesunder Gemeinden oder einem Aufruf zu unüberlegter, sofortiger Handlung. Stattdessen forderte er seine Zuhörer auf, an den gekreuzigten und auferstandenen Christus zu glauben – ein Aufruf, der auch heute von jeder Kanzel ertönen sollte.
„Vergiss nicht – du bist verloren und verdorben; hilflos, hoffnungslos und vollkommen verdorben. Was dich selbst angeht, gibt es keinerlei Hoffnung auf Errettung. Aber es gibt einen, der mächtig genug ist, dich zu erretten, nämlich Jesus Christus. Schau weg von dir selbst auf ihn und du wirst gerettet werden … Die seelenerquickenden Worte lauten ,Glaube und lebe‘. Möge der Herr dich jetzt befähigen, an Jesus Christus zu glauben und du wirst gerettet werden, sei deine Schuld auch noch so groß. Der Augenblick, in dem du auf Jesus Christus blickst, ist der Augenblick, in dem dein schwarzes Sündenkleid abfällt und hinweggetan wird. Der Augenblick, in dem du dich vor dem blutüberströmten Retter beugst, ist der Augenblick, in dem Gott mit Freude und Wohlgefallen auf dich herabsieht. ,Wer an den Herrn Jesus Christus glaubt, soll gerettet werden‘, sei seine Schuld auch noch so groß. ,Wer glaubt, soll nicht verdammt werden‘, sei seine Schuld noch so gering. Ich möchte diejenigen, die spüren, dass sie Jesus brauchen, die ,müde und schwer beladen, verloren und durch den Sündenfall verdorben‘ sind, ernsthaft ermahnen, den Erlöser zu ergreifen, gerade heute. Er ist gerade für euch gekommen.“
1Diese fünf Merkmale sind der folgenden Predigt von Spurgeon entnommen: C.H. Spurgeon, NPSP Vol. 6, „Peace at Home, and Prosperity Abroad“, online unter https://www.spurgeon.org/resource-library/sermons/peace-at-home-and-prosperity-abroad/#flipbook/ (Stand: 22.10.2024).
2C.H. Spurgeon, MTP Vol. 24, „What the Church Should be“.
3C.H. Spurgeon, MTP Vol 29, „The Best War-Cry“.
4C.H. Spurgeon, Lectures, Vol. 2, „Lecture One: Illustrations in Preaching“.
5C.H. Spurgeon, MTP Vol. 53, „The Parable of the Ark“.
6CH. Spurgeon, „A Defense of Calvinism“, The Spurgeon Archive, MBTS, online unter https://archive.spurgeon.org/calvinis.php (Stand: 22.10.2024).